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NICOLAUS COPPERNICUS.

ERSTER BAND.

(Bild: Thorn zur Zeit von Coppernicus)

NICOLAUS COPPERNICUS.

VON

LEOPOLD PROWE.

ERSTER BAND: DAS LEBEN.

I. THEIL 1473-1312.

BERLIN,

WEIDMANNSCHE BUCHHANDLUNG.

1883.


SEINER

KAISERLICHEN UND KÖNIGLICHEN HOHEIT

DEM

KRONPRINZEN DES DEUTSCHEN REICHES

UND VON PREUSSEN

UNTERTHÄNIGST ZUGEEIGNET.


Ew. Kaiserliche und Königliche Hoheit haben im Jahre 1872, als die Säkular-Ausgabe des Werkes „de revolutionibus orbium caelestium" vorbereitet wurde, mir huldvoll gestattet, über das Original-Manuskript Vortrag zu halten. Das hohe Interesse, welches Ew. Kaiserliche UND Königliche Hoheit der Gedanken-Arbeit von Coppernicus zuwandten, rief damals bereits den Wunsch in mir hervor, dessen Lebens-Bild, welches schon seit Jahren vorbereitet war, Ew. Kaiserlichen und Königlichen Hoheit darbringen zu dürfen.

Preussens Königs-Geschlecht hat es seit lange als eine Seiner Herrscher-Stellung würdige Aufgabe betrachtet, das Andenken des grossen Stammes-Genossen zu ehren, welcher den Namen Preussen über den Erdkreis geführt hat, ehe derselbe durch die späteren Grossthaten in Krieg und Frieden allberühmt geworden ist.

Als Ermland mit dem Königreiche Preussen wieder vereinigt wurde, beabsichtigte Friedrich der Grosse über dem Grabe von Coppernicus zu Frauenburg ein Denkmal zu errichten. Das Versprechen, an welches der grosse

König sich noch wenige Jahre vor seinem Tode, als an eine Ehrenschuld wieder erinnerte, hat König Friedrich Wilhelm IV. eingelöst. Seit drei Decennien ist die Geburtsstadt von Coppernicus durch dessen Standbild in Erz geschmückt. Kaiser Wilhelm aber, der ruhmgekrönte Wiederhersteller des deutschen Reiches, hat ihm ein Monument errichtet, dauernder als Stein und Erz, indem Seine Majestät das grosse Geisteswerk in reinerer Textes-Ausgabe wieder erstehen liessen, durch welches unsere neue Weltanschauung begründet ist.

Die vorliegende Schrift, welche sich unter die Aegide Ew. Kaiserlichen und Königlichen Hoheit stellt, versucht ein Lebens-Bild von Coppernicus in weiterem Rahmen zu zeichnen, als es bisher geschehen ist.

Die auf Coppernicus zunächst folgenden Generationen hatten es verabsäumt, den Verhältnissen seines Lebens und seiner Umgebung genauer nachzugehn. Erst ein volles Jahrhundert nach dem Tode von Coppernicus hat ein im fernen Frankreich lebender Berufs-Genosse, der gelehrte Gassendi, die dürftigen biographischen Notizen

zusammengestellt, welche er in gedruckten Werken, die zum Theil schon dem Fachmanne schwer zugänglich geworden waren, mühsam aufgesucht hat. Gassendi kennt aber fast nur die eine Seite des Lebens von Coppernicus, seine wissenschaftliche Thätigkeit. So ist es denn erklärlich, dass noch vor kurzem ein berufener Forscher das Wort gesprochen, das Leben von Coppernicus sei „arm an äussern Ereignissen“ gewesen, „Coppernicus habe sich auf die Einsamkeit seines Studir-Zimmers beschränkt“.

Die vorliegende Schrift wird den Nachweis führen, dass im Gegentheil das Leben von Coppernicus reich gewesen, wie kaum das eines andern Gelehrten. Gleichwie Goethe, konnte auch Coppernicus den Dank gegen Gott dafür aussprechen, „dass Er ihn in eine so engweite Situation gesetzt, wo die mannigfaltigen Fasern seiner Existenz alle durchgebeizt werden konnten“.

Nicht auf einsamer Höhe, erhaben über dem kleinlichen Treiben der Menschen hat der geistige Heros gestanden, welcher nachgedacht hat den Gedanken des

Weltschöpfers in der Anordnung der Himmelskörper, welcher uns einen Funken von dem Lichte herabgebracht hat, dessen volle Klarheit zu schauen uns Erdenwandlern nie vergönnt sein wird! Mitnichten nannte Coppernicus die Enge des Studir-Zimmers seine Welt! Derselbe hat vielmehr in den blühenden Mannes -Jahren mitten im vollen Leben gestanden. Er hat, gleich uns, den übrigen Sterblichen, gehofft und gefürchtet, gekämpft und gelitten! Nichts wohl ist ihm erspart geblieben von dem, womit die Menschen sich das kurze Dasein zu wirren lieben! Neben Müh' und Arbeit hat Coppernicus reichlich auch die Leiden gefühlt des Lorbeerkranzes, mit welchem des Genius Stirn umflochten ist! Wichtige Lebens-Umstände von Coppernicus sind uns erst seit kurzem bekannt geworden, seitdem die Forschung in den Archiven während der letzten Decennien sich gemüht hat, die wenigen Reliquien des grossen Mannes aufzusuchen, welche früheren Plünderungen glücklich entgangen sind. Die schwierige Sammlung solcher vereinzelter Bausteine, die kritische Sichtung der anderweit

überlieferten Nachrichten haben vorausehen müssen, ehe das Wagniss unternommen werden konnte, auf vielfach schwankendem Boden eine Biographie von Coppernicus aufzubauen. Dadurch ist auch die Darstellung beeinflusst, welche wohl nicht selten der Leichtigkeit und Abrundung ermangelt. Allein es giebt für die Biographie kein allgemeines Vorbild. Durch den vorhandenen Stoff, durch die Vorarbeiten und sonstigen Hülfsmittel wird der Zuschnitt des Gewandes bestimmt, mit welchem das Bild des Helden zu umkleiden ist.

Bei dem Mangel ausreichenden Quellen -Materials zum Leben von Coppernicus hat die Staffage und der Hintergrund nicht selten reicher gezeichnet werden müssen. Allein die grosse Zeit, in welcher Coppernicus gelebt hat, auf der Grenzscheide von zwei wichtigen Epochen der Geschichte - der Kampf zweier Welt-Anschauungen, die sich auf religiösem, wie auf allgemein geistigem Gebiete befehdeten - und in dem engem Vaterlande von Coppernicus der Gegensatz zweier sich bekämpfenden Nationalitäten, der Zusammenbruch des Ritterordens, die

Neubildung der deutschen Kolonie im Osten, - all dies wird neben der nicht geringen Zahl bedeutender Menschen, mit denen Coppernicus lebte, dem vorliegenden Buche vielleicht einiges Interesse abzugewinnen vermögen.

Ew. Kaiserliche und Königliche Hoheit bitte ich, wo das Eingeständniss der Mängel und Schwächen offen dargelegt ist, milde Beurtheilung huldvoll walten zu lassen. In solcher Hoffnung wagt die Arbeit langer Jahre ehrerbietigst darzubringen

Ew. Kaiserlichen und Königlichen Hoheit

Thorn 18. Oktober 1882.

unterthänigster

Leopold Prowe.

Inhalts-Uebersicht.[recensere]

A. Erster Theil.[recensere]

Erstes Buch S. 1- 82 Heimat, Name, Abstammung.[recensere]

Erster Abschnitt.

Geburtsland und Geburtsstadt .... S. 3-17

Einleitendes (S. 3). Thorns Lage (S. 4). Gründung durch die deutschen Ordens-Ritter (S. 6). Blüthe-Zeit im 13. und 14. Jahrhunderte (S. 8). Mitglied der Hansa seit der Mitte des 14. Jahrhunderts (S. 11). Beginn des Verfalls durch das Emporkommen Danzigs und die Kriege des Ordens mit Polen (S. 11), vornämlich aber durch den Abfall des preussischen Landes vom Orden (S. 12). Die Handels-Verbindungen zwischen Thorn und Krakau seit dem Ende des 13. Jahrhunderts (S. 15).

Zweiter Abschnitt S. 18-82

Die Ahnen. Vater und Mutter. Die nächsten Seiten-Verwandten.

I. Die Familie Koppernigk im 14. und 15. Jahrhunderte . . S. 18-55 A. Der Name.

1. Der Geschlechts-Name „Koppernigk“. Die Varianten in der Schreibung S. 18-21

2. Der Einzel-Name „Coppernicus" S. 22- 30

Der Einzel-Name „Coppernicus“ ist durch den grossen Träger des Namens selbst gebildet (8. 22). Die Nothwendigkeit der Restitution des doppelten p (S. 25 ff.). Die Verdoppelung des p erscheint ausnahmlos in allen eigenhändigen Namens-Zeichnungen, in welchen Coppernicus die nicht latinisirte Form gebraucht (S. 25.) Das Doppel-p ist von Coppernicus selbst bis in sein sechzigstes Lebens-Jahr allein zur Anwendung gekommen (S. 20). Das einfache p scheint durch Akkommodirung an den Gebrauch der latinistischen Freunde Dantiscus und Rheticus entstanden zu sein (S. 29).

XIV INHALTS-ÜBERSICHT.

B. Die älteste Heimat der Familie Koppernigk S. 30-33

Der Orts-Name „Kopirnik“ in Ober-Schlesien bei Neisse und bei Frankenstein (S. 30). Handels-Verkehr zwischen Schlesien und Preussen im 14. u. 15. Jahrhunderte (S. 31). Die Beziehungen der Thorner Familie „Koppernick" mit Frankenstein (S. 32).

C. Die Familie Koppernigk in Thorn und Krakau S. 33 - 44

1. In Thorn: „Michael Czeppernick“ (um 1398), Laurentius Koppirnick“ (um 1400), Margritte Koppirnickynne (um 1422) (S. 33).

2. In Krakau: Nizco Coppernik“ (1375), „Niclos Koppirnig“ (1395), „Johannes Koppernick“ um die Mitte des 15. Jahrhunderts (S. 35).

D. Niklas Koppernigk der Vater S. 44 - 55

Die Unrichtigkeit der bisherigen Angaben über den Beruf (S. 44). Niklas Koppernigk war Gross-Händler, zuerst in Krakau (S. 49), dann in Thorn (S. 51 ff.), stirbt 1483 (S. 53). Seine ausgebreiteten Geschäfts-Beziehungen (S. 54).

Ü. Die Familie Watzelrode S. 55- 82

A. Die Familie Watzelrode zu Thorn im 14. und 15. Jahrhunderte S. 55 - 58

B. Lucas Watzelrode, der Grossvater, seine Gattin und Kinder S. 59-73

Lucas Watzelrode war Kaufherr in Thorn (S. 59). Seine geschäftlichen Beziehungen und Vermögens-Verhältnisse (S. 61), einer der Führer im Kampfe gegen den deutschen Orden (S. 63). Seine entschiedene Stellung gegen die polnischen Uebergriffe (S. 64). Der Theilungs-Vertrag nach seinem Tode (S. 66). Die erste Ehe seiner Gattin Katharina (S. 68). Zeugniss der preussischen Landes-Räthe über Lucas und Katharina Watzelrode (S. 71). Deren Kinder (S. 72).

C. Lucas Watzelrode, der Oheim von Coppernicus . . S. 73 - 82

Beilegung des Zusatz-Namens „von Allen“ (S. 74). Studien in Krakau (S. 75) und Bologna (S. 76). Doctor decretoram (S. 78). Rückkehr in die Heimat (S. 80). Domherr und Bischof der ermländischen Kirche (S. 82).

Zweites Buch. Die Jugend-Jahre. Thorn 1478 - 1491 . . s. 88-116[recensere]

Der Geburtstag (S. 85). Die Geschwister : Andreas, Barbara, Katharina (S. 89). Das Geburtshaus (S. 91). Seiten-Verwandte (S. 95). Die ältesten Biographien (S. 96). Der Einfluss des elterlichen Hauses und der weiteren Umgebung (S. 101). Die Johannis-Schule in Thorn (S. 109).

Drittes Buch. Auf der Universität zu Krakau . . . s. 117-158[recensere]

Die Verfassung der Universität (S. 119). Die Anzahl der in Krakau bis zum Ende des 15. Jahrhunderts immatrikulirten Preussen, bez. Thorner (S. 122). Die Gründe für die Wahl Krakaus (S. 123). Die Frequenz der Universität (S. 124). Der Humanismus in Krakau (S. 125). Conrad Celtes (8. 126). Immatrikulation

INHALTS-ÜBERSICHT. XV

von Coppernicus (S.129). Die Artisten-Fakultät (S. 130). Griechisch wurde nicht gelehrt (S, 133). Die humanistischen Lehrer. Laurentius Corvinus {S. 134). Die mathematischen Lehrer. Alb. Brudzewski (S. 136 ff.) Die astronomischen Instrumente (S. 147). Mitschüler (S. 149). Das Leben der Scholaren. Die Börsen (S. 151). Der Studien-Abschluss (S. 154).

Anhang. Unrichtige Angaben über einen zweiten Aufenthalt des Coppernicus zu Krakau (S. 157).

Viertes Buch. Zwei Jahre in der Heimat. Thorn und Heilsberg. 1494 - 1496 S. 159-210[recensere]

Erster Abschnitt S. 161-178

Rückkehr von Krakau. Die Bewerbungen um ein ermländisches Kanonikat. Der Eintritt in das Domstift zu Frauenburg.

Preussisch-polnische Wirren. Streitigkeiten über die Reservat-Rechte der Preussen. Bischof Lucas Watzelrode und König Kasimir (S. 161). Bischof Lucas und König Johann Albert ;S. 166;. Bischof Lucas, Berather von Coppernicus (S. 169). Fruchtlose Bewerbung um ein ermländisches Kanonikat (171). Eintritt in das Domstift zu Frauenburg (175-.

Zweiter Abschnitt. Das Bisthum und Domstift Ermland . . s. 178-210

Diöcesan-Eintheilung Preussens (S. 178). Die Grenzen des Bisthums Ermland S. 180.. Die Territorial-Hoheit des ermländischen Bischofs, des Mitfürsten in Preussen (182;. Die Beziehungen zum deutschen Reiche (S. 187). Die Stellung zum Könige von Polen nach dem 2. Thorner Frieden (S. 188). Die Beziehungen zum übrigen „königlichen Preussen“ (S. 191).

Die Fundirung des ermländischen Dom-Kapitels (S. 193). Der Land-Besitz des Dom-Stifts (S. 195). Die Hoheits-Rechte des Kapitels (S. 196;. Die Rechte und Pflichten der Domherrn (S. 199). Die Vorbedingungen zum Eintritt; grosser Andrang von Bewerbern (S. 203). Die Pflege der Studien im ermländischen Domstifte .S. 205). Die Zusammensetzung des Kapitels seit dem Ende des 15. Jahrhunderts (S. 210.

Fünftes Buch. In Italien. 1496-1506 S. 211- 329 Erster Abschnitt S. 213-224[recensere]

Einleitendes. Die Reise nach Italien. Die Zustände Italiens am Ende des 15. Jahrhunderts.

Der Zug der Scholaren nach Italien (S. 213 . Die Reise-Wege (S. 216). Die Kriege um Italien im 15. Jahrhunderte (S. 219) . Alexander VI. und Savonarola (S. 220 . Die wissenschaftlichen Kämpfe zwischen den Aristotelikern und den Anhängern Plato's (S. 221}. Die Studien-Ziele von Coppernicus in Italien (S. 224).

XVI INHALTS-ÜBERSICHT.

Zweiter Abschnitt S. 225-278

Auf der Universität zu Bologna. 1496-1500.

Die Begründung und Gliederung der Rechte-Schule (S. 225) . Die natio Germanorum (S. 227}. Die Immatrikulation von Coppernicus (S. 230). Die Lektionen-Verzeichnisse der Rechts-Schule (S. 233). Die Rotuli der Artisten-Universität zu Bologna (S. 235). Dominicus Maria di Novara ;S. 236 j. Scipio da Ferro (S. 247). Antonius Urceus Codrus {S. 249). Die Erlernung der griechischen Sprache (S. 257), Die äussern Verhältnisse der Scholaren in Bologna (S. 261). Andreas Koppernigk in Bologna (S. 263). Die Gebrüder Koppernigk in Geldnoth (S. 265). Die Vergnügungen der Scholaren, ihre Kleidung, Raufereien (S. 267). Scholaren aus Preussen, gleichzeitig mit Coppernicus zu Bologna (S. 270). Der Weggang (S. 276)

Dritter Abschnitt S. 279- 289

In Rom. 1500.

Die Zustände in Rom. Das grosse Jubeljahr (S. 279). Alexander VI. (S. 281 . Michel Angelo (S. 282). Die Grösse Roms um 1500 (S. 283). Coppernicus hält öffentliche Vorträge (S. 284). Der Weggang (S. 287).

Anhang. Unrichtige Angaben über einen zweiten dauernden Aufenthalt von Coppernicus zu Rom (S. 288).

Vierter Abschnitt S. 290- 294

Ein Besuch in der Heimat. Die Verlängerung des Urlaubs.

Bewilligung des Urlaubs für die Gebrüder Koppernigk (S. 290). Nicolaus Koppernigk erhält die Verlängerung des Urlaubs Behufs medicinischer Stadien (S. 291). Kleriker als Aerzte (S. 292). Die zweite Reise nach Italien (S. 294).

Fünfter Abschnitt S. 295- 307

Der Abschluss der juristischen, die Weiterführung der philosophischen Studien.

Der erste Aufenthalt zu Padua. 1501 - 1503. Keine archivalische Belege sind seither für den Aufenthalt des Coppernicus zu Padua aufgefunden (S. 295). Eine Tradition hierüber hatte sich nur in Preussen erhalten (S. 296). Papadopoli's Fälschungen Über den Aufenthalt des Coppernicus zu Padua (S. 297). Den vollgültigen Beweis für dessen Studium zu Padua giebt das Doktor-Diplom von 1503 (S. 300). Die Blüte-Zeit des Gymnasium Patavinum im Anfange des 16. Jahrhunderts (S. 301). Die Rechts-Universität daselbst (S. 303). Die Artisten-Universität (S. 304). Petrus Pomponatius, Niccolo Leonico Tomes, Girolamo Fracastoro, Marcus Musurus (S. 305)

Sechster Abschnitt S. 308-318

Die Promotion im kanonischen Rechte.

Die Universität Ferrara ward von deutschen Studenten Bolognas für ihre Promotion nicht selten aufgesucht (S. 308). Die Promotion von Coppernicus (S. 310 .

INHALTS-ÜBERSICHT . XVÜ

Ferrara: Stadt und Hof um 1500 (S. 316). Lukrezia Borgia in Ferrara. Celio Calcagninl (S. 317). Der Weggang von Ferrara (S. 318).

Siebenter Abschnitt S. 319- 329

Das medicinische Studium.

Der zweite Aufenthalt zu Padua. 1503 - 1506. Rückkehr nach Padua (S. 319). Das medicinische Studium zu Padua. Die vier Hauptfächer (S. 320). Die anatomischen Uebungen (S. 321). Die Professoren der theoretischen und praktischen Medicin (S. 322). Die Unwahrscheinlichkeit, dass Coppernicus sich in der Medicin einen akademischen Grad erworben (S. 326). Der Abschluss der Lehr- und Wanderjahre. Rückkehr in die Heimat (S. 328).

Sechstes Buch S. 331-413[recensere]

Auf dem Schlosse zu Heilsberg 1506 - 1612.

Erster Abschnitt S. 333- 382

Das Zusammenleben mit dem Oheime Lucas Watzelrode in der bischöflichen Residenz zu Heilsberg. Die Theilnahme an dessen politischer und administrativer Thätigkeit.

Die universale Bildung von Coppernicus (S. 333). Die Berufung nach Heilsberg. Die Bewilligung des Urlaubs (S. 335). Das Schloss Heilsberg (S. 337). Die Umgebung (S. 340). Die wissenschaftliche Thätigkeit zu Heilsberg (S. 343). Der Umgang mit dem Oheime (S. 345). Theilnahme an der Bisthums-Verwaltung (S. 347). Versuchte Gründung einer Universität in Elbing (S. 348). Tagfahrt zu Marienburg 1506 (S. 350). Die preussisch-polnischen Wirren (S. 352). Das gespannte Verhältniss zum deutschen Orden (S. 354). Die bischöfliche Residenz zu Heilsberg. Der Hofstaat des Bischofs (S. 358). Die Tisch-Ordnung (S. 360). Reisen auf die preussischen Landtage und die polnischen Reichs-Versammlungen. Tagfahrt zu Elbing 1507 (S. 363). Reichstage zu Krakau und Petrikau 1508, 1509 (S. 364). Spannung zwischen Polen und dem deutschen Orden (S. 366). Verhandlungs-Tag zu Posen (S. 368). Das Ordens-Libell gegen Bischof Lucas, nicht gegen Coppernicus (S. 369). Die Wahl Albrecht's von Brandenburg zum Hochmeister des deutschen Ordens |S. 371). Verhandlungs-Tag zu Thorn zwischen Polen und dem Orden (S. 372). Auf dem Schlosse zu Stuhm (S. 373). Reise des Bischofs Lucas nach Krakau zur Hochzeits-Feier des Königs Sigismund. Der Tod des Bischofs auf der Rückreise zu Thorn (S. 375). Charakteristik von Lucas Watzelrode ;S. 376). Der Weggang von Heilsberg (S. 379). Betheiligung an der Stifts-Verwaltung während des Aufenthalts zu Heilsberg (S. 381).

Zweiter Abschnitt S. 383-413

Die Uebersetzung der Episteln des Theophylactus Simocatta.

Der Druck bei Haller zu Krakau (S. 383). Unbekannt den älteren Biographen (S. 385). Die Seltenheit der erhaltenen Exemplare (S. 386). Das Einleitungs-Gedicht


XVÜI INHALTS-ÜBERSICHT .

von Laurentius Corvinus (S. 388). Die Widmungs-Vorrede an Bischof Lucas (S. 390). Die Lebens-Verhältnisse von Theophylactus Simocatta (S. 392). Urtheile über Theophylactus Simocatta (S. 393). Zurückweisung des Tadels (S. 394). Mittheilung einiger Episteln in deutscher Sprache (S. 395). Gründe für die Wahl des Theophylactus (S. 397). Die Schwierigkeiten der Uebersetzung (S. 399). Die damalige Anfeindung der griechischen Studien (S. 400]. Die Bedeutung der damaligen Uebersetzungen aus dem Griechischen (S. 402;. Die mangelhaften Kenntnisse der ersten Gräcisten (S. 404). Das griechisch-lateinische Lexikon des Chrestbonius (S. 406).

Anhang. Die von Coppernicus gefertigte lateinische Uebersetzung der diciptoXif) A6ai5o; IluftaYopclo'j rpö; "iTtTrapyov (S. 408). Die griechischen Einzeichnungen des Coppernicus in die ihm zugehörigen Bücher (S. 410).

B. Zweiter Theil.[recensere]

Siebentes Buch. Vier Jahre bei der Kathedrale. Frauenburg 1512 - 1516. S. 1-72[recensere]

Frauenburg 1512-1516.

Erster Abschnitt S. 3-23

Der Dom. Die Curia Coppernicana.

Die Stadt Frauenburg (S. 3). Der Dom. Die landschaftliche und architektonische Schönheit (S. 6). Die architektonische Beschreibung (S. 8). Die Erbauung (S. 10). Die Befestigung des Domhügels (S. 11). Der Domhof (S. 12). Die Kurien (S. 13). Die Curia Copernicana. Die Erwerbung (S. 15). Die Lage (S. 16). Die Beschreibung (S. 18). Das Allodium Copernicanum (8.20). Die Coppernicanische Kurie im Heiligen-Geist-Hospitale (S. 22;.

Zweiter Abschnitt S. 24-32

Die Mitglieder des Domstifts um 1512. Die Erkrankung und die letzten Lebensjahre des Andreas Koppernigk.

Die Mitglieder des Domstifts um 1512 (S. 24). Die Erkrankung von Andreas Koppernigk (S. 26). Die Entfernung aus Frauenburg (S. 29). Die letzten Lebensjahre (S. 31).

Dritter Abschnitt S. 33-43

Die Streitigkeiten des ermländischen Domstifts mit dem polnischen Könige über die Wahl des Nachfolgers von Lucas Watzelrode.

Die Zuerkennung der freien Bischofs-Wahl durch die Kurie (S. 33). Die Wahl Fabian's von Lossainen (S. 34). Die Anfeindung der Wahl durch König

INHALTS-ÜBERSICHT. XIX

Sigismund (S. 35). Der Petrikauer Vertrag über die Bischofs-Wahl (S. 36). Einsprache des Kapitels gegen den Vertrag (S. 37). Protestation bei der römischen Kurie (S. 38). Die Protest-Partei zu Rom (S. 39). Die apostolische Bestätigung des Petrikauer Vertrags (S. 40). König Sigismund und Andreas Koppernigk (S. 41). Ankunft des Hochmeisters Albrecht in Preussen (S. 42). Hochmeister Albrecht und Bischof Fabian (S. 43).

Vierter Abschnitt S. 44-64

Der Fortgang der wissenschaftlichen Thätigkeit. Die Beobachtungen und Instrumente.

Der Fortgang der wissenschaftlichen Thätigkeit (S. 44). Die astronomischen Beobachtungen (S. 46). Frauenburg der Beobachtungs-Ort (S. 47). Die astronomischen Instrumente (S. 48). Das Instrumentum parallacticum (S. 49). Das Quadrum des Ptolemaeus (S. 50). Astrolabium und Jakobs-Stab (S. 52). Die Ausrüstung der Beobachtungs-Warte (S. 54). Die Dürftigkeit der Instrumente (S. 55). Die anderweiten ungünstigen Verhältnisse: Die grosse Polhöhe Frauenburgs, die Nebel des Haff (S. 56). Würdigung der Beobachtungen (S. 57). Abmahnung vor grosser Zuversicht zur Theorie (S. 58). Die Unzuverlässigkeit mancher alten Beobachtungen (S. 59). Die Unsicherheit des Ptolemäischen Stern-Katalogs (S. 60). Die eigenen Beobachtungen (S. 61). Irrige Bestimmungen des Fundamental-Sterns (S. 63).

Fünfter Abschnitt S. 65- 72

Die Kalender-Reform auf dem Lateranischen Koncile 1514.

Der Versuch einer Kalender-Reform 1514 (S. 66). Paul von Middelburg (S. 67). Das Cirkular-Schrelben des Papstes Leo X. (S. 68). Coppernicus zur Mitwirkung aufgefordert (S. 69). Ablehnung (S. 71). Abschluss der Forschungen über die Jahres-Länge (S. 72).

Achtes Buch s. 73-135 1516-1521. Auf dem Schlosse zu Allenstein.[recensere]

I. November 1516 bis November 1519, Ü. November 1520 bis Juni 1521.

Ein Jahr bei der Kathedrale. Frauenburg, November 1519 bis November 1520.

Erster Abschnitt S. 75- 88

Der Geschäftskreis des Kapitular-Statthalters. Das Schloss zu

Allenstein.

Der Administrator bonorum communium (S. 76). Die erforderlichen Eigenschaften (S. 77). Der Administrator an der Spitze der Verwaltung (S. 79). Ober-

XX INHALTS-ÜBERSICHT.

Aufsicht über die Geistlichkeit (S. 80). Die Vorzüge der Stellung in Allenstein (S. 81). Die Stadt Allenstein (S. 82}. Das Schloss (S. 83). Die bewegten Jahre des Allensteiner Aufenthalts (S. 86). Sympathien mit den Anschauungen Luther's (S. 87).

Zweiter Abschnitt S. 89- 110

Die erste Periode der Statthalterschaft 1516 - 1519.

Das Geschäftsbuch des Kapitular-Statthalters. Eigenhändige Einzeichnungen von Coppernicus (S. 89). Entwendungen Coppernicanischer Reliquien (S. 94). Vier Schriftstücke des Administrators Coppernicus (S. 95). Amtliche Reisen (S. 97). Besuche zu Allenstein (S. 98). Spannung zwischen dem Orden und Ermland (S. 99). Kriegs-Rüstungen (S. 100). Raubzüge der Ordens-Schaaren (S. 101). Bündnisse des Hochmeisters (S. 102). Ein Brief des Statthalters Coppernicus (S. 103). Einzug des Königs Sigismund in Thorn (S. 105). Der fränkische Reiterkrieg (S. 106). Die schwierige Stellung Ermlands (S. 107). Die Wegnahme Braunsbergs (S. 108). Ein Geleitsbrief für Coppernicus (S. 109).

Dritter Abschnitt S. 111-116

Ein Jahr bei der Kathedrale. November 1519 bis November 1520.

Fortgang des Krieges. Handstreich auf Frauenburg (S. 111). Kurzer Waffen-Stillstand (S. 114;. Belagerung von Heilsberg (S. 114). Zuzug deutscher Hülfsvölker für den Orden (S. 115). Plünderungs-Züge in Ermland (S. 116).

Vierter Abschnitt S. 117-129

Die zweite Periode der Statthalterschaft zu Allenstein. November 1520 bis Juni 1521.

Kriegs-Bedrängnisse des Domstifts (S. 117]. Belagerung von Allenstein und Guttstadt (S. 118). Die Sorge um die Vertheidigung Allensteins (S. 119). Der Waffen-Stillstand zu Thorn (S. 126). Wiederaufnahme der friedlichen Thätigkeit (S. 127). Niederlegung des Statthalter-Amts (S. 128).

Anhang S. 130-135

Sagen über den Aufenthalt des Coppernicus zu Allenstein.

Kein Observatorium zu Allenstein (S. 130). Etwaige Allensteiner Beobachtungen nicht wissenschaftlich verwerthet (S. 132). Angebliche Fenster-Einzeichnungen (S. 134).

INHALTS-ÜBERSICHT. XXI

Neuntes Buch s. 137-164 Von der Rückkehr zur Kathedrale bis zum Tode des Bischofs Fabian von Lossainen.[recensere]

Frauenburg 1521-1523.

Erster Abschnitt S. 139-152

Die Vertretung des Kapitels auf den preussischen Landtagen. Die Klageschrift gegen den deutschen Orden. Das Gutachten über die Verbesserung der preussischen Münze vom Jahre 1522.

Staatsmännische Thätigkeit. Gebiets-Regalirung mit dem Orden (S. 139). Klageschrift des Domstifts (S. 142). Tagfahrt zu Graudenz (S. 143). Die deutsche Denkschrift über die Landes-Münze (S. 145 ff.). Allgemeine Vorbemerkungen (S. 147). Die Schaden der preussischen Münze (S. 148). Reform-Vorschläge (S. 149). Vereitelung der Münz-Reform (S. 150). Die Stellung des Ordens zu Ermland (S. 151). Uneinigkeit im Domstifte (S. 152).

Zweiter Abschnitt S. 153-164

Die Ausbreitung der Luther sehen Lehren in Preussen und Ermland. Der Tod des Bischofs Fabian von Lossainen. Coppernicus General-Administrator des Bisthums.

Sympathien mit Luther's Lehren im Preussenlande (S. 153). Bischof Fabian Freund der Reform-Bewegung (S. 155). Tod des Bischofs Fabian (S. 156). Die Wirren nach seinem Tode (S. 157). Coppernicus General-Administrator (S. 158). Rückgabe der von Polen besetzten Städte (S. 159). Fortschreiten der kirchlichen Reform-Gedanken (S. 160).

Anhang. Bericht von Johannes Dantiscus Über eine Zusammenkunft mit Luther (S. 161).

Zehntes Buch S. 165-244 Die letzten Jahre öffentlicher Thätigkeit. Frauenburg 1523-1531.[recensere]

Erster Abschnitt S. 167-187 Coppernicus und sein Freundeskreis in ihrer Stellung zur Reformation.

Das Edikt des Bischofs Mauritius Ferber gegen die „Lutherische Seuche“ (S. 168). Tiedemann Giese's „Flosculorum Lutheranorum de fide et operibus divdY]XoYix6v“ (S. 171 ff.). Auf Anrathen von Coppernicus veröffentlicht [S. 173). Excerpte aus Giese's dv^Y^XoYixöv : Die Lehre vom äussern und Innern Menschen (S. 175). Die Nothwendigkeit einer festen Ordnung der Kirche (S. 175). Die Lehre von den guten Werken (8. 176). Rechtfertigung aus der Gnade durch den Glauben (S. 178). Das Priesterthum (S. 178). Mahnung zum Frieden und zur Versöhnung (S. 179).

XXÜ INHALTS-ÜBERSICHT.

Die irenische Tendenz von Giese's divBr^Xoiftxöv (S. 180). Der milde Charakter Gieses (S. 182). Dessen Werk „de regno Christi“ (S. 182). Die Ideale Auffassung der Kirche von Coppernicus und Giese (S. 184). Die Abneigang gegen Luther's Reformen S. 186,.

Zweiter Abschnitt S. 188-192

Die Aufhebung des deutschen Ordens in Preussen.

Hochmeister Albrecht in Deuttschland hülfesuchend (S. 188}. Säkularisation des Ordenslandes (S. 189). Die politischen Folgen des Krakauer Friedens für Ermland (S. 190). Der konfessionelle Gegensatz zwischen Ermland und dem Herzogthum Preussen (S. 190).

Dritter Abschnitt S. 193-201

Die lateinische Denkschrift über die Verbesserung der preussischen Münze.

Verhandlungen über die Verbesserung der Landes-Münze zwischen dem königlichen und herzoglichen Preussen (S. 193}. Ueberarbeitung der Denkschrift über das preussische Münzwesen. Die Einleitung des neuen Münz-Gutachtens (S. 195). Historischer Ueberblick der preussischen Münz-Verhältnisse (S. 196). Die Nachtheile der geringhaltigen Münze (S. 197). Die Reform-Vorschläge (S. 198). Werth-Bestimmung der Edel-Metalle (S. 199). Der „Epilogus reductionis monetae* (S. 200).

Vierter Abschnitt S. 202- 216

Die parlamentarische und administrative Thätigkeit in den Jahren 1524-1531.

Die Tagfahrt zu Elbing, März 1528 (S. 202). Tagfahrt zu Marienburg, Mai 1528 (S. 204). Ausserordentlicher Landtag zu Thorn, Juli 1528 (S. 205). Ausser- ordentlicher Landtag zu Elbing, Februar 1529 ;S. 206). Tagfahrten zu Marienburg, Mai und Oktober 1529 (S. 207). Reichstag zu Krakau, Februar und März 1530. Königliches Münz-Mandat (S. 208). Ausschuss-Berathung zu Elbing 1530 (S. 209). Abschluss der Betheiligung an der Münz-Reform (S. 210). Thätigkeit als nuncius Capituli (S. 211). Berathungen über eine neue Landes-Ordnung (S. 212). Aufstellung einer Brot-Taxe (S. 213'. Eine Schuldklage gegen den Domherrn Heinr. Snellenberg (S. 216).

Fünfter Abschnitt S. 217-230

Das Gutachten über Joh. Werner's Präcessions-Theorie.

Die grosse Konjunktion der Planeten im Februar 1524 (S. 217). Werner's Schrift „de motu octavae sphaerae“ (S. 219). Gegenschrift gegen Werners Präcessions-Theorie (S. 221) Die erhaltenen Abschriften (S. 222). Die einleitenden Bemerkungen (S. 223). Werner's chronologische Verstösse (S. 224). Unvollkommenheit seiner Methode (S. 226). Die Trepidations-Lehre (8. 227). Werner's irrige Schlüsse (8. 228). Ungerechte Beschuldigung der alten Astronomen (S. 229). Die eigene Ansicht von Coppernicus (S. 230).

INHALTSÜBERSICHT . XXÜI

Anhang S. 231-244

Das Elbinger Fastnachts-Spiel gegen Coppernicus.

Abneigung gegen die Lehre von der Erd-Bewegung. Luther's und Melanchthon's Widerspruch (S. 231). Starowolski's Bericht (S. 233). Gassendi's zusätzliche Angaben (S. 334). Die herrschende Neigung zur Satire (S. 235). Die Neigung zur Verspottung des Klerus (S. 236). Fastnachts-Aufzug zu Elbing 1531 (S. 237). Die Aufführung der Posse gegen Coppernicus (S. 239). Coppernicus in Elbing wohlbekannt (S. 240). Der muthmassliche Verfasser der Posse (S. 241). Der muthmassliche Inhalt der Posse (S. 242). Schul-Drama oder Fastnachts-Spiel? (S. 243). Charakter der Coppernicus-Posse (S. 244).

Elftes Buch S. 245-387 Von dem Aufhören der parlamentarischen Thätigkeit bis zur Ankunft des Rheticus in Frauenburg.[recensere]

Frauenburg 1531-1539.

Erster Abschnitt S. 247-254

Die Stellung Ermlands zu Polen. Die Streitigkeiten über die eventuelle Nachfolge des Bischofs Mauritius Ferber.

Die verwirrten Zustande Polens (S. 247). Die Gefahren des Preussen-Landes (S. 248). Bedrängung der deutschen Nationalität (S. 249). Koadjutorie des Bischofs Mauritius (S. 250). Dantiscus, polnischer Kandidat (S. 251). Giese, Kandidat des Kapitels (S. 252). Kompromiss zwischen Dantiscus und Giese (S. 253). Verhältniss des Dantiscus zu Coppernicus (S. 254).

Zweiter Abschnitt S. 255-266

Beschränkung der amtlichen Thätigkeit. Annahme eines Koadjutors. Niederlegung der Scholastrie zu Breslau.

Coppernicus hat keine Prälatur erstreht (S. 255). Nuntius Capituli und Visitator (S. 256). Uebertragung der Mortuaria (S. 257). Vereinzelte Angaben der Acta capitularia (S. 208). Aufnahme von Stanislaus Hosius in das ermländische Kapitel (S. 259). Nachgesuchte Annahme eines Koadjutors (S. 260). Bedingungen der Koadjutorie (S. 261). Sehr spät erfolgte Einsetzung eines Koadjutors (S. 262). Niederlegung der Breslauer Scholastrie (S. 263). Fortführung einer Vormundschaft über die Kinder eines Vetters, Reinh. Feldstett zu Danzig (S. 264). Theilnahme an den Welthändeln (S. 265). Verbindung mit Breslau.

Dritter Abschnitt S. 267-281

Astronomische Beobachtungen. Die Verbreitung der Kunde von dem neuen Systeme.

Planeten-Beobachtungen (S. 267). Beobachtung des Kometen von 1533 (S. 269). Streit über die Erklärung der Bahn des Kometen von 1533 (S. 271). Verbindung

XXIV INHALTS-ÜBERSICHT.

mit Gemma Frisius (S. 272). Verbreitung der Kunde von dem neuen Systeme (S. 273]. Widmanstad's Vortrag vor Papst Clemens VII. über die Lehre von der Erd-Bewegung (S. 274). Kardinal Nicolaus von Schönberg erbittet eine Abschrift des Werkes „de revolutionibus“ (S. 275). Anhänger der Coppernicanischen Lehre in Wittenberg: Joachim Rheticus und Erasmus Reinhold (S. 278). Abneigung der Häupter der Wittenberger Universität (S. 280}. Scheu vor der Theorie der Erd-Bewegung (8. 281;.

Vierter Abschnitt S. 282-292

Der „Commentariolus de hypothesibus motuum caelestium“.

Abneigung vor der Veröffentlichung der neuen Lehre (S. 282). Hinweisung auf den Commentariolus (S. 283). Verbreitung des Commentariolus durch Tycho Brahe (S. 285). Die beiden neuerdings wieder aufgefundenen Abschriften (S. 286). Allgemeine Inhalts-Angabe des Commentariolus (S. 287). Die Einleitung des Commentariolus (S. 288). Kurze Uebersicht des Inhalts der Haupt-Abschnitte des Commentariolus (S. 291).

Fünfter Abschnitt S. 298-320

Die ärztliche Thätigkeit in den Jahren 1531-1539.

Rückblick auf die ärztliche Thätigkeit in früheren Jahren (S. 293). Aerztlicher Berather der Bischöfe (S. 294). Erkrankung des Bischofs Mauritius Ferber 1531 (S. 295). Erkrankung desselben in den Jahren 1532 und 1533 (S. 297). Letzte Krankheit des Bischofs Mauritius 1586 (S. 299). Erkrankung des Bischofs Dantiscus 1533 (S. 300). Erkrankung von Tiedemann Giese 1539 (S. 301). Schwere Erkrankung Giese's 1540 (S. 302). Die Beschränkung der ärztlichen Thätigkeit (S. 303). Die erhaltenen medicinischen Handbücher (S. 304). Practica Valesci de Tharanta (S. 305). Chirurgia Petri de Largelata (S. 306). Matthaei Silvatici opus pandectarum (S. 307). Hortus sanitatis. Petrus de Montagana (S. 308). Rosa medicinae Johannis Anglici. Practica Antonü Guainerü (S. 309;. Die medicinischen Werke der Bibliothek des Frauenburger Kapitels (S. 310). Handschriftliche Einzeichnungen. Recepte (S. 311). Praktisch-medicinische Lehren (S. 317). Die complicirten Heilmittel früherer Zeit (S. 319). Elixir Tychonis (S. 320).

Sechster Abschnitt S. 321-325

Die Wirren über die Nachfolge des Bischofs Mauritius Ferber. Die Wahl und Einsetzung von Johannes Dantiscus.

Zwei Parteien im Domstifte (S. 321). Verhandlungen wegen der Bischofs-Wahl (S. 322). Die Wahl von Dantiscus (S. 323). Brief von Coppernicus an Dantiscus (S. 324). Begleitung des Bischofs Dantiscus auf seiner Huldigungs-Reise (S. 325).

Siebenter Abschnitt S. 326-370

Coppernicus und Dantiscus.

Anfang einer schweren Zeit (S. 326). Bisherige Unkenntniss der Beziehungen zwischen Coppernicus und Dantiscus (S. 327). Die Jugend von Dantiscus (S. 328).

INHALTS-ÜBERSICHT . XXV

Dantiscus, königlicher Gesandter in Preussen in den Jahren 1508 - 1513 (S. 329). Erste Begegnungen zwischen Coppernicus und Dantiscus (S. 330). Die auswärtigen Gesandtschaften des Dantiscus (S. 331). Coppernicus und Dantiscus werden sich fremd (S. 332). Laue Wiederanknüpfung der Verbindung (S. 333). Die freisinnigen Anschauungen des Dantiscus (S. 334). Die vielen freundschaftlichen Beziehungen des Dantiscus (S. 335). Die poetischen Talente des Dantiscus (S. 336). Das weltliche Jugend-Leben des Dantiscus (S. 337). Die Liebes-Verhältnisse des Dantiscus (S. 338). Grinaea. Geliebte in Innsbruck und in Belgien. Ysope de Galda in Valladolid (S. 339). Die Tochter Johanna Dantisca de Curüs (S. 340). Sinnes-Wandelung des Dantiscus. Die Hymnen (S. 341). Der kirchliche Eifer des Dantiscus (S. 342). Das „Mandatum wider die Ketzerei“ (S. 343). Dessen Vorgehen in Elbing gegen Gnapheus (S. 344). Entfremdung zwischen Coppernicus und Dantiscus (S. 345). Schwerere Misshelligkeiten (S. 346). Das Vorgehen des Dantiscus gegen Alexander Sculteti (S. 347). Die Gemeinsamkeit der Studien von Coppernicus und Sculteti (S. 348). Ihre gemeinsame praktische Thätigkeit (S. 349). Alexander Sculteti und Stanislaus Hosius [S. 350). Beginn der Gegen-Reformation in Polen (S. 351). Verbindung zwischen Dantiscus und Hosius (S. 352). Anfeindung des freigesinnten Klerus (S. 353). Stanislaus Hosius und Alexander Sculteti (S. 354). Verdächtigungen gegen Sculteti (S. 355). Sculteti findet Schutz bei der römischen Kurie (S. 356). Verurtheilung der gegen Sculteti aufgetretenen Domherrn zu Frauenburg (S. 357). Sculteti's wissenschaftliche Thätigkeit in Rom. Sein literarisches Ehren-Denkmal für Coppernicus (S. 358). Sculteti's Proskription aus Polen (S. 359). Des Dantiscus Vorgehen gegen Coppernicus wegen seiner Verbindung mit Sculteti (S. 360); er soll sich von Letzterem trennen (S. 361). Schärferes Vorgehn des Bischofs (S. 362). Coppernicus soll eine Verwandte, die seinem Hauswesen vorstand, Anna Schillings, entlassen (S. 363). Coppernicus^ Entschuldigungs-Schreiben (S. 364). Wiederholte Verdächtigungen (S. 365). Giese's Eintreten für Coppernicus (S. 366). Milderung des Urtheils über Coppernicus und Dantiscus (S. 367). Dantiscus lenkt ein, überschickt ein Epigramm; Coppernicus nimmt es in einem Briefe an, der von Phrasen voll ist (S. 368). Das Dom-Kapitel will der Anna Schillings den Aufenthalt in Frauenburg nach dem Tode von Coppernicus gestatten (S. 369). Dantiscus verbietet es (S. 370).

Anhang S. 372-383

Die „Septem Sidera“.

Die ersten Ausgaben der „septem sidera“ im 17. Jahrhundert (S. 372). Die vier letzten Ausgaben des 19. Jahrhunderts (S. 374). Coppernicus hat niemals Gedichte verfasst (S. 375). Die Epigramme, welche ihm zugeschrieben werden, sind untergeschoben (S. 376). Der Stil von Coppernicus ist ganz verschieden von der Sprache der „septem sidera“ (S. 377). Haupt-Grund gegen die Autorschaft von Coppernicus (S. 379). Die unzureichende äussere Beglaubigung (S. 380). Aus der Vorrede von Broscius (S. 381). Verbreitung der „septem sidera“ durch Broscius (S. 382). Nicht-Beachtung der „septem sidera“ Seitens der Zeitgenossen und der nächstfolgenden Generationen (S. 383).

XXVI INHALTS-ÜBERSICHT.

Zwölftes Buch S. 385-562 Die vier letzten Lebens-Jahre. Frauenburg 1539-1543.[recensere]

Erster Abschnitt S. 387-405

Georg Joachim Rheticus in Frauenburg 1539 - 1541.

Die Ankunft von Rheticus (S. 387). Die Lebens-Verhältnisse von Rheticus bis zur Uebernahme einer Professur in Wittenberg (S. 389). Erasmus Reinhold in Wittenberg, neben Rheticus Anhänger der Coppernicanischen Lehre (S. 391). Rheticus' Reise nach Preussen (S. 392). Rheticus' Aufenthalt in Frauenburg (S. 393). Coppernicus und Rheticus besuchen Giese in Löbau (S. 394). Abfassung der „Narratio prima“ von Rheticus (395). Rheticus' geographische Studien (S. 397). Rheticus' „Tabula chorographica“ (S. 398). Sie ist verschollen (S. 399). Erhalten ist die „Chorographia“ (S.400). Die Methoden für die Zeichnung von Landkarten (S. 401). Rheticus' Unterstützung durch Herzog Albrecht (S. 402). Empfehlungs-Schreiben des Herzogs Albrecht an die Universität Wittenberg (S. 403). Rheticus verlässt Preussen (S. 404).

Zweiter Abschnitt S. 406-425

Der Bücher-Besitz von Coppernicus.

A. Geschenke von Rheticus (S. 406): Die Editio princeps des griechischen Euklid (S. 407). 1) Die Trigonometrie des Reglomontanus (S. 408). 2) Instrumentum primi mobilis des Aplan. 3) Gebri Astronomia (S. 409). 4) Vitellionis perspectiva (S. 410). 5) Die Editio princeps des (griechischen] Almagest (S. 411).

B. Die von Coppernicus selbst angeschafften Bücher: 1) Die editio princeps der lateinischen Uebersetzung des Euklid vom Jahre 1482 (S. 412). 2) Albohazen liber in iudiciis astrorum (S. 414). 3) Die Phaenomena des Aratus (S. 415). 4) Drei Schriften von Bessarion (S. 416). 5) Joviani opera. Tabulae Alfonsi (S. 417). 6) Tabulae directionum Johannis de Regiomonte (S. 418). 7) Chrestonii lexicon Graeco-Latinum (S. 419). 8) Practica Valesci de Tharanta (S. 420). 9) Die lateinische Ausgabe des Almagest vom Jahre 1515. 10) Plinii historia naturalis vom Jahre 1487 (S. 421). Reichthum der literarischen Hülfsmittel durch die Stifts-Bibliothek zu Frauenburg (S.422). Die Franciskaner-Bibliothek zu Braunsberg (S. 424).

Dritter Abschnitt S. 426-444

Die Narratio prima des Rheticus.

Die 1. und 2. Ausgabe der „Narratio prima“ (S. 426). Einleitung (S. 428). Uebersicht des Inhalts des ersten Haupttheils (S. 429). Ein astrologischer Exkurs (S. 431). Der Inhalt des zweiten Haupttheils (S. 433). Zur Charakteristik der „Narratio prima“: Lob des Ptolemaeus (S. 434). Lob des Coppernicus: seiner Arbeitskraft, der Methode, der überzeugenden Beweisführung, der Harmonie des neuen Systems (S. 437). Einklang der Theorie und der Erscheinungen (S. 442).

INHALTS-ÜBERSICHT. XXVÜ

Vierter Abschnitt S. 445-463

Das „Encomium Borussiae“ des Rheticus.

Charakteristik der Schrift (S. 445). Uebersetzung des Encomium (S. 448). Einleitung (S. 448). Die wichtigsten Städte Preussens (S. 450}. Die Pflege der Wissenschaften (S. 451). Giese's Mahnungen zur Veröffentlichung des Werkes „de revolutionibus“ (S. 452). Coppernicus' Widerstreben (S. 453). Giese's wiederholte Bitten und Gegen-Vorstellungen (S. 454). Giese's Armillar-Sphäre (S. 460). Johannes von Werden, Freund von Coppernicus (S. 461). Schluss-Betrachtungen (S. 463).

Fünfter Abschnitt S. 464-476

Coppernicus in ärztlicher Thätigkeit zu Königsberg. April 1541.

Erkrankung des Georg von Kunheim, Amtshauptmanns von Tapiau (S. 465). Die bereitwillige Aufnahme der Aufforderung zur ärztlichen Behandlung (S. 466). Anderweite Beziehungen des Coppernicus zu Königsberg (S. 467). Die Korrespondenz in Betreff der Berufung von Coppernicus zwischen dem Herzoge Albrecht und dem Frauenburger Kapitel (S. 468). Rückkehr nach Frauenburg 4. Mai (S. 472}. Fernere Konsultation in Betreff Kunheim's (S. 473).

Sechster Abschnitt S. 477-489

Die Ausgabe der Trigonometrie des Coppernicus vom Jahre 1542.

Einleitung (S. 477). Verschiedene Entwürfe im Manuskripte (S. 479). Der Druck (S. 480). Die Unterschiede in den Sinus-Tafeln des Hauptwerkes und der Separat-Ausgabe (S. 481). Das Vorwort des Rheticus (S. 483 ff.). Die Coppernicanische Trigonometrie ist unabhängig von der des Regiomontanus (S. 483). Rheticus' Pietät gegen Coppernicus (S. 486). Zurückweisung ungerechter Vorwürfe gegen Rheticus (S. 488). Die Allgemein-Gültigkeit der trigonometrischen Tafeln (8. 4S9).

Siebenter Abschnitt S. 490-542

Die Veröffentlichung des Werkes „de revolutionibus orbium caelestium.

Das Werk ist bald nach der Rückkehr aus Italien niedergeschrieben (S. 490); später mehrfach überarbeitet, aber stets zurückgehalten (S. 491). Die Gründe der Nicht-Veröffentlichung (S. 491). Die wiederholten Bitten der Freunde besiegen schliesslich die Bedenken des greisen Forschers (S. 493). Die Schutzschriften von Giese und Rheticus (S. 493j. Die Dedikations-Vorrede an Papst Paul ÜI. (S. 494 ff.). Das Original-Manuskript des Werkes' „de revolutionibus“ (S. 502). Die Bedeutung dieses Autographon (S. 505). Die von Coppernicus selbst vorgenommenen Aenderungen im Manuskripte (S. 506). Unterdrückt ist u. a. der Lysis Brief, desgleichen die Stelle, in welcher Coppernicus die Möglichkeit einer elliptischen Bahn für die Himmelskörper vorahnet (S. 507). Zahlreicher sind die Aenderungen, welche die Herausgeber der editio princeps vorgenommen haben (S. 509). Die von Osiander unterdrückte Einleitung zum ersten Buche (S. 510,. Die damalige Bedeutung des Druckortes Nürnberg (S. 513). Der Drucker und Verleger der editio princeps Joh.

XXVÜI INHALTS-ÜBERSICHT.

Petrejus (S. 515). Der erste Herausgeber Joh. Schoner (S. 517). Rheticus in Nürnberg (S. 518). Der zuletzt hauptsächlich betheiligte Herausgeber der editio princeps Andreas Osiander (S. 520). Osiander's Verbindung mit Coppernicus und Rheticus (S. 521). Coppernicus missbilligt den Rath Osiander's, „eine Lehre von der Erd-Bewegung als eine blosse Hypothese darzustellen ; eigenmächtig schiebt Osiander eine Vorrede unter, in welcher er der zurückgewiesenen Anschauung Ausdruck giebt (S. 524). Coppernicus ist lange Zeit als Verfasser der untergeschobenen Vorrede angesehen (S. 529). Durch Kepler ist Osiander's Name als Autor der Vorrede bekannt geworden (S. 530). Oslander hat allerdings keine absichtliche Täuschung bezweckt (S. 533); allein dieselbe ist von ihm unabsichtlich gefordert worden (S. 534). Alexander von Humboldt bekämpft den allgemein verbreiteten Irrthum über die Autorschaft der untergeschobenen Vorrede (S. 535), Giese's entschiedener Protest gegen Osianders Verfahren, welches er geradezu als eine Fälschung bezeichnet; entrüstet verlangt Giese die Entfernung der Vorrede und den Umdruck der ersten Seiten (S. 536). Die Editio princeps des Werkes de revolutionibus“ S. 540).

Anhang S. 543-547

Die späteren Ausgaben des Werkes „de revolutionibus orbium caelestium“.

Die Baseler Ausgabe von 1566 (S. 543). Die Amsterdamer Ausgabe von 1617 (Nicolaus Muler zu Gröningen) (S. 544). Die Warschauer Ausgabe von 1854 (Joh. Baranowski) (S. 544). Die Thorner Säkular-Ausgabe von 1873 (Maxim. Curtze)(S. 546).

Achter Abschnitt S. 548- 562

Die letzte Krankheit und der Tod. - Die Versendung des Werkes „de revolutionibus. - Die Hinterlassenschaft.

Schwere Erkrankung gegen Ausgang 1542. Giese's Brief an Georg Donner (S. 548). Die Freunde, welchen die Pflege des Erkrankten oblag (S. 550). Die Gründe für die Entfremdung der Mehrzahl der ermländischen Domherrn (S. 552). Der Tod (S. 554). Die Ueberbringung des ersten Exemplars des Werkes „de revolutionibus“ (S. 555). Die Versendung an die Freunde und Gönner des Entschlafenen (S. 557). Der Nachfolger im Kanonikate und der Präbende (S. 559). Die Erben von Coppernicus zu Königsberg und Danzig (S. 560).

Erstes Buch.[recensere]

Heimat. Name. Abstammung,

I. Erster Abschnitt. Geburtsland und Geburtsstadt.[recensere]

Coppernicus ist an der Grenze des scheidenden Mittelalters geboren. Theilweise hatten sich schon, als er das Licht der Welt erblickte, die Pforten der neuen Zeit geöffnet, welche er belfen sollte ganz zu erschliessen. Gutenberg's Erfindung hielt damals ihren Einzug in die meisten Länder Europa's, und die neue Bildung, die von der Wiederbelebung des klassischen Alterthums ausging, hatte bereits siegreich die Alpen überschritten. Ueberall in den Kulturländern Europa's keimte die Saat jenes Jahrhunderts, von dem einer der muthigsten Vorkämpfer das stolze Wort gesprochen : Jahrhundert, es ist eine Lust in Dir zu leben !

Wie die Geburt von Coppernicus in die Grenzscheide zweier grossen Zeitepochen fällt, so hat an einer mächtigen Völkerscheide seine Wiege gestanden. Dort wo an der untern Weichsel seit der Mitte des 13. Jahrhunderts das Germanenthum, die Slaven von der Ostsee verdrängend, in dem deutschen Ordensstaate Preussen einen äussersten Posten vorgeschoben, ist das Geburtsland des Begründers unserer neuen Weltordnung.*

  • Die Belege und Ausführungen, welche den Text der vorliegenden

Schrift in den Anmerkungen begleiten sollen, müssen sofort mit Skizzen von grösserem Umfange eröffnet werden. Es erschien erforderlich, eingehendere Mittheilungen über die Vorgeschichte des Preussenlandes, und der Stadt Thorn bis auf die Zeiten von Coppernicus voraufzuschicken, weil nur dürftig die Kenntniss ist, welche selbst vielen der Berufenen im engem und weitem Vaterlande über Land und Leute östlich der Weichsel beiwohnt.

4 GEBURTSLAND UND GEBURTSSTADT.

Thorn^ seine Geburtsstadt, liegt an der äussersten Grenze des deutschen Lebens. Nur eine Meile von ihr entfernt ist seit

Die weiten Tiefebenen, welche von der Weichsel bis über das Mündungsland des Niemen hinaus sich erstrecken, waren erst den Völkern des spätern Alterthums als die Heimat des Bernsteins bekannt geworden. Ueber Land und Volk wusste man Nichts. Auch' als der Tag der Geschichte für die nördlichen Länder Europas anbricht, ist das baltische Küstenland zwischen Weichsel und Memel noch von Nebel bedeckt , der sich nur selten lichtet. Gemeiniglich nimmt man an, dass germanische Stämme, den Gothen zugehörig, die Weichselgegenden und den Ostseerand bis zum Niemen bewohnt haben. Diese sind aber, wie alle deutschen Völker, welche östlich der Elbe gewohnt, in den grossen Wanderungen des 4. und 5. Jahrhunderts aus ihren alten Sitzen weggezogen, eine neue Heimat unter schönerem Himmel in den südlichen Ländern Europas zu suchen. An ihre Stelle traten in dem südöstlichen Küstenlande der Ostsee Völkerschaften, welche mit den Letten und Littauem eine besondere Sprachfamilie bilden. Zu der Zeit als das Christonthum im östlichen Europa eingeführt -wurde , ist ihnen der Name „Pruzzi“ beigelegt worden, der später in „Borussia“ „Preussen“ gewandelt ist.

Jahrhunderte hindurch mögen die Preussen und die anwohnenden slavischen Völkerstämme friedlich neben einander gewohnt haben. Erst als die Bekehrung der Preussen zum Christenglauben unternommen ward, scheinen feindliche Berührungen entstanden zu sein. Neben der nationalen Verschiedenheit ward der religiöse Gegensatz Ursache der Kämpfe. Schwer wurde es den Polen, sich der Preussen zu erwehren, da sich ihr Reich durch innere Zerwürfnisse in grosser Verwirrung befand ; vielfache Erbtheilungen schwächten und zerrissen dasselbe.

Im Anfange des 13. Jahrhunderts war Polen unter mehrere Fürsten aus dem Piasten-Stamme getheilt. Die den Preussen benachbarten Gegenden besass Herzog Konrad von Masovien, der seine Residenz in Plock hatte. Ihm war die schwere Aufgabe geworden, die Preussen zurückzuhalten. Dieser war der polnische Kleinfürst nicht gewachsen; er suchte deshalb fremde Hülfe zu gewinnen. Zuerst lehnte er sich an die Kirche, die einzige Macht, von der ihm damals schnelle und andauernde Hülfe kommen konnte. Der Papst hatte einen Bischof von Preussen ernannt und Hess einen Kreuzzug predigen, ihm das Land zu gewinnen. Allein die Hoffnung, welche Herzog Konrad auf die Kampfheere gesetzt hatte, welche an die Weichsel gekommen waren, die junge Schöpfung der Kirche dauernd zu erhalten, erwies sich bald als trügerisch. Die Kirche war nicht im Stande, sich in diesen Gegenden selbst zu schützen. Kaum waren die Kreuzfahrer fort, so kamen die Preussen aus ihren Wäldern hervor und drangen tief in Masovien ein.

In dieser Noth wird in Herzog Konrad der Gedanke geweckt, einen der geistlichen Ritterorden, die in Palästina gegen die Ungläubigen fochten, an die Weichsel zu ziehen. Im Jahre 122G schickt er Gesandte an den Hochmeister

GEBURTSLAND UND GEBURTSSTADT. 5

den Zeiten, da hier Neu-Deutschland durch die Kreuzritter gegründet ward, bis auf unsere Tage herab die Grenze des von

des deutschen Ordens, Hermann von Salza, die Schenkung eines streitigen Grenzgebietes, des sog. Kulmerlandes, anzubieten, wenn er sich verpflichte, die Preussen von seinen Grenzen abzuhalten. Der Hochmeister nahm den Antrag günstig auf. Die Ideen, welche die Kreuzzüge und in deren Gefolge die geistlichen Ritterorden hervorgerufen, waren sichtlich im Erlöschen, und so kam ihm jenes Anerbieten, weiches zur Begründung eines eigenen Ordensstaates führen konnte, sehr gelegen.

Hermann von Salza untersuchte nicht ängstlich, ob die Schenkung des Herzogs Konrad in jenen Landen auch Kraft habe , ob und welche Rechte dieser auf die erwähnten Landschaften selbst hatte ; er fragte nicht , ob er durch Annahme der Schenkung die Rechte Anderer verletze. Wohl aber suchte er sofort sich eine weitere Stütze zu gewinnen, wenn etwa, wie er wohl voraussetzen konnte, den polnischen Herzog die Schenkung später gereuen würde. Er wandte sich an den Kaiser Friedrich II., dass er als oberster Herr der Christenheit die Schenkung bestätige. Dieser willfahrte der Bitte und fügt seinerseits noch die Schenkung von ganz Preussen mit landesherrlichen Rechten hinzu. Mit der ganzen Gewalt eines Reichsfürsten soll der Hochmeister die eroberten Lande Preussen besitzen, frei von jeder andern Oberherrlichkeit.

Als der Orden, durch das Privilegium des Kaisers und die Verschreibungen Konrad's berufen, die Eroberung des Preussenlandes begonnen hatte, wandte sich der kluge Hochmeister auch an den Papst, unter dessen besonderm Schutze die deutschen Ritter als mönchische Genossenschaft, als geistlicher Orden standen. Durch eine besondere Bulle ergriff Gregor IX. im Jahre 1234 von dem Lande Preussen für den Römischen Stuhl feierlich Besitz und gab dieses „Eigenthum des heiligen Petrus“ dem deutschen Orden als seinem Vasallen zu Lehen. < <

Vielleicht mochte dem Hochmeister die Oberhoheit des Kaisers in diesen fernen Landen ohnmächtig erscheinen und wirksamer der Schutz der Kirche, welche durch neue Kreuzfahrten weiteren Besitz erringen und das Errungene zu sichern vermochte- Vielleicht gedachte er aber auch des deutschen Reiches Oberherrlichkeit, wenn dieselbe einst gegen den Orden in Anwendung gebracht werden sollte , durch des Papstes Autorität zu paralysiren. In kluger Voraussicht des immer mehr entbrennenden Kampfes zwischen den beiden höchsten Gewalten auf Erden wollte er seinen Nachfolgern, je nach dem Interesse des Ordens, die eine gegen den andern zu benntzen überlassen.

So waren die verschiedenen Rechts-Grundlagen beschaffen, welche sich der Orden bei dem Eintritte in das Weichselland aufgestellt hatte und auf welche es ihm gelang einen eigenen Staat aufzubauen. Gerufen von einem polnischen Theilfürsten tritt der Orden unter dem Palladium des Kaisers und des Papstes seine stolze Aufgabe an, eine fürstliche Territorial-Herrschaft an der Ostsee für sich zu begründen.

6 GEBURTSLAND UND GEBURTSSTADT.

Slavenstämmen besetzten Landes - einstmals des grossen polnischen Reiches, jetzt des weiten Ländergebietes, das den rassischen Namen trägt.

Thorn ist von deutschen Kolonisten erbaut, welche der Orden bei der Eroberung des Weichsellandes herbeigezogen hatte."^ Die

Wie ihm dies gelungen ist, wie der Orden nach der Eroberung des gesammten Preussenlandes auch Pomerellen, das Land links der Weichsel, den Slaven abgewann, wie von ihm ein neues Deutschland gegründet ward an dem Gestade der Ostsee, rings umgeben von slavischen Stämmen, wie er dort zu einer Grossmacht erstarkte - alles dies darf hier nicht einmal skizzirend ausgeführt werden.

Um die Mitte des 14. Jahrhunderts, unter dem Hochmeister Winrich von Kniprode, beginnt die vielgepriesene Blüte des deutschen Ritterstaats. Unter den Hochmeistern, welche das Jahrhundert schlössen, war die territoriale Ausdehnung des Ordensgebiets am grössten. Die Herrschaft der Deutschritter erstreckte sich damals ohne Unterbrechung von der Oder bis an den finnischen Meerbusen. Die Slavenvölker waren dadurch auf das Binnenland beschränkt, von der Meeresküste fast gänzlich abgeschnitten.

Allein diese hohe Blüte sollte bald gewaltsam geknickt werden. Es war dem Orden nicht beschieden, das ganze, von ihm gewonnene, baltische Küstenland bei deutscher Bildung festzuhalten. Viele Gründe wirkten zusammen, dass die Ordensmacht, die schnell zu schwindelnder Höhe emporgestiegen war, schnell zusammenbrach.

Vor Allem war es der innere Verfall des Ordens selbst, welcher den Untergang der in Frühreife gezeitigten Schöpfung herbeiführte. Mit der wachsenden Macht hatten an Stelle des zurückgezogenen, ernst entsagenden Lebens und der strengen Unterordnung des eigenen Willens Schwelgerei und Genusssucht, Uneinigkeit und Hochmuth in die Reihen der mönchischen Ritter Einzug gehalten. Sodann waren die heimatlosen Ordensritter, die sich meist aus Oberdeutschland rekrutirten, immer mehr den Bewohnern des Landes, in dem sie geboten, entfremdet, geschieden durch Regel und Kleid, durch Geburt und Sitte. Und während die innem Grundlagen der Ordensmacht schwankten, hatten die beiden grossen Nachbarvölker an den östlichen Grenzen sich eng verbunden, welche schon lange das Wachsen des deutschen Kolonialstaates mit Besorgniss erfüllt hatte. Seit gegen Ende des 14. Jahrhunderts Polen und Littauen in Personal-Union geeint waren, hatte der schlaue Littauer-Fürst Jagiello es zur Hauptaufgabe seiner Politik gemacht, den Ordensstaat zu vernichten. Durch die Schlacht bei Tannen^ berg ward derselbe tödtlich getrofifen, wenngleich das endliche Verderben erst später über ihn kam.

  • Dort wo die Weichsel nach der Einmündung der Drewenz unter dem

52. Breiten-Grade die bisher fast nördliche Richtung verlädst und sich scharf

GEBURTSLAND UND GEBÜRTSSTADT. 7

Stadt war, durch ihre Lage begünstigt, bald zu einem reichen Handels-Emporiom erblttht; sie vermittelte im 14. Jahrhunderte den

nach Westen wendet, liegt die Gleburtsstadt von Coppernicus, fast genau unter dem Meridiane von Danzig.

Auf dem linken Weichselufer , dem heutigen Thorn gegenüber, hatten die Deutschritter, als sie dem Rufe des Herzogs Eonrad folgten, ihre ersten Befestigungen , Nessau und Vogelsang angelegt. Einige Jahre darauf überschritten sie die Weichsel und gründeten im Jahre 1231 eine Burg, welche sie Thorun nannten. Im folgenden Jahre fuhr der Landmelster Hermann Balk mit der. ersten grossem Kriegsschaar, die dem Orden zu Hülfe kam, die Weichsel hinab und gründete in der Nähe einer zerstörten alten Verschanzung eine zweite starke Wehrburg Kulm.

Kaum waren die ersten Festen im Weichsellande gebaut, deren der Orden als kriegerischer Stützpunkte bedurfte, so werden aus den Städten Nieder-Deutschlands Kolonisten herbeigeholt, dass sie sich unter dem Schutze der Burg zu friedlichem Grewerbe ansiedeln und auch das zunächst umliegende Land bebauen. Ihre Hütten werden dann zu Häusern, und um dieselben erheben sich schützende Ringmauern - es entstehen die ersten Städte im Preussenlande. Ihren Bewohnern wird als organisches Statut die berühmte Kulmische Handfeste gegeben, welche, auf dem Magdeburger Rechte beruhend, das aufblühende deutsche Leben in den Städten an den Weichselufem fest begründet und daselbst die Ausbildung des deutschen Bürgerthums herbeigeführt hat.

Den Namen der Stadt Thorn hat man in verschiedener Weise herzuleiten versucht. Polnische Schriftsteller mögen ihn gern mit einer Ortschaft Tamowo in Verbindung bringen, welche in einer Urkunde des Jahres 1222 als im Kulmerlande belegen erwähnt wird; auf diese Weise sucht man mit dem Namen auch der Stammbevölkerung von Thorn einen polnischen Ursprung zu vindiciren. Bei Kulm ist es sicher, dass der Name von einer dort früher bestandenen Feste auf die deutsche Ansiedelung übertragen ist; auch bei Thorn [ist es möglich, dass der Name aus einer slavischen Ortsbezeichnung corrumpirt ist. Jedenfalls haben die übrigen Ableitungen, daas die Stadt ihren Namen von den Rittern erhalten, weil sie das erste Thor in das Preussenland gewesen, oder von' der Burg „Thoron“ in der Umgegend von Tyms übertragen sei, kaum mehr Anspruch für sich aufzuweisen.

Die ganze Frage ist an sich von geringer Bedeutung und würde an dieser Stelle gar nicht zu berühren sein, wenn sie nicht von anderer Seite aus nationalen Gründen zu einer grösseren Wichtigkeit aufgebauscht wäre. Die polnischen Biographen von Coppernicus haben ihr ganze Abschnitte gewidmet, so Szulc: }tycie Mik, Kopernika, und noch viel ausführlicher Polkowski '- iywot Kopernika, Abschnitt ÜI, S. 39-49. Uebrigens resultirt nicht, was die polnischen Schriftsteller erreichen wollen, selbst wenn man ihnen zugeben könnte, dass der Name Thorns von einer Ortschaft „Taraovia“ herzuleiten sei. Die Lage der letzteren ist nämlich ganz unbekannt; sodann

S GEBURTSLAND UND 6EBUBTSSTADT.

Verkehr der westlichen Länder Europa's mit Polen und Ungarn.* Auf verschiedenen Handelswegen zogen die Kaufleute Thorns durch

findet sich bei den Chronisten auch nicht die geringste Andeutung, dass die Deutschritter ihre erste Burg auf dem rechten Weichselufer an eine christliche Ortschaft angelehnt hätten. Sie würden, wenn sie dort hoffen konnten, eine Anlehnnng zu finden, nicht so lange gezögert haben die Weichsel zu überschreiten; sie würden nicht um einen einfachen Wartbaum eine ganz nothdürftig hergestellte Befestigung angelegt haben.

Zur Neubesetzung des eroberten Landstrichs zogen die Ordensritter deutsche Kolonisten heran, namentlich aus den Schaaren, welche im Sommer 1232 mit dem Kreuzheere, das der Burggraf Burchard von Magdeburg führte, nach Preussen gekommen waren. Die polnischen Einwohner des angrenzenden Masovien mochten sie zur Städtegründung nicht geeignet erachten, wenn nicht etwa schon damals politische Erwägungen sie bestimmt haben, nur deutsche Ansiedler einzusetzen. Allerdings gehörte wohl schon von Anfang an ein Bruchtheil der Bevölkerung auch dem slavischen Stamme an; aber diese bildeten die ärmeren Klassen, wurden nicht in das Bürgerrecht aufgenommen.

Als Gründungsjahr der Stadt Thorn ist wohl 1 232 anzunehmen. Im Jahre 1231 bestand sie noch nicht und 1233 wird sie bereits genannt. Im letztem Jahre erhielt sie ihr Gründungs-Privilegium , zugleich mit Kulm, in der berühmten „Kulmischen Handfeste tc d. d. „Thorun anno incamaiümis domi^ nicae Millesimo ducentesimo tricesimo tei'tio quinto Calendas Januarü.“i

Schliesslich ist zur Erklärung mancher später berührten Verhältnisse kurz zu erwähnen, dass ein Menschenalter nach Erbauung der Stadt die gegen Osten belegenen Vorstädte, durch den Landmeister Baldersheim im Jahre 1264 unter dem Namen „Neustadt Thorn“ zu einer eigenen Stadt erhoben wurden. Dieselbe war durch eine Ringmauer von der Altstadt Thorn geschieden und hatte bis zur Vereinigung 1454 ihre besondere Verfassung und Verwaltung.

  • Die ersten Handels-Beziehungen der deutschen Einzöglinge in Preussen

mussten natürlich mit dem benachbarten Polen angeknüpft werden, weil der Orden, während der Eroberung des Landes meist auf seine Burgen beschränkt, seine noth wendigsten Bedürfnisse allein von hier aus entnehmen konnte, und auch die eigenen Landes-Erzeugnisse nur auf diesem Verkehrswege zu verwerthen waren. Deshalb erwirkte der Hochmeister im Jahre 1238 von dem Herzoge Wladislaw von Grosspolen Zollfreiheit für die preussischen Kaufleute, welche durch Polen nach Schlesien zogen. Im Jahre 1243 gewährt in gleicher Weise der Herzog Kasimir, im Jahre 1252 Herzog Vladislaus von L^czyc und Kujawien den Kaufleuten aus Thorn freien Durchzug durch ihre Länder ; in einer Urkunde vom Jahre 13 IS gewährleistet „Stephanus capüanem todus regni polonie et cuiavien den Thorner Kaufleuten Sicherheit für ihre Person und Waaren.

In diesen ersten Handels-Verträgen, wie in den ähnlichen Privilegien

GEBURTSLAND UND GEBURTSSTADT. 9

die weiten sarmatischen Ebenen, die Rohprodukte derselben, sowie die in den ungarisehen Bergwerken gewonnenen Metalle einzutauschen gegen die Erzeugnisse der westlichen Kulturländer.* Obwohl Thorn weit vom Meere entfernt liegt, befuhren die Schiffe der Thorner Kaufleute, da Danzig noch unbedeutend war* Ost- und Nordsee, 4im den grossen Weltmarkt in Brügge aufzusuchen und die Stapelplätze des deutschen Kaufmanns in den nördlichen Ländern.'^'*' Um die Mitte des 14. Jahrhunderts, zu der

(1320 von Herzog Andreas v. Lodomirien, 1372 von Herzog Wladislaw von Oppeln und Wielun, 1372 vom Könige Ludwig von Polen und Ungarn, 1383 von den Herzügen Johannes und Semovit von Masovlen), welche im Laufe des 14. Jahrhunderts den Handelsverkehr mit dem Osten sicher stellten, wird nur auf Thorn allein, oder doch vorherrschend, Rücksicht genommen. Die Lage Thorns am Eingange Polens war für den binnenländischen Verkehr auch am geeignetsten ; während der ganzen Ordenszeit hat Thorn den Durch-* gangshandel nach Polen -und dessen Nachbarstaaten Ungarn, Böhmen, wie Schlesien allein innegehabt. Erst in den letzten Jahren der Ordensherrschaft entwickelten sich die Keime, aus denen die spätere Blüte des Danziger Weichsel-Handels hervorging.

  • Von Thorn aus führten nach Polen und dessen Grenzländem im 14. Jahrhunderte zahlreiche Handels-Strassen, auf denen die Kaufleute vertragsmässig

den Schutz des Landesherrn beansprachen konnten.

Nach Südwesten sind uns zwei Wege bekannt, von denen der eine über Inowraclaw, Gnesen, Posen und Zbi^czin (Bentschen) nach Guben in der Lausitz, der andere über Konin und Kaüsch nach Breslau flihrte. Die Strassen, welche flir den Handel nach dem Süden und Südosten benutzt wurden, „die man von alders kegen Ungarn und Russen durch das Koningreich Polen zu ziehen pflog,“ lernen wir durch ein Schreiben des Thorner Raths an den Hochmeister aus dem Ende des 14. Jahrhunderts kennen. Die erste derselben ging über Brzesö Kujawski, L^czyc, Sandomir, Smygrod nach Bartfali (im nördlichen Ungarn, unweit Eperies); eine zweite führte über Brze^d, L^czyc, Petrikau, Karlow (?), Miechow nach Krakau „vnd vordan kegen Vngam,“ eine dritte über Lademir (?), Siecuchow, Kasimir, Lumorstat (?) nach Lublin, die vierte endlich über Czarademir (?}, Brzeiö, L^czyc nach Opoczno an der Pilica.

    • Schon in den ersten Decennien seines Bestehens hat Thorn Seeschifffahrt betrieben und mit den niederländischen Städten in Handelsverkehr

gestanden. Wir ersehen dies aus einem zu Lübeck aufbewahrten Dokumente d. d. 21. Sept. 1280, in welcher Thorn eine Konsens-Erklärung zu den unter Lübecks Leitung in Brügge stattgehabten Verhandlungen ausspricht. „Thorn dankt für ein Schreiben, das die Abwehr der von den Flandemfahrem erlittenen Unbilden betrifft, und erklärt, dass es („secundum continenciam litte

tO 6EBUBTSLAXD UND 6EBUBTSSTADT.

selben Zeit, da durch den Hochmeister Winrich von Kniprode das Niederlagsrecht der Stadt verliehen war,"^ ist Thorn auch in

rarum absque sigillis nobis per vos transmissaruma) sich mit seiner Schiffahrt nach den von der Gesammtheit der Kaufleute zu fassenden Beschlüssen richten werde, ohne jedoch („propter superiores nostros, quorum reglmur dominatu“) an einem etwa daraus hervorgehenden Kriege theilnehmen zu können.“ (Die Recesse der Hansetage von 1256-1430 I, 9.)

In Thorn selbst haben sich über die Verbindung der Stadt mit Flandern aus dem 13. Jahrhunderte keine Nachrichten erhalten. Aus dem 14. Jahrhunderte finden sich dagegen in handschriftlichen Chroniken einige zerstreute Notizen. So wird des Schiffbruchs gedacht, den ein Thorner Schiff im Jahre 1345 bei Friesland erlitten; zum Jahre 1358 wird berichtet: „Drei Leute auf der Mocker - (ein Dorf unweit Thorn) - erben ein Gut in Brügge“ u. A. Durch die hanseatischen Recesse erhalten diese vereinzelten Nachrichten über die frühen Beziehungen Thorns zu den Niederlanden urkundliche Bestätigung. So berichten im Jahre 1385 die preussischen Sendeboten über den Schaden; den die Thorner im flandrischen Hafen Swyn durch die Engländer erlitten ; im Jahre 1360 ist der Thorner Raths - Sendebote Joh. Cordelitz zu Brügge, 1387 Heinrich Hutfeld zu Dordrccht anwesend.

Viel reger war aus naheliegenden Gründen die Verbindung Thoras mit den nordischen Reichen. Die Thorner Manuskripte bieten eine Reihe Notizen Über die Unfälle von Thorner Schiffen an den dänischen und norwegischen Küsten. Genaueres erfahren wir aber auch hier durch die hanseatischen Akten. Im Jahre 1368 erhalten die preussischen Schiffe, nachdem sie schon längere Zeit Schonen aufgesucht hatten, dort Grandeigenthum. Durch König Albrecht von Schweden wird ihnen eine Vitte vor Falsterbo zugesichert und 1370 der Besitz durch Waldemar ÜI. von Dänemark bestätigt, als dieser, aus seinem Reiche flüchtig, das Ordensland aufsuchte. Durch die Schenkungsurkunde, welche 1370 zu Thorn ausgestellt ist, erhalten die preussischen Kaufleute ausser dem Rechte des freien Fischfangs und der Anlage von Grebäuden auch die Erlaubniss zur Einsetzung eines Vogtes, welcher nach den Gesetzen der Heimat richte. Diese Vögte würden aus den herrschenden Familien der Städte genommen, anfänglich, wie aus einem Schreiben der Schiffer vom Jahre 1434 erhellt, vornehmlich von den Thornem eingesetzt. Wir kennen die Thorner Rathmänner Johann von Gelyn, der 1386, und Ewert Zegefrid, welcher 1392 als Vogt auf Schonen fungirte.

  • Zemecko giebt in seiner „Thornischen Chronica“ zum Jahre 1365 nach

älteren handschriftlichen Chroniken an, dass Thorn das Niederlagsrecht durch den Hochmeister Winrich von Kniprode erhalten habe. Eine urkundliche Bestätigung ist dafür zur Zeit nicht aufgefunden. Doch scheinen namentlich die Friedensverhandlungen zwischen dem Orden und Polen im Jahre 1391 zu beweisen, dass Thorn das Stapelrecht im 14. Jahrhunderte thatsächlich ausgeübt habe. Ausdrücklich gewährleistet ist dasselbe durch die Privilegien des Hochmeisters Konrad von Jungingen d. d. Sonntag nach Oculi 1403

GEBURTSLAND UND GEBÜRTSSTADT. 11

die Hansa eingetreten und nimmt in hervorragender Weise Theil an dem Verkehrsleben auf der Ostsee, wie an den Kriegszügen gegen die nordischen Reiche."^

Aber kaum ein Jahrhundert währt diese hohe Blüte. Zunächst gewinnt Danzig bei seiner günstigen Weltstellung den Vorrang zur See und verdrängt allmählich ganz den Thorner Kaufmann vom Meere; sodann tritt es auch als glückliche Rivalin in BetreflF des überländischen Verkehrs auf.** Denn der Vortheil, den

und des Königs Kasimir von Polen d. d. 1457 „am Freitage nach St. Bartholomäi“. Abgesprochen wurde der Stadt das Stapelrecht auf den polnischen Reichstagen zu Radom 1515 und Krakau 1527.

  • Als die deutsche Hansa zu einem grOssem Städtebunde erstarkt war,

um die Mitte des 14. Jahrhunderts, haben sich auch die sechs grösseren preussischen Städte diesem Bunde angeschlossen. Raths- Sendeboten aus Thorn und Elbing erscheinen seit 1356 als Vertreter ihrer Schwesterstädte auf den Hansetagen. Erst 5 Jahre später finden wir einen Danziger Abgeordneten, und regelmässig entsendet Danzig Hanseboten erst seit 1378. Thorn hat die Führung der sechs preussischen Städte und nimmt auch unter den übrigen Hansestädten eine hervorragende Stellung ein. Seit dem Jahre 1368 finden wir alljährlich auf den Hansetagen einen Abgesandten von Thorn, nicht selten deren zwei. Und dies geschieht, während von den übrigen Hansestädten des gesanunten Deutschland die Tagfahrten nur sehr unregelmässig beschickt wurden. Nur einmal waren in den zwanzig Jahren, da Thorn auf jedem Hansetage vertreten war, mehr als zwanzig Sendboten versammelt, nur neunmal mehr als zehn. Thorn musste also bedeutsame Interessen zu vertreten haben, wenn es die Tagfahrten so regelmässig beschickte; man erwäge neben den hohen Reisekosten die Beschwerden der weiten Beisel

Gegen Ende des 14. Jahrhunderts überflügelt Danzig allmählich die andem preussischen Städte. Aber noch stehen Thorn und Elbing als ebenbürtige Bundesgenossen neben Danzig; an der Spitze der gemeinsamen Kriegsunternehmungen und der Botschaften wechseln ihre Rathmänner mit einander ab. Bei der Besetzung Stockholms durch die Hansestädte im Jahre 1398 ist der Danziger Rathmann Hermann von der Halle, im folgenden Jahre der Thorner Rathmann Albert Russe Hauptmann des Söldnerheeres.

    • Thorn verliert die vorherrschende Stellung, welche es noch bis nach

der Mitte des 14. Jahrhunderts unter den preussischen^ Städten einnahm, gegen Ende desselben an Danzig. Man ersieht dies u. A. aus einem um 1400 angelegten Verzeichnisse der Beiträge, welche für die allgemeinen hanseatischen Interessen den einzelnen Orten aufgelegt wurden. Dieselben waren nach der „Manneszahl“ festgestellt. Danach zahlte Danzig für 124 Mann, Thorn für 96, Elbing für 80, Königsberg für 30, Braunsberg ftir 20 Mann.

12 GBBÜBTSLAND UND 6EBURTSSTADT.

die binnenländische Lage Thorn hiebei zn gewähren schien, wurde paralysirt durch die häufigen Kriege des Ordens mit Polen; die mehrmals bestätigten Niederlagsrechte Thorns fanden eben keine Anwendung; da auch nach den Friedensschlüssen die feindliche Stellung beider Mächte fortdauerte.

Allein am tiefsten untergraben wurde der Wohlstand und die Bedeutung Thorns durch den schweren dreizehnjährigen Krieg, welcher in den Jahren 1454 - 1466 das. Weichselland verwüstete. Dieser Krieg war von den selbstbewussten Land- und Stadtherren

Ein noch viel günstigeres Resultat für die gewaltig gestiegene BedentuDg des Danziger Handels giebt der Pfundzoll. Alle übrigen 4 Städte zusammen liefern damals ungefähr die Hälfte der Einnahme Danzigs. (Im Jahre 1390 nimmt Braunsberg 2 Mark ein, Elbing 42, Königsberg 50, Thorn 165 Mark, während Danzig allein 550 Mark liefert.)

Dieselben Verhältnisse bleiben auch in den nächsten Decennien. Es ist deshalb nicht zu verwundern, dass im Jahre 1422 Thorn, Elbing, Königsberg und Braunsberg vereinigt mit der Klage auftreten, dass die Kosten der Absendung von Bevollmächtigten zu den Hansetagen ihnen zu schwer fielen „nachdem sie wenig Handlunge zur seheworts haben;“ sie verlangen, dass Danzig bei allen Botschaften die Hälfte der Kosten übernehme.

In der 2. Hälfte des 15. Jahrhunderts scheint Thorn seinem überseeischen Handel fast ganz entsagt zu haben, wenngleich die direkte Verbindung mit der Hansa noch festgehalten wurde; noch im Jahre 1572 ward ein Thornor Rathmann zum Hansetage entsandt. Seit dem 1 5. Jahrhunderte wurde Thorn auch in dem binnenländischen Verkehre durch Danzig beeinträchtigt. Diese Einbusse erfolgte weniger auf reellem Wege, obwohl es nicht selten vorkam, dass Danziger Kaufleute mit Thorner Häusern in Handels-Genossenschaft traten und mit ihnen den polnischen Markt aufsuchten. Viel mehr Schaden erlitt Thorn dadurch, dass kaufmännischer Eigennutz sich, über die gesetzlichen Bedenken hinwegsetzte und der Schleichhandel in Danzig öffentlich befördert wurde; die Kaufleute umgingen Thorn und zogen mit ihren Waaren eine Nebenstrasse, die über Nakel nach Gross-Polen führte. Ferner ist noch hervorzuheben, dass zu derselben Zeit, als die Danziger Kaufleute tiefer nach Polen hineinzugehen begannen, die Floss-Schifffahrt grössere Dimensionen angenommen hatte. Die Holztraften, mit Waaren beladen, durften an Thorn vorbei bis Danzig gehen, weil für diese Art des Verkehrs das Thorner Stapelrecht keine Geltung hatte. Endlich hatten sich die Danziger um die Mitte des 15. Jahrhunderts ein umfassendes Stapelrecht angeeignet, gemäss welchem alle aus Polen herabkommenden Waaren nur an Danziger Bürger verkauft werden durften ; in gleicher Weise war es den Polen nicht gestattet, überseeische Waaren bei andern als Danziger Bürgern einzukaufen.

QEBUKTSLAND UND GEBÜRTSSTADT. 13

Preussens gegen den entarteten Orden unternommen, um von dessen Oberherrlichkeit sich zu befreien und ein eigenes Staatswesen zu errichten."^ Bald jedoch, als sie einsahen, dass die

♦ Nach der schweren Niederlage, welche der Orden 1410 durch Polen-Littauen bei Tannenberg erlitten, suchte der einsichtige Hochmeister Heinrich von Plauen den Orden zu regeneriren, und bemühte sich in gleicher Weise die Unterthanen enger an das Interesse desselben zu knüpfen. Allein seine wohlgemeinten Neuerungen erbitterten nur die stolzen und kurzsichtigen Ritter. Der Retter des Ordens ward seines Meisteramtes entsetzt. Sein Sturz zeigte, dass nicht die Schlacht von Tannenberg, nicht die polnisch-littauische Uebermacht den Orden gestürzt, sondern dass er dem Schicksale alles Irdischen erlag, weil die sittlichen Grundlagen seines Lebens untergraben waren.

Mit Plauen fielen seine Reformen, und rettungslos eilte jetzt der Orden seinem Untergange zu. Die Kämpfe mit Polen erneuerten sich bald„ da den König Jagiello der Thorner Friede gereute. Zahlreiche Söldnerhaufen mussten unterhalten werden, um sich des schlimmen Feindes zu entehren. Dadurch stieg die Geldnoth, und schwere Schätzungen mussten dem Lande auferlegt werden, welche die Unzufriedenheit desselben mehrten, die von den Polen eifrigst gefördert wurde. Das Verlangen nach einer Staatsveränderung wurde allgemein.

Der landsässige Adel und die reichen Handels-Städte stellten sich an die Spitze der Bewegung. Beide Aristokratien konnten sich bei ihren Vorbesprechungen gegen die Landesherrschaft an staatlich anerkannte Organisationen anlehnen. Nach dem Vorbilde der geschlossenen Bündnisse, in welchen der Adel im westlichen Deutschland gegen die Städte geeint war, hatte sich auch in Preussen ein Ritterverein, die Eidechsen -Gesellschaft, gegen Ende des 14. Jahrhunderts im Kulmerlande gebildet. Diese Eidechsen-Ritter verpflichteten sich „einander beizustehen mit Leib und Gutt in allen nothhaftigen ehrlichen Sachen“.

Lange vorher, um die Mitte des 14. Jahrhunderts, hatten sich auch die grossen Handels-Städte - gleichfalls mit Genehmigung der Landes-Obrigkeit - zu einem Bunde zusammengethan, der mit grosser Selbstständigkeit seine Interessen verfolgte. In jährlichen Zusammenkünften hielten sie Berathungen und fassten Beschlüsse, nicht bloss über gewerbliche und Handelszwecke; sie schliessen Bündnisse und Verträge, ohne dass dabei des Ordens Erwähnung geschieht.

Diese beiden Bündnisse der Land- und Stadtjunker - zu ihnen zählten auch die mütterlichen Ahnen von Coppernicus - schürten die Missstimmung im Lande gegen das Ordensregiment und gaben den Wünschen und Hoffnungen der Unzufriedenen eine festere Gestaltung. Aus eigener Machtvollkommenheit versammelten sich die Stände, die Sendboten der Städte, wie „Ritter und Knechte„ vom Lande zu einer Tagfahrt in Marienwerder. Hier beschworen und besiegelten sie zur Abhülfe ihrer Beschwerden und zum

14 GEBURTSLAND UND 6EBUBTSSTADT.

•

Kräfte ihres Bundes nicht ausreichen würden, die Freiheit gegen den Orden zu erkämpfen, wandten sie sich an den mächtigen Nachbar und steten Gegner der Deutschritter, an den König von Polen, ihm als Schutzherrn sich unterwerfend * Derselbe nahm das dargebotene Geschenk an, und nun begann der schwere Krieg, durch welchen der deutsche Orden die westliche Hälfte seines Landes verlor und Ostpreussen nur als polnisches Lehen behielt. Während dieses Krieges im Jahre 1462 ist Niklas Koppernigk, der Vater von Coppernicus, aus Krakau, der Hauptstadt

Schutze ihrer Freiheit einen Bund, dem nachmals fast das ganze Land beitrat, und der in der Geschichte deshalb den Namen des preussischen Bundes erhalten hat. Nunmehr drängte Alles zur Entscheidung, die nicht lange mehr auf sich warten Hess. Die Vermittelungs-Versuche, welche von beiden Parteien durch Berufung an den Papst, wie vor Kaiser und Reich, unternommen wurden, mussten fruchtlos bleiben, weil sie von beiden Seiten nicht ernst gemeint waren. Jeder suchte Zeit zu gewinnen und hoffte mit fremder Hülfe über den Gegner obzusiegen. Im Januar 1454 wurde der Abfall vom Orden beschlossen, und im folgenden Monate schickten die Bundeshäupter von Thorn aus den Absagebrief an den Hochmeister.

  • Wegen mehrerer einschlägiger Verhältnisse, welche später Erörterung

finden werden, ist es von Wichtigkeit schon hier hervorzuheben, wie es keineswegs Stammes-Zuneigung gewesen ist, oder Liebe zum polnischen Reiche und zur polnischen Nationalität, welche die Preussen bestimmt hat, den König Kasimir von Polen zu ihrem Schutzherm zu erwählen. Die Preussen hatten lediglich ihrer Landesobrigkeit enthoben sein wollen, von welcher sie sich gedrückt glaubten, und zu schwach, um als eigener Staat zu existiren, suchten sie Schutz bei einem grossem Reiche, an welches sie sich anlehnen könnten.

Bei den Berathungen über die Wahl eines Schutzherrn waren die Ansichten der Aufständischen sehr aus einander gegangen. Die ostpreussisohen Hansestädte wünschten, dass man die Oberherrlichkeit des Königs von Dänemark annehme, die ostpreussische Ritterschaft wiederum stimmte für den König Wladislaus von Ungam und Böhmen. Zuletzt entschied man sich jedoch einstimmig für den König von Polen, welchen der Landadel aus Pomerellen und die Eidechsen-Ritter vorgeschlagen hatten. Für ihn hatte ausser frühem Zusagen vornehmlich die Nähe seines Reiches und die alte Feindschaft zwischen Polen und dem Orden geltend gemacht werden können. Und in der That vermochte er die schnellste Hülfe zu bringen, was sehr ins Gewicht fiel, weil man in übergrossem Eifer der Landesherrschaft vorschnell den Krieg erklärt hatte. Leicht konnte der Orden den Bund erdrücken, ehe der fremde Zuzug die Grenzen Preussens erreichte.

QEBCSTSLAND UND GEBUBTSSTADT. 15

Polens, in Thorn eingewandert, hieher den Sitz seines kaufmännischen Geschäfts verlegend.

Rege Handelsverbindungen hatten schon seit dem Ende des 13. Jahrhunderts zwischen Krakau und Thorn stattgefunden."^ Nicht nur die Wasserstrasse verband die beiden Weichselstädte, .sondern der eine der grosseh Verkehrswege, auf denen die preussischen Kaufleute nach Ungarn zogen, ging gleichfalls über Krakau. Ueberdies war Polens Hauptstadt, gleich den übrigen polnischen Städten von Deutschen gegründet, eine Zeit lang Mitglied der Hansa, "^"^ und die Bürgerschaft im 15. Jahrhundert noch über

  • Das VerhältnisB zwischen beiden Städten war in der ersten Zeit ganz

ungetrübt, so lange die Handels-Interessen einander noch nicht widerstritten. Krakan diente den Thorner Kaufleuten, nachdem diese sich dem Seehandel zugewandt hatten, lange Zeit als Stationspunkt für ihren Verkehr mit Galizien und Ungarn. Als Polens Hauptstadt jedoch selbst Eigenhandel zu betreiben anfing, musste kaufmännische Eifersucht mancherlei Störungen herbeiführen. Diese mehrten sich, nachdem die Stellung Polens zum deutschen Orden eine entschieden feindliche geworden war.

Mit Besorgniss hatte die polnischen Könige die wachsende Ordensmacht erfüllt, durch welche sie vom Meere ausgeschlossen waren. Mit Schmerz mussten sie nun sehen, dass auch die Weichsel-Schiffahrt ihren Unterthanen verschlossen war. Um die weitere Ausbeutung ihres Landes durch Fremde zu verhindern und der EUiuptstadt Krakau die Vortheile des Grosshandels zuzuwenden, ward ihr deshalb im Ausgange des 13. Jahrhunderts das Stapelrecht verliehen. Hiemach mussten alle aus Ungarn kommenden Waaren dort ausgestellt und den* Krakauer Bürgern zum Kaufe angeboten werden. Dies Privilegium wurde von König Ludwig dem Grossen im Jahre 1372 auch auf die Waaren ausgedehnt, welche von den Thorner Kaufleuten die Weichsel hinaufgeführt wurden.

Durch derartige Kampfzölle, welche der Orden in gleicher Weise beant.wortete, wurde der Handelsverkehr zwischen Polen und Preussen allerdings gehemmt, aber keineswegs unterdrückt. Beide Nachbarländer waren ja auf einander angewiesen, und der Kaufmann fand schon bald Wege, die drückendsten Fesseln hüben und drüben abzustreifen. Die staatlichen SperrMassregeln zwangen mitunter gerade die Thorner und Krakauer Kaufleute, welche bei diesem Verkehre vorzugsweise betheiligt waren, in HandelsGtonossenschaft zu treten. Solche Verbindung war durch das Gesetz nicht verboten; die Genossen schickten sich nun gegenseitig Waaren zum Verkaufe und konnten dann den ausgedehntesten Nutzen für sich ziehen.

    • Aus hanseatischen Quellen ist erst in neuester Zeit die lange bezweifelte Zugehörigkeit Krakaus zur deutschen Hansa nachgewiesen worden. Es

16 GEBURTSLAND UND GEBUBTSSTADT.

wiegend deutscher Geburt.'* Die grossen Kaufmanns-Familien der beiden Städte Thorn und Krakau standen nicht nur in vielfachen

musste allerdings auffallig scheinen, dass die Hauptstadt eines grossen Slavenreicbes dem Bunde der „gemeinen Städte des Kaufmanns von der dentscben Hansa, der Städte Allemanniens Römischen Reiches“ angeh{$rt habe. Preassen und Liefland standen zwar auch ausser dem Reichsverbande ; aber die Landesherrschaft war doch gleichfalls deutscher Herkunft, und in schlimmen Tagen erinnerte man sich gern der innem Zugehörigkeit zu Kaiser und Reich.

Krakau wird zum ersten Male in den erhaltenen Akten als Hansestadt bezeichnet in einem Recess aus dem Jahre 1387. Auf der Versanunlang der preussischen Städte zu Marienburg wird beschlossen: .... „Bunderligen die von Thorun sullen das schribin kegen Breslow und Crakow und an die anderen stete, die do myte sint in der hanze“. Wichtiger noch ist ein Schreiben der preussischen Städte, welches 50 Jahre später, d. d. 30. April 1438, dem Könige Wladislaus von Polen übersandt ist. Es wird darin des Krieges Erwähnung gethan zwischen Holland und den Städten der „hense dar euwer Gnaden stete also Crakow und andere meto ingehoren“. Die grUsste Beweiskraft aber hat ein Schreiben des Krakauer Raths, worin derselbe sein Ausbleiben von dem auf Johannis 1431 angesetzten Hansetage entschuldigt. Die Hauptstelle des Dokuments darf hier kaum übergangen werden: „ . . . . Und als ewir erbarkeyt vorbas schreybt von dem gespreche das do seyn sal nu of siute Johannistag czu Lubek aus der ganczen henze und vormauet uns als das wol biUich ist das wir unsir sendeboten ouch dorczu senden sullen mit unsir macht mit czu raten und beslisseu mit anderen steten, was do notdurft ist wedir sulche wedirfertikeyt und vorunrechtunge des Kawfmans und der hense, tu wir ewir ersamkeyt czu wissen, daz uns der brif nicht czu czejrten worden ist, und ist alczu lange vorhalden adir gesewmit, wen allirerst gestern ist uns der brif komen das ist am achten tage noch corporis Cristi ken obindo also daz wir unvil me wen czwu wochen noch haben czu Johannis bynnen des wir oyne sulche reyse of den tag mit nichte geenden mochten.“ Die Unterschrift lautet: „Gegeben am nestin freytage vor Viti anno etc. 31.

Ratmanne der stat Cracow.““

Ausser den mitgetheilten Schriftstücken enthalten die Hanserecesse noch aus derselben Zeit Einladungen Krakaus zu den Tagfahrten der Jahre 1434 und 1435, sowie Uebersendung von Recessen (Ü. Abth. Bd. I, S. 168, 174, 190, 352, 3G2, 425).

  • Alle grossem und viele kleinere Städte in Polen sind von Deutschen

gegründet, oder slavische Ortschaften durch sie zu Städten erweitert worden. Ostwärts bis Lemberg, auch im nördlichen Ungarn, haben alle bedeutendere Städte die deutsche Bevölkerung bis um die Mitte des 10. Jahrhunderts bewahrt. Der grösste Theil der Bewohner von Krakau und Lemberg selbst

GEBUBTSLAND UND GEBURTSSTADT. 17

geschäftlichen Beziehungen zu einander, sie waren auch oft verschwägert.

war im 14. und 15. Jahrhunderte deutsch, wie sich dies aus den Listen der neu aufgenommenen Bürger, aus den Steuer-Rollen und den Verzeichnissen der Rathsherm ergiebt. (Vgl. Röpell, Die Verbreitung des Magdeburger Stadtrechts.)

Belege für das VoraufgefUhrte sind nicht erforderlich. Es mag genügen, das Zeugniss eines national -polnischen Geschichtschreibers Martin Cromer anzuführen, eines jungem Zeitgenossen von Coppernicus (f 1589). Derselbe sagt in seiner descriptio Poloniae: „ . . . Sunt hodie non modo mercatores et opifices Germani multi sparsim in urbibus habitantes, verum oppida paene tota et pagi pleni ntentium lingua Germanica in submontana regione.“ (d. i. südwärts der Weichsel bis zum Kamme der Karpathen).

Das deutsche Stadtrecht, welches den polnischen Städten bei ihrer Gründung verliehen war, hatte während des ganzen Mittelalters alleinige Geltung. Weniger bekannt dürfte es aber sein, dass ebenso, neben der lateinischen, sich allein die deutsche Sprache in allen altern Dokumenten vorfindet. Die Krakauer Acta iudiciaria und scabinalia, welche bis in den Anfang des 14. Jahrhunderts zurückreichen, sind ganz lateinisch geschrieben. Dagegen wechselt bei den Verhandlungen der Acta consularia der Grebrauch der lateinischen mit der deutschen Sprache. Nichts aber ist bis in die Mitte des 16. Jahrhunderts polnisch geschrieben. Seit dieser Zeit wird fast nur die lateinische Sprache angewandt, durch deren überwiegenden Gebrauch der Uebergang zum Gebrauche der polnischen Sprache angebahnt wird.

I. Zweiter Abschnitt. Die Ahnen. Vater und Mutter. Die nächsten Seitenverwandten.[recensere]

L Die Familie Koppernigk im 14. und 15. Jahrhunderte.[recensere]

A. Der Name, 1. Der Geschlechtsname y^Koppernigk'^

Der Name der FamiUe, welcher Coppernicus entsprossen ist, erscheint in vielen Varianten. Die bisherigen Biographen des berühmten Mannes haben meist willkürlich die eine oder die andere derselben aufgenommen. Humboldt hat im Kosmos (11, 497) diese Differenz hervorzuheben nicht für unwerth gehalten. Es erscheint daher wohl angemessen, diese Frage hier eingehender zu behandeln.

Original-Unterschriften von Familien-Mitgliedern - den berühmten Spross selbst ausgenommen - besitzen wir nicht. Wir sind sonach auf abgeleitete Quellen angewiesen. Obenan stehen natürlich die gleichzeitigen Schriftstücke. Allein bei der Willkür, mit welcher man in der damaligen Zeit die Orthographie im Allgemeinen behandelte, ganz besonders aber in der Rechtschreibung der Eigennamen verfuhr, "* ist hier ein kritisches Verfahren kaum

  • Allgemein bekannt ist es. dass die Jahrhunderte, in denen die Familiennamen entstanden und zur allgemeineren Anwendung kamen, auf die Recht

DIE FAMILIE K0PPBRNI6K IM 14. U. 15. JAHBHUNDBRTE. 19

anwendbar. Auch die besten Quellen bieten eine grosse Verschiedenheit in der Schreibung des Geschlechts -Namens Koppernigk, indem man, - den Klang des Namens im Allgemeinen festhaltend - am Anfange, wie am Ende des Wortes bald die eine, bald die andere Gutturale setzte, bald wieder in der Verdoppelung des EndKonsonanten einen Wechsel zwischen gU und ck eintreten liess. Die Untersuchung über die Schreibung des Familiennamens von Coppernicus dürfte wohl zu dem annähernd richtigsten Resultate kommen, wenn derselben die Thorner Schöppenbttcher*

Schreibung derselben keinen Werth legten. Noch im 16. und 17. Jahrhunderte hielt man wenig auf gleichmässige Namensschreibung. Ich erinnere hier nur daran, dass Shakespeare seinen Namen mehrfach verschieden geschrieben, und dass er bei den Zeitgenossen des Dichters gar in 27 verschiedenen Formen erscheint. Noch näher liegt es vielleicht auf Kepler hinzuweisen, der sich bald mit einem, bald mit zwei p geschrieben. In einzelnen Werken zeigt Titel und Vorrede sogar eine Differenz; auf jenem erscheint der Name mit einem Doppel -p, die Unterschrift der Vorrede dagegen bietet nur ein einfaches p.

  • Aus dem 15. Jahrhunderte haben sich zu Thorn von den wichtigeren

städtischen Amtsbüchem die Verhandlungen des Schöffengerichts allein erhalten. Bei der Belagerung der Stadt durch König Karl XÜ. im Jahre 1703 ist nämlich das Rathhaus niedergebrannt, und ein grosser Theil der darin aufbewahrten öffentlichen Dokumente ein Raub der Flammen geworden. So verbrannten die Acta consularia, welche seit 1345 sich in stattlichen Pergamentbänden erhalten hatten, femer die Bürgerbücher, das amtliche Kürbuch und viele andere für die innere und äussere Greschichte der Stadt wichtige Dokumente. Nur die - trefflich erhaltenen - Schöppenbücher sind dem Brande zum grössten Theile glücklich entgangen, und diese bilden die ergiebigste Quelle für die in diesem und den nachfolgenden Abschnitten enthalteneu Forschungen. Aber auch sie waren seit der Besitzergreifung Thorns durch Preussen dem städtischen Archive entzogen und den neu organisirten, von der städtischen Verwaltung abgezweigten Grerichtsbehürden übergeben, für welche sie wenig oder gar keinen Werth hatten. Unbeachtet und vergessen lagen sie dort Jahrzehnte hindurch - zuletzt auf einem Boden unter reponirten Akten, - bis ein glücklicher Zufall den Verfasser der vorliegenden Schrift sie wieder auffinden liess. Auf die Reklamation der städtischen Behörden wurden sie nun wieder zurückgegeben und der wissenschaftlichen Forschung zugänglich gemacht.

Einzelne der Schöppenbücher waren leider bereits in früherer Zeit dem städtischen Archive entfremdet; das älteste der gegenwärtig noch zu Thorn aufbewahrten Schöppenbücher beginnt mit dem Jahre 1428.

2*

20 im wamoäb KOpmnnc^K n i4. r. is. ji

ZB Ormde ftltfCi werdn. hi deaen der Vater tob Opperviewi hlafi^ Erwifaamg fhidet. Diefielben wStde“. ab ofBneHe Dok“meate. die Streitfrage rieher entseheideB. wen oiaB ebea bü der kestigea Geaanigkeit in der SebreilniBf der Naaes daaudi verfahrea wire. Aber, ol^eieb der Vater tob CopperflieBS seBBiehB Jabre biadareb selbst Beinitzer des Geriefat„ gewesea. wird er tob dea Geriebts^Sdireibern aiebt einmal ia der aameadiebea ÄBfiftbraag der SebQppea. die beim Beginn eine“ jeden Jabres dea Verbaadlangen Torangestellt rind. mit gleiebmlMiger Ortbograpbie gesebrieben. ' Die Zusammenstellnng der Teraebiedenen Scbreibarten ergiebt:

1 Stets erseheint der Konsonant p Terdoppelt.

2 Als Anfimgsbncbstabe ersebeint fast dardiw^ der KcasoBaat K.

3 Ebenso findet sieb fiberwiegend am Ende des Wortes

  • Id dem amtlichen JahresyeneiehniMe der SebSppen ist der Vater tob

CopperDiciu oeoiuiuil als „Kopperaigk* anfgef&hrt. dreimal „Koppernik“ gesehrieben, zweimal „Koppenitgo mid je eiDmal “Kopperüigk“. >Coppenüek“ •Kcfppimik“. - In den V'erliandlDngen selbst pravalirt giekhfiüls die Schreibang „Koppernigk“; daneben findet sieh aber nicht selten die Variante •Koppernick“, hin und wieder eine der andern, ausserdem auch die Form “Coppernick“.

Die letztere Namensform - mit den Varianten „Czeppemick“ und "CzOppemick“ - kommt in spitem Thorner Mannskripten haafiger Tor. Sie ist jedoch, da der kritische Werth dieser Mann.^kripte ganz gering ist. mit Recht weder von dentsehen noch polnischen Schriftstellern aufgenommen worden. Sie wfirde hier gar nicht zn erwähnen sein, wenn nicht Lalande In seiner “bibliographle astronomiqae* Ton Coppernicus sagte „il s'appelait Zepemiek“. Von Lalande haben sie dann mehrere andere, namentlich französische, Schriftsteller fibemommen: so Delambre > . . . dont le y^ritable nom 6talt, dit-on, Zepemic“. :Histoire de rastronomie moderne I, 85.;

In den Krakauer Raths- und GerichtsbQchem habe ich den Namen der Familie Koppernigk in sieben Terschiedenen Varianten Torgefunden : Kopperaik, Coppernik, Kopperoig, Coppernig, Koppiraig, Koppernick. Koppirnick. Ausserdem fahren polnische Schriftsteller vgl. unten S. 39 und 41; zwei Dokumente an, in denen die Form “Oopernik“ Torkommt und ein drittes, in welchem der Vater Ton Coi^raicus als NIclaas „Kopernigki au%effihrt wird.

DER GESCHLECHTSNAME KOPPERKIGK. 21

Guttural-Gemination ; diese Verdoppelung schwankt jedoch zwischen gk und ck.

Wegen des überwiegenden Gebrauchs der Form „Koppernigk“ in den Thorner Schöppenbüchem musste zu ihren Gunsten die Entscheidung fallen;"* es scheint doch unzweideutig daraus hervorzugehen, dass der Vater von Coppernicus dieser Schreibung in der neuen Heimat den Vorzug gegeben habe.**

  • Bekanntlich herrBchte im Mittelalter, namentlich auch während des

15. Jahrhunderts, in der deutschen Schriftsprache ein grosses Schwanken bei dem Gebrauche der Kehlbuchstaben, sowohl im Anlaute als im Auslaute. K wechselt im Anlaute öfter in demselben Worte mit C; K im In- und Auslaute ist selten, es wird im Auslaute meist ck gesetzt, oft aber auch gk\ beide Greminationsformen vertreten die Schärfung des A;.

Um die relativ richtigste Schreibung des Familiennamens von Coppcrnicns festzustellen, kam es nun nicht bloss darauf an, zu ermitteln, welche Form in den gleichzeitigen Manuskripten am häufigsten angewandt war, sondern auch den Überwiegenden Gebrauch der auslautenden Gutturale in andern Worten zu konstatiren. Diese Untersuchung ergab, dass in den Thorner Handschriften dos 15. Jahrhunderts vorwiegend die Guttural-Gemination gk neben der allerdings auch häufig vorkommenden Gemination ck gebraucht worden ist. Aus der grossen Zahl habe ich den SchOppenbUchem entnommen die Eigennamen : czwonigk, flenwigk, domigk, geylingk, bellingk, thutingk, lybingk, strubingk, hennigk und hennyngk, henfflingk, czeissbergk, rennebergk, lodewigk, hedwigk, u. a. ; ferner mechtigk, scholdigk, kegenwertigk, zwenczigk, sechszigk, newnczigk, mechtigk, dingk, honigk, konigk u. a. m.

Das Verfahren, auf Grund urkundlicher Dokumente festzustellen, welche Form des Familiennamens der Vater von Coppernicus und seine Thorner Zeitgenossen bevorzugt haben, ist in polnischen Kreisen Übel aufgenommen worden. Das Resultat hat unangenehm berührt. Das Missvergnügen wäre jedoch ebenso geweckt worden, wenn ich mich für die Endung Hckn hätte entscheiden dürfen, weil die polnische Sprache keinerlei Verdoppelung eines Konsonanten kennt. Am lautesten hat sich ein Anonymus R*** vernehmen lassen; es geschieht dies in der 1872 veröflfentlichten Schrift : „Beiträge zur Beantwortung der Frage nach der Nationalität von Coppernicus“. (S.SO ff.) Dieser Rufer im Streite wünscht jede sprachlicharchivalische Forschung ausgeschlossen, es käme nur darauf an „den Klang des Namens möglichst richtig und genau nach den bestimmten Gesetzen der heutigen Rechtschreibung wiederzugeben“. Ein Vergleich aller Varianten werde dann die - für den Polen allerdings - „einzig mügliche und richtige Form „Kopernik“ orgeben“ ! !

^'^ Die Schreibung des Familiennamens von Coppernicus, welche in den

22 DIE FAMIUE KOPPEBVI6K Df 14. U. 15. JAHBHCHDEBTB.

2. Der Bnzelname „Coppernicus^^

Die Namensform Coppernieos gehört dem berflhmten Träger desselben allein zu eigen; sie ist durch ihn gebildet und mit ihm wieder erloschen.

Nach der Sitte der Gelehrten seiner 2ieit, welche gern den ererbten Namen durch Verbindong mit einer der beiden klassischen Sprachen umgestalteten, hat auch Coppernicus wohl schon früh seinen Familiennamen latinisirt. Den lateinischen Klang gab er ihm durch Hinzuf&gung der Endung tis; ausserdem hat er statt der Gutturale k im An- und Auslaute durchweg das c substituirt, die Verdoppelung des p jedoch nicht durchweg festgehalten.

Die selbstgebildete Namensform hat Coppernicus - ganz abweichend von der damaligen Gelehrtensitte - im gewöhnlichen Umgangsleben nicht gebraucht; sie ist ebensowenig in ofifidellen Dokumenten, weder von ihm selbst, noch von Andern, zur An

Thcmier ManuBkripten prÜTalirt, findet Unterstützung in einigen neaerdings veröffentlichten Dolcumenten, welche za Bologna und Frauenburg aufbewahrt werden, auB denen der SchluM gezogen werden kann, daas Coppernicus 8elb6t, in jUngeren Jahren, dieser Form den Vorzug gegeben habe. Bei seiner Aufnahme in die „natio Grermanorum zu Bologna (14%) ist Coppernicus in die „Matricula Nobilissimi Germanorum Collegü“, wie in die „Annales clarissimae nacionis Grermanoram“ als „Nicolaus Kopperlin^Jk de Thorn“ eingetragen. Auch in der ersten Einzeichnung , in welcher die Gebrüder Kopperoigk nach ihrer Rückkehr aus Italien in dem Protokollbuche des Frauenburger Domstifts Erwähnung finden, sind dieselben als „Nicolaus Copperni^Fik“ und „Andreas Coppernü^rA;“ aufgeführt. Die Form „Copperni^l^ findet sich ferner in einer Verhandlung des Kapitels d. d. 12. April 1512 betreffend den Brader von Coppernicus Andreas; er selbst wird in einem Briefe des Domherm Joh. Sculteti in der Aufischrift Coppernieffk geschrieben. - Die verstümmelte Form, „Kopperlingk“, welche die Akten -der deutschen Nation zu Bologna aufweisen, begegnet uns gleichfalls in einem Dokumente des Frauenburger Archivs. Eine Verschreibung des Allensteiner Raths d. d. 14. März 1518 ist ausgestellt in Gegenwart des „Hochgelahrten Herrn Nicolai Kopperlin^rik“.

Schliesslich darf nicht unerwähnt gelassen werden, dass Coppernicus auch in anderen Eigennamen die Gemination gk angewandt hat. So schreibt er mitunter „Frawenburgk“, „Konigspergk“, „Schonebrugk“, „Schaffübirgk“ u. a.

DBB BINZELNAHE COPPBBNICUS. 23

Wendung gekommen. Nur in den gelehrten Veröffentlichnngen, welche von Coppernicus oder Beinen Freunden ausgingen, erscheint die latinisirte Form."^ Dieselbe findet sich femer als Unterschrift in einigen der erhaltenen Briefe"^* und endlich in den eigenhändigen Namens-Einzeichnungen, welche die ihm einst zugehörigen Bttoher aufweisen.

In allen amtlichen Schriftstücken, welche die Archive von der Hand des Coppernicus bewahren, hat derselbe die Endung - tis nicht angehängt. Den Klang des überkommenen Familiennamens festhaltend hat er jedoch von der latinisirten Umgestaltung am Anfange und Ende den Buchstaben c hinübergenommen.'^'^'^ Er schreibt seinen Namen fast durchweg Coppernic.i Die Freunde

  • Ganz vereinzelt findet sich in zwei an den Bischof DantiscuB gerichteten Privatschreiben die volle latinisirte Form : in einem Briefe des Breslaner

Domherrn Dr. Tressler d. d. 16. Mai 1538 und in dem Briefe, welchen in Giese's Auftrage dessen Kaplan am 27. April 1539 geschrieben hat.

    • Bei den Unterschriften der Briefe von Coppernicus ist nicht immer

ganz sicher zu entscheiden, ob die volle latinisirte Form von ihm gewählt ist. Es ist nämlich mitunter nur der obere Haken des c am Ende verlängert, und es scheint zweifelhaft, ob dadurch stets die Abbreviatur für die Endung US bezeichnet werden soll. Gemeiniglich pflegt Coppernicus den verlängerten obem Theil des c noch durch einen senkrechten Strich zu durchziehen.

      • In andern Worten als dem eigenen Namen hat Coppernicus die Gutturale k gleichfalls seltener gebraucht und dem c den Vorzug gegeben. So

schreibt er z. B. Cleeberg, Cleynenberg, Joncendorf, femer Cukendorf, Carsau, Lieuzen, Radecayn u. a.

+ Wenn es sich um die Namenschreibung des Domherrn Coppernicus handelte, dann dürfte die Entscheidung keinem Zweifel unterliegen. Coppernicus gebraucht die Namensform „Coppernic“ stetig im lateinischen Contexte der von ihm ausgegangenen amtlichen Aktenstücke, nicht nur als Nominativ, sondern auch in den Casibus obliquis z. B. in Verbindungen wie „per me Nicolaum Coppernio canonicum et administratorem“ u. a.

In zwei Fällen hat Coppernicus noch eine Schärfung des Endbuchstaben eintreten lassen; es sind die Urkunden d. d. 26. und 28. December 1512, in welchen er sich als Nicolaus CoppernicJk unterzeichnet hat. In vier andern Dokumenten, welche von ihm als „Administrator Capituli Warmiensis“ in den Jahren 1518 und 1519 ausgestellt sind, wird er als „Coppernü^“ aufgeführt. Nun sind diese Dokumente freilich - obwohl es in ihnen heisst „Ego Nicolaus Coppernig“ - nicht von seiner Hand geschrieben ; allein eine Urkunde d. d. ö. Mai 1514 zeigt seine Unterschrift gleichfalls in der Form

24 DER KINZeLHAME COPPERNICUS.

und Amtggenoflsen von Coppernicas sind seinem Beispiele gefolgt ; sie haben die Form Coppernic gleichfalls vorwiegend angewandt."^ Aach in den Protokollen des Domstifts zeigt die Mehrzahl der Einzeichnnngen die Form Coppernic, sonst freilich eine reiche Masterkarte der verschiedensten Schreibangen.**

Die latinisirte Form des Namens von Coppernicas hat sich in Deatschland eingebürgert , weil sie sich anf dem Titel des Werkes de revolutümibtis vorfindet, darch welches der Aator eben seine Berühmtheit erlangt hat.*** Der Name ist dort aber, von den Heransgebem der edttio princeps, mit einem p geschrieben, and diese Schreibang ist auch in den spätem Abdrücken des Werkes beibehalten. Selbst die von dem Thorner CoppernicasVereine besorgte Säcalar-Aasgabe hat darin keine Aendemng vorgenommen. Durch die seit 1873 veröffentlichten archivalischen Forschungen ist der genannte Verein jedoch zu erneuten Erwägungen über die Rechtschreibung veranlasst worden ; diese haben zu dem Beschlüsse geführt, von der bisher üblichen Schreibang

>Copperni0F“. Es giebt also auch diese Untersuchung einen neuen Beleg fUr die Gleichgültigkeit, mit welcher die Orthographie des eigenen Namens damals behandelt wurde ; die Eigennamen hatten eben noch keine feste orthographische Gestalt. Selbst wenn Jemand schon eine bestimmte Schreibung seines Namens angenommen hatte, so erlaubte er sich doch in einzelnen Fällen noch eine Abweichung.

  • Aus den Jahren 1528-1536 besitzen wir 20 Briefe des Bischofs Mauritius Ferber, in denen der Name von Coppernicus vorkommt 16 mal ist

er „Coppernic“ geschrieben, 4 mal •CoppernicÄk“. - In zwei Schriftstücken von der Hand seines nahen Freundes und Verwandten, Tiedemann Giese, finden wir gleichfalhi die Schreibung „Coppernio“.

    • In den Protokollen des Domstifts ist Coppernicu^ 7 mal als „Coppernic“

aufgeführt, je 3 mal „Coppernig“ und „Köpperaick“ geschrieben, je 2 mal „Koppernick“ und „Copperaick“ je einmal „Coppernik“, „Koppernig“ und „Kopernig“.

      • Die Sprachen der übrigen Kulturvölker, welche fremde Eigennamen

unverändert hinüberoehmen, haben, gleich der deutschen, die lateinische Form gewählt. Andere, wie die Italiener, haben die Endung - us umgestaltet, Polen und Franzosen dagegen dieselbe einfach weggelassen, ohne auf die Schreibung von Coppernicus selbst oder der Familie irgend Rücksicht zu nehmen.

D£R EINZ£LNAM£ COPPEUNICUS. 25

abzugehen und die von Coppernicus selbst zameist angewandte Namensform zu restitniren."^

Die wesentlichsten Gründe, welche die Restitution des Doppel-^ in dem Namen von Coppernicus erheischen,^ sind an dieser Stelle kurz anzuführen, weil der Verfasser des vorliegenden Werkes, in Ausführung jenes Beschlusses des Coppernicus- Vereins, sich veranlasst gesehen hat, die, auch seiner Ueberzeugung nach, richtigere Namensform gleichfalls zur Anwendung zu bringen.*"^

I. Die Verdoppelung des p erscheint aosnahmlos in allen eigenhändigen Namenszeichnungen, in welchen Coppernicus die nicht latinisirte Form gebraucht.

Ebenso ist in allen gleichzeitigen Schriftstücken der Frauenburger Archive der Name mit einem Doppel-^p geschrieben - in den Briefen der Freunde und Amtsgenossen, wie in den Verhandlungen des Kapitels und anderen notariellen Dokumenten.

  • In die Gelehrtenwelt ist die Form „ Cofijiernicua “ bereits durch die

„Mittheilungen des Coppernicus- Vereins“ eingeführt, ebenso durch Titel und Vorrede der deutschen Uebersetzung des Werkes de revolutionibus orbium caelestium, während die schon vor jenem Aenderungs-Beschlusse gedruckten Bogen des Textes der erwähnten Uebersetzung die alte Orthographie aufweisen.

Eine ähnliche theilweise Ungleichheit findet sich - was entschuldigend vorbemerkt werden muss - auch in dem vorliegenden Werke. Die ersten 10 Bogen des zweiten Bandes (des Urkundenbuches) sind bereits im Jahre 1873 gedruckt worden; sie zeigen deshalb noch die früher übliche Namensform Copernicus mit einem p.

    • Die eingehendere Untersuchung über die Rechtschreibung des Namens

von Coppernicus dürfte manchem Femstehenden vielleicht als zu minutiösphilologisch gehalten erscheinen. Allein sie hat eine mehr als orthographische Bedeutung. Coppernicus hat mit der Verdoppelung des p die Betonung seines Familiennamens indiciren wollen. Die polnische Sprache kennt keine Verdoppelung von Konsonanten; es giebt in ihr kein Wort, welches den Ton auf der drittletzten Silbe hätte (wie es bei den West-Slaven, den Böhmen und Mähren allerdings der Fall ist). Vielleicht nun, um seinen polnisch-redenden Freunden und Landsleuten gegenüber die richtige Betonung seines Familiennamens hervorzuheben, hat Coppernicus Werth darauf gelegt, dass sein Name mit einem doppelten p geschrieben werde.

26 DER EINZELNAMB COPPEBNICC8.

IL Die Yolle latinisirte Form des Nameng Yon Coppernicuß, - mit Beibehaltung des Doppel-^ - , entspricht der üblichen Schreibung des ererbten Familiennamens und giebt den richtigen Klang desselben wieder; sie ist von Coppernicus selbst bis in sein sechzigstes Lebensjahr allein zur Anwendung gekommen.*

a. Das Doppel-^ finden wir zunächst in den Namensztigen, mit welchen Coppernicus die ihm zugehörigen Bticher bezeichnet hat.**

  • Eine einfache Zählung der eigenhändigen Namenszüge von Coppernicus

und vergleichende Gegenüberstellung der Formen, in denen ein einfaches oder das Doppel-p gebraucht ist, kann eine zwingende Schlossfolgerung nicht begründen. Ein anderer Gesichtspunkt ist hier massgebend; die Zahl kann nicht entscheiden, wo die Z e i t allein ins Gewicht fallt. Während der sechs ersten Decennien seines Lebens hat Coppernicus, wenn er die latinisirte Form seines Namens gebrauchte - und dies geschah nur, wenn er als Gelehrter schrieb - das Doppel -p gesetzt. In den letzten sechs Jahren scheint er jedoch die Schreibung mit einem p vorgezogen zu haben.

Dass die sclbstgebildeten Namen der Grelehrten des 16. Jahrhunderts mitunter Aenderungen unterworfen wurden, darf wenig Wunder nehmen, wenn die ererbten Familiennamen wechselnder Schreibung unterlagen. Eins der bekanntesten Beispiele mehrfacher Aenderung des angenommenen Gelehrten-Namens bietet Melanchthon, welcher bekanntlich nach dem Augsburger Reichstage das ch aus seinem Namen wegzulassen pflegte, in einzelnen Fällen denselben sogar noch um den letzten Buchstaben kürzte. Seine Freunde haben jedoch zumeist die veränderte Schreibung nicht angenommen; bis auf unsere Tage herab pflegt man den Reformator mit seinem ursprünglich angenommenen Namen zu bezeichnen und nicht „Melanthon“ oder gar „Melantho“ zu schreiben. Vielleicht dürfte in dieser Analogie ein weiteres Moment gefunden werden, auch bei Coppernicus die ursprüngliche, von ihm selbst lange Jahre hindurch bewahrte Namensform wieder in ihr Recht einzusetzen.

    • Eine Reihe von Büchern , welche einst im Besitze von Coppernicus

gewesen sind, befinden sich gegenwärtig auf der Universitätsbibliothek zu Upsala. Sie sind durch den eigenhändigen Namenszug als sein Eigenthum bezeichnet :

1 . Ein Volumen in 4°, die Tafeln von König Alfons und die von Rcgiomontanus enthaltend, trägt auf dem Titelblatte den Namenszug

Nicf. Oofipnioi.

DER EINZELNAME COPPEBNICUS. 27

b. Die einzige DruckBchrift , welche Coppendcus bei Leb-* Zeiten yeröffentlicht hat, trägt an der Spitze des Widmnngs-Schreibens an den Oheim Lucas Watzelrode seinen latinisirten Namen mit dem Doppel-p."^

c. Ebenso zeigt die 1524 yon Coppernicus verfasste und durch Abschriften s. Z. vielfach verbreitete Abhandlung nEpistola contra Wememm^ in der Unterschrift das doppelte _p.**

2. Die Euklid-Ausgabe von 1482 hat auf dem ersten Blatte die Aufschrift

N. COPPERNICI.

3. Die Practica Valescü de Tharanta trägt auf dem Deckel die Worte *.

Nicolai Copphernioi.

4. Ein Sammelband, umfassend die Werke von Jovianus Pontanus, verschiedene Schriften von Bessarion und die cpaivöfjieva des Aratus, enthält auf dem Titelblatte des ersten Werkes von Pontanus den Namenszug

Nie. C 0^1„ nie.

5. Joh. Chrestonü lexicon graeco-latinum zeigt auf dem Vorsetzblatte die merkwürdige Einzeichnung :

BCßXiov NixoX^o'j TS Koicepvixou.

Hier finden wir zwar nicht ein Doppel -it; allein den Zweck, den Coppernicus in der latinisirten Form durch Verdoppelung des p erreichen wollte, hat er in anderer höchst bezeichnender Weise erstrebt. Um die scharfe Betonung der erstenSilbe soinesNamens deutlicher hervorzuheben, ist er vor einer philologischen Monstrosität nicht zurückgeschreckt und hat den Acutus auf die viertletzto Silbe eines Wortes gesetzt, dessen Endsilbe überdies noch lang ist. Ein andetmal hat Coppernicus seinen Namen, als er ihn griechisch umformte, mit „719)“ geschrieben. Es geschieht dies in der Aufschrift eines kleinen Gedichtes, welches dem Epithalamium vorangestellt ist, das Johannes Dantiscus, der nachmalige Bischof von Ermland, zur Vermählungsfeier des Königs Sigismund I. im Jahre 1512 veröffentlichte:

NtxoXao; 6 Koirfspvtxoc npo; Ioaw7)v tov Aivo^eofioBva.

Gelegentlich darf hier noch erwähnt werden, dass in der Namensform Koji/eraick der Bruder von Coppernicus Andreas in die Matrikel der natio Germanorum zu Bologna eingetragen ist.

  • Der im Jahre 1509 von Coppernicus veröffentlichten lateinischen Uebersetzung der Episteln von Theophylactus Simocatta ist [ein Widmungsschreiben

voraufgestellt, dessen Aufschrift lautet:

Ad reverendissimum dominum Lucam episcopum Warmiensem Nicolai Coppernici epistola.

    • Von der im 16. und 17. Jahrhunderte viel verbreiteten Abhandlung

28 DER EINZELNAME COPPERNICUS.

in. Auch die Freunde von Coppernicus haben, wenn sie die latinisirte Form seines Namens gebrauchten, denselben mit einem doppelten p geschrieben.*

Wer das Gewicht der vorstehenden Gründe nicht als ausreichend anerkennen und bei der in Deutschland seither üblichen Schreibweise des Namens von Coppernicus (ohne Verdoppelung des p] verbleiben will, der kann freilich keine geringere Autorität als Coppernicus selbst für sich anfuhren. Man findet nämlich, zunächst in den erhaltenen Briefen von Coppernicus an den Bischof Dantiscus, seinen Namen mit einem ^ geschrieben.** Der letztere mag ihm in dieser Schreibung vorangegangen sein und Coppernicus

des Coppernicus „contra Wemorum“ sind nachweislich drei ältere Kopien vorhanden. Sie stammen sämmtlich aus dem 16. Jahrhunderte, zeigen aber drei verschiedene Formen der Unterschrift. Die eine im Jahre 1575 „ex primis post auTf^Ypacpov litüris“ gefertigt (gegenwärtig in Wien) schreibt „„Copphernicus““; eine zweite Kopie, die 1870 zu Strassburg verbrannte, trug die Unterschrift „Coppernicus“ ; die dritte Abschrift (in Berlin aufbewahrt) zeigt die Form „Copernicus“, wie sie auf dem Titel dos Coppernicanischen Hauptwerkes sich findet.

Es ist wohl wahrscheinlich, dass die ungewöhnlichste der drei Formen „Copphernicus“ die ursprüngliche gewesen sein wird, welche von spätem Abschreibern als Verstümmelung angesehen und demgemäss verbessert sein dürfte.

  • Wir besitzen dafür einen recht gewichtigen Beleg. Tiedemann Giese,

der vertraute Freund von Coppernicus, veröffentlichte im Jahre 1524 eine Schrift, in welcher der Name des letztern in derselben ungewöhnlichen Form „Copphernicus“ gedruckt ist, wie ihn der in der vorigen Anmerkung erwähnte Brief „contra Wömenim“ aller Wahrscheinlichkeit nach getragen hat. Ebenso finden wir den Namen von Coppernicus mit einem Doppel -p in den beiden S. 23 erwähnten Briefen an Dantiscus - des Breslauer Domherrn Tressler und des Kaplans von Giese (im letztem erscheint der Name in der Verstümmelung „Cuppemicas“}.

    • Die Mehrzahl der Briefe, welche Coppernicus an Dantiscus geschrieben,

kennen wir nur aus dem Abdrucke in der Warschauer Ausgabe des Werkes de revolutionibus orbium caelestium. Leider lässt sich nicht bestimmen, ob die Unterschriften diplomatisch getreu wiedergegeben sind, da die Herausgeber keinen strengen Principien in dieser Beziehung gefolgt sind. In den Übrigen Briefen an Dantiscus ist jedoch die Unterschrift mit einem p l>eglaubigt. Dieselbe Namensform finden wir auch in zwei Briefen an den Herzog Albrecht von Preussen aus dem Jahre 1541.

DER EINZELNAME COPPERNICUS. 29

der Anschauung des berühmten Latinisten sich accommodirt haben. Auch des Coppernicus humanistiäch gebildeter Schüler Rheticus scheint an der Verdoppelung des p in dem Namen seines Lehrers Anstoss genommen zu haben; er liess denselben in allen seinen Veröffentlichungen nur mit dem einfachen p drucken. Von Rheticus aber ist der Titel zu dem Werke de revolutionibus orhium caelestium zusammengestellt, von ihm rührt dort auch die Namensform des Autors mit dem einfachen p her. Coppernicus selbst hat den Titel, wenn ihm derselbe überhaupt noch zugekommen ist, erst auf dem Sterbebette gesehen.*

Die relative Berechtigung, welche der Schreibung des Namens von Coppernicus mit einem p eingeräumt werden kann, ist jedoch deivjenigen Formen, welche einen Wechsel der Gutturalen bieten, nicht zuzugestehen. Auffallenderweise findet man, selbst bei namhaften deutschen Schriftstellern, bis auf die neueste Zeit herab, noch die ganz unzulässige Schreibung „Kopernicus“ oder gar „Copernikus“, welche Formen, eines jeden urkundlichen Anhalts entbehrend, einem wunderlichen Gemisch von lateinischem und deutschem Schriftgebrauche entsprungen sind.

Wer im Deutschen dem Purismus huldigt, der mag statt des lateinischen C im An- und Auslaute des Namens immerhin ein K substituiren. Einen Anspruch auf allgemeinere Annahme darf diese Schreibung jedoch nicht erheben, weil auch sie jeder urkundlichen Begründung entbehrt.

  • DasB Coppernicus den Titel zu seinem grossen Werke nicht selbst entworfen, können wir, abgesehen von den äussern Zeugnissen, schon aus der zudringlichen Aufforderung an den Leser entnehmen. . . Igitur e m e , lege, fruere.

Das Original-Manuskript zeigt an keiner Stelle den Namen des Coppernicus von seiner Hand geschrieben. Es hat weder einen Titel, noch irgend eine Ueberschrift. Die erste Seite beginnt sofort mit der (von den Herausgebern unterdrückten) Einleitung zum ersten Buche: „Inter multa ac varia literarum artiumque studia“ etc. (Bd. Ü S. 9 ff.)

Ob Rheticus auf dem Titel das eine p in dem Namen von Coppernicus mit dessen Wissen weggelassen hat, oder nicht, dürfte sich jetzt schwer bestimmen lassen.

30 DIB UR-HEIMAT DBB KOPPERNIGK.

B. Die älteste Heimat der Familie Koppernigk.[recensere]

An den beiden Orten, welchen das Leben von Niklas Koppernigk, dem Vater von Coppernicus, zugehört, erscheinen seit dem Ende des 14. Jahrhunderts in urkundlichen Zeugnissen Träger seines Familiennamens, - in Thorn, wo Kiklas Koppernigk nachweislich länger als 20 Jahre gelebt hat, und in Krakau, von wo er nach Thorn übergesiedelt ist. Es scheint sonach, dass gleichzeitig Zweige desselben Geschlechts in beiden Städten geblüht haben.

Die Familie Koppernigk gehörte jedoch weder in Thorn noch in Krakau zu den alteinheimischen Geschlechtem; dies ist von deutscher, wie von polnischer Seite für feststehend angenommen. Als ursprüngliche Heimat der Familie betrachtet man Schlesien, von wo im 14. Jahrhunderte eine massenhafte Auswanderung nach Osten und Nordosten stattgefunden hat.*

In Schlesien ist der Ortsname Kopimik (auch „Copimik“, „Copimich“, „Kopmik“ geschrieben) nach den Gesetzen des Umlauts heute in „Köppemig“ oder „Köppemick“ umgewandelt, mehrfach vertreten. Als Kupfer-Findorte sind nachgewiesen „Köppemick“ mit „Kupferhammer“ bei Neisse in Oberschlesien, und Köppemick bei Keurode unweit Frankenstein im Regierungsbezirke Breslau.**

'* Ueber die Urheimat der Familie Koppernigk sind von Knötel und Oelsner dankenswerthe Untersuchungen in den Schlesischen Provinzialblättem (1872, VI und VÜ) veröffentlicht worden. Um die einleitenden Abschnitte des vorliegenden Werkes jedoch nicht zu sehr anschwellen zu lassen , mnss ein näheres Eingehn auf diese Detail-Forschungen einem späteren Theile Überlassen bleiben.

    • Die ersten urkundlichen Nachweise über die Kupfer-Bergwerke zu Köppemick bei Frankenstein verdanken wir dem Grafen Stillfried -Rattonitz,

welcher in seinen „Geschichtlichen Nachrichten vom G^chlechte Stillfried V. Rattonitz“ (p. 209} mittheilt, dass einer seiner Ahnen bereits im Jahre 1605 einen eigenen Hüttenmeister in der Herrschaft Hansdorf -Volpersdorf besoldete, zu welcher die „KOppriche“ (mundartlich für „KOppemig“) am Lierberge gehörten.

DIE ÜB-HEIMAT DER KOPPERKIOK. 31

Des ersteren Ortes geschieht bereits Erwähnnng in Urkunden aus der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts. "^

Das zweite Koppimick bei Frankenstein hat für uns ein näheres Interesse, als hier die Wiege des Thorner Geschlechts der Koppernigk - und wahrscheinlich auch der Krakauer Linie zu suchen ist, welche beide ihren Familiennamen von dem ursprünglichen Wohnorte der ersten Einwanderer und ihrer Vorfahren entlehnt haben.

Schlesien undPreussen haben während des 14. und 15. Jahrhunderts in engem Handelsverkehr gestanden. Die nahen Beziehungen, welche zwischen Thor n und den schlesischen Städten geherrscht haben, beweisen ausser Anderem auch die dort häufig vorkommenden Namen „NeisscK„ und „Sweidnitzer“. Ein Gleiches gilt von Erakau. An letzterem Orte haben sich Urkunden erhalten, in welchen ein „Johannes Coppernik“ in Geschäfts -Verbindungen mit einem „Johannes Sweidnitzert erwähnt wird.

Als ganz unzweifelhaft werden die Beziehungen der Thorner Familie „Koppirnick“ mit Schlesien, bez. mit Frankenstein

  • Die frühesten Dokumente, in denen das Obersohlesische Dorf Kopernik

erwähnt wird, sind veröffentlicht in Stenzel's Urkunden zur Geschichte des Bisthums Breslau im Mittelalter. Es wird dort S. 56 (No. 50) eine Urkunde d. d. 24. März .1272 abgedruckt, in welcher ein „Henricus plebanus de Copmih“ genannt wird. Auf S. 103, 104 ist femer eine Urkunde d. d. 3. Juli 1284 (No. 94) abgedruckt, in welcher mehrere der Breslaner Kirche entrissene Dörfer „in districtn et territorio Ottmuchouiensi et Nycensi“ aufgezählt werden; zu diesen gehörte auch die Ortschaft „Oopimik“, „Oopimich“.

In den Begesten des Bisthums Breslau von Grttnhagen und Korn (S. 102) wird in einer Urkunde d. d. Neisse 8. Juni 1291 unter den Zeugen ein Henricus Pfarrer zu „Copernik“ aufgeführt. In einem gleichzeitigen Dokumente d. d. Ü . Kai. Aug. des Jahres 1290 wird unter den Zeugen ein „Lambinus de Copernic„ clericus noster“ aufgeführt, welcher in derselben Eigenschaft in einer andern Urkunde aus dem Jahre 1298 als „Lambinus de Kopernic presbjrter noster“ bezeichnet wird.

Aus dem 14. Jahrhunderte ist von den Schlesischen Historikern nur noch ein Stanislaus Nicolaus aus Köppemick aufgeführt worden, welcher als Mansionar der Kreuzkirche zu Breslau im Jahre 1383 ein Officium cantatum stiftete.

32 DIE UR-HEIBiAT DER KOPPEBNIGK.

und den dortigen Enpfer-Bergwerken, dargelegt durch eine Verhandlung des Thorner Schöppenbuchg aus dem Jahne 1422 {füe kommt unten S. 35 in ihrem Wortlaute zum Abdruck). In diesem Dokumente wird bezeugt, dass eine Margaretha „Koppirnick“ ihrem Miterben Hans dem Kupferschmiede („Koppirsmedea) den ihm zukommenden Theil der Erbschaft verabfolgt habe, welche ihr durch „Peter Koppirnick von Frankenstein“ übermittelt worden war. Der letztere, welcher als TestamentaExekutor eingesetzt war, hatte über die richtige Abrechnung eine Bescheinigung von der Stadt Frankenstein dem Thorner Schoppen-Gerichte vorgelegt.

Fernere Belege fftr die Verbindung Thorner Bürger mit Frankenstein, und überhaupt mit der schlesischen Heimat, bieten die Verhandlungen des Thorner Schöppenbuchs, in denen ein Kaufmann „Matthis Frankenstein“ während des ersten Viertels des 15. Jahrhunderts Erwähnung findet.*

  • „Matthis Frankensteyn“ wird in dem Thorner Schöppenbuche zuerst erwähnt in zwei Verhandlungen aus den Jahren 1411 und 1413, welche

jedoch kein allgemeineres Interesse bieten. Andere Vermerke bezeugen die geachtete Stellung, die er unter seinen Mitbürgern eingenommen, gleichwie sie seine ausgebreiteten Geschäfts-Verbindungen bekunden. In einer Verhandlung aus dem Jahre 1414 sind „her Johan von der wersche vnd matthis Frankenstein komen vor gehegt ding vnd haben die sache vnd schelunge als von der LXXXVI mrk wegen steffan hesen fier mannen meohtiglich in die hand gegeben zu berichten.“ - Eine Einzeichnung aus dem Jahre 1417 nennt neben ihm einen sonst nicht weiter bekannten Peter Frankenstein ; dieser Vermerk weist zugleich auf die Fortdauer der Beziehungen zu der alten Heimat hin: „Gehegtem dinge, ist wissentlich das petir Frankenstein vnd mattis Frankenstein gemechtiget sint von lorenz Stangen wald bnrger zu Thorun vmbe petir Stangenwaldes wegen seynem bruder burger von Bresslaw also von schelunge die sie .czwischen enandir gehabt haben als an gute an gelde etc.“ - In einer Verhandlung des Jahres 1421 wird Matthis Frankenstein von einem Bürger, welcher aus Böhmen stammte („Bemissche merten“), zum Schiedsmanne in einer Familien-Streitigkeit erwählt. - Eine Verhandlung aus dem Jahre 1425 legtZeugniss ab von seinen ausgedehnten Geschäfts- Verbindungen: „Matthias Frankenstein ist komen vor gehegt ding vnd hat bekant das her Alexandro von Jork eynem Engelischen schuldig ist LXXX mrk geringen geldis.“

DIE FAMILIE KOPPERNIGK IM 14. U. 15. JAHRHUNDERT; 33

Die Stadt Frankenstein liegt in der, zum Theil gegenwärtig ngch, metallreichen Grafschaft Glatz. Es ist leicht erklärlich, dass die Bewohner des Eulengebirges, in dessen Nähe Frankenstein liegt, ebenso die Einwohner von Frankenstein selbst, schon früh mit den Weichselstädten Krakau und Thorn in Verbindung getreten sind, um die in der Heimat gewonnenen Metalle zu verwerthen.

Der Name der „Koppirnick“, noch dazu ihre Verbindung mit dem „Koppirsmeda in der Thorner Verhandlung des Jahres 1422, scheint mit ausreichender Sicherheit auf die Verarbeitung und den Handel mit Kupfer hinzuweisen, womit die Familie in ihrer ersten Heimat sich beschäftigt hatte. "^

C. Die Familie Koppernlgk In Thorn und Krakau.[recensere]

I. In Thorn kommt der Name der Familie Koppernigk seit dem Ausgange des 14. Jahrhunderts vor.

Die erste zufällige Erwähnung der verstummelten Namensform geschieht zum Jahre 1398, in welchem ein „Michael Czeppernick“ als Wächter auf einem der Befestigungs-Thürme der Stadt vom Rathe eingesetzt wurde.**

  • Kupfer findet man noch heute in der Grafschaft Glatz, und bei AltHaydn, westlich von Glatz, existirt noch ein Kupferhammer. Wenn die

Ausbeute gegenwärtig nicht bedeutend ist, so darf man nicht vergessen, dass der Bergbau den grOssten WechselfUllen ^unterworfen ist. Auch die Grafschaft Glatz war früher metallreicher als gegenwärtig. Wie der Silberstollen verfallen ist, von dem die Stadt Silberberg ihren Namen hat, so sind auch die Kupfergruben in der Grafschaft Glatz heute meist verschwunden ; man muthet gegenwärtig Überhaupt nicht leicht auf Kupfer, weil Elsen und Kohle von höherer Bedeutung fUr die Industrie geworden sind.

    • Die im Texte gegeben^ Notiz findet sich in einem für die Lokalgeschichte sehr werthvollen Manuskripte der Thorner Rathsbibliothek, welches

um die Mitte des 10. Jahrhunderts aus altem Handschriften und Dokumenten zusammengetragen ist, und in welchem sich viele Nachrichten erhalten haben, die in die „Thoruisohe Chronica“ von Zernecke nicht aufgenommen sind. Als Quelle der kurzen Notiz, welche wörtlich lautet: „Michael Czeppernick I. 3

34 DIE FAMILIE KOPPERNIOK IN THORN.

Um dieselbe Zeit ungefähr wird in einem ZinsyerzeichniBse, welches das Thorner Arehiy aufbewahrt, ein „Laurentius Koppirnick“ aufgeführt.*

Die gewichtigsten Belege für die frühe Einwanderung der Familie Koppernigk erhalten wir aber durch das Gerichtsbuch der Altstadt Thorn,**

receptus in vigilem turris Culmensis“. nennt das erwähnte Manuskript die Rathsprotokolle , welche im Jahre 1703 bei der Belagerung Thorns durch Karl XÜ. ihren Untergang gefunden haben. - Näheres über die Handschrift und ihren muthmasslichen Verfasser habe ich gegeben in meiner 1853 erschienenen Schrift „Zur Biographie von Copernicus“ S. 11.

Einigen Thorner Gelehrten des IS. Jahrhunderts scheint es missfallen zu haben, dass einer der muthmasslichen Vorfahren von Coppernicus Thurmwächter gewesen sei ; sie haben daher für „turris„ die Conjectur „iuris“ gesetzt und „vigil iuris Culmensis“ erklärt als Landschüppe, Schöppe des adligen Landgerichts I

  • Das Thorner Archiv bewahrt eine Reihe von alten städtischen Zinsverzeichnissen, die auf Wachstafeln geschrieben sind. Die einzelnen Unterschriften geben an, wofUr der Zins entrichtet wurde. Jahresangaben sind

jedoch nur selten hinzugefügt; überhaupt enthalten sie ausser den Namen der einzelnen Bürger und der Summe des Zinses nur hin und wieder einige Bemerkungen. Die Zeit, welcher diese ZinsbUcher angehören, lässt sich schon aus den Schriftzügen, wie den Namen einzelner bekannterer Bürger, mit ziemlicher Sicherheit bestimmen; vereinzelte chronologische Angaben bestätigen es ausserdem, dass sie um 1400 niedergeschrieben sind (einige in dem letzten Viertel vor, andere in den ersten Jahren nach 1400). Auf einer dieser Tafeln findet sich nun unter den Bürgern, die einen „Census de swebbogin“ zu entrichten hatten, als der zehnte, ein „Laurentius koppirnik“ mit der Zinssumme von „XV scot“ verzeichnet.

In jüngster Zeit ist auchyder Geburtsbrief von Laurentius „Koppirnick“ aufgefunden und durch Bender in den „Mittheilungen des Coppernicus- Vereins“ 1881 (ÜI, p. 88) veröffentlicht worden. Hienach stammte derselbe aus dem Dorfe „Leubir“ bei der „newenstadt prandenick“ in Ober Schlesien.

    • Das gegenwärtig in St. Petersburg aufbewahrte älteste Thorner SchOppenbuch ist zu Anfang dieses Jahrhunderts aus dem Gerichtsarchive entwendet worden. Im Jahre 1817 schenkte es ein Major Jos. Biemacki der

Warschauer Gresellschaft der Freunde der Wissenschaften. Von Warschau ist es mit den übrigen Büchern der G<3sellschaft nach St. Petersburg gekommen und dort der Kaiserlichen Bibliothek einverleibt worden.

Das - nicht nur für die Lokalgeschiclite Thorns wichtige - älteste „Scheppin-Buch“ der Altstadt Thorn enthält die Gerichtsverhandlungen von 1363 bis 1428. Die 158 Pergamentblätter sind nur durch einen Lederrücken

DIE FAMILIE KOPPERNIGK IN THORN. 35

Hier finden wir anter den Verhandlungen des Jahres 1400 eine Einzeichnung, durch welche beglaubigt wird, dass zwei Bürger „Koppirnick“ und „Augustin“ (jede weitere Nebenbezeichnung, auch ihr Taufname, fehlt) sich gütlich auseinandergesetzt haben in Betreff der Ansprüche, welche die Frau des letzteren aus einer ersten Ehe an Koppernick überkommen hatte.

Der Vermerk lautet:

„Koppirnik hot geschieht mit Augustin von synes

Weybes wegen das yn wol genüget von ires ersten mannes

wegen Mathian.a

Dasselbe altstädtische Schöppenbuch enthält zum Jahre 1422 die auf S. 32 beschriebene Einzeichnung über die Frankensteiner Erbschaft der Thorner „Koppernicks“. Sie findet sich unter den drei Verhandlungen, welche am Gerichtstage (fer. VI ante Lucae) von dem Schöppengerichte amtlich eingetragen sind. Der Wortlaut dieser für die Urheimat der Koppernigk wichtigen Eintragung ist nachstehender:

Margritte Koppirnickynne hat schichtunge und tei lunge hans Koppirsmede* in voUir mechtigunge Petir

zusammengehalten; die spätem Protokolle dagegen wurden in ein festgebundenes Bach eingetragen. Dass in jenem Manuskripte die älteste Sammlung der Gerichtsverhandlungen zu Thorn vorliegt, scheint aus den Einleitungsworten hervorzugehen :

Alle ding die nu uf erden | geschickit adir entrichtet werden | is ist sunderlichen not | das man sy schribe, wend der tot | Der menschen viel vorczeret. | Ab nu von hinnen veret | Der mensch 3m syn gedenken | So kann die Schrift uns schenken | Was in ir gebildet stat. | Dis hat betracht der wysen rat | vnd wellen durch stetis bliben | Dis Buch lazen schrieben | Der Scheppinbuch ist is genannt. | Nu helf vns got der Heylant | vnsere czit hy wol vortriben | dort mit im ewic bliben. Amen.

  • Es erscheint zweifelhaft, ob in dem Dokumente ein Hans „Koppirsmede“

aufgeführt wird (ein Verwandter der Koppimicks, welcher von seinem städtischen Gewerbe den Namen „Koppirsmed“ statt des Üblichen Familiennamens sich beigelegt hat), oder ob - mit zufälliger Weglassung des Geschlechtsnamens - ein Kupferschmied „Hans Koppernick“ gemeint ist. In Thorner Archivalien aus jener Zeit ist mir der Name „Koppirsmed“ nicht aufgestossen. In den Krakauer Akten dagegen begegnen wir dem

36 DIE FAMILIE K0PPEBNI6R IN THOBN.

Koppirnicks von Frankenetein noch Yswisange der Stat Frankenstein BriflF czu uollir gnuge gegeben vnd sint notlos geteilet voneinandir.

Ü. In Krakau erscheint der Familienname von Coppernicus in urkundlicher Nach Weisung noch früher als in Thorn.*

Worte häufig. Dort ist „koppersmed„, „coppersmed“ oder „coppirsmed“ bald zur Bezeichnung des städtischen Gewerbes gebraucht, bald erscheinen die Worte als Personennamen, die vom Handwerke her angenommen sind.

Bekanntlich sind die Familiennamen in der Zeit, da sie sich zu bilden begannen, vorzugsweise auf den beiden Wegen entstanden, wie wir sie in den uns hier vorliegenden Namen Koppimick und Koppirsmede benutzt sehen. Die Bezeichnung der Herkunft und der Beschäftigung, ursprünglich als nähere Bestimmung der Person dem Taufnamen hinzugefügt, wurde zum Geschlechtsnamen. Dass der Name der ursprünglichen H e i m a t in der Familie forterbte, darf uns nicht Wunder nehmen. Allein auch das Gewerbe musste bei der Stadtbevölkerung in jenen frühen Jahrhunderten leichter zur Bildung der Familiennamen verwandt werden können, da die Familie damals zumeist in dem ursprünglichen Gewerbe verblieb, der Sohn zumeist das Handwerk des Vaters erlernte.

Als charakteristisches Beispiel für den Uebergang der Gewerbe-Bezeichnung in den Geschlechtsnamen diene eine Verhandlung des Thorner Schöppen gerichts aus dem Jahre 1474, wonach „voytke der olsleger vor koufft hot Stephan olsleger seynem elichen zone eyn haws off

Sente annengasse zwischen her Niklas Koppernigks vnd der witwe hauss gelegen n Auch in spätem Urkunden (z. B. aus dem Jahre 1480) wird der Sohn stets ebenso bezeichnet; ohne Hinzufügung des Artikels ist die Gewerbe-Bezeichnung schon Personenname geworden.

Dass in derselben Weise, mit Weglassung der Präposition „aus“ oder „von“,. die Bezeichnung der Herkunft zum Personennamen wird, ist allgemein bekannt. In den Verhandlungen des Thorner SchOppenbuchs aus dem 14. Jahrhunderte finden sich unzählige Beispiele. Als Belege seien hier angeführt: „hans Cnicow, Johannes Warschaw, hannes behme, Katharina die Jacob Behemynne“ u. a.

"^ Bis vor Kurzem waren über das Vorkommen des Familiennamens von Coppernicus in den Krakauer Akten nur Nachrichten aus dem Ende des 14. Jahrhunderts aufgefunden. £rst durch den 4. Band der von der Krakauer Akademie herausgegebenen „Monumenta medü aevi historiea res gestas Poloniae illustrantia“ sind Dokumente bekannt geworden, welche bis an die Mitte des 14. Jahrhunderts hinanreichen. Jener Band umfasst die ältesten

DIE FAMILIE KOPPEBNIGK IN KRAKAU. 37

Zuerst wird ein Bade-Diener „Koppernic“ erwähnt, in dem liber proscriptionum et gravaminum (fol. 8) im Jahre 1367.*

In demselben Manuskripte [fol. 17) begegnet uns in einer Verhandlung des Jahres 1375 ein Waffenschmied „niczco Copp e r n i k a (niczco = Nicolaus) . **

Die letzte Erwähnung des Familiennamens von Coppernicus geschieht in Krakauer Akten des 14. Jahrhunderts gegen Ende desselben. Zum Jahre 1395 wird in dem „Regestrum perceptorum et distributorum“ als Steinmetz „fractor lapidum“ ein „Niclos Koppirnig“ Aufgeführt.

Derselbe „Niclos Koppimig“ erhält im nächsten Jahre das Bürgerrecht zu Krakau. Die Acta comularia führen ihn (fol. 489] unter den „Concives de anno XCVI“ auf.*** Der ganze Vermerk lautet:

Stadtbüoher von Krakaa. 1) Liber actoram, resignationum nee non ordinationum civitatis Cracoviae 1300-1375. 2) Liber proscriptionum et gravaminum ab anno 1362 ad annum 1400. 3} Acta consularia ab anno 1392 ad annum 1.400. 4) Regesta perceptorum et distributorum annomm 1390-1393, 1395 1405, nee non 1407-1409.

  • „Eodemanno Koppernic lixa in balneo lictoris proscriptus pro volnero camp, ex parte petri servi hesse enltelli fabri.“
  • ♦ Henricus borer de Ticzczin thoracifex pellifex etniczkoCoppernik

thoracifex licentiati autem ad annum et diem de civitate die Deeollationis beati Johannis baptiste propter multas insolencias commissas per ipsos in Mathia familiari domini Niezconis Wirzingü.“

      • Das mit dem Namen „Acta consularia“ bezeichnete Krakauer Stadtbuch

enthält verschiedenartige Einzeichnungen (der fUr die Sammlung derartiger Einzeichnungen gebräuchliche Name „Inscriptiones“ befindet sich auch als älterer Titel auf dem Manuskripte). Es sind in dasselbe namentlich Akte freiwilliger Grerichtsbarkeit eingetragen : Anerkenntnisse von Schulden, Zahhingsvorsprechon , Klagen und Appellationen von den Schöppen-Urtheilen, Testamente, Testamententsagungen und dgl. Diese Privatverträge erhielten durch die Einzeichnung amtlichen Glauben, und ersetzten die notarielle Beurkundung. Ausserdem sind in dem Manuskripte auch die Rathsschlüsse verzeichnet, femer die Namen der jährlich gewählten Gewerks-Aelterleute („seniores mechanicorum“ oder „magistri“ genannt) . Sämmtliche Eintragungen sind nur in lateinischer oder deutscher Sprache geschrieben.

Auf den letzten Blättern des ganzen Bandes sind nur die Namen der neu aufgenommenen Stadtbtirger verzeichnet. Dort ist (S. 489) als der achte der im Jahre 1396 aufgenommenen „concives“ „Nicolaus Coppirnig“ mit dem im Texte mitgetheilten Vermerke aufgeführt.

38 DIE FAMILIE KOPPEBNIGK IN KBAKAU.

„Ni'clofl Koppirnig h. i. Dambraw f. p. 1.“ d. i. Niclos Koppirnig habet ins (civitatis), Dambraw fideinssit pro litera (nativitatis).*

Ausser dieser Notiz über seine Aufnahme unter die Bürger Krakaus geschieht des Niklas Koppirnig in keinem Krakauer Schriftstücke weiter Erwähnung**. Auch sonst begegnen wir wäh

Das Verdienst, die bez. Stelle aufgefunden zu haben, hat Adrian Krzyianowski. Dieselbe blieb lange Zeit hindurch der einzige Vermerk, in welchem ein Träger des Familiennamens von Coppernicus in Krakauer Archivalien ermittelt worden war. In seiner Freude über den Fund, welcher Krakau als älteste Heimat der Familie von Coppernicus zu beweisen schien, Hess Krzyzanowski sich über jene Ermittelung amtliche Atteste ausstellen und veröffentlichte seinen Fund in der Biblioteka Warszawska (ÜI, p. 30), ohne 6in genaues Citat anzugeben. Ich hatte die bez. Stelle deshalb bei einem Besuche Krakau's, welcher noch andern Forschungen bestimmt war, und zu dem die Zeit mir kurz bemessen wurde, nicht wieder auffinden können.

Als ich Details hierüber veröffentlichte, hat sich der oben (S. 21) erwähnte Anonymus veranlasst gesehen, masslose Angriffe und verdächtigende Unterstellungen zu machen, die an anderer Stelle des vorliegenden Werkes ihre Abfertigung finden sollen. Hier liegt mir bei der ersten Erwähnung dieser Polemik, dem bereits verstorbenen Krzyianowski gegenüber, die Verpflichtung ob, zu erklären, dass ich ihn nirgend einer „Fälschung“ oder gar „des Betruges“ beschuldigt habe.

  • Zur Erläuterung des im Texte aufgeführten Vermerkes „fideiussit pro

litera“ muss auf den damaligen Brauch hingewiesen werden, wonach bei der Aufnahme in die Stadtgemeinde eine Bescheinigung über eheliche Abstammui^ von freien Eltern beigebracht werden musste. Wer einen solchen Nachweis von der Obrigkeit der Heimat, bez. des frühern Wohnorts, nicht gleich vorzulegen im Stande war, der musste dem Rathe der Stadt, in deren Bürgerrecht er einzutreten wünschte, einen angesehenen Bürger als Eideshelfer präsentiren.

Für Nicolaus Coppimig leistete die erforderliche Bürgschaft Nicolaus Dambraw, welcher als „advocatus“ (seit 1384] und „consul civitatis CracovienBi„< (seit 1391) in dem Krakauer Rathsbuche aufgeführt wird.

    • Durch ein Lemberger Dokument ist konstatirt, dass ein Zweig der

Familie Koppernigk auf der Krakauer Vorstadt Kleparz im Anfange des 15. Jahrhunderts ansässig gewesen ist. Vielleicht hat der 1396 unter die Krakauer Bürger aufgenommene „Nicolaus Koppirnig“ dort gewohnt. Zu einem Sohne desselben machen die polnischen Schriftsteller einen Seiler gleichen Namens , welcher im Jahre 1 439 aus jener Vorstadt Krakaus nach Lemberg eingewandert ist und das Bürgerrecht daselbst erhielt. Der betreffende Vermerk findet sich in dem mit No. 1166 bezeichneten Manuskripte des Lemberger Stadtarchivs :

DIE FAMILIE KOPPERNIGK IN KRAKAU. 39

rend eines Yollen Menschenalters dem Familiennamen von Coppernicus in keiner Verhandlang der Stadt- oder Gerichtsbücher zu Krakan."^

Erst in dem zweiten Bande der Acta consularia (welcher von 1422 - 1449 reicht), finden wir einige Dokumente, in denen ein „Johannes Koppernick“ aufgeführt wird. Wir ersehen daraus, dass derselbe in dem dritten Decennium des 15. Jahrhunderts als

„Nicolas Koppernik Zayler cum literis bonis de Clopars acceptavit iuB civile.“

Diese Notiz war Bchon seit längerer Zeit bekannt. Kaminski hatte sie in der von ihm herausgegebenen Zeitschrift „Rozmaito^ci Lwowskie“ im Jahre 1S43 yerüffentlicht und dann Krzyianowski in seiner 1844 erschienenen „Spomnienie jubileuszowe Mikoiaja Kopernika“ (p. 10) wieder abgedruckt. Ich habe den Vermerk jedoch, als zu unwesentlich für die Familienverhältnisse von Coppernicus, in meine einschlägigen früheren Monographien nicht aufgenommen. Dieses Schweigen ist namentlich von dem mehrgenannten Anonymus R*** als tendenziös bezeichnet worden. „D' Prowe - sagt derselbe - ignorirt die Nachricht vollständig. Dürften wir fragen warum?“ Die Antwort ist bereits gegeben. loh schliesse daran aber noch eine weitere Bemerkung, um darzuthun, wie wenig das Verschweigen der kleinen Notiz einer tendenziösen Absicht entsprungen sein kann. Lemberg war, wie be^ reits oben (S. 16) angegeben ist, im 14. und 15. Jahrhunderte eine fast ganz deutsche Stadt, Mittelpunkt und Vorort der galizischen deutschen Städte. Schon Böpell, in seiner Schrift „die Verbreitung des Magdeburger Stadtrechts“, hat darauf hingewiesen, wie die Namen in den Listen über die Aufnahme der Bürger, die Steuerrollen und die Verzeichnisse der Bathsherm es bekunden, dass der grösste Theil der Bewohner Lembergs damals deutsch gewesen ist.

  • Ein Zweig der schlesischen Koppimiks scheint dem ursprünglichen

Hüttenbetriebe treu geblieben zu sein. In dem Bergwerks-Distrikte 01k usz, in der einstigen Woiwodschaft Krakau hat im Anfange des 15. Jahrhunderts ein „Peter Koppirnik“ gelebt. Adr. Krzyfanowski (Dawna Polska I, 133) hat aus dem Begestrum Scabinorum Suppae (Olcussianae) zwei Verhandlungen mitgetheilt, in denen derselbe aufgeführt ist. Sie gehören beide dem Jahre 1409 an:

1 ) „ludicium celebratum feria tertia proxima post festum Epiphaniae anno 1400. Petrus Koppirnik tenetur penam ad instantiam Petri de Szczakowa quod non paruit primo termino.“

2) „Item acta iudicü celebrati feria tertia post Dominicam Quasimodogeniti de anno MGCCC nono Item Petrus Kopernik promisit ad festum Sancti Stanislai proxime venturum solvere suam delationem XI centenariorum (i. e. plumbi) Johann! figulo.“

40 DIE FAMILIE KOPPEKKIGK IN KR AK AU.

Kaufherr zu Krakau in ausgebreiteten Geschäfts -Verbindungen lebte ; er hatte namentlich mannigfache Beziehungen zu Schlesien, der alten Heimat des Geschlechts.

In der ersten Verhandlung, d. d. „fer. 2. ante Mariae Magdarlenae“ des Jahres 1433 bekundet ein „Petrus Gleywitz de Sosnow nobilis residens in Eralticzi<, dass Johannes Koppernik ihm im Auftrage eines Geschäftsfreundes zu Breslau, Johannes Bank, eine Summe Geldes ausgezahlt habe."^

In einem zweiten Schriftstücke, d. d. „fer. sexta ante Viti“ des Jahres 1434 stellt Johannes Coppernik Procura-VoUmacht für seinen Mitbürger Johannes Sweidnitzer aus;** er bevollmächtigt

  • Die Verhandlung ist zuerst im Pami^tnik Rrakowski im Jahre 1866

durch Th. LuszczyÄski veröffentlicht worden. Sie lautet:

„Anno domini 1433 feria 7 ante Mariae Magdalenao Petrus Gleywits de Sosnow nobilis residens in Eralticz recognovit, quod Joannes Koppernik familiaris Joannis Bank de Wratislavia nomine eiusdem domini sui expedivit et persolvit ei ÜB marcas 17 gr. boemicalis monetae et dimisit idem Petrus dictum Joannem Bank pro eisdem debitis quietum in perpetuum et solutum.“

Der „Petrus Gleywitz“ weist ebenfalls auf die schlesische Heimat der Koppimiks hin; Gleiwitz ist ein Städtchen in Oberschlesien (in dem Regierungsbezirke Oppeln gelegen^. - Ein „Burghart von Gleywitz“ stand in näherer Verbindung mit den Krakauer Familien Sweidnitzer und Koppimik. Er wird in einer Verhandlung der Krakauer Acta consularia aus dem Jahre 1458 als Vormund der Kinder von Johannes Sweidnitzer aufgeführt.

    • Der in naher Geschäftsverbindung mit Johannes Koppirnick stehende Johannes Swcidnitzer war ein wohlhabender Krakauer Kaufmann.

Er ist später nach Thorn übergesiedelt, wie eine Vorhandlung der Krakauer Acta consularia vom Jahre 1447 bekundet: „Her Johannes sweidnitzer bttrger von Thorun vor uns sitzenden vnd ouch in foller samminnge der alten Herren Ratmannen hat Herrn Nicolaum zey frieden als von der bürgschafft wegen . . . . , frey queit gelassen“ etc. Aus zwei andern Verhandlungen aus den Jahren 1457 und 1458 erhellt, dass Joh. Sweidnitzer dort zehn Jahre später gestorben ist. Vor dem Rathe zu Krakau findet die Auseinandersetzung der Erben statt, worüber eine Reihe von Verhandlungen in dem Krakauer Stadtbuche verzeichnet sind. Unter ihnen tritt besonders ein Sohn „Jorge Sweidnitzer von Thorun“ hervor. Dieser wird auch in andern Krakauer Dokumenten in Bezug auf Geldangelegenheiten vielfach erwähnt. Ebenso wird er in dem Thorner Schöppenbuche in vielen Verhandlungen aufgeführt. Er wohnte in Thorn in der Seglergasse und war unmittelbarer Nachbar des Grossvaters von Coppernicus, Lucas Watzelrode.

DIE FAMILIE KOPPERNIGK IN KKAKAU. 41

diesen, Geschäfte jeglicher Art, im In- und Auslände, für ihn abzumachen. "^

Unmittelbar darauf finden wir in demselben Manuskripte eine Verhandlung eingetragen, in welcher „Wenczil Rechil“ aus Breslau die Erklärung abgiebt, dass er den Herren „Johann Sweidniczer“ und „Johann Coppernik“ Vollmacht zur Einziehung seiner Schulden im In- und Auslande ertheilt habe.**

Eine Eintragung in die Acta consularia zum Jahre 143S bekundet, dass „Johannes Copernik“ auf sein Krakauer Bürgerrecht Verzicht leiste. Motive sind nicht angegeben.***

In einem drei Jahre später eingetragenen Dokumente begegnet uns zum letzten Male der Name von Johannes Koppernik in den Krakauer Akten. Derselbe übernimmt mit Johannes Teschner die Bürgschaft für eine Schuld von 600 ungarischen Goldgulden, welche ein Krakauer Bürger, Peter Bastgerth, sich verpflichtet hat, zu einem bestimmten Termine an den Krakauer Unterkämmerer, Peter Schaffranicz, zu zahlen. f

  • Die im Texte angeführte Verhandlung ist durch Ambr. Grabowski in

den Röczniki Towarz. Nauk. Krakowsk. im Jahre 1850 zuerst veröffentlicht worden. Sie lautet:

„Johannes Copperniok constituit dominum Johannem Sweidnitzer ad omnes causas et debita quaelibet tarn intus quam extra Regnum ad faciendum et dimittendum omnia ea ac si ipse constituens ibi praesens esset cum potestate substituendi alium.“

♦* Acta consularia p. 331 : „>Wenczil Rechil de Wratislavia constituit dominos Johannem Sweidniczer et Johannem Coppernik quemlibet eorum seorsum ad omnia debita sua emonenda *tam intra quam extra Regnum cum potestate substituendi.“

      • Der einfache Vermerk lautet: „Johannes Copernik resignavit

concivium fer 2. post Francisci“. Er ist veröffentlicht durch Grabowski in seiner „Skarbniczka naszej archeologü“ p. 191.

f Acta consularia p. 440: Anno domini 1441 exspirante feria 5 diei Sanctorum Innocentium Dominus Joannes Teschner et Johannes Coppirnig

42 DIE AHNEN. VATER UND MUTTER ETC.

Der Ruhmesglanz, welcher das Haupt des Genius umstrahlt, hat stets den Reiz erzeugt, die Einzelheiten seines äussern Lebens zu erkunden. Aber auch auf das Geschlecht, dem ein grosser Mann entsprossen ist, haben sich die Forschungen der Nachlebenden erstreckt. Der Sinn, der in der Familie waltet, und der auch in scheinbaren Aeusserlichkeiten sichtbar wird, die Sesshaftigkeit oder der Wandertrieb, der in den Ahnen eines Geschlechts hervortritt, sie sind eben so, wie Wohlstand oder Dürftigkeit der äussern Verhältnisse, wohl im Stande, in dem aufstrebenden jugendlichen Geiste Keime zu wecken oder zu unterdrücken.

Mürrische Abgeneigtheit gegen historische Forschung hat sich nicht gescheut, derartigen Untersuchungen über die Vorfahren eines grossen Mannes jede tiefere Bedeutung abzusprechen. So hat man den Goethe-Kultus der Mikrologie bezüchtigt, welcher sich unterfangen habe, zu ermitteln, dass der Urgrossvater Hufschmied gewesen sei, der Gross vater das Schneider-Handwerk getrieben. In ähnlicher Weise wird man vielleicht auch die archivalischen Forschungen über die Familie von Coppernicus bemängeln, indem es doch sehr gleichgültig sei, ob dessen Ahnen schlesische Kupfergräber oder Krakau-Thorner Kupferhändler gewesen seien.

Es wäre sicher ungeeignet, zur Abwehr solcher verdrossenen Aeusserungen eine Vertheidigung zu versuchen. Aber ein Anderes ist hier hervorzuheben. Bei den Untersuchungen über die Abstammung von Coppernicus ist der obige Gesichtspunkt nicht allein massgebend gewesen. Der Streit über die Nationalität desselben hat in den letzten Jahrzehnten, von deutscher wie polnischer Seite, einen regen Forschungseifer geweckt. Die Resultate sind aber zum Theil in Monographien und wenig verbreiteten Zeitschriften veröfifentlicht worden. Für eine Biographie, die in weiterem Rahmen angelegt ist und einen gewissen Abschluss erstrebt,

(ideiussorunt pro petro Bastgerth concive nostro ad solvondum sexingentos florenos ungaricos in auro Magnifico Domino Petro Schaffranicz Subcamerario Cracoviensi.

DIE FAMILIE KOPPERNIGK IM 14. U. 15. JAHRHUNDERT. 43

schien es deshalb durchaus erforderlich, die zerstreut veröffentlichten Ermittelungen geordnet zusammenzustellen.

Die vorstehenden Bemerkungen gelten auch für die folgenden Abschnitte. Es giebt für eine Biographie kein allgemeines Vorbild. Durch den vorhandenen Stoff, durch die etwaigen Vorarbeiten und anderweite Httlfsmittel, wird der Zuschnitt des Gewandes bestimmt, mit welchem das Bild des Helden zu umkleiden ist.

Schliesslich muss noch ausdrücklich bemerkt werden, dass wir bei dem Mangel aller Nachrichten hierüber nicht im Stande sind anzugeben, ob und in welcher nähern Verwandtschaft zu Coppernicus diejenigen Bewohner von Thorn und Krakau stehen, welche in dortigen Urkunden am Ende des 14. und zu Anfang des 15. Jahrhunderts unter seinem Familiennamen aufgeführt werden.* Gegenüber der bisherigen Dürftigkeit urkundlicher Nachrichten über die Heimat und Abstammung der Familie Koppernigk, wie über ihre Einwanderung und Verbreitung im Weichsellande, ist es immerhin schon als wesentlicher Fortschritt zu bezeichnen, dass wir gegenwärtig eine Reihe von Urkunden aufweisen können,

  • Unbefugter Weise hat man sich erlaubt, sowohl von deutscher als polnischer Seite bestimmte Persönlichkeiten zu Ahnen von Coppernicus zu

stempeln. So hat Thorner Lokalpatriotismus ohne irgend eine urkundliche Berechtigung den S. 34 erwähnten „vigil turris Culmensis“ zum Grossvater von Coppernicus gemacht. Andererseits hat in derselben leichtfertigen Weise Erzy^nowski den Krakauer „fractor lapidum Niclos Koppiraig“ zum Grossvater gestempelt. (Bibl. Warsz. 1S41 p. 30 Spomnienie etc. p. S.)

Während man die Thorner Behauptungen über den vermeintlichen Grossvater von Coppernicus mit Recht unbeachtet gelassen hat, sind jedoch Rrzyzanowski's Angaben, ungeachtet sie zur Zeit jedes urkundlichen Anhalts entbehren, gläubig aufgenommen und weiter verbreitet worden. Man vermeinte die behauptete polnische Nationalität von Coppernicus dadurch sicherer zu stellen. Namentlich durch Czynski's weit verbreitetes Werk „Kopernik et ses travaux“ fp. 25) ist diese Mythe in viele andere Bücher übergegangen. Die Franzosen sind durch Czynski, welcher allerdings in ganz apodiktischem Tone gesprochen hatte, vollständig beeinflusst worden. Bo erklärt z. B. Arago in seiner Biographie von Coppernicus (Oeuvres ÜI, 174) : „£n point de fait, la filiation jadis obscure de Copernic, est depuis quelque temps parfaitement ^laircie. Le grand-p^re de l'auteur des R^volutions Celestes n6 en Boheme alla s'^tablir a Craoovie.“

44 DIE AHNEN. VATER UND MÜTTER ETC.

in denen Mitglieder der Familie von CoppernieuR Erwähnung finden, die uns sogar über den Stand und die Vermögensverhältnisse derselben Auskunft versebaflFen. Vielleicht gelingt es späterer Forschung auf Grund der Zusammenstellung dieser, bis jetzt noch unverbundenen , nackten Notizen Über die etwaigen ^verwandtschaftlichen Beziehungen der in ihnen aufgeführten Personen einiges Licht zu verbreiten.*

D. Niklas Koppernigk der Vater.[recensere]

Der Vater von Coppernicus war bis vor Kurzem ganz unbekannt/* Man wusste von ihm Nichts zu berichten, als dass er

  • Dass Niklas Koppernigk, der Vater von Coppernicus, aus Krakau um

die Mitte dos 15. Jahrhunderts nach Thorn eingewandert ist, steht urkundlich fest. Wenn es in gleicher Weise durch Urkunden belegt wäre, dass auch seine Eltern bereits dort gewohnt haben, dann dürfte die Annahme nicht ungerechtfertigt sein, dass sein Vater der Seite 39 erwähnte Johannes Koppernik gewesen ist. Es scheint dafür die gleiche kaufmännische Stellung, wie die gleichen geschäftlichen Beziehungen, zu sprechen. Ueberdies begegnen wir ausser ihm keinem Träger seines Familiennamens in den Krakauer Akten während der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts.

    • Obgleich Coppernicus angesehenen Familien Thoras angehörte, waren

wir über die Verhältnisse seiner nächsten Verwandten bis vor drei Jahrzehnten sehr wenig unterrichtet. Seine frühern Biographen wussten nichts weiter mit Sicherheit anzugeben, als dass sein Vater gleichfalls Nicolaus geheisson, seine Mutter dem Geschlechte der Watzelrode angehört habe, und sein Oheim Lucas Bischof von Ermeland gewesen sei ; sodann hatte sich noch ein dunkles Grerücht von einem Bruder Andreas erhalten.

Die Hauptschuld tragen die zunächst folgenden Geschlechter, welche, zufrieden mit dem Ruhme, den der Name des grossen Landsmannes, der ihnen unbestritten angehörte, auf die Vaterstadt warf, sich nicht aufgefordert fühlten, besondere Untersuchungen über die Vorfahren und nächsten Verwandten desselben anzustellen. Diese mussten natürlich immer schwieriger werden, je ferner im Laufe der Jahrhunderte die Zeit entrückte, in der Coppernicus gelebt hatte. Seit anderthalb Jahrhunderten ist überdies durch ein unglückliches Ereigniss, das Thorn betroffen, die vollständige Erledigung gewisser Punkte fast unmöglich geworden. Bei der Belagerung Thorns durch Karl XH. im Jahre 1703 brannte nämlich das Rathhaus nieder, und ein grosser Theil der darin aufbewahrten öffentlichen Dokumente wurde ein Raub der Flammen. So verbrannten die Acta consularia, welche seit

NIKLAS KOPPBfiNIQK DER VAT£R. 45

den Taufnamen Nicolaus geführt (die Form des Familiennamenß kannte man nicht) und dass er aus Krakau nach Thorn eingewandert sei. lieber seinen Stand waren die unrichtigsten Angaben in die Welt gesandt worden. Die Einen hielten ihn für einen kleinen ländlichen Besitzer; bald sollte er ein westphälischer, bald ein polnischer Bauer gewesen sein. Andere wiesen ihm ein städtisches Gewerbe zu, gingen aber in der Bestimmung desselben wieder

1345 geführt waren; ferner die BUrgerbücher, das Kürbach und viele andere für die innere und äussere (^escbichte der Stadt wichtige Dokumente. Nur die Grerichtsbücher sind dem Brande zum grossen Theil glücklich entgangen, und diese bilden die ergiebigste Quelle für die Ermittelung der Verhältnisse der Familien, denen Coppernicus angehört. (Von dem Kürbuche waren Abschriften in den Händen einzelner Bürger, und der Verlust desselben ist sonach weniger zu bedauern. Dagegen haben sich nur sehr dürftige Notizen aus den Rathsprotokollen und den Bürgerbüchem erhalten.)

Auch in dem Krakauer und dem Danziger Archive sind einige wichtige Schriftstücke über Niklas Koppernigk neuerdings aufgefunden; sie werden in ihrem Wortlaute mitgetheilt werden. Ausser diesen Dokumenten - welche officiellen Aktenstücken entnommen sind - besitzt das Danziger Archiv noch eine fUr die Aufklärung der Familienverhältnisse von Coppernicus sehr schätzenswerthe Arbeit des Danziger Greschichtschreibers Stenzel Bornbach (“1530 4-1597). Der überaus fleissige Mann hat nämlich ausser andern wichtigen Sammlungen von historischen Materialien .ein Manuskript hinterlassen, welches er überschrieben hat : „Genealogiae, Stammregister und Abkünfte etzlicher vornehmer Geschlechter und Familien in der Königlichen Stadt Danzig“. Dieselben sind aus archivalischen Quellen (städtischen Akten und Familienpapieren) mit grosser Sorgfalt zusammengetragen. Auf S. 41 und 79 giebt er als „Contiüuatio Schachmannorum Genealogiae“ eine Stammtafel der Familie von Lucas Watzelrode, dem mütterlichen Grossvater von Coppernicus. Stenzel Borabach ist noch zu Lebzeiten von Coppernicus in einer Danziger Patrizierfamilie geboren, welche mit den Geschlechtem, denen jener entsprossen ist, verwandtschaftliche Beziehungen hatte. Dennoch ist es ihm, so detaillirte Mittheilungen er auch über die gesammte Nachkommenschaft von Lucas Watzelrode gegeben hat, nicht gelungen, überall die erforderlichen chronologischen Daten zu ermitteln. So hat er bei den Eltern und Geschwistem von Coppernicus die zur Aufnahme ihres Geburts- und Todesjahres offen gelassenen Lücken auch nachträglich nicht auszufüllen vermocht.

Durch die dankenswerthe Arbeit Bornbach's erhalten wir einen interessanten Eiublick in die weitverzweigte Verwandtschaft, welche die Koppernigk's mit den ersten Patrizierfamilien zu Danzig und Thorn verband, mit den Ferber, Giese, Krieger, Allen, Beutler u. a.

46 DI£ AHNEN. VATER UND MUTTER ETC.

aaseinander ; bald machte man ihn zu einem Schmiede oder Wundärzte, bald zu einem Bäcker oder Brauer/

  • Nachstehend biete ich einige Proben aus der reichen Masterkarte der

Hallucinationen über den Stand des Vaters von Coppernicus. Ich bin weit entfernt dabei irgend eine Vollständigkeit zu beanspruchen. Ich gebe die Citate nur als Belege, wie die bedeutendsten Autoritäten auf diesem Gebiete in ganz unkritischer Weise vorgegangen sind.

Gassendi, der erste Biograph des Coppernicus, wusste über dessen Vater nichts weiter mitzutheilen , als dass er, wie der Sohn, Nicolaus geheissen habe („patri ipsius nomen Nicolaus itidem fuit“ . Daher sagt auch mit ehrlichem Geständnisse Lichtenberg in seiner Biographie von Coppernicus (Verm. Schriften VI, S. 19): „Was dieser Mann sonst noch war, und waa i&r ein Geschäft er eigentlich betrieb, ist nicht bekannt.“ - Aus demselben Grunde übergehen femer Weidler (bist, astron. p. 342;, Gottsched in seiner GedSchtnissrede auf Coppernicus, Humboldt im Kosmos und viele Andere die Verhältnisse des Vaters ganz, da sie nur Unzuverlässiges bringen konnten.

Die meisten Späteren haben sich jedoch hierbei nicht berahigt, und die verschiedenartigsten Erfindungen als authentische Nachrichten über den Stand des Vaters gegeben. Es ist unmöglich nachzuweisen, auf welchen Irrwegen sich dieselben eingeschlichen haben, da sie sänuntlich jeder urkundlichen Grandlage entbehren. Ich begnüge mich daher mit ihrer Aufzählung, soweit sie mir bekannt geworden sind.

Die grOsste Verbreitung hat früher wohl die Tradition gefunden, dass Coppernicus der Sohn eines Bauern gewesen sei. Ich finde sie snerst erwähnt in einem Aufsatze der Berliner Monatsschrift von Biester (1792 Augustheft). Sodann hat dieselbe aufgenommen Lalande in seiner 1803 zu Paria erschienenen Bibliographie astronomique; er sagt dort „il ötait fils d'un paysan serf“ und giebt dazu das übereilte Citat: „Zemecke Chron. de Thorn“, während bei Zemecke kein Wort davon zu finden ist. Ohne Angabe der Quelle und mit Weglassung des Lalande'schen Citats folgt wahraeheinlieh seiner Angabe Delambre in der histoire de Tastronomie modeme I, p. S5.

Als durch diese Autoritäten die Tradition sich allgemeine Verbreitung verschafft hatte, entstand nur noch ein Streit Über die Nationalität des Mannes. Die Slaven machten ihn zum polnischen Bauern, während man ihn deutscherseits, wahrscheinlich wegen des niederdeutschen Klanges seines Namens, zum westphälischen Banem stempelte. Bei einzelnen Schriftstellern, die der Annahme folgten, des Coppernicus Vater sei Bauer gewesen, erhob sich nur das weitere Bedenken, ob der grosse Mann denn auch als Freier geboren sei. Um ihn nun aus dem Stande der Lieibeigenen an erretten, haben sie den Vater zu einem Adligen gemacht. ^Vgl. Arago Oeuvres ÜL p. 173.)

Eine andere vielverbreitete Tradition macht den Vater von Coppernicus zum Wundärzte; auch ihre erste Quelle ist in keiner Weise zu ermitteln. Ich habe sie zuerst erwähnt gefunden in Westphals I^ebensbeschreibung von

KIKLAS KOPPEUNIGK DER VATER. 47

Archivalische Forschungen haben dargelegt, wie anrichtig alle diese Angaben sind. Sie haben uns über den wirklichen Stand des Vaters informirt und auch über seine sonstigen Verhältnisse manche schätzenswerthe Aufklärung gegeben.

Niklas Koppernigk, der Vater von Coppernicus war Kaufmann, Grosshändler, zuerst in Krakau dann in Thorn.*

Coppernicus, aus der sie wahrscheinlich der Verfasser einer kleinen Biographie aufgenommen hat, die in der Zeitschrift für Kunst, Wissenschaft und Geschichte des Krieges (Jahrgang 1824, I, 319} abgedruckt ist. Auch Ghurtz ist ihr auffallenderweise gefolgt in seinem Aufsatze über Coppernicus in : Ersch und Gruber Allgem. Encyklopädie der Wissenschaften und Künste (XIX, S. 248). Ebenso sagt Littrow in einer Anmerkung zu der von ihm besorgten Uebersetznng der „Geschichte der inductiven Wissenschaften“ von Whewell (p. ^(93) der Vater von Coppernicus (den er Nicolaus KOpemik nennt) sei Wundarzt, und zwar in Krakau, gewesen. Auf diese Autoritäten hin wird die ganz unbegründete Tradition sicherlich in viele andere mir unbekannt gebliebene Schriften übergegangen sein.

In neueren Zeiten hat die ebenso ganz unbegründete Angabe, dass Niklas Koppernigk Bäcker gewesen sei, viele Anhänger gefunden. Wemicke erwähnt dieselbe in seiner Geschichte Thoins I, 276, aber nur als eine unverbürgte Tradition. Aus ihm hat sie Gzynski (a. a. 0. p. 26) - ohne jedoch seine Quelle zu nennen und als feststehende Thatsache - aufgenommen und macht den Vater von Nicolaus Coppernicus zu einem „boulanger de Gracovie“. Da Gzynski in so bestimmtem Tone gesprochen, hat er viele Gläubige nachgezogen; ich nenne unter ihnen Arago a. a. 0. 174 und Mädler in Westermann's Monatsheften IV, 378. Der letztere - auf historischem Gebiete allerdings vielfach unsichere - Gelehrte schwankt sogar noch 20 Jahre nach Veröffentlichung der archivalischen Dokumente seine irrigen Angaben surttckzunehmen (Mädler, Geschichte der Himmelskunde I, 146).

Einen gewissen Schein von Glaubwürdigkeit konnte eine vierte Erdichtung beanspruchen, die jedoch merkwürdigerweise keine weitere Verbreitung gefunden hat. Eine vereinzelt stehende Thorner Nachricht macht nämlich den Vater von Coppernicus zu einem „ f a b e r f e r r a r i u s “. Es befanden sich nämlich nach Ausweis des Schüppenbuches wirklich im 15. Jahrhunderte Schmiede -Werkstätten in den Eckhäusern, die dem Geburtshause von Coppernicus gegenüberliegen.

Noch isolirter ist die Angabe einiger Thorner Manuskripte geblieben, welchen zufolge Niklas Koppernigk Brauer gewesen sein sollte.

  • Zu den wappenberechtigten Geschlechtem haben die Koppernigk's nicht

gehört. Wenigstens hat sich weder in Krakau noch in Thorn eine Andeutung hierüber erhalten. An letzterem Orte wurden im Jahre 1603 „aus E.

48 DIE AHNEN. V^TEB UND MUTTES ETC.

Sein Geburtsjahr, wie Geburtsort, ist zur Zeit noch unbekannt.'^ Vielleicht ist er in Krakau geboren. Jedenfalls, hat er dort zuerst seinen Wohnsitz gehabt."** Dies wird belegt durch

Raths SchluBs dio Wappen der alten und annoch blühenden Familien im Lande und dieser Stadt zu St. Marien aufgehangen“. Im Jahre 1724 hing man dieBelben in den Korridoren des Rathhauses auf, woselbst sich über die HSlfte derselben noch gegenwärtig vorfindet. Die übrigen sind verloren gegangen, als das Rathhaus im Jahre 1812 durch die Franzosen zum Lazareth eingerichtet wurde. Ein vollständiges Verzeichniss derselben - soweit die Namen sich überhaupt auf den Tafeln befanden - hat Zemecke (Thorn. Chronik, 2 Aufl. S. 230) mitgetheilt. Ein Wappen der Koppernigk befindet sich nicht darunter. Durch Stenzel Bornbach (Genealogie etzlicher vomehpner Geschlechter etc. S. 49) kennen wir die Hausmarke, welche Niklas Koppernigk als Kaufmannszeichen angewandt hat:

-Ud

Nicolaus Coppernicus siegelte seine Briefe mit einem symbolischen Ringsiegel, den Musageten Apollo mit der Lyra darstellend. Eine Abbildung dieses kleinen Siegels findet man in den Beiträgen zur Kunde Preussens [Beiblatt zu Ü, 266).

Man ersieht übrigens auch aus dieser Untersuchung, dass die ehrsamen Krakau -Thorner Kupferhändler in keiner Beziehung zu den bühmisch-czechischen Dill-Junkern stehen, welche die slavischen Schriftsteller aufgespürt haben. Die von Palacky in der böhmischen Museumszeitschrift (1831 p. 435) und Jordans Jahrb. für slav. Litter. (1845, p. 20; aufgeführten adligen „Kopmik“ führten im Wappen eine menschliche Figur mit einem Beile in der Hünd.

  • Es musste ausdrücklich hervorgehoben werden , dass das Geburtsjahr

von Niklas Koppernigk zur Zeit noch unbekannt ist, weil Krzyfanowski bestimmte Angaben gemacht hat, welche in manche Bücher übergegangen sind. In der Bibliot. Warsz. 1841, p. 30 weiss er freilich erst nur, dass Niklas Koppernigk in Krakau geboren und erzogen ist; in der 1843 erschienenen Jubelschrift Spomnienie etc. dagegen sagt er schön, derselbe sei um das Jahr 1420 geboren; in Jordans Jahrbüchern für slavische Litteratur endlich lässt dieser unzuveriässige Autor auch die letzte Beschränkung schwinden und bezeichnet 1420 geradezu als das feststehende Geburtsjahr 4es Vaters von Coppernicus.

    • Die Bedenken , welche ich gegen die Einwandemng des Niklas Koppernigk aus Krakau in frühem Schriften erhoben hatte, waren hauptsächlich

hervorgerufen durch die falsche Jahresangabe (1462), welche der bis dahin einzige Gewährsmann für dio Herkunft aus Krakau beigebracht hatte (Zernecke, Thornische Chronica p. 76). Bei der nachgewiesenen üngenauigkeit des Chronisten in einem Haupttheile seiner Nachricht musste die ganze Notiz

^OKIjAS KOPPERNIQK der VATER. 49

ein Dokument ans dem Jahre 1448, welches das Danziger Archiv aufbewahrt. In demselben wird bekundet, dass „Niclos Koppernik von Groeaw“ eine Streitsache wegen „soesundachtendich mark vnd soestien sehet alse vor acht vnd dortich

Gzentener hart kopper“ geführt hat vor den „erbaren

Richter und Scheppen gehegetes dinges“ zu „Danczik im Jare nnses herm dusenth CCCC und XLVÜI am sonnavende vor den hilgen pinxten“."^

vorläufig in Zweifel gezogen werden, so lange bis sieb urkundliche Belege dafür auffinden Hessen.

  • Die in vieler Bezi^nng interessante Urkunde ist aus dem Missivomm

über IV des Danziger Stadtarchivs bereits durch Hipler (Spicilegium Copernicanum p. 295) veröffentlicht worden. Sie lautet:

Ad universos Scabinorum tostimonium.

Wy borgermeister etc. , begeren witliken to siende, dat vor uns in sittendem Rade sint ersehenen de erbaren Richter und Scheppen gehegtes dinges unserer Stat, br3rngende mit sick etlike geschriflicke gethuchniss ut erem boke, dat eyne im jare unses herm MCCCC und XL VÜ im dingesdage na Cantate, darinne gescreven ludende von worden tho werde, alse hirna volgeth in Schriften : Claus Borsewitz heft mit ordel und mit rechte afgewonnen Niclos Koppernik von Crocaw soesundachtendich mark und soestien schot, alse vor acht und dortich czentener hart kopper. Item de ander ge. thuchnisse im jar unses herm MCCCC und XLVÜI dat eyne am manedage, dat andre am donresdage vor pinxten, darinne gescreven ludende von worden to worde, alse hima volget: Bemt Pynning heft mit synen upgerichten vingem stavedes eydes thon hilgen swerende betuget, dat de acht und dortich centener hart copper, de he von Niclos Koppernik entphengen, welk copper Claus Borsewitz an den vorbenannten Nicclos Koppernik gesant hadde, dar de vorschrevene Bemt Peter von der Netczen schulde medebetalt hefft, das en Johann Dasse angewiset hadde, alse by namen Herten von Varen und Hynric Matiessen van Campen, den Peter van der Netczen schuldig was von Amsterdamschen laken, wente de vorscrevene Merten und Hynrik wolden Johann Daszen kom bekümmern, dat Peter vorbenannten von Thorn hirafsende und den sulven vorscreven thwen personen, alse Merten und Hynrik, betalde de vorschrevenen Berat Pynning van des vorschrevenen Peters wegen und van Johann Dassen geheyte veerandachtendich mark and Johann Dassen sulven gegeven andirhalve mark. Dith vorschrevene kopper hefft Claus Borsewitz dem vorbenannten Niclos Koppernik hirwedder mit rechte afgewunnen na utwyzunghe der Scheppenboke und alzo hima volgeth in Schriften. Vorth so hefft de vorschreven Niclos Koppernik Berat Pynninge vorbenuropt syn gelt inbeholden, alse sevenundachtendich mark I. 4

50 NIKLA8 KOPPBBNIOK DER VATEB.

Ein zweites Dokument aus dem Jahre 1454, welehes gleichfalls in dem Danziger Archive aufgefunden ist, lässt wohl mit Sicherheit darauf schliessen, dass Niklas Koppernigk auch damals noch zu Krakau ansässig gewesen ist.* Dieses Schriftstttck hat ein allgemeineres Interesse. „ Burgemeister und Radmanne der Stadt Danczik“ bekunden in demselben, dass sie an Niklas Koppernigk eine Abschlagszahlung auf die 1000 ungarischen Gulden übergeben haben, welche die zum Abfall vom Orden ver

mynne achte schott van xles yorscrevenen koppers wegen, dar Johann Dasse den vorbenannten Bemt hadde lavet schadelos van tho holden mit eyner betalunghe qnidt to weaende, welk kopper de vorschrevene Bemdt dem vorbenannten Niclos Koppernik nach eyns betalen muste, alse he dat mit synem eede , alse vorberoret is , hefft beholden , und nmme dess ander betalinge willen hadde Bemt Pynnink des vorschrevenen Johann Daasen gndere mit rechte under Johann Strickborghe bekommerth und Johann Dasse moste den vorbenometen Bemth von des andern betalinge alse sevenundachtendich mark mjn achte schot wedder gelden und betalen. Jakob Falke hefft myt synen upgerichten fingeren stavedes eedes ten hilgen geswaren und betuget, dat em Peter van der Netze over thwen Jaren twe tonnen beer vor dordehalven mark affgekofft hefft, darvan he Schipper Hinrik Schutow ejrne und schipper Clcys Maes eyne alse to Kole bere gaff, de he em nach schuldich und nicht betalet hefft. Also dit van Richter and Scheppen gehegetes dinges vorbenannt vor uns getuget und bekannt is, also tugen und bekennen wy dat vortan von allen und isliken, dar id noth und behuff doen werth in und mit dissem unsem breve, de in gethuchnisse der warheit der vorscrevenen sake mit unser Stat Danczik Secret, torugge hir upgedruckt, is vorsegelt. Im jare unses herm dusenth CCCC und XL VÜI am sonnavende vor den hilgen pinxten.

  • Nachstehend gebe ich den Wortlaut des im Texte bezeichneten Dokur

ments, welches gleichfalls von Hipler (Spie. Cop. p. 371) zuerst ver(Mfentlicht worden ist. Es ist dem 5. Bande der Danziger „Missiven* p. 25 entnommen:

Wir Burgemeister und Radmannen der Stat Danczik Thun kondt unde bekennen offenbar mit diesem vnserm brive vor allen, die en zeen adir hören lesen, das wir Niclas Koppernick, diesem beweiser, miC vngersche vff die heile summe als vff die M ungersche gülden, die man herm Johann sweydenitzer, Bartholomeo gradentcz und Stanislao gorteler von der bnrgeschaft wegen, die sie kegen dem allererwirdigsten in gote vater und herm herm (Zbigniew 01e6nicki) cardinal zcu Krocow etc. zcn lande und stete dieses landes Prassen behuff gethan haben, schuldig ist, zcu der vorbenannten dren Personen alle behuf van der genannten lande und stete disses landes Prassen wegen vsgerichtt vnd beczalet haben. In orkunt der worheit der vorscrevenen Sache etc. Act. am obende assumpcionis marie. [1454].

NIKLAS KOPPBBNIGK DER VATER. 51

bttndeten „Land vnd stete disses Landes Preussen“ dem KardinalBisehofe von Krakau Zbygniew Olesnicki gewährleistet hatten/

Beide - jüngst erst aufgefundene - Dokumente legen Zeugniss ab für den grossen Umfang des Geschäfts, wie für die angesehene Stellung, die Niklas Koppernigk zu Krakau eingenommen. Ebenso geht aus ihnen hervor, dass derselbe vielfach in geschäftlichen Beziehungen zu dem Lande Preussen gestanden, noch ehe er dorthin seinen Wohnsitz verlegte. Durch diese kaufmännischen Verbindungen wird es auch leichter erklärlich, dass Niklas Koppernigk in schwerer Kriegszeit nach Preussen einwanderte, Krakau verlassend, welches weitab lag von dem damaligen Kriegsgetttmmel.

Welche besondem Gründe dazu mitwirkten, dass Niklas Koppernigk sein Geschäft aus Polens Hauptstadt verlegte, ist uns nicht überliefert. Ebensowenig lässt sich das Jahr genau bestimmen, in welchem er in Thorn eingewandert ist. Lange Zeit hindurch hat man - auf des Thorner Chronisten Zemecke Autorität - irrthümlich das Jahr 1462 angegeben. Als das Thorner Schöppenbuch einer genaueren Durchforschung unterworfen wurde, mussten sofort die stärksten Bedenken gegen diese Jahres

  • Das Konsortium, welches für die Zwecke des preussischen Bundes die

Zahlung von 1000 Goldgulden an den Kardinal Zbygniew Oleinicki gewährleistet hatte, bestand aus den Kaufmannshäusem Johann Sweidnitzcr, Bartholomaens Gradentz und Stanislaus Gorteler. Der Erstere hatte damals bereits den Sitz seines Geschäfts nach Thorn verlegt; wo die beiden andern lebten, ist mir zur Zeit unbekannt. Niklas Koppernigk aber, der Vermittler des Geschäfts und Ueberbringer der ersten Ratenzahlung an den Patron der Verbündeten am polnischen Hofe, wird damals zweifelsohne noch zu Krakau selbst gewohnt haben ; die vertraulichen Beziehungen der preussischen Verbündeten zu den polnischen Grossen konnten füglich nur durch Unterhändler, die in Krakau selbst domicilirten, unterhalten werden.

Dass Zbigniew Oleinicki voranstand in der Unterstützung der Verbündeten hat schon Joh. Voigt aus Ordensquellen nachgewiesen (Prenss. Gesch. VÜI, 273, 295). Er war es auch, der den schwankenden KOnig vorzugsweise bestimmte, die Schutzherrschaft über Preussen anzunehmen. Voigt

a. a. 0. VÜI, 344.

4*

52 NIKLAS KOPPERNIOK DER VATER.

Angabe erhoben werden.* Gegenwärtig wissen wir durch eine zu Krakau selbst aufgefundene Urkunde, dass Niklas Koppernigk miadestens schon seit dem Anfange des Jahres 1458 Biliar zu Thorn gewesen ist.**

Niklas Koppernigk hatte bereits die reiferen Mannesjahre erreicht, als er von der Königsstadt Polens nach der durch Familien-, wie Geschäfts- Verbindungen befreundeten Schwesterstadt an der Weichsel übersiedelte.*** Allein noch war er unbeweibt.

  • Den Bedenken gegen eine so späte Einwanderung des Niklas Koppernigk in Thorn, wie sie auf Zemecke's Autorität allgemein angenommen war,

hatte ich in einer frühem Schrift Ausdruck gegeben. Die Moüvirnng zu wiederholen ist gegenwärtig überflüssig. Eine Verhandlung aus dem Jahre 1459 hatte besondere Beweiskraft. Es erschien im Anfange des bez. Jahres Niklas Koppernigk als Bevollmächtigter eines Danziger Geschäftsfreundes vor dem Thorner Schöppengerichte , um eine Klage wegen einer Schuldforderung desselben anzustellen. Nun wäre es doch sehr auffallend gewesen, wenn ein Danziger Kaufmann die Vollmacht zur Klage gegen einen Tboraer Kaufmann vor dem Thorner Gerichte einem Krakauer übergeben haben würde. Ueberdies fehlt in dieser, wie in allen übrigen Verhandlungen, in denen Niklas Koppernigk vorkommt, der Zusatz „aus Krakau“, welcher nicht weggelassen wäre, wenn derselbe als Auswärtiger vor dem Thorner Gerichte erschienen wäre.

    • Durch Polkowski (^ywot Mik. Koperaika p. 65) ist eine Verhandlung

ans dem Jahre 1458 verüifentlicht worden, in welcher „Niclas Kopernig mitburger von Thorun“ genannt wird. Sie ist dem Krakauer SchOppenbuche (No. 1106 p. 337) entnommen und lautet:

Niclas Kopernig mitburger von Thorun in foller genuglicher Macht vor gehegtim Dinge czu Dantzke gemechtiget von den vormonden der unmondigen Kyndem etwen Peter Bemen mitburgers von Dantzk und seyner gelossenen Witwen, welche macht her von uns beweiste dy do lawte obir Johannem Wirsing unsirn Mitbmder bot in craft der obgenanten macht bekant, wy das im der egenante Hannes Wirszing genug gethan hat umbe fonfczig marg preuschisch gelt von des obgenanten Petir Bemen kynder wegen, und ouch von seynen wegen saginde in dovon frey queit los und ledig of ewige tage, globinde dass Hannes Wirszing von den egenanten vormonden und den unmondigen Peter Bemen Kyndem und seinen nesten nymer mere sol angesprochen werden geistlich noch Weltlich.“

      • Da Niklas Koppernigk bereits im Anfange des Jahres 1448 an der

Spitze eines ausgebreiteten Geschäfts gestanden (das er überdies nicht ererbt, sondem selbst begründet zu haben scheint), so musste er, wenn seine Einwanderung nach Thorn zwischen 1455 und 1458 stattgefunden hat, damals doch sicherlich schon die Mitte der dreissiger Jahre erreicht haben.

NIKLAS KOPPBRNIGK DER VATER. 53

Erst ZU Thorn schloss er ein Ehebündniss. Es geschah nicht lange nach seiner Einwanderung, dass er in eine alte Thorner Familie aufgenommen ward, indem er Barbara Watzelrode als Gattin heimführte, deren Vater, einer der wohlhabendsten und angesehensten Kaufherrn seiner Vaterstadt, damals den Vorsitz bei dem Altstädtischen Gerichte als sog. Schöppenmeister führte. Das Jahr seiner Verheiratung ist zur Zeit noch unbekannt."^

Auch zu den Ehrenämtern in der Gemeinde ward Niklas Koppernigk in Thorn früher berufen, als es sonst bei Einzoglingen zu geschehen pflegte. Im Jahre 1465 wurde er in den Schoppenstuhl der Altstadt gewählt, als ihm durch den Tod seines Schwiegervaters der Zutritt zu diesem Ehrenamte gestattet war ; man hielt nämlich schon damals im Allgemeinen den Grundsatz fest, dass nahe Verwandte weder im Rathe noch im Schöppenstuhle zusammen sitzen durften."^* Dieser Umstand hat dem Niklas Koppernigk auch den Eintritt in den Rath verschlossen, da sein Schwager Tilman von Allen während der ganzen Zeit seines Thorner Lebens Mitglied des Käthes war. Neunzehn Jahre hindurch ist Niklas Koppernigk Mitglied des Schöppengerichts der Altstadt Thorn gewesen. Sein Tod erfolgte im Jahre 1483.***

  • Für die Verheiratung von Niklas Koppernigk können wir nur eine

Jahresgrenze sicher bestimmen. Aus dem Erbvergleiche, in welchem sich die Mutter seiner Gattin nach dem Tode ihres Mannes mit den Kindern auseinandersetzte, ersehen wir, dass Niklas Koppernigk bereits im Frühjahre 1464 verheiratet war (d. i. also mindestens schon 11 Jahre vor der Grebnrt seines jüngsten Sohnes Nicolaus).

    • Es finden sich in früherer Zeit einige Ausnahmen von dem Gewohnheitsrechte/ dass nahe Verwandte weder im Käthe noch SchOppenstuhle zusammensitzen durften ; diese kommen aber nur sehr vereinzelt vor. Officielle

Bestätigung fand dieses Gewohnheitsrecht durch die sogenannte Reformatio Sigismundi, welche 1523 publicirt wurde.

      • Die bestimmte Angabe des Todesjahres von Niklas Koppernigk findet

sich in einigen Schoppenverzeichnissen. Es konnte dies aber auch daraus gefolgert werden, dass sein Name in keiner Verhandlung des Schöppenbuches nach dem Jahre 1483 Erwähnung findet; zum letzten Male erscheint derselbe in einer Verhandlung aus dem Juli 14S3.

54 NIKLAS KOPPBRNIGK DER VATBB.

Fttr die ausgebreiteten Oesehäftsverbindungen und die Wohlhabenheit von NiklasKoppernigk liefert uns namentlich das Schöppenbuch der Altstadt Thorn eine Reihe von Belegen; es enthält viele Verhandlungen, in denen Niklas Koppernigk vor Gericht erscheint, um Grundstücke zu kauifen oder zu verkaufen, Anerkenntnisse von Schulden empfängt, seine Rechte bei Concursen fallirter Geschäftsfreunde wahrnimmt, Prozesse führt u. dgl. Ausserdem wird in dem erwähnten Gerichtsbuche Niklas Koppernigk noch als Schiedsmann angeführt, wie als Vormund von Frauen und Wittwen, welche nach der Bestimmung des Kulmischen Rechtes nur in Begleitung eines dem Gerichte bekannten Mannes Akte freiwilliger Gerichtsbarkeit vornehmen konnten.

Auch in Krakauer Dokumenten geschieht des Niklas Kopper nigk nach seiner Auswanderung noch Erwähnung in Geldangelegenheiten; es sind zwei Verhandlungen aus den Jahren 1470 und 1476. In dem letztern Jahre (Ü post Invocavit) befand sich der Vater von Coppernicus in Breslau nach Ausweis des dortigen liber excessuum.*

Ausser den in den verschiedenen Gerichts- und Stadtbüchem enthaltenen Verhandlungen ist keinerlei Mittheilung aus dem Leben des Vaters von Coppernicus auf uns gekommen.** lieber

Uobordies wird Niklas Koppernigk auch im Jahre 1483 zuletzt als SchOppe aufgeführt. Dieselben pflegten aber - ganz besondere Ausnahmefälle abgerechnet - ihr Ehrenamt lebenslänglich zu behalten, wenn sie nicht aus dem SchOppenstuhle in den Rath gekoren wurden.

  • Die zahlreichen Verhandlungen des Thotner SchOppenbuchs , welche

über die geschäftlichen Beziehungen, wie über die Vermögens- und andern Verhältnisse von Niklas Koppernigk Auskunft geben, sind in einer frühem Schrift „Zur Biographie von Coppernicus“ zusammengestellt. Der Wiederabdmck erscheint an dieser Stelle unzulässig, er soll in einem spätem Theile des vorliegenden Werkes erfolgen.

    • Eines Dokumentes aus dem Leben von Niklas Koppernigk muss hier

noch beiläufig Erwähnung geschehen. Es ist ein Attestat, welches der Provincial des Dominikaner-Ordens in Polen d. d. 10. März 14(39 Über die Aufnahme desselben, nebst Frau und Kindern, in den dritten Orden des heiligen Dominions ausgestellt hat. Nach der Sitte der Zeit hatte sich der Vater

NIKLA8 KOPPERNIGK DER VATER. 55

seinen Charakter und peröönliehe Eigenschaften ist aus jenen rein amtlichen Manuskripten selbstverständlich Nichts zu entnehmen. Die Thatsache aber, dass Niklas Koppernigk in die angesehensten Familien der neuen Heimat durch seine Heirat aufgenommen wurde, bürgt hinlänglich für die Lauterkeit seines Charakters; ebenso wird das Vertrauen, welches er in weiteren Kreisen genossen, durch die frühe Gelangung zu den Ehrenämtern in der Gemeinde bezeugt.

von Coppernicus als sogenannter „f rater tertiarius“ dem Dominikaner-Orden angeschlossen, um dadurch Antheil an den Gnadenmitteln zu erlangen, welche der Orden für seine Mitglieder veranstaltete. - Die Urkunde ist zuerst abgedruckt im PamiQtnik Warszawski 1819, p. 372, sodann von Uipler Spicil. Copern. p. 298.

IL Die Familie Watzelrode.[recensere]

A. Die Familie Watzelrode zu Thorn während des 14“ und der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts.

Die Familie Watzelrode*, welcher die Mutter von Coppernicus eutsprossen ist, gehört zu den ältesten and angesehensten Thorner Geschlechtem.** Fast ein Jahrhundert hindurch (von

  • Der Untorauchung über die richtige Schreibung des Namens Watzelrode

darf sich eine Biographie von Coppernicus nicht entziehen. Es ist nicht die Rücksicht auf die Mutter, welche hierzu nöthigt; ihr Gtoschlechtsname ist ja nach der Verheiratung in den Namen ihres Gatten aufgegangen. Allein der Umstand, dass die Sorge fUr die Erziehung ihrer Kinder nach dem frühen Tode des Gatten ihr Bruder übernahm, hat dem Namen Watzelrode eine grössere Aufmerksamkeit zugewandt.

Um jedoch die einleitenden Abschnitte nicht zu sehr anschwellen zu lassen, soll die Zusammenstellung der Motive für die Annahme der Schreibung Watzelrode einem spätem Excurse vorbehalten bleiben. Im Wesentlichen kann auf die Ausflihrungen verwiesen werden, welche in der 1853 erschienenen Abhandlung „Zur Biographie von Coppernicus“ S. 41-43 von mir gegeben sind. Es kann heute, wie damals, nur zwischen den Formen Watzelrode und Watzenrode die Entscheidung schwanken.

Neu aufgefunden ist eine Namens-Unterschrift des Grossvaters von Coppernicus, welcher sich in einem eigenhändigen Briefe „Lucas WaUenrode* unterzeichnet (der Brief ist im 3. Hefte der „Mittheilungen des CoppernicusVereins“ S. 74, 75 durch Bender veröffentlicht). Ebenso findet sich das n in den Namens-Einzeichnungon des Oheims, welche die Acta nationis Grerm„norum zu Bologna enthalten. Letztere sind jedoch mit einer Ausnahme von fremder Hand eingetragen. Dagegen hat Coppernicus selbst den Namen seines Oheims mit einem 1 geschrieben (in dem Briefe, welcher Bd. U S. 163 abgedmckt ist). Dieser Umstand hat mich voraämlich bestimmt, die Schreibung Watzelrode beizubehalten, welcher ich bereits vor dem Bekanntwerden dieses 1854 veröffentlichten Briefes vou Coppernicus den Vorzug gegeben hatte.

    • Die Familie Watzelrode muss schon längere Zeit, ehe sie schöppenund rathsbürtig wurde, in Thorn ansässig gewesen sein. Bender a. a. 0.

ÜI, 64 theilt aus einem alten Accise-Register aus dem Anfange des 14. Jahr

DIE FAMIUE WATZELRODE. 57

1371-1464) hat dieselbe sich im Rathe and Schöppenstuhle der Altstadt Thorn erhalten. Einzelne Mitglieder finden wir auch im Besitze von Landgütern als Mitglieder der Ritterschaft.'^

I. Friedrich (I) Watzelrode war Mitglied des Altstädtischen Gerichts in den Jahren 1371 - 1373; als Rathmann nennt ihn das Kttrbuch zuerst im Jahre 1376. In demselben Jahre vertrat er die Stadt auf dem Hansetage^ welcher am 24. Juni zu Stralsund abgehalten wurde. (Vgl. Hansa-Recesse IL, S. 131.) Im Jahre 1388 nahm er Theü an dem Kriegszuge, welchen der Hochmeister Konrad Zöllner von Rothenstein gegen Littauen unternahm; er befand sich unter den Führern der „armigeri“, welche neben den sagittarü das Fussvolk bildeten, welches von der Stadt Thorn in den Krieg gesandt wurde.

Ü. Albrecht (I) Watzelrode ist Mitglied des Altstädtischen

hunderts einen Vermerk mit, dass „Waczinrode fratres“ (c. 1310) von 42 Fass Asche („Summa 720 marc“) 18 marc zu zahlen hatten.

"^ Die ursprüngliche Heimat der Familie Watzelrode ist zur- Zeit unbekannt, wird sich auch schwerlich bestimmen lassen, so lange nicht archivalisehe Nachrichten hierüber aufgefunden werden. Die Familien- wie Ortsnamen auf -rode finden sich bekanntlich vielfach und an verschiedenen Orten, wo Urbarmachungen des Landes durch Ausroden stattgefunden haben. (Vgl. Pott, die Personen-Namen, S. 514 ff.)

Ausser in Thorner Archivalien ist mir der Name Watzelrode in Urkunden des 14. Jahrhunderts nur ein einziges Mal aufgestossen. In einem Dokumente aus dem Jahre 1330 (abgedr. bei Theiner, Monumenta I, 330. No. 434) wird ein Breslauer Bürger „Nycolaus de Watzerode“ aufgeführt. Auf diese vereinzelte Notiz wage ich jedoch nicht die Folgerung zu begründen, dass die Watzelrode oder „Waisselrode“, gleich den Koppernigks, aus Schlesien nach^Thorn eingewandert seien.

Bender a. a. 0. zieht die Ortsnamen „Wezelesrot“ bei Fulda und „Watzerath“ in der Eifel zur Vergleichung herbei und sucht die Urheimat der Watzelrode in Westphalen und am Niederrhein.

Die Familie der Mutter von Coppernicus gehörte zu den ritterbürtigen Greschlechtem. Das - unschöne - Wappen der Watzelrode ist durch die Abbildungen, die der Biographie des Bischofs Lucas in den Ermländischen Geschichtswerken beigegeben sind, auch in weitern Kreisen bekannt geworden.' Es enthält im obem Felde einen nach rechts gewandten Adlerkopf, der mit aufgesperrtem Schnabel dem Halse aufsitzt; im untern Felde sind zwei Reiter-Beine mit Beinschienen und gespornten Stiefeln bekleidet

58 DIE FAMILIE WATZELBODE.

Gerichts in den Jakren 1377 - 1399, in den letzten Jahren Vorsitzender desselben. In dem Schöppenbuehe geschieht seiner in Geldgeschäften sehr oft Erwähnung/

ÜI. Albrecht (Ü) Watzelrode, Altstädtischer Schöppe in den Jahren 1403 und 1404.**

IV. Friedrich (Ü) Watzelrode, Altstädtischer Schöppe in den Jahren 1413 und 1414, wurde 1415 in den Itath gekoren und starb 1416.

V. Albrecht (ÜI) Watzelrode, Altstädtischer Schöppe in den Jahren 1423-1429.

VI. Lucas Watzelrode, der Grossvater von Coppernicus. VÜ. Friedrich (ÜI Watzelrode wird unter den Altstädtischen Schoppen des Jahres 1440 genannt, zugleich mit dem voraufgefUhrten Lucas Watzelrode, wird also, obgleich zu derselben Familie gehörig, in keiner nähern Verwandtschaft mit derselben gestanden haben.***

"^ Friedrich ;I; und Albrocht (I) sind wohl Brüder gewesen; und haben einen dritten Bruder Johannes gehabt. Bender hat in dem „Ubellns de bonis pucrorum minorenuorum“ zwei Einzcichnungen aus den Jahren 1376 und 1385 aufgefunden, nach welchen „Fridericus et Albertus Waczenrode de bonis puerorum Johannis fratris sui“ 400, beziehentlich 201 Mark Darlehn zu 5 Prozent gegen Verpfandung ihrer Steinhäuser empfangen haben (a. a. 0. S. 64).

AI brecht (I) scheint ferner der Vater von drei „brudem Watcsenrode“ zu sein „olbrecht, tileman, lucas“, welche in einem Vertrage aufgeHihrt werden, der zum Jahre 1417 in dem „libi>llus de bonis puerorum minorennorain“ eingezeichnet ist.

  • ^ In den Jahren 14üü - 14U3 kommt der Name Watzelrode unter den

Mitgliedern des Altstädtischon SchOppengerichts nicht vor. Hieraus schliesst man wohl mit Recht, dass die unter Ü und ÜI im Texte aufgeführten Männer nicht ein und dieselbe Person sind, zu welcher Annahme man sich durch die Gleichheit der Vornamen versucht fühlen könnte. Die Namen der in den Schöppeustuhl Grewählten kehren nämlich bis zu ihrem gänzlichen Ausscheiden (durch den Tod, Beförderung in den Rath und dgl.' alljährlich wieder. Von einer zeitweisen Unterbrechung ihrer Amtsthätigkeit ist Nichts bekannt.

      • In dem Inskriptionsbuche der Krakauer Universität ist zum Jahre

142s verzeichnet „Fredericus Froderici Waczilroth de Thorun“. Höchstwahrscheinlich ist es derselbe mit dem im Texte unter VÜ erwähnten Friedrich Watzelrode ; sein gleichnamiger Vater ist vielleicht der unter IV au%eftthrte Friedrich Watzelrode.

DIE FAMILIE WATZELRODE. 59

Nachdem während eines Jahrhunderts Glieder der Familie Watzelrode im Rathe und Schöppenstuhle gesessen, wird der Name während des 16. und der folgenden Jahrhunderte im Kttrbuche nicht mehr erwähnt; auch in andern öffentlichen Dokumenten verschwindet er gegen Ende des Jahrhunderts."^ Durch das Zengniss von Coppernicus selbst wissen wir, dass sein Orossvater der letzte Stammhalter der Watzelrode in Thorn gewesen und mit seinem Oheime, dem Bischöfe Lucas, das Geschlecht erloschen sei, „dessen Wappen und sonstige Insigtden sich - noch zur Zeit der Enkel - auf alten Bauwerken und vielen Denkmälern zu Thorn vorfanden.“**

B. Lucas Watzelrode^ der Orossvater, seine tiattin und Kinder.

Im Gegensatze zu dem vollständigen Mangel au Nachrichten über die Herkunft und die Vorfahren des Vaters von Coppernicus sind wir über die Abstammung seiner Mutter aus archivalischen Quellen recht genau unterrichtet. Wir erhalten nicht nur über die geschäftlichen Beziehungen und Vermögens -Verhältnisse

  • Ausser den im Thorner Kürbuche als Mitglieder des Raths oder des

Schöppengerichts aufgeführten Mitgliedern der Familie ist aus der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts noch ein „kunstreicher und ersamer mann Meister Cäsarius Watzelrode“ bekannt. (Vgl. S. 59.) Sodann werden im Altstädtischen Schlippenbnche noch zwei Watzelrode öfter genannt, beide Zeitgenossen von Niklas Koppernigk: ein Friedrich Watzelrode (in mehreren Verträgen aus den Jahren 1464 - 1474) und Georg Watzelrode. Letzterer war ein sehr wohlhabender Kaufmann, scheint aber in seinen Spekulationen Unglück gehabt zu haben und fallirte im Jahre 1477. Das Gerichtsbuch enthält mehrere auf diesen Bankerott bezügliche Verhandlungen.

    • Der Bericht des Coppernicus über das Erlöschen der Familie seiner

Mutter findet sich in einem Briefe an den Bischof Dantiscus d. d. 11. Januar

1539: M Caeierum quod scire ex me petüt R. D. V., . . . . Lucas a

Waczelrodt R. D: V. pracdecessor, avunculus mens . . . obüt . . anno Christi 1512. In quo illa generatio finem accepit, cuius insignia in antiquis monumentis et multis operibus exstant Torunü.“

60 LUCAS WATZBLBODE DER OR068VATER.

der nächsten Verwandten von Coppernicus die erwünschte Aufklärung; wir erfahren auch Einiges über Schicksale und Thaten derselben. Wir ersehen aus den zahlreich erhaltenen DcdLumenten, dass sein mtttterlicher Grossvater und die beiden Oheime zu den ersten Männern ihres Heimatlandes gezählt und in ereignisflvoller Zeit einen bedeutenden Einfluss auf die Geschicke desselben ausgeübt haben.

Der mütterliche Grossvater von Coppernicus hiess Lucas Watzelrode und war Kaufherr in Thorn; er besass ausser mehreren Häusern in der Stadt selbst"^ ansehnliche Besitzungen im Weichbilde derselben und das ca. 2 Meilen von Thorn belegene Landgut Fredau.**

Die erste verbürgte Nachricht aus seinem Leben*** erhalten

  • Das Wohnhaus von Lucas Watzelrode lag laut dem unten S. 66 ff. mitgetheilten Erbrecesse in der Nähe der Weichsel, in der Seglerstrasse. Sein

Nachbar war Georg Swcidnitzcr, der mit ihm und seinem Schwiegersohne Koppernigk in vielfachen Geschäftsverbindungen stand.

    • Nähere Angaben über die Liegenschaften, welche Lucas Watzelrode in

Thorn und dem städtischen Weichbilde besass, enthält der S. 66 abgedruckte Theilungsvertrag seiner Erben.

Fredau, ein 2 Meilen nord(5stlich von Thorn belegenes Rittergut, umfasste laut dem erwähnten Erbrecesse 18 kulmische Hufen (d. i. ca. 300 Hektar). Der alte deutsche Name „Fredaw oder „Fredau“ ist zu polnischer Zeit in „Slawkowo“ umgewandelt, seit zwei Dccennien jedoch wieder restituirt. Das Gut heisst gegenwärtig „Fried cnau“.

Die Familie Watzelrode war bereits im Anfange des 15. Jahrhunderte im Besitze von Fredau. Im Jahre 1418 besass es ein - mir sonst unbekannter - Caesarius Watzelrode. Er verkaufte das „vorwerck zu fredaw, dorynne ein Bergfried stant, von der wirde Achthundert Mark Preuscher muntcze“ an seinen Mitbürger Albrecht Rothe. Letzterer nennt in der â‚rerichtshandlung den „kunstreichen vnd ersamen mann Meister Caesarius Watzenrode“ „mynen lieben friund vnd mage“. Nach manchem Wechsel der Besitzer (wobei es wieder einmal an Caesarius Watzenrode zurückfiel) kaufte nach Ausweis des Schoppen buches Lucas Watzelrode das Landgut im Jahre 1447. Dieser vererbte es auf seinen Schwiegersohn Tilman von Allen, von welchem es wieder sein Schwiegersohn erhielt, der Thorner Bürgermeister Lucas Krüger, dessen Familie sich noch zu Anfang des 17. Jahrhunderts im Besitze des Gutes befand.

      • Das Geburtsjahr von Lucas Watzelrode ist uns unbekannt. Ebenso

ist über seine Eltern nichts Sicheres auf uns gekommen. In einigen - frei

LUCAS WATZELRODE DER QROSSVATBR. 61

wir durch das Kttrbuch zum Jahre 1432. In diesem Jahre wurde LaeasWatzelrode nämlich in den Schöppenstuhl der Altstadt Thorn gewählt. Sieben Jahre darauf, im Jahre 1439 wurde er Schöppenmeister"^ des Altstädtischen Gerichtes und blieb in dieser einflussreichen Würde 23 Jahre hindurch bis zu seinem Tode, der höchst wahrscheinlich im Laufe des Jahres 1462 erfolgte, da er unter den Schoppen des Jahres 1463 nicht mehr aufgeführt wird. Mitglied des höchsten städtischen Kollegiums, Rathmann, ist Lucas Watzelrode nicht gewesen. Dagegen ward er beim Ausbruche des Krieges gegen den deutschen Orden im Jahre 1 454 in den „Nebenrath“ gekoren. Er wird als der erste und angesehenste unter den zwölf Männern aufgeführt , mit welchem sich die oberste Verwaltungsbehörde aus der Mitte der Gemeinde beider Städte verstärkte, um ihren Beirath während der Dauer des Krieges einzuholen. - Andererseits finden wir Lucas Watzelrode auch unter den sechzehn Vertrauensmännern, welche die Gemeinde bei dem Aufstande gegen den Rath zu ihren Führern

fich nicht sehr zuverlässigen - genealogischen Tafeln wird als der Vater von Lucas Watzelrode einwTidemannusWatzelrod“ genannt. Bender (a. a. 0. S. 66) hat die Ansicht näher begründet, dass der S. 57 aufgeführte AI brecht (I) Watzelrode der Vater von Lucas Watzelrode gewesen sei.

Aus einer Gerichts-Verhandlung des Jahres 1444 ersehen wir, dass die Grosseltem von Coppernicus nahe verwandt gewesen sind mit der angesehenen Familie Russe: „Lucas Watzilrode mit seiner elichen swester Barbara frysynne sein kommen vor gehegt ding und haben becant, das sie sich gutlich und frundlich endscheiden haben, vmme das andirstorbene gut, das en von irem Ohemen Lucas Rewssen dem got genade andirstorben was das en beiden genügt“ etc.

  • lieber das Amt des SchOppenmeisters enthält das „SchOppenmodell der

£. £. Gerichte beyder Städte Thorn“ folgende Bestimmungen: „Nach gehaltener Öffentlicher I^ür gehen alsobald die Schoppen in die Spruchkammer, daselbst wählen und bitten sie unter sich Einen, der dasselbe Jahr ihr Aeltester und Schüppenmeister sei und das Wort fUhre oder rede was vonnOthen ist, dem sollen sie sämmtlichen schuldigen Gehorsam leisten alle Bürden treulich helffen tragen. Demselben werden alle Schlüssel zur Spruchkammer

von den Herren übergeben Auch soll der Schöppenmeister jährlich,

nach gehaltener Küre den Herren sonderlich aber den Neuen gekohmen ihr Amt und Pflicht bewegen und zu Gemüthe führen etc.

62 LUCAS WATZELSODE DER GROSSVATEB.

erwählte - ein deutlicher Beweis, welches Vertrauen derselbe auf beiden Seiten genossen.

Einen weitem Beleg für sein Ansehn in der Stadt gewährt uns femer seine namentliche Erwähnung in der Ladung, die im Jahre 1445 von dem Femgerichte zu Yelgyste in Sachen eines „peter Lompe, burger zu Danzk“ an die Stadt Thorn erging,"^ in welcher Vorladung, wie es das Gesetz vorschrieb, die vornehmsten Männer der Gemeinde namentlich aufgeführt werden. Als einen der bedeutendsten Wortführer der Stadt, dem Orden gegenüber, nennt ihn auch Voigt, Gesch. Preuss. VÜI, S. 184.

lieber die geschäftlichen Beziehungen, wie über die Vermögensverhältnisse von Lucas Watzelrode geben die Thoraer Gerichtsbücher mannigfache Aufklämng. Ein Dokument - das wichtigste von allen - wird unten S. 66 seinem ganzen Wor^ laute nach mitgetheilt. Es ist der Erbvergleich, in welchem die Gattin des Verstorbenen sich mit ihren Kindem auseinandersetzte. Dieser Theilungsvertrag giebt uns einen Beleg für die grosse Wohlhabenheit des Erblassers. Eine femere Bestätigung hiefÜr erhalten wir durch mehrere andere in dem Altstädtischen Schöppenbuche enthaltenen Dokumente, in welchen Lucas Watzelrode als Käufer von städtischen Grundstücken vor Gericht erscheint, oder Anerkenntnisse von Schulden empfängt, Gelder hypothekarisch ausleiht oder Hypotheken ankauft u. dgl. Ausserdem enthält das gedachte Schöppenbuch noch viele andere Verhandlungen, in denen Lucas Watzelrode „vor gehegt Ding“ kommt, als Vormund von Wittwen und unmündigen Kindem, als Schiedsmann, als Bürge, als Zeuge bei Verträgen, als Bevollmächtigter von Auswärtigen u. dgl.

  • Die Urkunde (mit 7 Siegeln der Freischüffen) liegt im Thorner Archive

(Schbl. XVÜ, No. 28). Voigt erwähnt diese Streitsache in seinen „Westphälischen Femgerichten in Beziehung auf Prcussen“ (S. 02, Anm.) ; er kannte dieselbe aber nur aus einem Schreiben der Rathmanne von Thorn an den Hochmeister aus dem Jahre 1444, das im Geheimen Archive zu Königsberg aufbewahrt wird.

LUCAS WATZELRODB DER GROSSVATER. 63

Ausser den Thorner Archivalien habe ich auch in dem Königsberger Staats -Archive zwei Schreiben des Hochmeisters aufgefxinden , welche Zengniss ablegen für die ausgedehnten Oeschäfts-Beziehnngen , in denen Lucas Watzelrode gestanden."^

Bei dem Ansehn, welches Lucas Watzelrode in der Stadt genoss, liess sich wohl erwarten, dass er auch unter den ländlichen Besitzern eine hervorragende Stellung eingenommen.** Preussens Landadel und die ritterbttrtigen Geschlechter in den Städten waren ohnehin durch gemeinsame Interessen damals eng verbunden. Die Land- und Stadtherren standen zusammen in dem Kampfe gegen die Landes-Obrigkeit, von der sie sich frei machen wollten; sie wollten selbst die Regierung ihres Landes führen. Ein Mann von Watzelrode's Stellung und Einfluss - der überdies beiden Aristokratien angehörte - konnte nicht parteilos bleiben bei der tiefgehenden politischen Bewegung. Er schloss sich früh derselben an. Wir finden „Lucas Wate zelrode von Fredaw“ unterschrieben unter dem Briefe, welchen die „erbare Manne des Thornischen und Birgelawischen Gebietes“ als Vollmacht ihren

^Die erste Urkunde d. d. „Wartzsch die OonceptioniB Mariae 1436“ findet sich im Hochmeister Registrant No. 6, fol. 65. Der Hochmeister schreibt an den König von Polen, dass trotz der KOnigl. Befehle die Bürgen der Thorner Kaufleate Johann von der Linde, Lucas Watzelrode, Hans Thewdocus und Hans Lutke fortwährend bedrängt würden. Es waren nämlich die Waaren der Genannten angehalten und fortgenommen worden, und, um sie wieder zu erhalten, hatten einige Bürger Krakaus Bürgschaft leisten müssen. In einem andern Schreiben d. d. Marienburg Donnerstag nach Jubilate 1451 (Hochmeister Registrant No. 9, fol. 320) benachrichtigt der Hochmeister den Rath von Breslau, dass er auf ihre Bitte alle Waaren, welche der Thorner Bürger Lucas Watzelrode mit Beschlag hatte belegen lassen, von demselben wieder befreit habe.

    • Lucas Watzelrode bekleidete u. A. das Amt eines LandschOffen

bei dem „lantgehegtem Dinge czu Lissow“, welches unter dem Vorsitze des Rulmer Landkomthurs dreimal alljährlich tagte. Eine Verhandlung dieses Landgerichts aus dem Jahre 1453, in welcher unter den „Lantscheppin“ Lucas „Watczelrode“ namentlich aufgeführt wird , hat Bender in dem 3. Hefte der Mittheilnngen des Coppernicus -Vereins (1*^81: S. 110 mitgethcilt

64 LUCAS WATZELBODE DER GBOSSYATBB.

Abgeordneten zu dem verhängnissvollen Marienwerder Bundestage 1440 aasstellten.*

Auch fernerhin^ nachdem es zum offenen Abfalle yom Orden gekommen war, hat Lucas Watzelrode sich in herrorragender Weise bei dem Kampfe betheiligt.** Wir erfahren dies n. A. durch eine Verhandlung der preussischen Landesräthe aus dem Jahre 1489. Damals war sein Sohn zum Bischöfe von Ermland gewählt, die Wahl jedoch vom polnischen Könige angefeindet worden. Da traten die preussischen Landesräthe für den Angefochtenen ein und wiesen u. A. auf die Verdienste seines verstorbenen Vaters hin, „mit welcher treye vnde vulkomenheit her sich hot gehalden vnd vffrichtigk beweyset mit seynem gemutte, leib vnd gutte kegen K. M. von der czeith an do her S. K. M. vndirtan ist geworden; wen her hot S. K. M. gedynet vor dem Lessen vnd vor marienburgk, do her czur abelosungh desselben slosses hot gelegen seyn geldt vnd gut, das noch vf disse czeith nicht ist beczalt wurden“.*'^"

  • Die Urkunde d. d. „Thorun am nächsten Donnerstage nach Letare in

der Fasten nach Gotis gebort fierczenhundert dornach in dem fierezigsten Jaren“ ist abgedruckt bei Kries memoria saecularis etc. (Thorn 1755).

    • Lucas Watzelrode ward gleich im ersten Jahre des Aufstandes gegen

den Orden als Abgesandter Thorns nach Danzig geschickt. Der Bericht über den Erfolg seiner Sendung und den Verlauf des Aufstandes, den er d. d. uDanczk am montage noch Oculi“ 1455 (?) den „Ersamen und Wol weisen Herren Bürgermeistern und Rotmannen der Stadt Thoren“ überschickte, ist im 3. Hefte der Mittheilungen des Coppernicus- Vereins S. 74 von Bender veröffentlicht worden.

      • Lucas Watzelrode gehürte zu den hervorragenden Führern der

Aufständischen, welche dem preussischen Bunde, ausser der zwangsweisen Kriegsumlage (dem „Schoss“), noch mit baaren Anlehen und Naturalleistungen zu Hülfe kamen. Eine von Bender im Thorner Archive aufgefundene Rechnung des Thorner Rathmanns Conrad Theudenkus über Einnahme und Ausgabe des Bundes in den Jahren 1450 - 1465 giebt die nähern Belege. Vgl. Mittheilungen des Coppernicus -Vereins 111, 75 ff.

Die „Rechenunge“, welche „Conrad Theudenkus dem ersamen Rote als waes er van landen vnd van den steten entphangen vnd weder ausgegeben

affgeentwert im jore MCCCC vnd in dem LXV jore off mitfasten“,

finden weitere Er^nzung in dem gleichfalls zu Thorn aufbewahrten „liber

LUCAS WATZELSODE DER GROSSVATER. 65

Lucas Watzelrode hat das Ende des Kampfes nicht erlebt; aber er lebte noch lange genug, um gleich seinen Genossen bedenklich zu werden über die Folgen des Abfalls vom Orden. Wir haben aus dieser spätem Zeit seines Lebens in Thorner Manuskripten eine Notiz erhalten, welche uns einen Beweis liefert, wie Lucas Watzelrode sich noch im hohem Alter die ganze Entschiedenheit seines Charakters bewahrt hat. Sie lautet: „Her Lucas Watzelrode, Job. Toydenkus und Hans Pechwinkel richten von wegen der Landschaft, wiewohl ohne Wissen der Andem aus der Landschaft, eine Satzung auf und an; solche geben sie Herm Ludwig von Mortangen unserm Herm Könige mündlich beizubringen. Der Inhalt dessen ist dieser : Seine Königl. Gnade werde gebeten in das Land zu kommen und an eine Stadt sich zu legen, da wo es seiner Gnade am bequemsten sein möchte, auch hiedurch einen Versuch thun wolle, ob man durch einige Gewalt oder durch Tractat einen Frieden nicht erlangen könnte und dass Solches Seine Gnade auf die Zeit thun werde, mit Briefen und Siegel versichere; dafeme aber Seine Gnade es nicht thun wollte oder kondte, dass man dann von Seiner Gnaden und von der Krone Polen befreyet würde zu ewigen Zeiten“.

copiarum de debitis olim contractis in antiquo Prutenico belle“. Hier sind zunächst die mit den Hauptgläubigem des Bundes geschlossenen Schuldverträge aufgeschrieben. Dann folgen Verrechnungen der Gläubiger mit dem Thorner Rathe und zum Schlüsse eine Hauptabrechnung. Hierbei verzichten die Gläubiger häufig auf bedeutende Theile ihrer Forderungen ; für den Best lassen sie sich feste Abschlags-Zahlungen versprechen oder gewisse städtische Einnahme-Quellen verpfänden. Unter diesen Gläubigem erscheint nun auch Lucas Watzelrode. Sein Konto hat für die Oopperaicanische Forschung ein besonderes Interesse, weit er noch vor Tilgung seiner Forderang aus dem Leben schied, und die Abschtags-Zahlungen an seine, stets namentlich anfgeftthrten, Erben abgeführt wurden - an die Grossmutter, den Vater und die Oheime von Coppernicus.

Die Zahlungs-Vermerke in dem bezeichneten Buche gehen bis auf das Jahr 1477 herab. Aus der im Texte erwähnten Landtags-Verhandlung vom .Jahre 1489 geht hervor, dass die Anleihe noch zwOIf Jahre später nicht vollständig bezahlt war.

I. ^y

66 LUCAS WATZELSODE DER aROSSVATEK.

Von den vielen Verhandlungen des Thorner Schöppenbnchs, in denen Lucas Watzelrode Erwähnung findet, dürfen an dieser Stelle nicht einmal Auszüge gegeben werden."^ Die ansehnliche Stellung des Grossvaters von Coppernicus erhellt schon zur Genüge aus den vorstehenden AnfUhrungen. Allein ein Dokument muss hier seinem ganzen Wortläute nach mitgetheilt werden. Es ist der mehrfach erwähnte Theilungsvertrag aus dem Jahre 1464,** in welchem sich die Wittwe von Lucas Watzelrode mit ihren Kindern auseinandersetzte. Dieser Erbvergleich ist zunächst von hoher Wichtigkeit für die Familien- und Vermögens-Verhältnisse von Lucas Watzelrode, hat aber auch Bedeutung für die Aufhellung man- cher anderer auf das Leben von Coppernicus bezüglicher Punkte : Vor gehegtding ist komen fraw kethe watzelrodyne yn Vormundschaft an eyme teile vnd Tilman von allen vnd Kiclas Koppernigk yn vormundschafft irer elichen hawsfrawen kirstyna vnd barbara am ander teile vnd fraw kethe hat schichtenteilunge geton von irss elichen mannes her lucas watzelrode dem got gnade nochgelassen gutter den obgenanten seynen kyndern kyrstynen vnd barbaran vnd Lucas yn sulchem Bescheide, Alse hie noch geschreben steet, das Tilman sal haben mit seyner elichen Hawsfrawen zum ersten das hawss yn der Segelergassen gelegen bey her Gorge sweidnitzers hawse durch

  • Eine Zusammenstellung der wichtigsten auf die Lebensverhältnisse von

LucasWatzelrode, dem Grossvater von Coppernicus, bezüglichen Dokumente soll in einem spätem Theile des vorliegenden Werkes gegeben werden. Vorläufig genüge die Hinweisung auf die von Bender a a. 0. p. 67 £f. gegebenen Regesten.

^* Die Bezeichnung des Tages fehlt, was selten vorkommt, bei der im Texte mitgetheilteu Verhandlung. Die folgende hat das Datum „feria VI. ante Trinitatis“, die vorhergehende „feria VI. post ascensionem domini“. £& ist also jener £rbvergleich an einem dieser beiden Gerichtstage abgeschlossen, da in den zwei Wochen vor und nach Pfingsten, wie das „Schöppenmodell de a. 1444“ anordnet, kein BUrgerding gehalten werden durfte.

LUCAS WATZELBODE DEB GB08SVATEB. 67

geende mit dem hinderhawze yn sulchem bescheide, das her alle ior jerlich geben sal kethe peekowynne der begebenen jungfrawen zcum Golmen zeu irem leben YÜI mr. geringes geldes Onch zo sal fraw kethe behalden zcn ihrem leben eyne freykamer hinder der stoben an der erden vnd her Conradus den hindersal dorobir onch zcn seynem leben, noch sal Tilman haben zcn fredaw IX hnben das dor ist genant das Bnrckfrede vnd XVÜI mr. czins vor der Stat vnd yn der Mocker, vnd eynen garten bey der newen molen vnd in morgen wesen, vordan was her empfangen hat, an gelde vnd an silber an golde vnd an farender habe doran ist her gnügsam.

Item dyss noch geschreben hat Niclos koppernick empfangen znm ersten das hawss yn sente Annagassen do her ynne wonet vnd dy Ecke do Walther ynne wonet mit czwey bnden vnd XVÜI mr. czins vor der Stat vnd yn der Mocker vnd den weyngarten yn dem Glostirchen vnd drey morgen wesen yn der Rore wese vnd XIX mr. czins czn Conradswalde vflf IX hnben vnd 1 firtel vnd an Silber vnd an golde vnd an varender habe das em genüget vnd lassen fraw kethen schichtenteil qweit vnd ledig.

Item dyss noch geschrebenn ist Incas gefallen zcum ersten drey bnden am Ringe bey Gotke becker do dy kannegyssere ynne wonen vnd XVÜI mr. czins vor der Stat \Tid yn der Mocker vnd dy Schewne vor dem AldenThornischen thore bey dem slage vnd Sechss morgen wesen yn der wenckenan vnd Newn hnben zcn fredaw dorczn an Silber vnd an varender habe gleich den andern.

Vordan zo sal meyn zon hans peckow noch meynem tode czn gleicher teylnnge geen mit den obgeschrebenen Kindern/

  • lieber den Erwerb einzelner der in dem Theilungs- Vertrage von 1464

aufgeführten Liegenschaften von Lucas Watzelrode haben sich die Verband

6S DIE 6B08SMUTTEB KATHARINA WATZELRODE.

Die Gattin von Lucas Watzelrode, Katharina, war der Ueberlieferung zufolge eine Tochter des Thorner Bathmanns Albrecht Russe, weicher bei der Besetzung Stockholms durch die Hansa im Jahre 1398 das Thorner Kontingent führte."^ In erster

lungen im Thorner Schöppenbttche erhalten. Dagegen wissen wir nicht„ was etwa durch Erbgang auf ihn gekommen ist ; wir würden, wenn hierüber sich Dokumente erhalten hätten, vielleicht einen Anhalt für die Bestimmung seiner Eltern gewinnen können.

Das Gut Fredau hat Lucas Watzelrode, wie bereits S. 60 erwähnt ist, im Jahre 1447 gekauft, die Hypothek auf Conradswalde (zu polnischer Zeit in „Kuczwalli“ umgetauft) im Jahre 1444, ein „halbhaws in der sinte Anncngasse“ im Jahre 1448, femer ein „Haws in Sente Annengasse gelegen“ im Jahre 1459. - Die Wenckenau umfasste eine Anzahl Wiesen; sie lag in der Niederung unterhalb Thorn. Die Mocker ist ein Dorf, eine Viertelstunde von Thorn entfernt, welches noch gegenwärtig denselben Namen führt.

  • Der mehrmals erwähnte Danziger Geschichtschreiber Stenzel Borobach

hat uns die Ueberliefenmg erhalten, dass die mütterliche Grossmutter von Coppernicus eine Tochter des Thorner Rathmanns Albrecht Busse gewesen sei. £s geschieht dies in der Genealogia Reinholdi Feldstetten, welche er seiner „Historia vom Aufruhr zu Dantzigk“ vorangestellt hat:

„Lucas Watzelrode trcuete Catharinam Hans Peckawen Wittwe und, wie man erachtet, Albrecht Reussen Tochter, zeugete 3 Kinder.“

In Thorner Dokumenten hat sich hierüber bisher nichts aufigefunden. Die polnischen Schriftsteller haben aus tendenziösen Gründen die Abstammung der Grossmutter von Coppernicus aus der Familie Russe in Abrede gestellt. Da sie jedoch die Verwandtschaft der Geschlechter Watzelrode und Russe zugeben müssen, so machen sie die Katharina Watzelrode welche sie als Tochter von Albrecht Russe anerkennen - zur Mutter von Lucas Watzelrode. - Auch Hipler (Spie. Cop. p. 297) hat diese Hypothese merkwürdigerweise aufgenommen.

Die Thorner Familie Russe (auch Russ, Reusse oder Rewsse geschrieben) gehörte zu den ältesten und angesehensten Geschlechtern der Stadt im 14. und 15. Jahrhunderte. 12 Mitglieder derselben haben im Rathe gesessen; der erste Ewart R. ward 1353 in den Rath gekoren. Albrecht Russe war der siebente, der aus ihr in den Rath gekoren ward, im Jahre 1392, nachdem er nur ein Jahr im Schöppenstuhle gesessen. Sein Todesjahr ist unbekannt. Der letzte, welcher aus diesem Geschlechte erwähnt wird, ist der im Geburtsjahre von Coppernicus gestorbene Bürgermeister Joh. Russ.

Ein Thorner Schriftsteller G. Centner, der um die Mitte des 18. Jahrhunderts lebte, hat der Grossmutter von Coppernictfs einen andem Stammbaum gegeben. Er nennt sie „Catharina Rüdigerin gente Modlibog“ auf die Autorität „einer kleinen genealogischen Tafel der Watzelrode“, welche er „der Dienstfertigkeit eines geneigten Freundes in Elbing“ verdankt (Centner.

DIE GROSSMUTTEE KATHARINA WATZELRODE. 69

Ehe war sie yermählt gewesen mit einem Thorner Kaufherrn Heinrich Peekaw*, welcher in den Jahren 1426 - 1434 Mitglied des Altstädtischen Gerichts war. Aas dieser Verbindung brachte sie dem neuen Gemahl zwei Kinder zu, eine Tochter Katharina, welche nachmals den Schleier nahm und in das GistercienserinnenKloster zu Kulm eintrat und einen Sohn Hans Peekaw. Letzterer wurde ein Jahr nach dem Tode seines Stiefvaters in den Alt

Geehrte und gelehrte Thorner S. 46). Aus welcher Quelle sein Anonymus geschöpft hat, giebt Centner nicht an; Letzterer selbst zeigt sich in diesen Forschungen recht unzuverlässig. Er kannte die Angaben von Stenzel Bombach, hielt aber den dort erwähnten Lucas Watzelrode nicht für den Grossvater von Coppernicus, weil er „sich von dem Vater des ermländischen Bischofs durch Kennzeichen unterscheidet, ohngeachtet übrigens auch viele Aehnlichkeit unter ihnen ist“ (a. a. 0. S. 49).

Diese ganze Frage über die Abstammung der Grossmutter von Coppernicus hat übrigens eine untergeordnete Bedeutung. Sie würde deshalb hier gar keine Erwähnung gefunden haben, wenn sie nicht bei dem Streite über die Nationalität von Coppernicus durch die polnischen Schriftsteller besonders hervorgehoben wäre. Man glaubte hierauf gestützt , den Beweis führen zu können, dass wenigstens verdünntes polnisches Blut in den Adern von Coppernicus rolle.

  • Das Wappen der Familie Peekaw befindet sich gleichfalls auf dem

Thorner Rathhause. Nach einem Theilungsvertrage, den ich zum Jahre 1429 im Altstädtischen Schöppenbuche aufgefunden habe, stammte die Familie Peekaw, wie viele andere Thorner Geschlechter aus Westphalen. Sie ist im Laufe des 14. Jahrhunderts nach Preussen gekommen.

Heinrich Peekaw, der erste Ehemann der Grossmutter von Coppernicus, ist im Laufe des Jahres 1434 gestorben. Eine der letzten Urkunden aus diesem Jahre im Altstädtischen Schöppenbuche lässt dies mit Sicherheit schliessen. Sie lautet: Vor gehegt ding ist komen Retcher resenkirthe In Vormundschaft Jungfraw Cordelen etwan Tidemann Peccawen tochter seligis gedechtnisse vnd hat ledig und los gelosen die Ersame Frawe Cordele wyzinge vndKatherina Peccawynne vnd erer beiden kinder alle der Sachen cleyne vnd gros die zwischen en vnd her Gobel peekaw vnd her Hinrich peekaw gewest syn von Jungfraw Cordelen wegin; hirczu sal geben frawe kethe peccawynne VI gute mark.

Dass Heinrich Peekaw im Jahre 1435 bereits todt war, bezeugt ausdrücklich ein Dokument des Schöppenbuches aus jenem Jahre : „Vor gehegt dink ist komen hans posenensky vnd hot bekant, das ym frauwe kethe Peccawynne hat bezalt XVÜI mrk geringis geldis die her Irem Junekern her heinrich Peekaw seliges gedechtnis zu getreuwer haut hat ynge leget etc.“

70 DIE GROSSMUTTEB KATHABINA WATZELBODE.

Städtischen Sohöppenstnhl gewählt ; fttnf Jahre darauf ward er Rathmann (1469). Im Jahre 1483 bekleidete er die Würde eines königlichen Burggrafen.

Wann die jugendliche Wittwe Katharina Peckaw ihre Hand wieder yergeben, ist nicht mit Sicherheit zu bestimmen. Lange scheint ihr Wittwenstand jedoch nicht gewährt zu haben. Jedenfalls war sie vor dem Jahre 1440 wieder verheiratet.* Diese zweite Ehe wurde nach etwa 25jähriger Dauer durch den Tod von Lucas Watzelrode im Jahre 1462 gelöst; die Überlebende Gattin starb erst mehrere Jahre später.**

  • Pas Jahr, vor welchem sich Katharina Peckaw in zweiter Ehe mit

Lucas Watzelrode vermählte, lässt sich aus dem Alter der ältesten Tochter Christina annähernd bestimmen. Diese feierte, wie Stenzel Bombach a. a. 0. S. 41 angiebt, im Anfange des Jahres 1459 „acht Tage vor Fastnacht“. ihre Hochzeit.

Dass Katharina Peckaw i^re zweite Ehe vor dem Jahre 1440 eingegangen war, beweist auch die erste der im Jahre 1440 eingetragenen Verhandlungen des Thorner Gerichtsbuches : Gehegtem dinge ist wissentlich, das sich frauwe Elizabeth Grotynne czum rechte dirboten hat von hinrich peckaws kinder wegen czu bleiben und czu endin, dor Inne sie sich begriffen hat, und ir des geczugnisse van gerichten wegen pflegen an den Ersamen Rath, Wenn sie des begerende wirt sien und van her lucas watczilroden haussfrauwen wegen ist die egedochte frauwe notlos geteilit alse van schulde wegin 518 m. gering geldis.

    • Stenzel Bombach a. a. 0. S. 41 giebt 1476 als Todesjahr der Grossmutter von Coppernicus an. Thorner Urkunden bestätigen die Richtigkeit

dieser Angabo. In dem „liber copiarum de debitis olim contractis in antiquo Prutenico bello<t findet sich eine Verhandlung vom 8. December 1474, woraus erhellt, dass Katharina Watzelrode die Geburt ihres grossen Enkels noch erlebt hat:

Item abgerechent mit frawen katharinen watczerodinne anno sc. 73 im advent von allen czinsen vorsessen bis uff martini im seibin jore miteyngeslossen. So das man ihr abgekorczt hat an denselben schulden 81 m. 1 firdung gering, geldis. Actum sabato post Conceptionem Marie anno 74 presentibus domino proconsule Tilmanno de allen Consorteque ipsius dpmina Cristina et ipsadomina katherina watczetodinne.

Dagegen zeigt eine, demselben Manuskripte entnommene Verhandlung ans dem Jahre 1477 , dass Katharina Watzelrode zu jenbr Zeit bereits gestorben war:

DIE GROSSMUTTEB KATHAB INA WATZELBODE. 71

Aus dem Leben der Grossmutter von Coppernicus hat sich in Thorner Mannskripten weiter Nichts erhalten. Dagegen ist nns in den prenssischen Landtags-Recessen ein werthvoUes Dokument aufbewahrt. Als nämlich die Wahl ihres Sohnes Lucas Watzelrode zum Bischöfe von Ermland vom Könige Kasimir von Polen angegriffen Avnrde, hatte man sich polnischerseits nicht gescheut, sogar das Privatleben seiner Eltern anzutasten und dieselben eines nicht reinen Lebenswandels zu bezichtigen. Da traten für die Beschuldigten die prenssischen Landesräthe ein : in ihrer Sitzung zu Graudenz am 23. August 1489 stellten sie über die Eltern des Bischofs das Zeugniss aus, dass sie sich „erbaulich und frommlich“ gehalten, die Mutter namentlich „eine Krone aller Frauen in der Stadt Thorn“ gewesen sei.*

Der Ehe von Lucas und Katharina Watzelrode entstammten drei Kinder: Christina, Barbara und Lucas. '^

Item der Ersame rath ist schuldig bieben und geweszen herr lucas watczenroden seliger 1450 margk geringer prewsscher muntze noch laute des hawptbriefes, den her Tilman von allen Bürgermeister dem Rathe bot obirantwort. An welcher Summe bey her Lucas Watczelrode und ffanwen katherinan seyner elichen hawsfrauwen leben und ouch noch irer beidei* tode bisz u£F diesze czeit abgerechent von allen versessen mocker czinsen und was sie dem Rathe sunst schuldig gewesen sein 413^4 m abgekortczt eto.

„Actum anno 77^ f. V ante Thorne apostoli“. Vgl. Bender in den Mittheilungen des Coppernicus^Vereins ÜI, p. 83.

  • Das dem Bischöfe Lucas Watzelrode über seine Eltern ausgestellte

Leumundszeugniss hat Hirsch veröffentlicht, zuerst in Weinrich's Danziger Chronik p. 63, dann wieder abgedruckt in Script, rer. Pruss. IV, 776.

    • Die Namen der Kinder von Lucas und Katharina Watzelrode hat

Stenzel Bombach richtig überliefert, sie sind aber in falscher Reihenfolge aufgeführt. Er nennt Barbara als die ältere Schwester und stellt Lucas in die Mitte. Die Unrichtigkeit dieser Angaben ersehen wir aus dem oben S. 66 mitgetheilten Erbvertrage vom Jahre 1462. Danach ist Christina das älteste unter den drei Geschwistern, Lucas das jüngste.

Wir wissen überdies durch Coppernicus selbst, dass Lucas Watzelrode bei dem Tode seines Vaters erst 14 Jahre alt gewesen ist; es kann sonach eine jüngere Schwester damals noch nicht verheiratet gewesen sein.

72 DER OHEIM TÜiMAK VON ALLEN.

Christina war seit 1459 vermählt an Tilman von Allen, den berühmtesten Spross eines alten Thorner Geschlechts, ' der 38 Jahre hindurch Mitglied des Raths gewesen ist und achtmal das Seepter des kleinen Freistaats geführt hat;"""" auch in dem Geburtsjahre seines grossen Neffen war er regierender Bürgermeister.*""^ Dass ein Mann wie Tilman von Allen zu den wichtigsten Gesandtschaften in der für Preussen so bewegten Zeit seines

  • Die Familie von Allen gehörte zu den ältesten und angesehensten

Thorner Greschlechtern. Sie bat sich 163 Jahre hindurch (von 1320 - 1503) im Rathe erhalten. Der letzte war Bertram von Allen, der in den Jahren 1479_14S1 zugleich mit Niclas Koppernigk im Schöppenstuhle gesessen. Derselbe wurde 1483 in den Bath gekoren, hat also wahrscheiülich, obgleich derselben Familie angehörig, in keiner nähern Verwandtschaft mit Tüman von Allen gestanden. Im Jahre 1500 folgte Bertram seinem grossen Familiengenossen in der Würde eines regierenden Bürgermeisters und starb im Jahre 1503. Der letzte aus der Familie im Schöppenstuhle war Hans von Allen 11508-1527). - Das Wappen der Familie von Allen befindet sich noch gegenwärtig auf dem Rathhause zu Thorn.

  • ♦ Tilman von Allen war einer der bedeutendsten Männer seiner

Vaterstadt. Er wurde im Jahre 1459 Mitglied des Altstädtischen Gerichts, sasB jedoch nur 2 Jahre im Schöppenstuhle ; schon im Jahre 1461 ward er in den Bath gekoren, dem er bis zu seinem Tode 38 Jahre hindurch angehörte (1461 - 1499). Regierender Bürgermeister war er in den Jahren 1473, 1477, 1481, 1485, 1489, 1493, 1496, und in seinem Todesjahre 1499. Nach Praetorius (Thorner Ehreutempel S. 26) war Tilman von Allen auch „der erste, der als Rathmann die burggräfliche Würde und zwar zweimal erhielt, da bis dahin, obwohl dem Könige zwei Bürgermeister und zwei Rathmänner zur Wahl eines Burggrafen vorgeschlagen wurden, die Wahl doch stets auf einen Bürgermeister fiel“. Zum erstenmale hat Tilman von Allen das Amt eines Burggrafen im Jahre 1468 bekleidet, und zwei Jahre darauf ward er noch einmal durch das Vertrauen des Königs von Polen zum Vertreter seiner Gerechtsame erkoren. Als Bürgermeister ist er dagegen auffallenderweise niemals königlicher Burggraf gewesen.

      • Gelegentlich darf hier wohl die kleine Notiz beigegeben werden, dass

der Nachfolger des lllman von Allen als regierender Bürgermeister Marcus König gewesen ist, dessen Name durch Gustav Freytag's Dichtung in weitesten Kreisen bekannt geworden ist. (Nur den Namen hat Freytag übrigens von den Thorner Chronisten entlehnt; der Marcus König der Geschichte lebte zwei Menschenalter vor Herzog Albrecht und gehörte zu den erbittertsten Gegnern des deutschen Ordens ; er war Mitglied des Raths in der verhängnissvollen Zeit des Abfalls von der Ordensherrschaft 1464-1477.)

DER OHEIM LUCAS WATZELRODE. 73

Lebens gebraacht warde^ bedarf kaum der Erwähnung. Ich hebe hier nur noch hervor, dass er sich auch im Kriegsdienste firtth auszeichnete; im Jahre 1462 wurde dem jungen Rathmanne der Oberbefehl über das eroberte Ordensschloss Schwetz übertragen.

Die zweite Tochter von Lucas Watzelrode, Barbara, war die Gattin von Niklas Koppernigk.

Der einzige Sohn von Lucas Watzelrode war das jüngste seiner Kinder. Er hatte in der Taufe den Vornamen seines Vaters erhalten.

C. Lucas Watzelrode der Oheim.

Bevor wir das Lebensbild von Coppernicus zu zeichnen beginnen, ist es nothwendig, noch in eingehenderer Weise eines Mannes zu gedenken, der auf sein Lebensgeschick, auf seine äussern Verhältnisse wie auf die geistige Entwickelung , einen sehr bestimmenden Einfluss ausgeübt hat. Es muss hier jedoch genügen, ein skizzirtes Bild von den Lebens-Schicksalen des mütterlichen Oheims Lucas Watzelrode bis zu der Zeit zu entwerfen, da er auf die ermländische Kathedra erhoben ward.

Lucas Watzelrode ist am 29. November 1447 geboren; diese Daten sind uns durch Coppernicus selbst tiberliefert. Er stand noch im Knabenalter, als ihm der Vater 1462 durch den Tod entrissen wurde. Die Sorge für die Erziehung scheint nun sein angesehener Schwager Tilman von Allen übernommen zu

  • Einer der Nachfolger von Lucas Watzelrode, der Bischof Johannes

Dantiscus, hatte von Coppernicus über seinen Oheim chronologische Daten eingefordert. Er übersendet dieselben in dem (Bd. Ü, S. 163} abgedruckten Briefe d. d. 11. Jan. 1539:

„Caeterum quod scire ex me petit, quanto tempore vixerit felicis recordationis quondam Lucas a Waczelrodt, R. D. V. praedecessor , avunculus meus: vixit annos 64, menses 5; in episcopatu annis 23; obüt penultima Bfartü, anno Christi 1522. In quo illa generatio finem accepit, cuius insi^nia in antiquis monumentis et multis operibus extnnt Torunü.„

74 LUCAS WATZELBODE DER OHEDf.

haben. "^ Nur bei Voraussetzung eines solchen Pietäts-Verhältnisses wird es erklärlich, dass Lucas Watzelrode seinem Familien-Namen später den Zusatz „von Allen“ beigefügt habe, mit welchem er nach dem Vorgange der ermländischen Kirchenhistoriker bei den meisten Neueren aufgeführt wird/

“-*

  • Nach Ausweis der Thorner Gerichts- und Rechnungsbücher nahm

Tilman von Allen die Zins -Zahlungen für seinen minorennen Schwager in Empfang. Auch in späteren Jahren hatte Lucas Watzelrode jenen mit der Verwaltung seines Vermügens betraut. Als Beleg diene eine Verhandlung des S. 65 erwähnten „Über copiarum etc.“, welche Bender a. a. 0. S. 81 veröffentlicht hat:

Czu wissen : Der Rath und die eldesten heren haben sich vortragen mit meister luca watczinroden, zo das man em uff sein teil der schuld obgeschreben des Jar uszrichten und geben sal 25 ungerische gülden, die helffte czu halben jaren, alzo nemlich dy erste gulde uff ostem nehstczukomenden I2V2 gülden und domoch uff martini Im sc. 72^“„ jore ouch 12V2 gülden und also vordan alle halbe jore czu 1 2 V2 golden die weile her im gtudio sein wirt, und solch gelt und gülden sal man antworten hera Tylman von allen uff alle termine und tage czu halben joren, alze hie oben ist geschreben. Actum im vollen Rathe fer. secunda post omnium sanctorum anno sc. 71.

    • Die altem ermländischen Kirchenhistoriker, Treter de episcop. etc.

eccl. Varmiens. p. 68, der Verfasser der series episcopomm Varm., femer auch Leo in der historia Prussiae p. 333 u. A. nennen den Bischof Lucas Weisseirot dictus de Allen, oder alias de Allen. (Ebenso heisst er bei den Thorner Chronisten Zemecke, Centner und den meisten unter den neueren Biographen Lucas Watzelrode genannt von Allen, oder „sonst von Allen“.} Es ist daher die Meinung entstanden, dass der Name der Familie, welcher der Bischof Lucas angehört, Watzelrode von Allen gewesen sei. Auf diesen Irrthum hat bereits Hartknoch (Preuss. Kirchenhistoria S. 155) aufmerksam gemacht und ausdrücklich bemerkt, dass die Watzelrode (oder wie er sie nennt „Weisselrode“) und die von Allen zwei verschiedene Thorner Geschlechter gewesen seien. Man scheint seine Berichtigung jedoch, wenig beachtet zu haben; daher musste Humboldt durch Mittheilung eines Briefes von Johannes Voigt (Kosmos IL, S. 497} dies nochmals hervorheben. Voigt irrt jedoch, indem er hinzusetzt, es sei nur ursprünglich „das G^eschlecht der Waisselrode von dem Geschlechte derer von Allen verschieden gewesen“, und habe später „den Namenszusatz von Allen angenommen“. Nur der Bischof Lucas hat diesen Zusatz vielleicht angenommen. Es liegt die im Texte ausgesprochene Vermuthung nahe, dass dieser durch irgend ein Pietätsverhältniss bewogen den Familiennamen seines Schwagers dem seinigen hinzugefügt habe. Eine sichere Bestätigung und Motivirung dieser Annahme habe ich jedoch bisher nirgend aufgefunden; ja ich habe sogar

LUCAS WATZELRODE . DER OHEIM. 75

Lucas Watzelrode hatte noch nicht das 16. Lebensjahr vollendet, als er von seinen Vormündern auf die Landes-Universität Erakau gebracht wnrde.* Wie lange er dort stndirt hat, ist unbekannt; ebenso lässt sich zur Zeit nicht mit Sicherheit angeben, welche deutschen Universitäten er nach seinem Abgange von Krakau besucht, wann und wo er sich den Magister-Titel erworben hat."^* Sicher ist es, dass er in seinem 22. Lebeni^ahre bereits

in keinem einzigen urkundlichen Schriftstückid - weder in Thorn noch in Frauenburg - jenen Zusatz bei dem Namen des Bischofs Lucas gelesen, so dass es mir überhaupt sehr zweifelhaft erscheint, ob letzterer denselben sich wirklich beigelegt habe. Auch Centner hatte (Greehrte und gelehrte Thorner S. 46) bereits Bedenken hierüber geäussert. Nach Anführung der ermländischen Schriftsteller, die den Namen „Watzelrode von Allen“ zuerst dem Bischöfe Lucas gegeben, sagt er : „es ist aber nicht zu begreifen, wo es hergekommen. Dass er mit dem Hause von Allen durch seine Schwester Katharina verschwägert gewesen, wird sich unten zeigen, aber das kann kein Grund seyn, sonsten müsste er auch mit solchem Rechte Copernick heissen, weil seine andere Schwester Barbara den Vater des grossen Sternkundigen zur Ehe gehabt.“ Er meint dann , es Hesse sich jener Zusatz nur dadurch erklären, dass Lucas Watzelrode von einem Verwandten aus der Familie von Allen adoptirt und bei seinen Stadien unterstützt worden sei. In einem handschriftlichen Zusätze zu dieser Stelle Centner's, der von einem in der altern Geschichte Thorns erfahrenen Manne herrührt, wird mit Hinweisung auf „Manusoripta plura“ mitgetheilt, dass Tilman von Allen es gewesen sei, der den Lucas Watzelrode auf der Universität unterstützt habe, und dass dieser deshalb später seines reichen Schwagers Namen aus Dankbarkeit angenommen. Diese Notiz erklärt den fraglichen Punkt ; ich kann sie jedoch nicht als verbürgt bezeichnen, da ich ihre Quellen bisher nicht aufgefunden habe.

  • Durch die Matrikel der Universität Krakau wissen wir, dass Lucas

Watzelrode im Wintersemester 1463 unter die Scholaren aufgenommen ist. Er ist dort eingezeichnet als „Lucas Luce de Thorun dioec. Culmensis“ mit der Bemerkung, dass er die Immatrikulationfr-Crebühren mit 4 Groschen bezahlt habe. Von späterer Hand ist die Bemerkung „episcopus Varmiensis“ beigefügt.

Gleichzeitig mit Lucas Watzelrode wurde sein Landsmann Niklas Friedewald immatrikulirt; ausserdem je ein Scholar aus Elbing, Danzig und Braunsberg.

    • In Krakau hat Lucas Watzelrode den Kursus der Artisten-Fakultät

nicht absolvirt ; in dem dort erhaltenen „über promotionum“ findet sich sein Name nicht. Eine vereinzelte handschriftliche Thorner Notiz berichtet, es habe Tilman von Allen seinen Schwager in Prag und Leipzig studiren lassen ; es geschieht dies in einer Randbemerkung zu der Schrift von Centner

76 LÜCAB WATZELRODE DER OHEIM.

in der Artisten-Fakultät promovirt hatte. Er wird als Magister aofgeftthrt in einer Verhandlung des Thorner Schöppenbnehes aus dem Anfange des Jahres 1469."^ Damals verkaufte er einen Theil der ihm von seinem Vater überkommenen Liegenschaften an seinen Schwager Tilman von Allen; er musste sich Geldmittel beschaffen, weil er, um seine Studien im kanonischen Rechte zu vollenden, über die Alpen pilgern wollte. Er hatte sich die altberühmte Universität Bologna erkoren, welche während des Mittelalters als die klassische Schule der Juristen galt. Hier ist Lucas Watzelrode im Laufe des Jahres 1469 eingetroffen und im Wintersemester 1469/70 in die Matrikel der natio Germanorum der Juristen-Universität eingetragen.

â– “-*•

„Geehrte und gelehrte Thorner“ , welche einem jüngeren Kollegen desselben J. S. Sammet angehört. Der eifrige Notizen-Sammler verweist aasdrttcklicb auf „Manuscripta plora“ zu Thorn, dieselben sind aber gegenwärtig nicht bekannt.

^ Die im Texte erwähnte Einzeichnung des Altstädtischen Schoppenbuches lautet : „Magister Lucas Watzelrode hot bekant vor gehegtem dinge das her vorkoft hot dem Ersamen hem Tilman von allen IX hüben czu ffrede gelegen dy etwan seynes vatirs hern Lucas watzelrode zeugen gedechtniss gewest seyn Des Kouflfs vnde der beczalunge seyn sie wol eyns.

    • Die Akten der deutschen Rechts-Studenten zu Bologna, über welche

in einem spätem Abschnitte ausführlich berichtet werden wird, sind im Archive der Grafen Malvezzi durch Dr. C. Malagola aufgefunden, und die auf Coppernicus und seinen Oheim bezüglichen Eintragungen in seiner Biographie des Antonio ürceo Codro (Bologna 1878) veröffentlicht worden. Die Einzeichnung des Lucas Watzelrode in die „Matricula nobiliss. Gennan. collegü“ findet sich auf Blatt 64; sie lautet:

„Anno Domini M.CCCC.LXX Spectabilibus Dominis ülrico Friess de Augusta, et Liborio de Schlieben electis procuratoribus, in Catalogum cooptati sunt:

D. Magister Lucas Wasserodt de Torn bononenos decem“

Die entsprechende Eintragung in die „Annales Clariss. Nac. Gtorm.“ (fol. 114; lautet.

„Recepta.

A Magistro Luca wassenrode de Thorn decem solidos.“ In dem letztern Manuskripte steht zur Seite des Namens eine Bischofs

LUCAS WATZELBODE DER OHEIM. 77

Unter seinen Kommilitonen nahm er früh eine hervorragende Stellung ein. Schon zwei Jahre nach seiner Ankunft wurde er mit der höchsten Würde in der natio bekleidet; am 6. Januar 1472 ward er zum „Prokurator“ erwählt.* Im Geburtsjahre seines grossen Neffen wurde ihm, während er noch einfacher Scholar war, eine )„lectura extraordinaria“ von der Universität anvertraut ; er las über das decretum Gratiani.** Gegen Ende dieses Jahres,

Mütze und Stab gezeichnet, und daneben ist von späterer Hand beigeschrieben: „Qui postea factus est episcopus Warmiensis“.

  • Das Protokoll über die Wahlhandlung der Prokuratoren der natio

Germanorum für das Jahr 1472 haben die „Annales“ auf Fol. 116 recto aufbewahrt :

„1472

„Anno domini 1472, die sexta mensis Januarij, qua erat festum epifanie domini, pontificatus sanetissimi in cristo patris et domini domini sixti quarti, divina Providentia pape quarti , anno eins primo Congregata inclita nacione Dominorum theotonicorum in utroque Jure scolarium bononie studencium in eclesia saneti fidriani extra portas bononie, ut moris est, elegerunt Concorditer nemine discrepante, in suos procuratores nos bussonem drakenstet de hallis de saxonia etlucam waczenrod de thorun de prusia, quod officium acceptavimus secundum statutorum nostri nacionis tenorem . . . .“

Die Namen der Prokuratoren finden sich dann gleichfalls verzeichnet in der Matrikel der natio Germanorum (Fol. 65 recto) :

“Anno Domini M.CCCC.LXXÜ.

Egregüs Dominis Bussone Drackenstett de Hallis de Saxonia et Luca Wassenrode de Thorn de Prussia electis procuratoribus, albo ascripti sunt:

    • Die im Texte erwähnte Notiz verdanken wir gleichfalls den eifrigen

Forschungen Malagola's. Derselbe fand in dem „rotulus“ (dem LektionenVerzeichnisse) für das Studienjahr 1473/74 Lucas Watzelrode aufgeführt als Inhaber einer ausserordentlichen „Lectura Decreti“. Dergleichen „lecturae“ wurden meistens armen Studenten verliehen, welche in einer Disputation ein Specimen ihrer Kenntnisse gegeben hatten.

Der von Malagola (a. a. 0. S. 520) mitgetheilte Auszug aus dem Rotulus lautot :

Lecture üniversitatis.

Ad Lecturam Decreti ordinariam:

D. Andreas .... de Imola Ad Lecturam Decreti extraordinariani

D. Lucas de thoronia de Prusia Ad Lecturam Sexti et dementinarum etc. etc.

78 LUCAS WATZELRODE DER OHEIM.

am 18. December 1473, ward er zum Doktor im kanonischen Rechte promovirt.*

  • Die umfangreichen Dokumente über die Promotion des Lucas Watzelrode im kanonischen Rechte hat Malagola gleichfalls aufgesptlrt und in

der erwähnten Biographie des Urceo Codro p. 521 ff. veröffentlicht. Wir gewinnen durch sie eine Bestätigung der schon auf die Uebemahme einer „leotura extraordinaria“ gegründeten Ansicht, dass Lucas Watzelrode während seiner langen Studienzeit das ererbte Vermögen wohl ziemlich aufgezehrt hatte. Das Honorar., welches die Scholaren für eine lectura eztraordinarla erhielten, - es waren gemeiniglich 100 Bologneser Lire - diente meistens zur Bezahlung der Promotionskosten. Auch Lucas Watzelrode wollte sie hiezu verwenden. Nun hatte er aber das ihm gebührende Honorar noch nicht erhalten. Er stellte deshalb einen Bürgen, den Professor des kanonischen Rechts Antonio da S. Pietro, welcher sich für ihn verpflichtete, den Examinatoren im Laufe von vier Monaten die Grebühren für die Promotion zu zahlen. Dafür übergab Watzelrode an Antonio Pietro die Vollmacht, das ausstehende Honorar einzuziehen; er liess ihm ausserdem noch eine Eiste mit Büchern zum Pfände.

Aus verschiedenen Gründen erscheint der Wieder-Abdruck der freilich sehr weitläufigen Dokumente hier nicht überflüssig, zumal Malagola's Werk ausserhalb Italien doch nur wenig verbreitet ist:

Dokument 1.

„Die XV decembris (1473). Dominus lucachas (!) quondam alterius luce de torronia diocesis Credinensis (!) constituit me (Antonium de Sancto Petro, priorem) suum procuratorem ad exigendum pecunias, sue lecture, prout in instrumento rogato per notarium nostri collegü continetur.“ - (Staats -Archiv. - Abtheilung Archivio dei CoUegi dello Studio. - Primus Liber secretus lur. Pont, ab Anno 1377 ad Annum 1528, Blatt 134 v.)

Dokument 2.

„Dicto die (XV decembris a. 1473;. DictuB dominus luchas obligavit se de solvendo infra tempus quatuor mensium pecunias debitas doctoribus pro examine et conventu et deponere unam cassam librorum suorum penes.“ - {Staats-Archiv. - Abth. Archivio dei Collegi dello Studio. - Prim. Lib. secr. lur. Pont. etc. Blatt 134 v.;

Dokument 3.

„„Die XVÜI decembris. Examinatns et couventuatus fuit dictus dominus Lucas, presentatus per dominum Bartolomeum de lambertinis et dominum loannem de Sala et me (Antonium de Santo Petro), et fuit aprobatus nemine discrepante, et ego dedi iusignia doctoratus.“ - (Staats -Archiv. - Abth. Archivio dei Collegi dello Studio. - Prim. Lib. secr. lur. Pont. etc. Blatt 134 v.)

LUCAS WATZELKODE DER OHEIM. 79

Nach Beendigang seiner Stadien kehrte Lucas Watzelrode in die Heimat zurück und wirkte einige Zeit an den öffentlichen

Dokument 4.

„Die quintodecimo decembris 1473. D. Lucas, quondam alterius luce de Torronia, diocesis col^ mensis, scholarus Btudens in Iure canonico , Sponte etc. constituit Eximium Juris utriusque doctorem dominum Antonium de Sancto Petro, tunc ibidem presentem et acceptantem specialiter et expresso, Ad pro ipso constituente et eins nomine Exigendum, recipiendum seu consequendum A depositario pecnniarum dominorum doctorum et aliorum legentium In studio Bononie, Salarium et omnes et quascumque pecunias ipsi constituentj debitas pro una lectura quam ipse constituens de Anno ...(!) habuit in studio Bononie, et ad faciendum et exercendum omnia et singula que pro dicta facienda exactione pro consequutione dictarum pecuniarum necessaria fuerint, utilia vel opportuna, Cum potestate quietandj omnes et quoscumque Solventes etc., in plena forma promittens Dictus Constituens firma et rata habere sub ipsius constituentis h^otheca et obligatione “ bonorum.

Actum ut in proxime. Eiusdem millesimo etc. prefatus dominus Antonius promisit mihi notario infrascripto ut et tamquam predicte persone stipulantj vice et nomine dictorum dominorum Collegü et doctorum, solvere eisdem saltem infra quattuor menses proxime futuros salarium et Stipendium eisdem debitum pro examine et conventu dicti domini luce in forma plenissima.

Eisdem millesimo etc. Prefatus D. Lucas, Selens et cognoscens prout ad instantiam dicti domini Antonij pro ipso domino luca fecisse et soluisse expensam debitam domino Archidiacono pro examine et conventu dicti domini luce, et etlam promisisse mihi notario etc. stipulantj vice et nomine dictorum Dominorum Collegij et doctorum, promisisse infra quattuor menses proxime futuros salarium seu Stipendium pro examine et conventu ipsius domini luce Jn Jure Canonico, Cuj examinj Jdem dominus lucas dixit velle se subijcere die sabbatj proxime futura, et que expensa ascendit ad summam librarum .... (sie!).

Et ob id se dominum lucam, si et causa quo contingerit prefatum domi. num Antonium non posse saltem infra quattuor menses proxime futuros exigere et habere dictas pecunias, tenerj et obligatum esse ad dandum et solvendum dicto domino Antonio dictam pecuniarum Summam, et hoc saltem in fine dictorum quattuor mensium; Et pro maiori ipsius Domini Antonij cautione Idem Dominus Lucas promisit dicto domino Antonio presenti et stipulantj deponere penes ipsum dominum Antonium unam cistam plenam libris ipsius domini luce, sigillandam, et retinendam per ipsum dominum Antonium In depositum, donec et qaousque ipsi domino Antonio Jntegre „\t solutum de dicta pecuniarum summa; Obligans Jdem dominus Lucas se ad predieta omnia et singula in forma pHeniorj camere apostolice etc.

80 LUCAS WATZELRODE DER OHEIM.

Schalen seiner Vaterstadt. Hier knttpfte er „mit einer frommen Jungfer “ - wie der Chronist sich naiv ausdruckt - ein Liebesverhältniss an, aus dem ein Knabe entspross, welchen der Vater als Bischof späterhin in Braunsberg versorgte.*

Acta fuerunt predicta Bononie in sacristia parva ecclesie cathedralis^ presentibus Reverendo priore domino ludovico de ludovisijs arcbidiacono Bononie, domino Bertholomeo de lambertinis Juris utriasque doctore, Christophoro quondam M. Joannis'cive Bononiensi bidello dicti collegy, et domino Joanne Bornardinj de Civitate penne In Aprucio, scholare studente Bononie Jn Jore canonico, qui dixerunt etc., testibus etc.

Et qui dominus lucas etiam tunc Ibidem luravit non esse contra collegium vel singulares de collegio.“ - (Staats -Archiv. - Abtb. Archivio dei Collegi dello Studio. - Acta (Collegij) juris Pontificij a die 15 Februarij 1473 ad diem 13 Augusti 1498, Blatt 13 verso und 14 recto.)

Dokument 5. „Die deeimo octavo decembris 1473.

Congregato dicto Collegio, In cuius congregatione Jnterfuerunt dominus Antonius de Sanctopetro prior, dominus Bartholomeus de lambertinis, dominus ludovicus de muzolis, dominus marcus de muzolis, dominus loannes de Sala et dominus philippus de Sanctopetro.

Et etiam Interfuerunt dominus ludovicus domini Bomij de Sala, dominus ludovicus de Sanctopetro, dominus Baidassar de mantechitis et dominus Gaspar de caldarinis, doctores deputatj loco absentium; et etiam interfuit dominus Graspar de Sala unus ex supranumerarüs doctoribus dicti Collegij et assistente dicto Collegio venerabili decretorum doctore domino Andromache de milanis, vicario Reverendi domini ludovici de ludovisüs archidiaconj Bononiensis, fuit in dicto collegio dominus Lucas quondam alterius luce de Torronia, Diocesis colmensis, scholaris Iuris canonici presentatus per dictos dominum Antonium de Sanctopetro , dominum Bartolomeum lambertinum et dominum Joannem de Sala, Et examinatus ita et taliter se habuit, quod fuit approbatus nemine discrepante, et ita relatum dicto domino vicario, qui cum graduavit Jn Jure canonico et cuj domino luce prefatus dominus Antonius de Sanctopetro dedit Insignla ad laudem dej.“ - (Staats -Archiv. - Abth. Arch. dei Coli, dello Studio. - Acta (Collegü) iur. Pont. etc. Blatt 14 verso.)

  • Den Bericht über den Sohn des Lucas Watzelrode finden wir bei

den ermländischen Kirchenschriftstellem, zuerst in dem werthvollen Werke des Domdechanten Kreczmer (f 1604) „Vom Bischthumb Ermlandt“. Letzterer nennt Watzelrode's Geliebte „eine fromme Jungfer“, sein lateinischer üebersetzer, der Domkustos Treter, hat dies freilich nur mit „puella quadam“ übertragen.

Der Knabe erhielt in der Taufe den Namen Philipp und führte - wahrscheinlich nach der Mutter - den Namen Teschner. Als er herangewachsen

LUCAS WATZBLBODB DER OHEDf. 81

Wann Lucas Watzelro de die hohem geistlichen Weihen auf sich genommen, ist uns nicht überliefert ; es fehlen überhaupt verbürgte Nachrichten über die nächsten Jahre seines Lebens. Ln Jahre 1475 war er - wie ein Vermerk in einigen Thorner Manuskripten angiebt - „Thumherr der Kirchen in Culmsee“.*

war, wurde er von seinem Vater nach Ermland gefUbrt, woselbst er nachmals in unmittelbarer Nähe seines Vetters Coppernicus als Bürgermeister in Braunsberg lebte.

Im Ausgange des 15. Jahrhunderts blühte in Thorn ein angesehenes Kaufmanns -Geschlecht Namens Teschner, einige Glieder standen mit den Watzelrodes, AUen und Koppernicks in vielfachen GeschSftsbeziehungen. Vielleicht war einem Zweige dieser Familie der „Magister Albrocht Teschner“ entsprossen, welcher gerade in der Zeit, als Lucas Watzelrode nach Thorn zurückgekehrt war, Rektor der dortigen Stadtschule war (1470-1477). Durch alle diese Beziehungen wird die Annahme gestützt, dass Lucas Watzelrode nach Beendigung seiner Studien eine Zeitlang an der Thorner Johannisschule Unterricht ertheilt hat.

Die Liebschaft mit der Rektors-Tochter, wie sein Vorleben zu Bologna als Prokurator der natio Germanorum, bekunden hinlänglich, dass Lucas Watzelrode in der Jugend nicht zu den Heiligen gerechnet werden konnte, und dass die ermländischen Kirchenhistoriker, denen der Bastard-Sohn desselben sehr wohl bekannt war, in zu. naiver Weise die Ueberlieferung weiter verbreiteten, dass Bischof Lucas ein dfvdpoittoc dY^Xaoroc gewesen sei.

♦ Nach Polkowski's Angabe (Äywot Kopernika p. 77) hat Lucas Watzelrode auch ein Kanonikat in dem polnischen Domstifte zu Wlociawek besessen , einer Weichselstadt 10 Meilen stromaufwärts von Thorn entfemt. Mit Berufung auf Ksi^ga ^wiata Katedra w Wloclawku iS57 p. 41 theilt Polkowski nämlich mit, dass in der Fundations-Urkunde des Hospit&ls zu Kowal neben dem kujawischen Bischöfe Zbigniew Ole^nicki „Lucas de Thoran Decretomm Doctor canonicus Vladislaviensis“ ials Zeuge aufgeführt wird. Diese Notiz sucht Polkowski nun sofort fUr die Tendenz seiner Schrift zu verwerthen, und sie ist in der That auffallend. Es ist sonst kaum ein Beispiel bekannt, dass Söhne deutscher Bürger in polnischen Domstiften Aufnahme gefunden haben; diese Pfründen wusste der Adel für seine nacbgebomen Söhne zu bewahren.

Die frühem Beziehungen der Watzelrode-Koppernigk zu dem altern Zbigniew Olesnicki reichen nicht aus, den Eintritt des Lucas Watzelrode in das Kapitel zu Wloclawek zu erklären; die Freundschaft der Preussen mit den polnischen Grossen war damals bereits sehr erkaltet. Es wird also nur die wissenschaftliche Stellung Watzelrodc's gewesen sein, welche den kujawischen Bischof bestimmt hatte, sein Kapitel mit einem Doctor decretorum zu schmücken. Uebrigens lebte Watzelrode auch später einige Zeit an dem Hofe Ole^nicki's, als dieser zum Erzbischofe von Gnesen befördert war. I. 6

82 LUCAS WATZBLBODE DEB OHEDC.

Von hier trat er in das Domstift von Ermland. Das Jahr ist unbekannt; verbürgt ist nur, dass er bereits im Jahre 1479 ein Kanonikat in Franenburg besessen."^

Bei der ermländischen Kathedrale hat Watzelrode nicht lange Residenz gehalten. Nachweislich lebte er von ihr entfernt in den Jahren 1480 - 1483; ausserdem wissen wir, dass er sich als Bevollmächtigter der ermländischen Kirche in Rom befand, als er (am 19. Februar 1489, an dem 17. Geburtstage seines grossen NeflFen) zum Bischöfe von Ermland erwählt wurde.

Die Expedition der apostolischen Bestätigungs-Bulle konnte Lucas Watzelrode, da er zu Rom verblieben war, selbst betreiben; Innocenz VÜI. unterzeichnete sie am 3. Juni. Sobald er dieselbe in Händen hatte, Hess er sich die bischöfliche Weihe ertheilen und trat dann sofort die Reise in die Heimat an, um von seiner Kathedra Besitz zu nehmen. Er hielt zu Frauenburg seinen Einzug am 22. Juli 1489.

  • Erhalten ist uns ein Verzeichniss der ermländischen Domherren, nach

den sogenannten Numerar-Kanonikaten geordnet. Allein die Inhaber des 10. Kanonikats, welches Watzelrode besessen, beginnen erst mit diesen! selbst ; es lässt sich sonach auch nicht aus dem Todesjahre seines Vorgängers ein Schluss auf die Zeit seines Eintritts ziehen. In andern ermländischen Schriftstücken wird sein Name zuerst im Jahre 1479 aufgeführt. Vgl. Ermland. Zeitschrift I, 171.

Zweites Buch. Die Jugendjahre. Thorn 1473-1491.[recensere]

Zweites Buch.

Die Jugendjahre. Thorn 1473-1491.

Nicolaus Coppernicus ist zu Thorn am 19. Februar 1473 geboren.* Er war das jüngste von vier Kindern^ welche

  • Urkundliche Belege sind für den Tag der Geburt von Coppernicus nicht

beizubringen. Deshalb haben Einige unter den Neuern - ich nenne Humboldt (im Kosmos), Delambre (in seiner histoire de l'astronomie moderne) u. a. - Bedenken getragen, chronologische Bestimmungen über den Geburtstag von Coppernicus anzugeben.

Der 19. Februar 1473 ist als Geburtstag von Coppernicus zuerst bezeichnet von Peucer, dem Schwiegersohne Melanchthons, in seinen „elementa doctrinae de circulis coelestibus“ : „N. Copernicus Torinensis .... natus a. 1473 Febr. die 19 hora 4 scrup 48.“ Peucer stand in näherer Verbindung mit Rheticus, welcher auf besondere Einladung Melanchthons (opp VÜ ep. 4726) auch dessen Hochzeit beiwohnte. Diese ward in demselben Jahre (1551) gefeiert, als Peucer seine „elementa“ etc. schrieb; es ist daher nicht unwahrscheinlich, dass er das Datum der Geburt des Coppernicus von Rheticus erkundet hat. Für die Sicherheit des Datum bürgt auch, wie nach Lichtenberg's Vorgange (Verm. Schriften VI, 117) bereits mehrfach hervorgehoben ist, die im 16. Jahrhunderte übliche Sitte der Astronomen, einander die Nativität und das Horoskop zu stellen; daher finden wir in obiger Angabe sogar die Minute hinzugefügt, in welcher Coppernicus das Licht der Welt erblickt haben soll. Freilich liegt andererseits die Vermuthung sehr nahe, dass die ganze Angabe lediglich auf astrologischer Basis ruhe„ und dass bei der grossen Vorliebe der Zeit für Nativitätsstellerei und dgl. eine besondere Konstellation der Gestirne in der angegebenen Stunde dieselbe hervorgerufen habe.

Peucer's Angabe ist zunächst aufgenommen von Paul Eber, dem Freunde Melanchthons, in seinem „calendarium historicum“ (ed. 1571) pag. 32, und sodann von Mae Stil n , dem berühmten Lehrer Eepler's, welcher in einer Anmerkung zu dem von ihm besorgten Abdrucke der Narratio prima des Rheticus (p. 96) sagt: „Nie. Coperaicum natum roferunt anno 1473 die 19. Febmarü hora 4 scr. 48 p. m. die Veneris ante Cathedram Petri.“

86 DER GEBURTSTAG.

der Ehe von Niklas Koppernigk und Barbara Watzelrode entsprossen sind.'"

Allgemeinere Aufnahme hat die Bezeichnung des 19. Februar, als des Geburtstages von Coppernicus gefunden, seit Petrus Gassendi in seiner „vita Copernici“ (ed princ. p. 4) sich für dieselbe „ob Maestlini auctoritatem“ entschieden hat. Vor ihm hatten dieselbe bereits aufgenommen : Boissard in s. bibliotheca chalcograph. illustr. virorum, Melchior Adam in s. vitae german. philos., Nie. Mulerius in der kurzen Biographie, die er seiner im Jahre 1617 erschienenen Ausgabe des Coppernicanischen Werkes voraufschickt u. a. m.

Für die Neueren ist Licjhtenberg's Urtheil massgebend gewesen, welcher a. a. 0. S. 111 ff. eine kritische Zusammenstellung der Zeugnisse über die Zeit der Geburt von Coppernicus gegeben und sich „ob Gkissendi iudicium et autoritatem“ gleichfalls für den 19. Februar ausgesprochen hat. Nur vereinzelt findet man gegenwärtig noch andere Daten als den 19. Februar flir den Geburtstag von Coppernicus angegeben. Dieselben, dürfen hier keine Erwähnung finden. Nur Czynski ist anzuführen, welcher in seinem vielverbreiteten Buche „Kopernik et ses travaux“ (p. 26) den 12. Februar angiebt. Dass dies lediglich einem Versehen zuzuschreiben ist, folgt aus der mit Maestlin übereinstimmenden Angabe der Stunde und Minute. Den. noch ist dies irrthümliche Datum von namhaften Schriftstellern weiter verbreitet worden, u. a. von Fr. Arago (Oeuvres ÜI, 173).

Einige ältere Schriftsteller, welche nicht den 19. Februar als Geburtstag von Coppernicus annehmen, weichen auch in dem Jahre ab; es sind u. A. Weidler in der historia astronomiae p. 342 und Lalande in seiner „Astronomie“. Diese folgten der Autorität eines italienischen Astronomen, Junctinus (1523-1580), welcher in seinem „calendarium astrologicum“, den 19. Januar 1472 als Greburtstag von Coppernicus bezeichnet, und mit demselben Scheine von Präcision, wie Maestlin, genauere Bestimmungen über die Zeit der Geburt von Coppernicus anzugeben weiss, welche nach ihm um 4 Uhr 38 Minuten Nachmittags erfolgt sein soll. - Riccioli, welcher des Junctinus Angaben“ kannte, verwarf dieselben gleich wie Gassendi. Ersterer setzt aber noch ganz ernsthaft hinzu: „aut falsus est Junctinus, aut conceptionis momentum ex nativitate ab astrologis indagatum est ac pro prima na ti vi täte positum“. (Almagest. nov. Chron. Ü, p. XLI) „Da kämen - hebt Lichtenberg a. a. 0. hervor -^ praeter propter e i 1 f Monate auf die Schwangerschaft der Mutter !“ Mit ähnlichem, treffendem Spotte begleitet Lichtenberg die ihm gleichfall„ aus Riccioli bekannt gewordene Nativitäts -Angabe eines andern Astrologen Joh. Garcaeus, welcher die Geburt des Coppernicus auf 1473 10. Febr. 4 Uhr 30. Min. setzt, und nachdem er den Stand der Planeten in technischen Ausdrücken bezeichnet hat, die Versicherung hinzufügt, sie bezeichneten Ingen iosität. „Also nichts weiter? - fügt Lichtenberg hinzu, - Garcaeus war ein Brandenburger und 1530 den 13. December um 13 Uhr 28 Min. geboren; was die Planeten damals bezeichnet haben, wird nicht gesagt.“

  • Ueber die Nachkommen von Niklas Koppernigk und Barbara Watzel

DER BRUDER ANDREAS. 87

Ein älterer Bruder Andreas hat mit ihm gleichen Bildungsgang genossen und eine gleiche Lebensstellung eingenom

rode erhalten wir wünschenswerthe Auskunft durch den Danziger Historiker Stenzel Bornbach. Dieser war 13 Jahre alt, als Coppernicus starb. Er stand ihm aber nicht nur in der Zeit nahe, er war auch durch seine FamilienVerbindungen wohl im Stande das Richtige zu erkunden. Er hatte eine Grossnichte des vertrauten Freundes von Coppernicus^ Tiedemann Giese, zur Frau, und stand sonach in näherer Beziehung zu den Thorner und Danziger Familien, mit welchen Coppernicus verwandt war.

Die dankenswerthe Uebersicht über die Nachkommen von Niklas Koppernigk und Barbara Watzelrode finden wir in den S. 45 bereits erwähnten „Grenealogiae, Stammregister und Abkünften etzlicher vomehmen Geschlechter und Familien in der Königlichen Stadt Dantzig.“ Das Danziger Archiv besitzt eine Abschrift aus dem 17. Jahrhunderte; es sind in diesem Manuskripte von kundiger Hand die genealogischen Bestimmungen bis gegen den Anfang des 17. Jahrhunderts fortgeführt. Der erwähnte Stammbaum ist auf S. 41 verzeichnet, unter der Ueberschrift „Continuatio Schächmannoram Genealogiae“. Mit geringen Abweichungen in den beigefügten Bemerkungen ist die Tafel auf S. 49 und 50 wiederholt.

Bombach's Angaben über die Nachkommen von Niklas Koppernigk sind bestätigt durch archivalische Schriftstücke, welche in netterer Zeit aufgefunden sind, und die später mitgetbeilt werden sollen. (Vgl. meine Schrift : Zur Biographie von Nicolaus Copernicus S. 29.) Eine wesentliche Unrichtigkeit, welche sich in der Angabe des Todesjahres von Coppernicus in Bombach's Tafel vorfindet, beweist gerade dessen kritisches Bemühen, das Richtige zu erforschen. Er hat aus dem zu seiner Zeit für Coppernicus in der Johanniskirche zu Thorn errichteten Kenotaph den 11. Juni als Todestag übernommen, fügt aber den Worten „obüt Anno 1543 11. Junü, wie sein Epitaphium ausweiset“ die Bemerkung hinzu : „ergo figura Nativitatis falsa“. In ähnlicher Weise hat Bombach in der 2. Tafel (S. 49) der Zeit-Angabe über die Geburt von Coppernicus die Worte beigefügt „ut figura genesis ostendit“; man ersieht daraus, dass ihm die Angaben von Peucer-Maestlin wohlbekannt waren. Bombach's Bemühen, nur Sicheres zu verzeichnen, kann man auch daraus erkennen, dass bei allen Namen, die er in der Stammtafel der Familie von Niklas Koppernigk aufführt, mit Ausnahme des Nicolaus Coppernicus selbst, die chronologischen Angaben fehlen ; an einzelnen Stellen sind, um diese später nachzutragen, Lücken gelassen , so z. B. für das Geburts- und Hochzeitsjahr der Barbara Watzelrode, desgleichen bei ihren andem Kindem und den Enkeln. Ebenso haben sich die Notizen in den übrigen Theilen der Stammtafel, z. B. über die Nachkommen des Tilman von Allen, als richtig herausgestellt; einige falsche chronologische Angaben reichen nicht aus, die Zuverlässigkeit im Allgemeinen anzufechten. • Im Gegensätze zu Bombach sind werthlos die verschiedenen Aufzeichnungen, welche sich in Thorn über die Nachkommen des Niklas Koppernigk

88 DIE GESCHWISTER.

men.* Die ältere unter den beiden Schwestern, Barbara, nahm

erhalten haben; ihre Angaben sind bisher durch kein urkundliches Schriftstück bestätigt.

Ein älteres Manuskript der Thorner Bathsbibliothek „Genealog, herald, famil. Pruss.“ giebt S. 325 eine Stammtafel von Lucas Watzelrode, in welcher dem „Niklas Koppernick“ nur zwei Söhne und keine Töchter gegeben werden: ausser Nicolaus ein “Oeorgins Köpemick civis Thorunensis“. Letisterer wird mit einem Sohne „Martinus chirurgns“ (“1587 flßCl) bedacht, neben acht Töchtern, bei deren Namen ganz verworrene Jahreszahlen hinzugesetzt sind. Vgl. Hipler Spie. Copern., woselbst die ganze Stammtafel abgedruckt ist.

Ueber eine zweite genealogische Tafel habe ich in meiner Schrift: Zur Biographie von Copernicus S. 27, 28 Bericht erstattet. Obwohl an verschi^ denen Stellen die Quellen, aus denen sie gezogen ist, angeführt sind, und genaue chronologische Bestimmungen beigefügt werden, können die Angaben dieser Tafel nicht als verbürgt bezeichnet werden; mehrere chronologische Beifügungen sind nachweislich falsch, und viele Notizen beruhen, wie der Verfasser selbst bemerkt, auf blosser Vermuthung. Die Stammtafel beginnt mit dem S. 45 erwähnten Michael „Czöpemika (so wird der Familienname auf dem Blatte durchweg geschrieben), als dessen Enkel „Niclas Czöpemik“, der Vater von Coppernicus, bezeichnet wird. Ihm werden fünf Kinder gegeben: vier Söhne Martin, Georg, Nicolaus, Andreas und eine Tochter, deren Vorname dem Verf. jedoch unbekannt war, und die er als „Abbatissa Culmensis“ aufführt. Als Enkel des ältesten Sohnes Martin wird ein „Georgius Czöpemik barbitonsor“ bezeichnet, von dem zehn Kinder genannt werden, bei deren Namen ganz genaue chronologische, wie anderweitige Angaben hinzugefügt sind.

Aus der vorstehenden Stammtafel scheint eine andere hervorgegangen zu sein, welche Centner in seiner Schrift „Geehrte und gelehi^te Thorner“ S. 1 1 mittheilt. Sie beginnt jnit dem Vater von Nicolaus Coppernicus, dem ausser diesem noch drei Kinder gegeben werden; die beiden letzten werden als unbekannt bezeichnet, dem zweiten Sohne Georg aber ein gleichnamiger Sohn gegeben, als dessen Kinder die in der Stammtafel zuletzt erwähnten Kinder des „G^orgius Czöpemik barbitonsor“ angeführt werden. Mit Ausnahme des ältesten Sohnes (der ganz weggelassen ist) stimmen Namen und Zahlen in beiden Tafeln vollständig überein. Ich unterlasse die Mittheilung derselben, da ich sie nicht als zuverlässig bezeichnen kann. Vielleicht gelingt es noch irgend eins der älteren Kirchenbücher aufzufinden; bis jetzt ist nur ein einziges bekannt, es ist das Taufbuch der EUrche zu St. Mariae (1616 - 1676], und in diesem sind - wie es scheint nach der im Texte erwähnten Tafel - von späterer Hand gerade die gesuchten Zusätze gemacht, so dass ich dadurch noch bedenklicher gegen die Zuverlässigkeit derselben wurde.

  • Nachstehend folgt eine kurze Zusammenstellung der Lebensschicksale

von Andreas Koppernigk. Da Coppernicus mit demselben nicht nur die

DER BRUDER ANDREAS. 89[recensere]

den Schleier im Erlöster der Cistercienserinnen zu Kulm ; sie ist als

Jugendjahre und die Zeit der akademischen Ausbildung zusammen verlebt hat, sondern die Brüder auch später an demselben Orte, in gleicher Berufsstellung, thätig gewesen sind, so werden die Gleschicke von Andreas Koppernigk, namentlich die letzte Periode seines Lebens, in späteren Abschnitten eingehender zu behandeln sein. Es schien jedoch erforderlich - selbst auf die Gefahr hin, Einzelnes vielleicht zu wiederholen, - einen gedrängten Ueberblick über sein Leben hier voraufzuschicken.

Bis vor Kurzem wusste man über den Bruder von Coppernicus kaum etwas mehr mitzutheilen , als was die kleine Notiz des Rheticus enthält„ welche sich in der Zueignungs-Schrift der Coppernicanischen Trigonometrie an Georg Hartmann findet: „audio amicitiam tibi Bomae fuisse cum autoris fratre“. Diese Notiz war von Gassendi in seine vita Copernici einfach übernommen : „de quodam eius fratre hoc solum novimus, quod Bomae aliquando fuerit, ibique amicitiam cum Georgio Hartmanno Norimbergensensi inierit“.

In Zach's „Monatlicher Korrespondenz“ (Jahrg. 1800, Band Ü, S. 285) sind einige ganz richtige Angaben über den Bruder von Coppernicus mitgetheilt; dieselben sind aber über ein halbes Jahrhundert unbeachtet geblieben.

Andreas Koppernigk ist älter gewesen als sein berühmter Bruder, wie Stenzel Bombach richtig angiebt. Das letztere wird bestätigt durch das Protokoll des Ermländischen Kapitels d. d. 12. April 1513, in welcher Andreas ausdrücklich als der ältere Bruder bezeichnet wird „ . . . licet D. Andreas Coppernigk senior dictam aspirabat optare curiam ...„

Die Brüder Andreas und Nicolaus bezogen beide im Wintersemester 1491 die Universität Krakau. Sie scheinen jedoch nicht gleichzeitig immatrikulirt worden zu sein ; wenigstens folgen ihre Namen in dem akademischen Inskriptionsbuche nicht unmittelbar auf einander, es stehen dazwischen die Namen von 15 andern Studenten; auch hat Andreas, während sein Bruder Nicolaus in der metrica studiosorum mit dem Zusätze „solvit totum“ aufgeführt wird, nur einen Theil des Inskriptionsgeldes bezahlt (4 gr.).

Die Universität Bologna hat Nicolaus im Jahre 1496 bezogen, Andreas Koppernigk ist erst zwei Jahre später dorthin gefolgt. Des letztem Name findet sich erst in dem Protokolle der natio Germanorum d. d. 24. Januar 1499 unter den Scholaren verzeichnet, welche im Laufe des Jahres 1498 bei der natio inskribirt waren.

Während seines Aufenthaltes in Bologna, im Jahre 1499, wurde Andreas Koppernigk in das ermländische Domstift aufgenommen, welchem sein jüngerer Bruder bereits seit dem Jahre 1497 angehörte. Im Sommer des Jahres 1501 kehrten beide Brüder in die Heimat zurück, um sich von dem Kapitel Urlaub für eine längere Abwesenheit von der Kathedrale zu erbitten. Sie erhielten denselben in der Sitzung vom 27. Juli, Andreas mit der Motivirung, weil er „pro literis capescendis abilis videbatur““.

Dass Andreas Koppernigk sich vor der ersten Reise in die Heimat eine Zeit lang in Rom aufgehalten hat„ ist bereits im Eingange erwähnt;

90 DIE SCHWESTERN BARBARA UND KATHARINA.[recensere]

Aebtissin daselbst gestorben;* die zweite, Katharina, heiratete einen Krakauer Kaufmann Bartholomaeus Gertner.""*

wahrscheinlich geschah dies in demselben Jahre, dem Jubeljahre 1500, in welchem auch Nicolaus zu Rom geweilt hat. Allein der Aufenthalt des Andreas zu Rom währte längere Zeit. Mit ziemlicher Sicherheit können wir bestimmen, dass er noch im Jahre 1502 dort gewesen ist. Seine Rückkehr aus Italien erfolgte wohl gleichzeitig mit der seines Bruders Nicolaus um das Jahr 1505. Auf welcher Universität Italiens Andreas sich einen akademischen Grad erworben - er ist als doctor decretorum zurückgekehrt - wissen wir nicht.

Bald nach seiner Rückkehr zur Kathedrale ward Andreas Koppernigk von einem bösartigen Aussatze befallen, welcher, lange Zeit der Schrecken des Abendlandes, neben der Syphilis im 15. Jahrhunderte nicht selten vorkam. Vergeblich erprobte sein heilkundiger Bruder Nicolaus die verschiedenen Mittel, welche damals versucht wurden; das Leiden ward bald als unheilbar erkannt. Der Unglückliche erbat nun im Jahre 1508 die Erlaubniss, sich von der Kathedrale entfernen zu dürfen, um auswärtige Aerzte zu konsultiren. Allein er fand auch bei den Special-Aerzten des Südens keine Hülfe. Die Krankheit ergriff ihn vielmehr noch heftiger, als er nach Frauenburg zurückgekehrt war. Im Herbste 1512 beschliesst das ermländische Kapitel jede kollegialische Gemeinschaft mit dem Erkrankten aufzuheben, weil derselbe wegen der Gefahr der Ansteckung zu fliehen sei. Wohin Andreas sich nun begeben, ist nicht mit Sicherheit zu bestimmen ; er scheint wieder Italien aufgesucht zu haben. Im Jahre 1516 erhält er für sein ermländisches Kanonikat durch Papst Leo X. einen Coadiutor; nicht lange nachher, jedenfalls vor dem Jahre 1519, ist der Unglückliche von seinen Leiden durch den Tod befreit worden.

  • Stenzel Bombach a. a. 0.: „Barbara Copernick + . . . Sie war

eine Eptissin zum Colmen im Kloster“. In Uebereinstimmung mit Bombach bezeichnet die S. 88 erwähnte Thorner Stammtafel die einzige Tochter von Niklas Koppernigk, welche der Verf. aufführt (deren Vorname ihm unbekannt war) als „Abbatissa Culmensis“.

    • Stenzel Bombach, dem wir auch hier genaue Angaben verdanken,

deren Richtigkeit durch neuere archivalische Funde bestätigt ist , berichtet a. a. 0.: „Catharina Copernick f . . . . vundt treuete den Bartel Gertner von Cracau vnd zeugete 5 Kinder mit ihm: 1. Catharina Cp. f . . vnd treuete den Andreas Wachsschi ah er in Thorn Ao. . . 2) Christina Cp. f Ao. . . vundt treuete den Caspar Stulpawitz zu Königsberg. 3) Regina Cp. + Ao. . . treuete den Clement Moller von Stargard. 4) George Cp. 5) Albrecht Cp.

Die vorstehenden genealogischen Angaben Borabach's sind für die Illustration mehrerer auf das Leben von Copperaicus bezüglicher Dokumente, welche in neuerer Zeit aufgefunden sind, von mannigfachem Interesse; sie werden in späteren Abschnitten Verwendung finden.

DAS GEBURTSHAUS. 91[recensere]

Als Geburtshaus von Coppernions wird durch eine von Gteschlecht zu Geschlecht fortgepflanzte Tradition das zu Thorn an der Nordost-Ecke der Bäcker- und St. Annen- (jetzigen Coppernicus-) Strasse gelegene Gebäude bezeichnet.""

  • Eine äussere Beglaabigung stand der Tradition Jahrhunderte lang

nicht zur Seite, bis es mir glückte, den S. 66 abgedruckten Erbvergleich ans dem Jahre t464 aufzufinden, in welchem sich nach dem Tode von Lucas Watzehrode die hinterbliebene Wittwe mit ihren Kindern auseinandersetzte. Damals erhielt Niklas Koppernigk „das haws yn sente Annagassen, do her ynne wonet, vnd dy ecke do Walther ynne wonet“.

Die erste schriftliche Fixirung der Tradition ist übrigens bereifs vor anderthalb Jahrhunderten erfolgt (d. h. also 150 Jahre nach dem Tode von Coppernicus). Der Thorner Bürgermeister Jac. Heinrich Zemecke sagt in seiner „Thornischen Chronica“ (Berlin 1711):

Anno 1473 den 19. Februar 4 Uhr 48 Min. nach Mittag ist allhier der Weltberühmte Mathematicus, Nicolaus Copernicus, in einem Eckhause, unweit dem Altthornischen Thore geboren.

Mit derselben Bestimmtheit hat die Tradition als ganz feststehend bezeichnet Centner „Geehrte und gelehrte Thorner“ (ed. 1763) p. 13: . . „Ach wenn das doch ein Beweggrund wäre, dem Copernicus Ehrensäulen zu setzen, da man in Thorn noch bis auf diesen Tag das Haus, wo er geboren, nach damaliger Zeiten Baukunst schier unverändert vorfindet.“ Lange Zeit hat das Coppernicus-Haus einer jeden äussern Bezeichnung entbehrt, einer jeden Hinweisung darauf, dass in den Mauern desselben einer der grössten Männer der Welt geboren ist. Erst gegen Ende des vorigen Jahrhunderts hat der Bürgermeister v. Geret den vor dem Hause stehenden Brunnen mit einer Holzpyramide bekleiden und auf dieselbe eine Weltkugel setzen lassen. Man behielt später diese symbolische Bezeichnung bei, als eine Erneuerung noth wendig geworden war. - Im Jahre 1871 ist in würdigerer Wei^e die Ehrenschuld gegen Coppernicus abgetragen worden. Auf Veranlassung des wissenschaftlichen Vereins zu Thorn, welcher sich nach seinem Namen nennt, ist dem Geburtshause eine Marmortafel eingefUgt worden, deren Inschrift den kommenden Geschlechtern fortan das Haus bezeichnet, in welchem die Wiege von Coppernicus gestanden.

Es ist zu bedauern, dass der oben erwähnte Erbvertrag, durch den die Tradition in Bezug auf das Geburtshaus von Coppernicus zur höchsten Wahrscheinlichkeit erhoben wird, nicht früher aufgefunden ist, da in diesem Falie sicherlich das Gebäude in seiner alterthümlichen Form erhalten worden wäre. Nach dem zweiten Rückfalle Thorns an Preussen beabsichtigte nämlich die Staatsregierung auf Veranlassung Schün's, des damaligen Oberprär sidenten der Provinz Westpreussen , die Kosten für die Konservation des Gebäudes zu übemehmen, verlangte jedoch vorher (durch Reskript vom 13. Juli 1819) von den städtischen Behörden eine auf archivalische Angaben

92 DAS GEBURTSHAUS.

Nicht ansehnlich erscheinen von aussen die Räume, in denen der Kaufherr Niklas Koppernigk wohnte. Der Giebel ragte nicht, wie bei andern prunkvoller angelegten Patrizier-Häusern, reich geschmückt empor; er war an der schmaleren Seitenfront nach der Bäckerstrasse hin angebracht. Aber für die Wohnzwecke konnten die innem Bäumlichkeiten besser ausgenutzt werden, als in den hochaufstrebänden, jedoch schmalen, Giebelhäusern anderer Patrizier-Familien in der enggebauten Stadt. Ueberall pflegten damals ausser den zu ebener Erde gelegenen Bäumen nur die sogenannten Hänge-Stuben und die Saal-Etage zu Wohnzwecken benutzt zu werden. Die hohen Bodenräume waren zu Schttttungen eingerichtet, für welche Niklas Koppernigk die in den benachbarten Querstrassen bequem gelegenen Speicher besser benutzen konnte.

Das Haus, in welchem - wie der übereinstimmende Glaube von Jahrhunderten annimmt - sein grosser Sohn Nicolaus geboren ist, hat Niklas Koppernigk erst nach dem Jahre 1464 bezogen, als es durch den Tod des Schwiegervaters in seinen Besitz übergegangen war. In jenem Jahre bewohnte er ein anderes Haus in der Annengasse, welches ihm gleichfalls durch Erbgang zufiel.* Er mochte jenes für wohnlicher, namentlich für gesun

gestützte Beweisführung, dass dasselbe wirklich das Geburtsbaas von Nicolaus Coppernicus sei. Da der verlangte Bericht bei dem Mangel aller urkundlichen Nachrichten sehr schwach ausfiel, so stand man höheren Ortes von dem Plane, der schon dem EOnige zur Genehmigung unterbreitet werden sollte, wiederum ab; man zog es vor, die ganze Angelegenheit fallen zu lassen. Im Jahre 1823 wurden aus öffentlichen Mitteln nur einige dringend nöthige Reparaturen vorgenommen, da der verarmte Besitzer nicht im Stande war, sie selbst auszuführen. Durch diese Reparaturen ward die Aossenfront des Hauses nicht verändert. Als dasselbe jedoch nach manchem Wechsel der Besitzer im Jahre 1849 in die Hände eines Kaufmanns überging, der dasselbe zu seinen geschäftlichen Zwecken verwerthon wollte, war ein vollständiger Umbau erforderlich, durch welchen das Haus seine alterthümliche Form ganz verloren hat.

  • Nachträglich darf wohl bemerkt werden , , dass Niklas Koppernigk

noch im Jahre 1474 im Besitze wenigstens eines Hauses in der Annengasse

DAS GEBURTSHAUS. 93

der erachten , da es als Eckhaus Licht und Luft den Bewohnern reichlicher spendete. Auch war die Lage seinen geschäftlichen Interessen entsprechender, da es nur eine sehr geringe Entfernung von den Landungsplätzen an der Weichsel trennte.

Die Mauern stehen noch gegenwärtig, welche einst die fröhlichen Spiele des Knaben Coppernicus gesehen und Zeugen der ersten Studien des Jttnglings gewesen sind; die alterthümliche Aussenfront des Gebäudes ist aber, ähnlich wie bei Go^the's Vaters hause, durch einen neuem Umbau ganz verloren gegangen.*

gewesen ist. Es beweist dies eine Verhandlung des Schöppenbuebes aus jenem Jahre, worin „voytke der olsleger vorkoufft bot Stephan olsleger seynem elichen zone eyn haws vff Sente annengasse zwichen her Niclas koppernigks vnd der wittwe haws gelegen“.

  • Nach dem in den vorstehenden Anmerkungen Mitgetheilten wird man

nicht erwarten, dass das Coppernicus-Haus besondere Erinnerungen an den grossen Mann bewahre, der in seinen Mauern zur Welt gekommen ist. Hat man doch früher mitunter in hyperkritischom Eifer gemeint, dass die Tradition, die das Geburtshaus bestimme, angezweifelt werden müsse, da ihr damals noch keine urkundlichen Belege zur Seite standen I Nach der andern Seite freilich hat gläubige Hingabe die Ueberlieferung stets als untrüglich bezeichnet, um Symbole für den Kultus zu gewinnen, mit dem man das Andenken des genialen Denkers, des grossen Landsmannes verehrte. Dies ist namentlich von polnischer Seite geschehen.

Nach dem Verluste ihres Vaterlandes gingen die Polen den Erinnerungen der Vorzeit emsig nach, und suchten, zerrissen nicht bloss durch äussere Gewalten, sondern ebenso durch innere Gegensätze und Parteizwist^ in der Pflege nationaler Erinnerungen eine gewisse Einheit festzuhalten. Dazu gehörte nun auch der Coppernicus -Kultus. Man wallfahrte zu der Stätte, wo der Begründer unsers Weltsystems geboren, und bald wusste man sogar die Stube zu bezeichnen, in der seine Wiege gestanden; mau pflückte Grashalme von dem Hofe des Hauses und bewahrte sie als Erinnerungszeichen, man nahm mitunter sogar Ziegeln von den Mauern und legte sie an nationalen Erinnerungsstätten nieder. So Hess im Jahre 1810 der General Wojczy^ki in Gegenwart des Thorner Magistrats („w obecnoi&ci magistratu torufiskiegoa) einen Ziegelstein aus dem Coppernicus-Hause herausnehmen und schickte ihn in das National-Museum, welches die Czartoryski's in Pnlawy angelegt hatten. (Vgl. Dominik Szulc : iycie Mikolaja Kopernika p. 95.) Gelegentlich darf hier wohl erwähnt werden, dass Napoleon, als er auf dem Zuge nach Bussland im Sommer 1812 einige Tage in Thorn weilte^

94 DAS GEBURTSHAUS.

Ueber die Jagend von Coppernicus ist wenig zu berichten. Selten gelingt es ja der Forschung das Dunkel zu erhellen, welches sich über den Lebensanfang eines grossen Mannes ausbreitet^ zumal wenn seine Bedeutung erst eine späte Nachwelt erkannt hat. Mehrere Generationen hatten es verabsäumt, in seiner Vaterstadt Nachrichten über das Leben von Coppernicus, wie seiner Eltern und Angehörigen zu sammeln, und als man sich dieser Pflicht erinnerte, war die Familien -Tradition bereits erloschen.* Die

(6 - 10. Juni) sich auch nach dem Geburtshause von Coppernicus führen liess. Dort fragte er vergeblich nach Erinnerungen an den grossen Mann. Ein einfaches Holzbild , welches er in dem Hauptzimmer* vorfand , wünschte er zu erwerben; der Hausbesitzer jedoch, ein armer Leinweber, wollte sich von demselben nicht trennen. So berichtet Szulc (fycie Mik. Kop. p. 29 ff.), giebt aber irrthümlich das Jahr 1807 an, in welchem Napoleon Thorn nicht berührt hat. Während des Druckes der vorliegenden Bogen ist in dem 3. Hefte der Mittheilungen des Coppernicus-Vereins S. 116 - 123 eine beachtenswerthe Aobführung veröffentlicht worden, welche auf Grund eines Häuser-Verzeichnisses der Stadt Thorn aus der Mitte des 15. Jahrhunderts (in Verbindung mit einigen ans den Gerichtsbüchern geschöpften Notizen) die bestehende Tradition über das Geburtshaus von Coppernicus zu erschüttern unternimmt. Der Verfasser hat dort eine Reihe neuer Dokumente veröffentlicht. Allein die -- auf unzuverlässige Prämissen gegründeten - Schlüsse desselben sind nicht anzunehmen. Durch die neuerdings aufgefundenen Dokumente hat vielmehr die Tradition gerade eine weitere Bestätigung gefunden. Der Lokal- . forschung wird es obliegen, dies im Einzelnen nachzuweisen ; es sind namentlich die Strassen-Namen und Häuser-^Reihen sicherer zu bestimmen.

  • Von den femer Wohnenden waren genauere Forschungen über die

Familien -Verhältnisse von Coppernicus nicht zu erwarten; aber auch seine Thoraer Landsleute haben, obgleich zu allen Zeiten stolz auf den Besitz des grossen Mannes, es leidet versäumt, die Nachrichten Über ihn und seine nähern Verwandten vor dem Untergange zu bewahren.

Die Privat-Chroniken, welche sich vereinzelt zu Thorn erhalten haben, geben uns häufig Über das, was wir am meisten zu wissen wünschen, wenig oder gar keinen Anfschluss. Ausser meist dürftigen, allgemeineren Notizen, die wir anderswoher kennen, und manchen unbedeutenden Anekdoten, finden wir in ihnen nur noch hin und wieder urkundliche Nachrichten, die sich jedoch nur auf die Familie der Verfasser beziehen. Ueberhaupt werden die meisten Mittheilungen in diesen Privat-Ohroniken reichhaltiger erst in der

SEITENVERWANDTE. 95[recensere]

Geschlechter, denen Coppernieus angehört hatte, waren ausgestorben, oder in die Feme gezogen and hatten sich dort unter das Volk verloren.*

zweiten Hälfte des 16. und im 17. Jahrhunderte, da die meisten Sammler derselben um diese Zeit gelebt haben.

  • Die Watzelrode und Allen sind bereits gegen Ende des 15. Jahrhunderts in Thorn erloschen, die Rüdiger, Beutel, Krttger im Laufe des folgenden Säculum.

Von den Kindern des Niklas Koppernigk waren die beiden SGhne (zu Frauenburg) uüd die ältere Tochter (zu Kulm) in den geistlichen Stand getreten, sie lebten im Cölibat. Die jüngste Tochter allein hatte geheiratet; sie lebte in Krakau. Von ihren beiden S(5hnen ist keine Kunde auf uns gekommen; die ältere Tochter war an den „Heerpeucker“ des Herzogs Albrecht in Königsberg verheiratet, die zweite an einen ELaufmann in Stargard. Von der nähern Familie des Coppernicus war sonach Niemand in seiner Oeburtsstadt zurückgeblieben.

Ueber die Seitenzweige der Familie des Vaters, über die Nachkommen der Thorner Koppernigk's, welche in Schriftstücken aus dem Ende des 14. und dem Anfange des 15. Jahrhunderts erwähnt werden, hat sich aus späterer Zeit keine Nachricht erhalten. Ganz vereinzelt erscheint in unsem Chroniken eine gelegentlich angebrachte Notiz über den im Jahre IQOl erfolgten Tod eines Barbiers „Martin Copernik“, welcher ein Verwandter seines grossen Namensvetters genannt wird. „Die Ü Augusti obüt hie Martinus Copernik barbitonsor ex posteris et cognatis Nicolai Copernici adhue iuvenis, quamvis aetate virili extra coniugium, dives in nummis, repentina morte forte apoplexia in suburbano suo pomorio. Sic Molleri Mscptum.“ (Zemecke Thorn'sche Chronik ad a. 1601.)

Die nähere Verwandtschaft dieses „Martinus Copernick“ mit Nicolaus Coppernicus wird wohl von dem ersten Aufzeichner der Notiz lediglich wegen der Namensgleichheit angenommen sein ; es kann freilich auch dieser Träger eines berühmt gewordenen Namens sich ftir einen nahen Verwandten selbst ausgegeben haben. Die einer späteren Zeit angehörenden Verfasser der S. 88 erwähnten genealogischen Tafeln haben dann einen weiteren Schritt gethan und einen Stammbaum erdichtet, um den „Martinus“ in die Familie des Niklas Koppernigk hineinzubringen. Der eine dieser Oenealogen bat noch, um dem vermeintlichen Neffen von Coppernicus eine höhere Bangklasse zu geben, den „barbitonsor“ zum „chirurgus“ befördert.

Die Existenz eines „barbitonsor Martinus Copernik“ ist nicht in Abrede zu stellen ; der Rathmann Conrad Möller , welcher die ber. Notiz in seine Chronik eingezeichnet hat, lebte zu derselben Zeit (er ist 1606 gestorben). Seine Abstammung von einer Seitenlinie der Familie, von dem vor der Einwanderung des Niklas Koppernigk in Thorner Archivalien erwähnten„ Michael Czeppemick“, dem „vigil turris Culmensis“ (S. 33), oder dem „Laurentius

96 DIE ÄLTESTEN BIOGRAPHIEN.[recensere]

Die ersten ganz dürftigen Biographien von Coppernicus sind erst lange Zeit nach seinem Tode von Männern geschrieben, welche gar keine Beziehungen zu seinem Heimatlande hatten. Sie beschränken sich deshalb neben wenigen chronologischen Angaben darauf, die Bedeutung des Werkes vor Coppernicus zu besprechen und einige Auszüge aus den Schriften seines begeisterten Schülers Rh oticus einzuflechten."^ Des Letzteren werthvolle Biographie, welche er noch bei Lebzeiten des geliebten Meisters geschrieben, scheint spurlos verschwunden zu sein.**

Koppirnik“ (S. 34) würde weniger Bedenken erregen; auch letzterer gehörte zu den Kleinbürgern der Stadt, er bewohnte eines der kleinen an die Stadtmauer angelehnten Taschengebäude, welche mit „Swebbogen“ bezeichnet wurden.

  • Die ersten zusammenhängenden Aufzeichnungen aus dem Leben von

Coppernicus wurden erst zwei Menschenalter nach seinem Tode vert^ffentlicht. Melchior Adam gab zuerst in seiner vitae Germanornm philosophorum (1615) einen ganz kurzen Lebensabriss ; dieser hat aber nur die Notizen zusammenstellen können, welche er in den Schriften des Rheticus zerstreut vorgefunden. Der im südlichen Deutschland lebende protestantische Schlesier hatte keine Verbindungen in Preussen, am allerwenigsten in dem katholischen Ermland, die ihm urkundliche Nachrichten hätten zuflihren kennen.

Noch dürftiger ist die Biographie, welche der Gröninger Profei^sor Nie. Mu 1er ins der von ihm besorgten (3.) Ausgabe des Coppernicanischen Werkes de revolutionibus orbium caelestium (1617) vorangestellt hat (die editio princeps enthält keinerlei biographische Nachrichten über den Autor , ebensowenig der 1566 erschienene zweite Abdruck des Werkes).

    • Georg Joachim Rheticus war von Wittenberg, woselbst er als Professor der Mathematik lebte, im Jahre 1539 zu Coppernicus gegangen, um

sich in die Tiefen der neuen Weltanschauung einweihen zu lassen. Er verweilte dort fast drei Jahre. Schon in der ersten Zeit seines Frauenburger Aufenthaltes veröffentlichte er einen eingehenden Bericht über das neue System. Ebenso scheint er noch zu Frauenburg eine Biogn^hie des von ihm hochverehrten Lehrers geschrieben zu haben. Jedenfalls hatte der gelehrte Tiedemann Giese, der vertraute Freund des Coppernicus, damals Bischof von Kulm, diese „vita“ bereits im Jahre 1543 „vor längerer Zeit“ gelesen und den Wunsch geäussert, es möchte Rheticus dieselbe dem Werke de revolutionibus orbium caelestium als prooemium voranstellen. („ . . . Quia optem etiam praemitti vitam autoris, quam a te eleganter scriptam olim legi.“) Der Wunsch Giese's ist nicht in Erfüllung gegangen. Aber auch später hat der sonst so schreib- und dmckfertige Rheticus seine Schrift nicht veröffentlicht, und bis jetzt ist das Mannskript leider nicht wieder aufgefunden worden.

DIE ÄLTESTEN BIOGRAPHIEN. 97

Im Anfange des 17. Jahrhunderts wurde von einem Krakauer Gelehrten Joh. Brosoius der Versuch gemacht, urkundliche Nachrichten über Coppernicus in Thorn und Frauenburg zu ermitteln. Allein durch dieses Unternehmen sind gerade recht wichtige Schriftstücke untergeguigen , welche Broscius den ermländischen Archiven entfbhrt hatte; in Thorn scheint er weniger Ausbeute gefunden zu haben."*

  • Joh. BroBciuB, Professor der Mathematik und Astronomie an der

Universität zn Krakau, unternahm um das Jahr 1612 eine Reise nach Preussen, um urkundliche Nachrichten über die Lebensverhältnisse von Coppernicus zu ermitteln. Von dem Bischöfe Rudnicki in die öffentlichen Sammlungen des Frauenburger Domstifts zugelassen, hat er eine Reihe von Schriftstücken an sich genommen, in der Absicht dieselben literarisch zu verwerthen. Schon vorher waren - wie er selbst angiebt - die Frauenburger Archive von Gelehrten. derselben Gattung geplündert worden. (Ac tandem ab Hlustrissimo piae memoriae Simone Rudnicio admissus ad veteres Varmiae bibliothecas, quarum nonnullas iam violenta manus invasit, dum nihil contemno, dum minutissimas cbartulas, quibus boni artifices aliquando praestantissima inventa breviter committant etc.)

Wie Broscius selbst, während er „tacendo quaerebat“ seine literarische Entwendung bewerkstelligt hat, giebt er nicht an. Er hat leider eine grosse Zahl der fUr die Erforschung der Lebensverhältnisse von Coppernicus wichtigsten Schriftstücke mit sich genommen, u. a. die Korrespondenz deisselben mit Tiedemann Giese und anderen seiner Freunde, ebenso die an seinen Oheim Lucas Watzelrode. Das erstere berichtet Broscius selbst. In seinem gegenwärtig in der Bibliothek der Sternwarte zu Krakau befindlichen Exemplare des Werkes de revol. orb. coel. hat er (fol. lu*) zu den Worten „vir mei amantissimus Tidemannus Giese“ die Randbemerkung gemacht: „Habeo plures quam XX epistolas Tidemanni Gisü adCopernicum huius argumenti“.

Der Reichthum der Beute, welche Broscius aus Frauenburg weggeführt hati wird noch mehr ersichtlich aus dem Berichte eines gleichzeitigen pol* nischen Gelehrten. Starowolski hat bei jenem verschiedene Briefe gesehen, welche Coppernicus an den Oheim Watzelrode und andere geschrieben, darunter auch die Korrespondenz mit einstigen Mitschülern, denen er seine neuen Anschauungen mittheilte. „ .... ex litteris varüs (quas habet clarissimus vir Jo. Broscius, philosophiae et medicinae doctor ordinariusque in Alma Universitate Cracov. Astrologiae professor) manu ipsius Copernici ad Lucam avuuculum aliosque exaratis Familiäres Copernicus habuit Vapovinm Cantorem Craooviensem, ad quem scripsit epistolam de motu octavae sphaerae, Nicolaum de Schadek, Martinum de Ukusz, Mathematicos Cracovienses, olim condiscipulos suos, cum quibus conI. 7

98 DIE iLTBSTBN BIOGRAPHIEN.

Ueber die Jugend von Coppernicns erfahren wir deshalb auch von Sim. Starowolski Nichts, welcher die Sammlungen des Broscius eingesehen und für seine freilich sehr kurze i„yita Gopernici“ benutzt hat; erst für die spätem Lebensjahre giebt Starowolski einige schätzenswerthe Notizen/

forebat de ecclipsibuB et earum observationibus , ut patet ex epistolis manu illius ipsius scriptis, quas habet in Aead. ,Cracoy. Jo. BroBciuB.“

Schon bei den frühem Beraubungen der Frauenburger Archive, deren BroBcius in der oben angeführten Bandbemerkung Erwähnung thut, wären Briefe Giese'B an Coppernicus durch Krakauer Gelehrte entführt worden. ErselbBt giebt dies an in der Vorrede zu seiner (1615 erschienenen) Schrift: Epistolae ad naturam ordinatarum figurarum plenius intelligendarum pertinentCB. Die betr. Worte lauten : „BeverenduB Dominus Joannes Bybkowioz, Collega Major in Academia Oracoviensi, pro sua in me artesque mathematicas amore, dedit mihi perlegendas Beverendissimi Domini Tidemanni Gisü Episcopi Varmiensis epistolas, quarum plurimae ad Copernicum, absolutae subtilitatis mathematicum, sunt exaratae.“

Den hohen Werth der dem Frauenburger Archive entwendeten Schriftstücke, welche sich im Anfange des 17. Jahrhunderts in Krakau befanden, kann man auch aus einer weitem Bandbemerkung von Broscius ermessen. Danach wurde noch zu jener Zeit daselbst eine Abhandlung von Tiedemann Giese aufbewahrt, in welcher der letztere seinen Freund gegen den ihm gemachten Vorwurf der Schriftwidrigkeit vertheidigt. Diese Notiz des Broscius findet sich in dem Eiakauer Exemplare der editio princeps des Coppernicanischen Werkes (fol. iv^) bei den Worten: „Si fortasse erunt

(jATatöXoYoi , qui propter aliquem locum scripturae, male ad suum

propositum detortum, ausi fuerint meum hoc institutum reprehendere ac insectari“. Dieselbe lautet: „Vide Hyperaspisten Tidemanni Gisü Episcopi Culmensis ad Nicolaum Copernicum nondum typis ezcusum, ubi etiam sententiam Erasmi Boterodami de Copernico ipse Tideman refert valde mansuetam.“

Die Abhandlung Giese's ist, wie es scheint, verloren gegangen; ebenso sind die andern vorstehend aufgeführten Schriftstücke, die Briefe von Giese und Coppernicus, bis jetzt nicht wieder aufgefunden. Ein Glück ist es zu nennen, dass Broscius wenigstens zwei der wichtigsten Briefe Giese's an G. Donner (d. d. 8. Dec. 1542) und Rheticus (26. Juli 1543) durch den Drack (im Jahre 1615) veröffentlicht hat.

  • Simon Starowolski hat in seiner Schrift „Scriptorum Polonomm

ixttTovTdic“ eine vita Copernici veröffentlicht. Die erste Ausgabe, welche 1625 erschien, enthält nur einen überaus dürftigen Lebensabriss von kaum 20 Zeilen, in welchem ausserdem noch grobe Irrthümer vorkommen. Der

DIE ÄLTESTEN BIOGRAPHIEN. 99

Die erste umfangreichere Biographie erschien mehr denn hundert Jahre nach dem Tode von Coppernicus in dem fernen Frankreich. Der gelehrte Petrus Gassendi hat mit emsiger Sorgfalt Alles zusammengebracht, was er in literarischen Kreisen über das Leben des genialen Berufsgenossen erkunden konnte.* Allein bei der räumlichen und zeitlichen Entfernung hat er für seine werthvoUe „vita Copernici“ nur gedruckte Quellen benutzen können.** Es fehlten auch ihm wohl genauere Verbindungen mit

Verf. verweist zum Schlüsse seine Leser, wenn sie Glenaueres wissen wollen, auf die S. 96 erwähnte Skizze von Nie. Mulerius - in der sie gleichfalls nichts finden! Um vieles genügender ist die vita Copernici in der 2. Ausgabe der Hekatontas. Hier hat Starowolski wenigstens die ihm so leicht zugänglichen Notizen benutzt, welche Broscius in zwei Exemplare des Coppernicanischen Werkes de revolutionibus eingezeichnet hatte.

  • Der treffliche Gassendi hat seiner Lebensgesohichte Tycho Brahe's

(Paris 1654} auf das Andringen seiner Freunde eine Biographie von Coppernicus als Anhang beigegeben. Offenherzig sagt er in dem Vorworte, dass er keine urkundlichen Nachrichten habe benutzen können , sondern dass er nur im Stande gewesen sei, die biographischen Notizen zusammenzustellen, welche er zerstreut in gedruckten Werken vorgefunden habe. Allein Gkiesendi war für seine Aufgabe vor Andern befähigt, weil er mit gelehrter Kenntniss der Astronomie und ihrer £ntwickelung ausgerüstet war. Mit sicherm Urtheile hebt er das Wesentliche hervor, was sich über Coppernicus zerstreut in gelehrten Werken erhalten hatte, die zum Theil dem Fachmanne schwer zugänglich gewesen sind. Der Werth seiner Schrift tritt so recht hervor, wenn man sie mit den armseligen Biographien vergleicht, welche bis dahin veröffentlicht waren. Mit Recht ist Gassendi daher als die Hauptquelle für das Leben von Coppernicus gepriesen worden, bevor man in neuerer Zeit daran ging, archivalische Dokumente aufzusuchen. Diese Forschung hat die Zuverlässigkeit der Angaben Gassendi's durchweg bestätigt; ein einziger wesentlicher Irrthum kann ihm vorgehalten werden, er lässt den Bischof Dantiscus schon ein Decennium vor Coppernicus sterben. Dagegen sind einzelne Nachrichten uns nur durch Gassendi erhalten. So ist der Brief noch nicht aufgefunden, welchen - wie er angiebt - Bemh. Sculteti im Jahre 1516 von Bom an Coppernicus geschrieben; er citirt ferner ein „Prognosticon , welches Dominicus Maria im Jahre 1489 veröffentlicht hat u. a.

    • Gassendi hat in seiner werthvollen Schrift über Coppernicus neben

dem Werke de revolutionibus vorzugsweise benutzt die drei von Rheticus veröffentlichten Schriften : die narratio prima, die Ephemerides und den Canon doctrinae triangulomm. jEr kannte ferner und benutzte die Biographien von Adam, Muler und die zweite Ausgabe der Hekatontas von Starowolski.

7*

100 DIE JUGENDJAHRE.[recensere]

Prenssen, durch welche er u. a. eingehendere Kachrichten über die Jugendzeit von Coppernicus hätte erhalten können.

Sonach sind wir lediglich darauf angewiesen, uns auf Grundlage dürftiger Notizen und einzelner Materialien, die aus den allgemeinen Eulturverhältnissen der Zeit zu entnehmen sind, mit Beihülfe der bildenden Phantasie ein skizzirtes Bild zusammenzusetzen, um wenigstens, wenn es auch nicht gelingt, einen sichern Einblick in die Entwicklung des Knaben und Jünglings zu gewinnen, unserm geistigen Auge vorzuführen, welche Anregungen ihm geworden sind, unter welchen Einflüssen sich der jugendliche Geist emporgerankt hat.

In vielfacher Beziehung war durch äussere Verhältnisse die Jugend von Coppernicus begünstigt worden.

Als er das Licht der Welt erblickte, neigte sich das Mittelalter seinem Ende zu. Schon hatten sich die Kräfte angekündigt, welche eine neue Epoche der Menschheit heraufführten; schon waren die Bande gelockert, welche das mittelalterliche Denken gefesselt hatten. Unter dem Banner der Wiederbelebung des klassischen Alterthums erstrebte man eine freiere Menschenbildung, eine höhere Weltanschauung. Auf den verschiedensten Gebieten entwickelte sich ein neues reges Leben.

Ebenso waren ihm die beiden von Broscius veröffentlichten Briefe des Coppernicus bekannt; er giebt auch mehrfach Auszüge aus der Vorrede Heinholds zu seinen Tabulae Prutenicae und erwähnt desgleichen die tabulae des Manginus. Bei seinem reichen Wissen war ihm die ganze Literatur der Ephemeriden bekannt, er nennt u. A. Stöffler, Leovitius, Pitatus, Maestlin, Origanus , Eichstadt. Dass er überhaupt die ganze Reihe der offenen, wie der schüchternen Anhänger von Coppernicus kannte, bedarf nicht der Erwähnung, noch weniger, dass ihm seine genaue Kenntniss der Arbeiten von Tycho Brahe, Kepler und Galilei wesentliche Dienste leistete. Ftir die* Beform des Kalenders benutzte er vomämlich Clavius : Ezplicatio Calendarü. Zum Schlüsse seiner Biographie gedenkt Gassendi auch noch Gilberts Schrift über den Magnet.

DAS PBEU8SEKLAKD. 101

Ebenso war das L a b d,' ip welchem Coppernious geboren ist^ und in welchem er seine enrie Jugend verlebte, wenngleich fernab gelegen von den Centren Enropklsi/wohl geeignet, geistige Kraft ZU wecken. Viele Gegensätze, die- aas> Leben der Völker damals bewegten, wirkten hier gegen einander,\töt. dem Kampfe Leben weckend: ein reich entwickeltes Städtele*b'enr, ein wohlhabender streitfertiger Landadel, ein begüterter und nicht ungebildeter Klerus. Dazu kam der Oegensatz zweier Nationalitäten^ ^d^ren Widerstreit nur gernht hatte, so lange sie im gemeinsainen- i^ampfe gegen den Deutschen Orden vereint waren. Und nun noch, üüeser absterbende Ritterverein selbst]! diese fast zur Karrikatur gewordene widerspruchsvolle Verschwisterung des Ritterthums und Mönchthums, diese Verbindung zweier scheinbar unversöhnlichen Pole! Wahrlich, hier waren genug Elemente vorhanden, Bewegung und Leben im Ringen der Geister zu entzünden ! Darum priesen auch nicht mit Unrecht, die aus der Feme nach Preussen kamen, des Weichsel-Landes Entwickelung - ich erinnere an Aeneas Sylvius, an den Franken Conrad Celtes, den Schlesier Corvinus, den Graubündtner Rheticus.

Neben des Landes Vorzügen waren aber auch die be sondern Verhältnisse, unter denen Coppernicus aufwuchs, günstig für die geistige Entwickelung des werdenden Jünglings und die harmonische Ausbildung, die wir in dem Manne bewundem.

Zunächst das elterliche Haus und die Häuser der reichen Verwandten und der dem ,Vater befreundeten Kaufherrn! Hier gewann der Knabe Eindrücke, wie sie nur der Grosshandel zu geben vermag. Hier entwickelte sich ein buntes Treiben, ein reiches Leben, unmittelbar vor dem Auge des Knaben.* Zwar

  • Neben den friedlichen Bildern, welche der GrosBhandel dem Knaben

Coppernicus vorftihrte, fehlten auch nicht Bilder, welche an Zeiten des Ejrieges gemahnten. Ich will hier zunächst daran erinnern, dasa der Orden die Bürger seiner Städte wehrhaft gehalten und sie stetig in den Waffen einübte, um in den Zeiten der Gefahr einen festen Kern für seine Kriegs

102 DIE JUGENDJAHRE.

stand der Handel Thorng za der Zeit, i^a Coppernicus heranwachs, nicht mehr in der vollen frühem Blttie, das NiederlaginBecht ward schon erschüttert. Allein nodi 'inüner waren zahlreich und wohlhabend die Kaufherrn der<. Stadt, noch konnte Thorn den stolzen Namen „Königin der. ^^ieÜsel“ weiter führen.*

macht zu haben. Allein auch der GroBshandel selbst erheischte damals kriegerische Oew<)hnung. * Der Kaufmann musste stets bereit sein, mit den Waffen in der Hand>^ Seinige zu yertheidigen. Deshalb gehOrte Uebong in den Waffen Uu üem lieben des Kaufherrn. In Thorn wurden diese Uebnngen ~*^^. Voigt Prenss. Gesch. V, 331 berichtet - pn dem „Kompanhanse“, dem städtischen E^aufhause (dem nachmaligen Artushofe) yorgenommen. Die hervorragenden Kaufherrn und Rathsmitglieder waren deshalb auch wohl geeignet, den Befehl über Kriegsschaaren zu übernehmen. Unter den nähern Verwandten des Coppernicus hatte in dem dreizehnjährigen Kriege der Grossvater Lucas Watzelrode „gedynet vor dem lessen vnd vor marienbnrgk“, sein Oheim Tilman von Allen führte 1461 die Thorner Kriegsmannschaft nach Schwetz, über welches Schloss er den Oberbefehl dann längere Zeit führte.

Das Kriegsgetümmel selbst hat Coppernicus als sechsjähriger Knabe in unmittelbarer Nähe gesehen. „Im Jahre 1479 streiften - so berichtet Henneberger - die beutelustigen Polen im Kulmerlande hemm und ftigten besonders den Kulmseero und Thornero beträchtlichen Schaden zu, diese aber erwürgten hinwiedcmm manchen Polen.“

  • Oben S. 7 ff. ist ausgeführt, dass Thorn lange Zeit den preussischen

Handel vorzugsweise in Händen hatte. Dann tritt allerdings Danzig, nachdem es bei seiner günstigeren Wcltstcllung Thorn bereits von dem Seehandel fast ganz ausgeschlossen hatte, auch in dem binnenländischen Verkehre als glückliche Rivalin auf. Allmählich gewann Danzig nun die Suprematie in dem Bunde der preussischen Städte. Allein dieselbe bemhte eben nur auf der thatsächlichen Macht der Verhältnisse, keineswegs auf einer rechtlichen Anerkennung. Als die ältere Stadt war Thorn immer noch im Besitze des Vorstands. Zu den besondern Tagfahrten, 'auf welchen die preussischen Hansestädte seit der Ordenszeit als ein engerer Bund ihre Verhältnisse ordneten, gehen die Einladungen von Thorn aus, wie u. a. das von Hirsch (Handetsgeschichte Danzigs S. 67 j erwähnte Schreiben lehrt, welches der Rath von Thorn im Jahre 1474 an Danzig erlassen.

Welchen Vorrang aber die Städte vor den übrigen Bewohnern Preussens im 15. Jahrhunderte besassen, erhellt u. a. aus der Betheiligung an den Öffentlichen Lasten. So berichtet ein Excerpt „ex recessibus Terrarum Prussiae“ zum Jahre 1480: „Unus civis Gtodanensis publice plus conferre dicitur quam tota Nobilitas Pommeraniae, et civis Thorunensis plus quam Nobilitas Culmensis.“

DIE VERWANDTBN. 103

Wie in allen Handelsstädten bildeten auch in Thorn die Kaufherrn das Patriziat, waren sie die regierenden Oeschleehter. Die Verwandten von Coppernicus führten den Gerichtsstab and hielten das Scepter, das im kleinen Kreise bevorzugter Familien von Hand zu Hand ging. Wechselnde Lebensbilder zogen also vor dem Knaben vorüber. Hatte er den geschäftlichen Unterredungen der weit- und lebensklugen Handelsherrn zugehört, dann vernahm der Jüngling wiederum in demselben Kreise von dem Ernste der Verwaltung und hörte verhandeln über die Principien und verwickelten Fragen des öffentlichen Rechts.

Auch in ein drittes Lebens-Element ward der Spross einer Handels -Aristokratie früh eingeführt durch der Mutter Bruder, welcher, ehe er in die ermländische Diöcese übertrat, Mitglied des Domstifto in dem benachbarten Kulmsee gewesen war. So schenkte dem heranwachsenden Jünglinge die Gunst der Verhältnisse ausser der geistigen Anregung, die er vom Oheim und dessen gelehrten Freunden em])fing, auch den frühen Einblick in die eigengeartete Herrschaft des Krummstabs."*

  • Auch aussergewöhnliche Schauspiele wurden dem Knaben Coppernicus

in seiner Vaterstadt häufig geboten.

Die Bedeutung Thorns, ebenso die Lage als Grenzstadt, Hess dieselbe häufig zu regelmässigen Tagfahrten, wie zu ausserordentlichen Versammlungen gewählt werden. Ich [erinnere im Vorübergehen daran, dass die beiden wichtigen Friedenshandlungen, welche 1411 und 1466 die schweren Kriege des Ordens mit Polen beendeten, in Thorns Mauern geführt sind. - In dem Jahre vor, wie in dem Jahre nach der Geburt von Coppernicus, fanden hier zwei grossere Tagfahrten statt, bei denen KOnig Kasimir persönlich erschien.

Der sechsjährige Coppernicus sah den polnischen König im Jahre 1480 mit grosser Kriegsmacht in Thorn einziehn. Bald nach dem 2. Thorner Frieden war eine Spannung zwischen den Preussen und ihrem Schutzherrn eingetreten; in den Grenz-Gebieten kam es zu offenen Feindseligkeiten. „Die Thorner sollen sich - so berichten unsere Landeschroniken - dieser unverantwortlichen Worte Öffentlich gebraucht haben: Es würde doch in Preussen nicht ehe gut, biss man die Polen am Galgen erhengete und sich wieder zum Kreuze gebe, mit welchem man mag dem Diabolo widerstehen. Solche Worte kamen für den KOnig, der kam Anno 1480 am Trium

104 DIB JUGENDJAHRE.

EbenBO war in Betreff der unmittelbaren BildnngBmittel CoppernicuB bevorzugt vor Vielen, dass ihn das Schiclual in einer Stadt geboren werden liesB von der Bedeutung, wie sie Thorn damals hatte. Die reichen Städte waren zu jener Zeit in viel hervorragenderer Weige als heutzutage die Träger der Kultur. Bil* dungsstätten fbr die patrizische Jugend wurden in ihnen früh angelegt und auf alle Weise gefördert - während fttr das Volk hier gerade so wenig wie überall geschah.

Um das Bild zu vollenden, welches wir uns von dem Jugendleben des Coppernicus entwerfen, haben wir noch zu erwägen, welchen Einfluss die Lage der Stadt, wie die Umgebungen, auf den für die Natur so empfänglichen Sinn des Knaben geübt haben.

Der mächtige Strom, an dem Thorn liegt, wälzte seine Wasserfttlle in demselben Bette, wie heute, zum Meere. Aber statt der hohen Wälle, welche die Stadt gegenwärtig einschnüren, breiteten sich weite Vorstädte aus, und dieselben umkränzend zogen sich die Villen und Gärten der Kaufherrn hin."^ Die sonnigen Anhöhen

Begnm Markt nach Thorn mit 4000 Reisigen rathschlagende alda mit den Seinigen, was er mit den Thornem desfalls thun sollte.“

Eine glänzende Versammlung der polnischen und preussischen Notabein sah der 12jEhrige Coppernicus 1485 in den Mauern der Vaterstadt erscheinen. „Am Sonntage nach Mittfasten ward zu Thorn eine Tagfahrt bestimmt. Da kam der König, der Hochmeister, der Bischof von Heilsberg und sonst bei 6 Bischöfe, Land und Stttdte, die waren wohl bey vier Wochen beysammen.“

Welchen Einfluss dergleichen glänzende Versammlungen auf das KnabenGtomttth ausüben, dafür darf nur auf Goethe's Wahrheit und Dichtung als Beleg hingewiesen werden. - In ähnlicher Weise, wie Ooethe, beschreiben die Thoroer Chroniken die Huldigungsfeier, welche zu Ehren des Königs Alexander im Frühjahr 1504 zu Thorn stattfand.

  • Der Umfang der eigentlichen Stadt ist zur Jugendzeit von Coppernicus

derselbe wie heute gewesen. Thorn war durch Mauem und Gräben umschlossen. Jenseit derselben aber dehnten sich weithin die Vorstädte ans, in denen der grösste Theil der Handwerker wohnte, sodann die ärmeren Klassen. Die grossem gewerblichen Anlagen befanden sich sämmtlich ausaer^ halb der Stadt; ebenso waren die Handwerker, deren Geschäftsbetrieb mit grösserem (Geräusche oder besonderer Feuersgefahr verbunden ist, gehalten in den Vorstädten zu wohnen. So wissen wir, dass die Wagen- und Rademaeher, die Amt>os-, Bohi^ und Kupferschmiede ausserhalb der Stadt wohn

THORN UND UMGEBUNG. 105[recensere]

am Ufer der Weichsel aber waren mit Beben bepflanzt* Der Vater von Coppernicus selbst besass einen Weingarten, der an

ten. In den Vorstädten befanden sich auch der Theer- und Aschenhof, die Salpeter- und Salzsiederei, die Hopfendarre, Branntweinbrennerei u. dgl.

Der bedeutende Umfang der Vorstädte erhellt schon daraus , dass in ihnen gegen 30 Strassen genannt werden, von denen ein Theil bereits Ende des 14. Jahrhunderts gepflastert war. Die Vorstädte besassen 6 Kirchen und 2 Kapellen; sie' hatten ein besonderes Gericht, welches 1346 fundirt war und in einem eigenen Dinghause tagte.

Die grosse Einwohnerzahl , welche Thorn im 1 5. Jahrhunderte gehabt haben soll und die über 20,000 betrug, wird nur erklärlich, wenn man die reich bewohnten Vorstädte in Betracht zieht ; innerhalb der Ringmauern der Stadt wohnte nur ein Drittheil.

  • Neben den übrigen Kulturgewächsen, welche den Menschen auf seiner

Wanderung aus den milderen (hegenden begleiten, hatten die deutschen Ordens-Bitter auch die süsse Frucht der Rebe nach dem unwirthlichen Noi^ den mit sich geführt. Lange Zeit hindurch hat man die Angaben der alten Chronisten über den reichen Weinbau in Preussen während des Mittelalters für übertrieben gehalten. Neuere archivalische Forsphungen haben jedoch die Bestätigung geliefert, dass derselbe, namentlich in der Umgegend von Thorn, im 14. und 15. Jahrhunderte sehr beträchtlich gewesen ist. Die zuverlässigsten Belege für den Weinbau bei Thorn geben die Zins- und Gerichtsbücher, die sich aus dem 14. und 15. Jahrhunderte erhalten haben. So sind im Staats-Archive zu Königsberg alte GrundzinsbUcher aufgefunden, in welchen bei Thorn 25 Weingärten aufgeführt werden, von denen ein Zins gezahlt werden musste. Auch in den Thoroer Gerichtsbüchem werden bei Verkäufen und Erbtheilungen die Weingärten häufig erwähnt.

Die nach Süden zu gewandten Anhöhen auf dem ganzen rechten Ufer der Weichsel bei Thorn waren damals mit Reben bepflanzt, vorzugsweise die sandigen Anhöhen im Osten der Stadt, die bis auf den heutigen Tag den Namen der Weinberge führen. Aber auch weiter im Lande auf ebenem Boden befanden sich Weingärten im Westen, wie im Norden der Stadt. Von entfernteren Orten ist ein Gut Simnau zu nennen, woselbst nach archivalischen Zeugnissen ein reicher Weinbau noch im 16. Jahrhunderte gepflegt wurde.

Seit dem Ende des 16. Jahrhunderts scheint man in Thorn aufgehört zu haben, den Wein zu keltem. Das Verschwinden des Weinbaus ist nicht nur durch die Verwüstungen zu erklären, denen in den Kriegen zwischen Polen und dem Orden im 15. Jahrhunderte vorzugsweise die Grenzgebiete ausgesetzt gewesen sind. Eine Reihe anderer Ursachen haben mitgewirkt, vorzugsweise der gesunkene Wohlstand; denn der Wein bedurfte in diesen nördlichen Breiten der sorgsamsten Pflege. - Näheres über diesen Kulturzweig habe ich mitgetheilt in den Neuen Preuss. Prov-Bl. XÜ, Heft 5.

106 DIE JU6ENDJAHBE.

der Bucht lag, welche die WeichBcl bildet, indem sie, die bisherige nördliche Richtung verlassend, nach Westen sich zuwendet.* Hier hat der Knabe oft sein Auge geweidet, hinblickend auf den weiten Wasserspiegel des in ruhiger Majestät dahingleitenden Heimat-Stroms, den wir in jener Zeit uns viel reicher belebt denken milssen von den mit Getreide, Holz und Metallen beladenen Traften und den schwellenden Segeln der stromaufwärts gewandten Fahrzeuge.** In der Feme begrenzten ihm den Horizont die

  • Niklas Koppernigk hatte den „weyngarten yn dem Clostirchen“ nach

dem Tode seines Schwiegervaters durch Erbgang erhalten (vgl. oben S. 66). Die kleine Ortschaft, hart an der Weichsel, etwa eine Stunde von der Stadt entfernt, neben welcher der Weingarten lag, gehörte vormals dem Bischöfe von Enjavien und hiess Zlotteria eis Drewenzam. Später erhielt sie den Namen KlSsterehen, als im Anfange dos 14. Jahrhunderts sich Begninen dort niederliessen und ein Kloster nebst einer kleinen Kirche erbaut hatten. Schon zu Hartknoch's Zeiten (Alt und Neues Preussen p. 464) war der deutsche Name durch verstümmelte polnische Uebersetzung in ELaszczorek umgewandelt.

Die erste Erwähnung eines Weingartens in dem „Klosterchen“ in Thorner Blanuskripten geschieht zum Jahre 1404. Die Familie Watzelrode gelangte in den Besitz eines Weingartens daselbst im Jahre 1425. Ich thcile die betreffende Verhandlung des Schüppenbuches im Wortlaute mit; es geht ans derselben u. a. hervor, dass es ein nicht unbeträchtliches Besitzthum gewesen ist. Das Dokument lautet : Elisabeth freynhoffynne ist komen vor gehegt Ding in Vormundschaft vnd hat bekant das sie vorkowft hat Alberto Watzenrode eynen weingarthen im Klosterchen gelegen mit des gerteners scholt vnd mit allir czubehorunge als den vorgeschribenen garthen besessen hat das hat Albertus Watzelrode vorgeschribenen den garthen wol bezalt bis vff LXX mrk geringen geldis adir XXXV mrg nnwis geldes. In welcher nähern Verwandtschaft Albert Watzelrode zu Lucas, dem Grossvater von Coppernicus, gestanden, ist zur Zeit nicht mit Sicherheit anzugeben. Unzweifelhaft aber ist der Garten, welchen Albert 1425 kaufte, der nämliche, welchen Niklas Koppernigk 1464 von seinem Schwiegervater erbte, und in welchem der junge Coppernicus an dem schönen Ufer der Weichsel frohe Stunden verlebte. Als Besitzer des erwähnten Weingartens wird Niklas Koppernigk noch aufgeführt in einer Verhandlung des Schüppenbuchs aus

dem Jahre 1468: „Vor gehegt ding ist komen gregor folkmer

bot bekant das her vorkofft hot hansse trost sibenczen gutte scot erbczins vff dem garten gelegen yn dem clostirchen der niclass Koppernick höret vnd etczwan her lucas watzelrode gehört hat.“

    • Bei der Unsicherheit und häufigen Unwegsamkeit der Landstrassen

THORN UND UMGEBUNG. 107

trotzig^i Thttnue der Vaterstadt und nach Osten schweifte der Blick weithin über die httgeligen Ebenen bis tief nach Polen hinein„ Und wenn die Festzeit kam, oder die Tage, wo der Jüngling ausruhen durfte von den Freuden und Mühen der Schule, da gewann er wiederum Anschauung von einer andern Lebensthätigkeit. Dem Gewühle der Stadt und dem drängenden Treiben der belebten Strassen entflohen nahm ihn die freundliche Stille des Landlebens auf, indem die Landsitze der Verwandten aufgesucht wurden.*

Unter so günstigen äussern Verhältnissen ist Coppernicus aufgewachsen, so harmonisch gestaltete sich schon früh des Knaben und Jünglings Leben, [so war Coppernicus bevorzugt vor Vielen, die mit des Lebens Mühsal von frühauf zu kämpfen haben. Aber müssen wir andrerseits auch nicht gerade deshalb, weil des Lebens gewaltiger Treiber, die Noth, ihn nicht anregte zu stets erneuter Anstrengung, müssen wir nicht gerade deshalb rühmend bewundem die Kraft, die in dem Knaben schon lebte, den Fleiss

wurde der Wasser-Transport viel häufiger benutzt; auch aus andern Gründen war der Export aus Polen, Galizien und Ungarn auf der Weichsel viel reicher. Getreide und verschiedenes Holz (Masten, Balken und Dielen, Wagenschoss, Bogen- und Klappholz), (Kupfer und andere Metalle , wurde auf Traften die Weichsel hinabgeflüsst, ebenso die Waldwaaren: Asche, Theer, Poch, Kohlen neben Honig und Wachs. Auf der Wasserstrasse wurden gleichfalls die Einfuhr- Artikel nach Polen gesandt : Salz, Heringe und andere Seefische, feine Tuche und Leinwand, Seidenwaare, Gewürze u. A.

Die ersten Besitzer und [Producenten, oder die Kaufleute, (begleiteten ihre Fracht stromabwärts; ebenso fuhren die preussischen Kaufleute nüt ihren Waaren zu (Schiffe nach „Reussen“. Die Kähne wie die Flösse, fuhren nur selten einzeln ; in unruhigen Zeiten wurden die Fahrzeuge zu einer Flotte vereinigt und ihnen bewaffnete Kähne zum Schutze beigegeben.

  • Mehrere der nächsten Verwandten von Coppernicus waren im Besitze

von Landgütern; sein Oheim Tilman von Allen besass das durch Erbgang von Lucas Watzelrode auf ihn gekommene Gut Fredau ; eine Tochter AUen's war an den Bürgermeister Heinr. Krüger verheiratet , welchem 6 Landgüter in der Umgegend von Thorn zugehörten; ein Stiefbruder der Mutter von Coppernicus, Joh. Peckaw, war im Besitze des Gutes Elsau, gleichfalls unweit Thorn gelegen.

108 DIE MUTTER.[recensere]

UBd die Energie des Geistes, die er schon früh geübt, wie sie seine Begleiterinnen waren auf der ganzen Bahn seines Lebens?

Ueberdies lernte Coppernicus anch schon früh des Lebens bittem Ernst kennen, ward ihm früh das Schwerste nicht erspart. Zehn Jahre alt fand er sich schon eine vaterlose Waise. Wie lange der Matter Auge über ihn gewacht^ wissen wir nicht.

lieber Barbara Koppernigk, die Matter von Coppernicus, ist ausser ihrem Namen überhaupt nichts auf uns gekommen.* Nicht einmal die dürftigsten chronologischen Daten haben sich erhalten ; ihr Gteburtsjahr ist uns ebenso unbekannt, wie das Jahr ihrer Vermählung und ihr Todesjahr. Manche Fragen, über die wir gern Aufschluss erhielten, müssen sonach unbeantwortet bleiben ; wir erfahren nicht, welche Keime der geistigen Entwickelung die Mutter in den Knaben gelegt, welchen Einfluss sie auf die Erziehung des Sohnes geübt hat. Die Forschung muss sich hier genügen lassen, dass sie Namen, Stand und Verhältnisse der Eltern und nächsten Verwandten von Barbara Koppernigk er

  • Eine irrthümliche Angabe hat Hipler in seiner Schrift : Kopernikus und

Luther (S. 37) verbreitet, dass Barbara Koppernigk nach dem Tode ihres ersten Gatten „einen gewissen Beutler geheiratet habe“. Er stützte seine Annahme auf ein Frauenburger Dokument, in welchem eine „Barbara Bewtlerynne von Thorun“ die Hinterlassenschaft ihres Bruders Lucas von Allen als Universalerbin in Anspruch nahm. (Das Dokument ist seinem ganzen Wortlaute nach abgedruckt in der Beilage zu obiger Schrift, S. 65 ff.J

Hipler hat seinen Irrthum halb widerrufen in der Ermländ. Lit.-Gesch. (S. 112, Anm. 60), etwas bestimmter in der Anm. 1 zu S. 272 des Spicilegium Copernicanum. Bei der hervorragenden Bedeutung Hipleif*s fUr die Coppernicanische Forschung war der Irrthum des verdienten Gelehrten an dieser Stelle ausdrücklich hervorzuheben, und darf eine kurze Berichtigung nicht unteriassen werden.

Die in dem Frauenburger Schriftstücke genannte „Barbara Bewtlerynne“ war nicht die Mutter, sondern eine Nichte von Coppernicus, die Tochter seines Oheims Tilman von Allen. Dieselbe war vermählt an den Thorner Bürgermeister Johann von Beutel (^1510).

Der oben erwähnte Lucas von Allen ist femer keineswegs, wie Hipler a. a. 0. annimmt , identisch mit dem Bischöfe Lucas Watzelrode ; derselbe war vielmehr ein Sohn Tilman's von Allen und starb als „capitaneus“ auf Schloss Roggenhausen.

DIE MUTTER. 109

mittelt hat. Manch Licht fällt nun doch auf die Bildungs-Momente des früh verwaiBten Knaben, da sich die Umgebung zeichnen lässt, in welcher er, yielleicht noch einige Zeit von der sorgenden Hand der Mutter geleitet, aufgewachsen ist.

Wenn für den Verlust des Vaters ein Ersatz geboten werden kann, - er ward dem jungen Coppernicus zu Theil. Die Verwandten der Mutter nahmen sich der hinterbliebenen Kinder von Niklas Koppernigk an, als dieser im Jahre 1483 gestorben war. Namentlich waltete mit elterlicher Fürsorge der Oheim Lucas Watzelrode über Coppernicus und dessen Geschwister.*

Den ersten Unterricht erhielt Coppernicus auf den Schulen seiner Vaterstadt. Früh schon hatte der deutsche Orden, im Vereine mit den Landesbischöfen, für die Errichtung von Schulen in Preussen Sorge getragen."^"^ Die reichen Handelsstädte waren in

  • Der andere Oheim yon Ooppenücas, Tilman von Allen, konnte sich

nicht in derselben nachhaltigen Weise, wie Lucas Watzelrode, der Verpfifchtang gegen die Kinder seiner Schwägerin unterziehen; er hatte selbst für eine zahlreiche Kinderschaar (ihm waren deren 12 geboren) Sorge zu tragen. Allein am Orte anwesend und in einflussreicher Stellung konnte er doch vielfach persönlich eingreifen.

    • Papst Honorins lU. hatte bereits im Jahre 1218 durch ein Breve den

polnischen und deutschen Bischöfen zur Pflicht gemacht, den zum ersten Bischöfe in Preussen ernannten Mönch Christian in der Anlegung von Schulen zu unterstützen. Von diesem wurden neben dem Cistercienser Mönchs- und Schwestern-Kloster zwei Schulen begründet. Als Preussen später in mehrere Diöcesen getheilt wurde, setzten die Bischöfe in ihren Sprengehi das von Christian und seinem Nachfolger (dem nachmaligen Erzbischofe Albert von Liefland und Preussen) so rühmlich begonnene Werk mit dem grössten Eifer fort. So war schon um die Mitte des 13. Jahrhunderts in Ermland eine ELathedral-Scbule errichtet, welche ein Jahrhundert später bereits in grosser Blüte stand („fuit magna sociorum multitudo et scolarium in soula latina Varmlensi“).

Die Ordensregierung unterstützte das Bestreben der Bischöfe fUr Verbreitung der Bildung. In den ihnen unmittelbarer untergebenen Städten sorgten die Hochmeister selbst für Errichtung von Schulen. So war in der Neustadt Thorn eine Schule angelegt, über welche der Orden bis zum Jahre 1345 das Patronats- Recht besass. Im Jahre 1330 gab u. A. der OrdensMarschall Heinr. Dusener der Stadt Wehlau ein Privilegium zur Anlegung einer Schule („Damus eüam civibus eiusdem civitatis, ut ipsi scolam vira

ItO DIE JUGENDJAHRE.

diesem rtthmlichen Streben nicht zurückgeblieben.* Zu Thorn war neben den Parochial- und Klosterschulen nachweislich bereits im 14. Jahrhunderte eine eigene Stadtschule errichtet, welcher ein Stadtschulmeister vorstand, neben welchem eine Zahl von Schulgesellen unterrichteten."^ Der Oheim von Coppernicus, Lucas

idoneo et literato plenariam habeant conferre potestatem“). Aber auch auf die Pflege höherer wissenschaftlicher Bildung waren die deutschen Ritter in ihren Landen bedacht. Der Hochmeister Konrad Zöllner von Bothenstein liesB sich im Jahre 1386 von Papst Urban ein Privilegium zur Anlegung einer Universität in Kulm ertheilen. Schon vorher hatte Winrich von Kniprode in dem Ordens-Haupthause Marienburg eine Rechtsschule für die Brüder begründet.

  • In den grossem Handelsstädten lag die Begpründung von BildungsAnstalten für die patrizische Jugend im unmittelbaren Interesse der Kaufherrn ; sie hatten auch die Mittel, dieselben in angemessener Weise zu unterhalten. Nachweislich finden wir in dem heutigen Westpreussen eine Rathsschule in Elbing (welche bereits 1300 eingerichtet ist), eine Schule bei der

städtischen Hauptkirche in Dan zig (welche urkundlich allerdings erst im Jahre 1410 aufgeführt wird), eine Schule in Kulm (welche 1405 ihre Bestätigung vom Papste erhielt).

    • Die Zeit, in welcher die Stadtschule in der Altstadt Thorn gegründet

ist, lässt sich nicht mit Genauigkeit bestimmen. Die erste urkundliche Erwähnung findet sich in einem Vergleiche, welchen der Rath der Altstadt mit dem Propste der Johanniskirche im Jahre 1375 abschloss. In demselben wird die „Johannisschule“ ein uraltes „Patrimonium der Stadt“ genannt, welches ihr 'allein und unmittelbar zugehöre. Auf diesen Vergleich berief sich der Rath bei dem officiellen Proteste, den er im Jahre 1596 bei der Ansiedelung der Jesuiten gegen die Wegnahme des Schulgebäudes bei dem Schlossgerichte zu Radzijewo niederlegte. „ . . . Quod schola illa fundus proprius et ab annis memoriam hominum ezcedentibus Patrimonium civitatis sit iureque proprietatis ad civitatem immediate pertineat.“ Noch bestimmter wird in einem andern gleichzeitigen Dokumente von dem Bathe hervorgehoben, dass die Johannisschule niemals in irgend einer Verbindung mit der Kirche gestanden, in deren Nachbarschaft sie angelegt war : „Schola quae aedi Parochiali adiacet. Civitatis est, nee ad templnm Parochiale unquam pertinuit, sed civitatis est Patrimonium, quod ex transactione inter Nobilem Senatum et Plebanum Thorunensem Joannem a Kulinach A. 1375 inita et per Theodoricum a Brandenburg, Commendatorem Thorunensem, confirmata apparet“.

Der städtischen Hauptschule stand ein Stadtschulmeister vor (auch „Magister“ und später, am Ende des 15. Jahrhunderts, „rector“ genannt), welcher neben den sonstigen Aocidentien eine Besoldung aus der Stadtk&sse

DIE JOHANNISSCHULE IN THORN 111

Watzelrode, hatte selbst eine Zeit lang an dieser Anstalt unterrichtet,'^ welche neben der Parochial- Kirche der Altstadt gelegen, den Namen der Johannisschule von dem Schatzpatrone derselben entlehnt hatte. Die Schale genoss während des 15. Jahrhunderts eines grossen Ansehens ; nicht nur aus Preussen, sondern auch aus Polen wurden ihr Zöglinge zugeftihrt, lange bevor die Stadt den polnischen Königen unterthan war.** Ein besonderer

erhielt. Ihm war die Aufsicht über die KloBterschulen und seit der Vereinigung der Altstadt Thorn mit der Neustadt im Jahre 1454 auch über die Stadtschule in der letztem übertragen. Neben dem Stadtsohulmeister unterrichtete eine wechselnde Zahl von Schulgesellen (auch „baccalaurei“ oder „socü“ genannt) ; ein Rathsschluss vom Jahre 1469 giebt genauere Bestimmungen über die ihnen zukommenden Emolumente.

  • Meine Quelle hiefür ist Treter de episcop. etc. eccles. Varm. p. 78:

„Philippus quoquo Teschner, qui ex quadam puella nothus Lucae Episcopi dum olim Ludimagistrum Thoruniae ageret et postmodum eodem

Luca creato Episcopo, promotore usus e stercore ad consulatus api com evectus fnerat, praeclaram animi grati testificationem edidit.“

Meine Interpretation der vorstehenden Worte ist von anderer Seite angefochten. So hat Lehnerdt in dem Fest-Programm des Thorner Gynmasiuma 1868 S. 8 behauptet, es sei nothwendig die Worte ,dum olim Ludimagistrum Thoruniae ageret' auf Teschner zu beziehen. Diese Auffassung hätten schon sprachliche Erwägungen widerrathen müssen. Sie wird überdies durch die Vergleichung mit dem - neuerdings wieder aufgefundenen - deutschen Originaltexte der Kreczmer'schen Chronik widerlegt : „Und Philip Teschner, der geburtt ein Hurkindt, von Luca dem Bischoffe, als er noch Magister zuThoren war, von einer frommen Jungfer, hatt durch Beförderung desselben Bischoffs Lucas“ u. s. w. - Dieselbe Auffassung finden wir auch in Leo's bist. Pruss. p. 361 : „Philippus quoque Teschner , qui ex qaadam puella bastardus erat Lucae Episcopi, dum olim Ludimagistrum Torunü ageret, et postmodum eodem Luca creato Episcopo promotore usus etc.

“* Durch den Bericht des Pflegers von Rastenburg aus dem Jahre 1427 an den Hochmeister wird belegt, dass damals mehrere polnische Orosse ihre Kinder der Thorner Schule anvertraut hatten (vgl. Voigt Pr. Qesch. 7, 494). Ein Gleiches bezeugt das Schreiben, welches der Sachwalter des Gnesener Kapitels, Mag. Stanislaus von Oyrzanow, an den Thorner Rath im Jahre 1487 einsandte. Derselbe giebt darin seinem Danke Ausdmck für den Unterricht, den er einst auf der Johannisschule genossen habe ( . . . . „grato animo beneficioram memini et studiomm, quibus usus sum, quum Thornnü Scholam Joanneam frequentarem“) .

Am deutlichsten aber erhellt wohl die Bedeutung der Johannisschule zu

tl2, DIE JUGENDJAHRE.

Glanz aber umstrahlt die Johannisschnle, weil aaf ihr der erste Gnrnd fbr die geistige Eütwickelimg von Coppernieas gelegt ist.*

Thorn ans der Thatsache, dass einer der gelehrtesten Männer seiner Zeit, Johannes Wohlgemuth von Heilsberg (später unter dem Namen Ludovicus de Pmssia eine Zierde des Franziskaner -Ordens), eine Zeit lang das Rektorat geführt hatte. Derselbe war vorher Rektor der Schalen in Görlitz und Posen gewesen. Nachdem er sich vom Schulamte zurückgezogen hatte und in den Franziskaner- Orden eingetreten war, gab et sieh neben dem beschKulichen Leben, das er als Minorit führte, ganz seinen theologischen Stadien hin. Er hinterliess ein grösseres Werk „trilogium animae“ , welches als „ein geistvolles Kompendiam der gesammten mittelalterlichen Philosophie and Theologie“ gerühmt wird (Hipler, Ermländ. Lit -Gesch. S. U3). Dasselbe ist von dem Provinzial -Vikar der Minoriten Paul von Lemberg im Jahre 1498 za Nürnberg herausgegeben. Die einleitenden Briefe, die KapitelUeberschriften und eine Stelle über die Aufgabe des Quadrivium und der Astronomie im Besondem hat Hipler im Spicilegium Copernicanum p. 304 ff. abdrucken lassen.

  • Der Geist, in welchem Wohlgemuth die Thorner Johannissdhule geleitet hatte, wirkte sicherlich auch nach seinem Abgange fort. Allein die

' Bedeutung derselben wird doch überschätzt, wenn man meint, es sei zu Thorn damals auch das Griechische gelehrt worden, wie u. A. Gassendi annimmt („Copernicus literas Latinas et Graecas partim domi addidicit“ 1. 1. p. 4). In einem spätem Abschnitte wird gezeigt werden, dass die griechische Sprache den Weichselländem damals noch fremd gewesen ist.

Wer zu der Zeit, da Coppernicus die Johannisschule besuchte, Rektor ge^ wesen, wissen wir nicht. Hipler hatte in seiner Schrift (Kopernikus und Luther S. 12) die Vermuthung ausgesprochen, dass Wohlgemuth auf der Johannisschnle sein Lehrer gewesen sei; er wiederholte dieselbe, allerdings auch noch in beschränkender Weise, in der Erml. Lit.-Gesch. S. 113. Bestimmter dagegen lässt er diese Hypothese im Spicil. Copern. p. 305 auftreten, indem er „aus der grossen Zahl von Lehrern, zu deren Füssen CopperniouB gesessen“, an erster Stelle Wohlgemuth nennt. Er theilt femer sieben Seiten aus Wohlgemuth's „Trilogium animae“ mit und stellt neben ihn nur noch einen Lehrer Albertus de Bmdzewo, so dass die andere Altemative ganz zurücktritt, es habe Wohlgemuth dem Coppernicus nur „durch den Ort seiner (Geburt und Wirksamkeit nahe gestanden“ und habe „durch seine Schriften einen bedeutenderen Einfluss auf ihn geübt“. .^

Bei dem verdienten Ansehn, welches 'Hipler für die Coppernicanische Forschung geniesst, muss deshalb ausdrücklich hervorgehoben werden, dass hier seine Ansicht eine irrthümliche ist. Wohlgemuth ist ein Jahrzehnt vor üer Greburt von Coppernicus Rektor der Johannisschnle gewesen; er ist noch vor 1470 in den Franziskaner-Orden eingetreten. Seit 1470 stand der Thorner Johannisschnle der Magister Tes ebner vor, wie die Thorner Manuskripte melden, deren Angaben durch das Schöppenbuch beglaubigt

DIE J0HANNISSCHULE ZU THORN. ^llS

Dies ist von keiner Seite in Zweifel gezogen. Wohl aber hat man in neuerer Zeit ohne hinreichenden Grand ihr den Ruhm entziehen wollen, die Vorbildung ftir die Universität vollendet zu haben.* Man stützt diese Ansicht vorzugsweise darauf, dass im Geburtsjahre von Coppernicus in dem benachbarten Kulm als specielle Vorbereitung ftlr das „Studium generale“ ein sog. ))Studium particulare“ errichtet war, welches unter Leitung der Brüder vom gemeinsamen Leben stand und gegen Ende des Jahrhunderts gerade zu einiger Blüte gelangt war.** Allein dieselbe war doch

werden. Eine Verhandlung vor dem Schoppen -(Berichte der Altstadt ans dem Jahre 1471 meldet, dass „Johannes Teschner der schnlmeyster .... vorkoofft hot eyn haws in der czegen gasse“ etc.

Unter diesem Johannes Teschner (die abgeleiteten Thorner Quellen und nach ihnen Lehnerdt a. a. 0. . S. 8 geben ihm irrig den Vornamen Albrecht) hat des Coppernicus Oheim Lucas Watzelrode an der Johannisschule unterrichtet. Eine Tochter von ihm ist es sicherlich gewesen, mit welcher Lucas WatzeLrode damals ein Verhftltniss unterhalten hatte, aus welchem ihm der S. 80 erwähnte Philipp Teschner geboren wurde.

  • Lehnerdt hat, auf irrige Voraussetzungen gestützt [a. a. 0. S. 5 u. 6),

mit Ausftihrlichkeit die Annahme vertheidigt, es habe Coppernicus seine Vorbildung für die Universität nicht auf der Johannisschule in Thorn abgeschlossen. Diese Ansicht zu begründen, musste er zunächst die Bedeutung der Johannisschule herabdrttcken. Er erklärt (S. 5), dieselbe sei „im günstigsten Falle“ eine gewöhnliche Trivialschule gewesen. Belege sind nicht beigebracht. Aus dem unmittelbar folgenden Satze scheint es aber, dass Lehnerdt seine Behauptung lediglich auf den Lehrplan der Johannisschule ans dem Jahre 1568 gründet. Damals war dieselbe aber gar nicht mehr die „Oberstadtschnle“; sie enthielt vielmehr nur die Vorbereitungsklassen für die Oberschule, welche schon seit mehreren Jahren nach den von den Mönchen verlassenen Bäumen des neben der Marienkirche befindlichen FranziskanerKlosters verlegt worden war (vgl. Lehnerdt a. a. 0. S. 14 ff.). - Lehrpläne der Johannisschule aus dem 14. und 15. Jahrhunderte liegen uns nicht vor. ^nf Lehnerdt's Ansicht musste hier näher eingegangen werden, weil ihr Hipler eine grössere Verbreitung verschafft hatte und sie dann auch von Polkowski {ijwot Kopernika p. 106 sqq.) aufgenommen ist.

Die von Lehnerdt in neuerer Zeit zuerst vertretene Auffassung ist übri* gens bereits in einer im Jahre 1768 bei ähnlicher Veranlassung erschienenen Abhandlung, der Jnbelschrift eines Thorner Abiturienten, eingehend behandelt worden: Centner Status scholarum Thorunensium p. 17.

    • Im Geburtsjahre von Coppernicus war von den Hieronymianera, den

I. 8

114 DIE JUGENDJAHBE.

sehr vorübergehend. Dagegen hat die Thorner Schule dauernd für die Vorbereitung zur Universität Sorge getragen. Wir ersehen

Brüdern des gemeinsamen Lebens, ein Studium particnlare zu Kulm errichtet worden (die Stiftungsurkunde ist vom 4. August 1473 datirt). Die Stadt Kulm, deren Handel damals ganz in Verfall gerathen war, suchte diese Stiftung, welche der verarmenden Stadt neues Leben zuzuführen schien, durch Privilegien und Schenkung zweier Landgüter zu fördern. Sie soll auch unter dem Rektorate des Johannes Westerwald zu einiger Blüte gelangt sein.

Das Kulmer Studium particnlare hat man als eine Art philosophischer Fakultät im Gleiste des Mittelalters bezeichnet. Die Nachrichten über die Lehranstalt sind jedoch sehr dürftig, und im Sinne des Stifters der Hieronymianer lag es sicherlich nicht, eine besondere Pflege der Wissenschaften zu fördern, eine gelehrte Bildung den Zöglingen zu geben. Gerhardus Magnus hatte den Ejreis der Studien sehr eng gezogen. „Wende keine Zeit dazu an, hatte er ge&ussert, auf Greometrie, Arithmetik, Rhetorik, Dialektik, Grammatik, Poesie und Astrologie. Alles dies Treiben verwirft Seneca, geschweige

denn ein geistlich gesinnter Christ“ „Um die Geheimnisse der Natur

zu erforschen, sollen wir weder heidnische Bücher, noch die heilige Schrift lesen.“ (Vgl. Raumer Gesch. der Pädagogik I. S. 68.)

Hiemach könnte man das Kulmer Studium particnlare allenfalls mit den geistlichen Seminaren späterer Zeiten in Vergleich stellen, als VorbereitungsAnstalt für den niedem Klerus, für Jünglinge, welche entweder nicht befähigt, oder aus äussern Gründen nicht im Stande waren, eine Universität zu besuchen. Dadurch wird es auch erklärlich, dass das Kulmer Partikular eine grössere Zahl von Zöglingen anziehen konnte.

Falls die vorstehenden Anschauungen als begründet erachtet werden, dann ist wohl zuzugeben, dass Coppernicus, selbst wenn er das Kulmer Partikular besucht haben sollte, für seinen hochfliegenden Geist dort keine Nahrung finden konnte. Aber auch die äussern Gründe, welche man herbeigeholt hat, um Coppernicus zum Zöglinge der Kulmer Schule zu machen, sind nicht zureichend.

Hipler und nach ihm Polkowski führen zunächst an, dass die Familie von Coppernicus eine besondere Zuneigung ftir Kulm gehabt haben müsste, weil eine Tante und eine Schwester von ihm in das dortige BenediktinerNonnenkloster eingetreten seien, obgleich in Thorn sich ein Konvent desselben Ordens befunden habe. Sodann meint man, es habe Lucas Watzelrode eine besondere Vorliebe für die Brüder des gemeinsamen Lebens gehegt, weil derselbe sie auch als Bischof begünstigt und einen Zweig derselben nach dem Ermlande gezogen hätte.

Ein näheres Eingehen auf die vorstehenden Ausführungen erscheint an diesem Orte unzulässig. Es genügt dieselben erwähnt zu haben. Bei den schwankenden Gmndlagen dürfte kaum ein zwingendes Resultat zu erzielen sein. Die Motive für den Eintritt der Nonnen in das Kloster zu Kulm ent

DIE JOHANNISSCHULE ZU THOBN. 115

dies ans der grossen Anzahl von Stndirenden, welche vor und nach der yermeintlich hohen Blttte des Eulmer Partikular von den Thorner Schulen zur Universitilt entlassen waren.

Bei dem im Ganzen recht mttssigen Streite, ob Coppernicus vor dem Beginn der Universitäts-Studien noch auf dner Zwischenstation verweilt habe,* wird aber nicht nur die Bedeutung der damaligen Handelsstädte und ihrer Schulen unterschätzt; auch das Bild ist schief; welches man von den Universitäten jener Zeit sich entwirft, von den Gegenständen und der Art des dort ertheilten Unterrichts. Die Hallen der Universitilt standen damals Jedem offen. Wer dieselben nicht ganz ausgerüstet betrat, fand hier hinreichende Gelegenheit, etwaige Lttcken auszufüllen.** Der

ziehen sich der historischen Beurtheilung. Die Stellung des BischoÜB Watzelrode zu den Hieronymianem wird in einem spätem Abschnitte erörtert werden.

Ein Hauptmotiv, welches die Gründe, die für den Besuch der Kulmer Schule beigebracht sind, zurückschlägt, muss dagegen hervorgehoben werden. Wenn die Mutter von Coppernicus noch um 1490 am Leben gewesen, wird sie den Sohn doch sicherlich so lange als mOglich bei sich behalten haben. Falls dieselbe aber dem heranwachsenden Jünglinge nicht mehr zur Seite gestanden haben sollte, dann hatte Coppernicus an dem Oheim Tilman von Allen, dem Haupte der Stadtverwaltung zu Thora, doch einen ganz andern Halt, als an den armen der Welt abgestorbenen Nonnen in Kulm.

  • Im Anschluss an die in den vorstehenden Anmerkungen enthaltenen

Ausführungen muss nochmals scharf hervorgehoben werden , dass der Lehrplan der Kulmer wie der Thorner Schule ganz unbekannt ist, und ihre Lehrziele nur auf Vermuthungen gegründet sind. Endlich darf man nicht übersehen, dass die nach Preussen ausgewanderten Brüder vom gemeinsamen Leben doch schwerlich eine hervorragendere Bildung gehabt haben werden, als die in der Heimat zurückgebUebenen. Sie waren sämmtlich in der alten Lehrweise aufgewachsen und AnfUnger in der neuen geistigen Richtung. Einer der bedeutendsten unter ihnen, Alexander Hegius, der verdiente Rektor der Schule zu Deventer, erhob sich so wenig über die Durchschnittsbildung seiner Zeit, dass er sich über die Bedeutung griechischer und lateinischer Wörter und über Syntaktisches von Agricola musste belehren lassen.

    • Nur einer vorgefassten Meinung zu Liebe kann die Ansicht, dass

Coppernicus seine letzte Vorbildung auf dem Kulmer Partikular empfangen, so eifrige Vertreter gefunden haben. Sehr gering waren die Ansprüche, welche die Universitäten des 15. und 16. Jahrhunderts an die eintretenden Scholaren machten ; selbst über TrivialfUcher wurden auf ihnen Vorlesungen gehalten. Noch in der Mitte des 16. Jahrhunderts war zu Wittenberg ein

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116 DIB JUaSNDJAHRB.

gute Kopf aber fand rieh leieht selbst fort mit der Vorbildnng, welche ihm die Mittelschule gegeben.

Coppernicus stand in seinem 19. Lebensjahre, als er die Vaterstadt verliess, um die hohem Universitäts- Studien zu beginnen. Die Akademie in Erakau war dazu ausersehen.

Professor der Artisten-Fakultät, der „Paedagogos“, verpflichtet, für jüngere Scholaren lateinische Grammatik zu lehren. Und wie schlecht es um die Vorbildung in andern Fächern bestellt war, ersieht man aus der Einladungsrede eines Wittenberger Docenten aus der Zeit von Melanchthon (Declamat. Melanchth. I, 389), welcher den Studenten vorhält, „wie leicht die Elemente der Arithmetik seien und wie auch die Multiplikation und Division mit einigem Fleisse erlernt werden könnten“!

Plan und* Methode der Mittelschulen waren damals nicht schematisirt. Kraft und Zeit wurde überall dem Latein zugewandt. Dem Unterrichte lag das doctrinale puerorum des Alexander von YilledieUi femer das sogenannte Labyrinth und der Graecismus des Eberhard von Bethune zu Grunde, höchstens wurde Donat und Priscian im Original gelesen. Eine straffere Organisation erhielten die Schulen Norddeutschlands erst durch die Reformatoren.

Im 15. und 16. Jahrhunderte wurden überdies oftmals Scholaren im Knabenalter den Universitäten zugeführt. Die Statuten der Krakauer Universität vom Jahre 1480 nehmen ausdrücklich hierauf Bezug indem sie im X. Abschnitte pueri und adolescentes neben einander stellen: >Ne pueris et adolescentibus ad nostram accedentibus universitatem occasio evagationis praebeatur, statuimus“ etc. Aehnlich war es bekanntlich auf den deutschen Universitäten. Gersdorf hat in seinen Beitr. z. Gesch. der Univ. Leipzig nachgewiesen, dass unter den Immatrikulirten im 15. und 16. Jahrhunderte eine grosse Anzahl Knaben gewesen sind. Einige dieser jungen Scholaren wurden in Begleitung eines Hofmeisters auf die Universität geschickt und erhielten von ihm allein Unterricht, ohne einer andern Schule anzugehören. Andere wurden in dem Pädagogium der Universität untergebracht ; alljährlich hatten deshalb einige Magister den Auftrag, die Anfangsgründe des Latein und der Mathematik zu lehren. Nach Lebensalter, Disciplin und Lehrkursus sind diese Scholaren den Primanern unserer heutigen Gymnasien zu vergleichen.

Zum Schlüsse mag noch auf zwei Beispiele frühen Besuches der Universität hingewiesen werden, welche der unmittelbaren Umgebung von Coppernicus entnommen sind. Sein Oheim Lucas Watzelrode ist noch nicht 16 Jahre alt der Universität Krakau zugeführt worden, sein Vetter Tiedemann Giese hat sogar schon mit 12 Jahren die Akademie in Leipzig bezogen.

Drittes Buch. Auf der Universität zu Krakau. 1491 - 1494.[recensere]

Drittes Buch.

Auf der Universität zu Krakau, 1491 - 1494.[recensere]

Ueber den Aufenthalt des Coppernicus auf der Universität zu Krakau sind nur äusserst dürftige Notizen erhalten. Die Aufgabe des Biographen wird sich auch hier darauf beschränken müssen, in grossen Zügen ein Bild von den Zuständen der Jagellonen-Universität am Ende des 15. Jahrhunderts zu entwerfen, soweit dieselben auf die geistige Entwickelung von Coppernicus Einfluss haben konnten.*

  • Dem Beispiele Kaiser Karl des IV. folgend hatte schon bald nach der

Gründung der Universität Prag König Kasimir der Grosse im Jahre 1364 zu Krakau eine Hochschule errichtet, an welcher neben den Artisten 8 Professoren römisches und kanonisches Recht vorzutragen hatten. Doch sollte der Segenswunsch noch nicht in Erfüllung gehen, welchen der Fürst der neuen Stiftung mitgegeben, „dass sie ein nie versiegender Quell der Gelehrtsamkeit werde, eine Perle in der Krone der Wissenschaften“. König Jagiello musste die in Verfall gerathene Universität im Jahre 1400 ganz neu begründen, als er die letztwillige Anordnung seiner hochgesinnten Gemahlin Hedwig ausführte, welche bereits 1397 ein päpstliches Privilegium erwirkt hatte. Die neue Stiftung gelangte bald zu hoher Blüte, welche um die Neige des ersten Jahrhunderts, um die Zeit, da Coppernicus als Scholar in Krakau einzog, ihren Höhepunkt erreicht hatte. Namentlich auch aus den deutschen Landen waren, als in Folge der hussitischen Bewegung Prag verödete, viele Studenten nach Krakau gewandert; allein in den Jahren 1490-95 sind aus Oberdeutschland mehr denn 100 Scholaren immatrikulirt, aus Niederdeutschland weist die „metrica studiosorum“ in jenen fünf Jahren ungefähr 60 Namen auf.

Gegründet nach dem Muster der ersten gleichzeitig erstandenen deutschen Universitäten hatte Krakau genau dieselben Einrichtungen im Lehrgange, dem Lehrziele und den akademischen Graden, wie in den äussern

120 DIE UNIVERSITÄT KRAKAU.

^ Die Wahl der Universität hatte nur zwischen Krakau und Leipzig schwanken können; nach diesen beiden Hochschulen

Verhältnissen der Professoren und Studirenden. Die Artisten-Fakultät vertrat die sieben artes liberales, des Aristoteles Werke bildeten die Haupt-Grundlage. Die Vorlesungen über Gottesgelehrsamkeit und Rechtswissenschaft waren nach Bologna und Paris geregelt ; dazu trat dann noch die medicinische Schule.

Das Recht, Vorlesungen in der Artisten-Fakultät zu halten, stand Jedem zu, der die Magister-Würde erworben hatte. Wenn er durch Ankündigung einer Lektion in die akademische Hierarchie eingetreten war, wurde er „Extraneus simplex“ genannt ; wenn er sich bewährt hatte, erhielt er mit einigen Rechten den Namen „Extraneus de facultate“, wohnte aber noch in einer Studenten-Bursa oder einer Pfarrschule. Zu allen Rechten der Fakultät wurde der Docent erst zugelassen , wenn er bei eingetretener Vakanz in das sog. „collegium minus“ aufgenommen war, in welchem 14 Professoren der Artisten-Fakultät Wohnung und Unterhalt, gleichwie den Saal zu ihren Vorlesungen erhielten. Von hier stiegen sie ü^ das „collegium malus“ hinauf, welches in zwei Abtheilungen zerfiel. Die neu eintretenden Docenten hatten auch noch massige Einnahmen, sie hiessen „collegae maiores regales“; die älteren dagegen, die „collegae maiores non regales“ die im Lehramte ergraut waren, hatten Zutritt zu den Pfründen und Antheil an den Einkünften der zur Universität gehörenden Liegenschaften. Sie zählten nunmehr zu den Theologen, lasen aber nach ihrer Neigung noch die verschiedensten philosophischen Collegia.

Nur die zu den obersten Rangstufen gehörenden Docenten der Universität hatten feste Lehrstühle inne ; die übrigen bestimmten alljährlich durch das Loos, über welche Gegenstände sie zu lesen hatten.

Für die Geschichte der Artisten-Fakultät auf der Universität Krakau während des ersten Jahrhunderts ihres Bestehens besitzen wir sehr werthvolle unmittelbare Quellen.

Zunächst hat sich das älteste Matrikelbuch (die „metrica studiosorum“) erhalten; es umfasst die Jahre 1400 - 1508. Durch dieses Verzeichniss ist der Zugang der Scholaren von Jahr zu Jahr genau festzustellen. Dagegen ist eine sichere Abschätzung der Frequenz nicht möglich, da nur die Aufnahme der Scholaren (die sog. „Intitulatio“) nicht aber ihr Abgang verzeichnet ist. (Auszüge aus diesem Manuskripte hat Zeissberg 1872 ver()ffentücht.)

Wir besitzen ferner die Statuten der Artisten-Fakultät und ein Verzeichniss derer, welche in ihr einen akademischen Grad erlangt haben. Diese Manuskripte sind 1849 durch Muczkowski abgedruckt: „Statuta nee non liber promotionum philosophorum ordinis in universitate studiorum Jagellonica ab a. 1402 ad a. 1849.“

Sehr werthvoll ist endlich der erhaltene Lektions-Katalog, er ist als „liber diligentiarum“ oder „regestrum facultatis“ bezeichnet“ Die Aufzeichnungen

GESCHICHTSQÜELLEK. ISl

pflegten sieh damals die Stadirenden aus dem Preussen-Lande zu wenden.* Dass die Entscheidung für Krakau fiel, dazu wüßten mancherlei Gründe zusammen.

beginnen mit dem Jahre 1487, also kurz vor den Studienjahren des Coppernicus. Ort und Zeit der Vorlesungen sind von Semester zu Semester in tabellarischer Uebersicht zusammengestellt. Den Tabellen folgt dann noch immer ein „Begestrom lectionom et exercidorom“ genau nach der Rangordnung der Professoren verzeichnet; den Schluss macht „ordo magistrorum pro actibus ordinarfis“.

Aus dem über diligentiarum 'ersieht man die ganze Einrichtung der fünfstufig gegliederten akademischen Hierarchie, wie sie oben in Kürze dargelegt ist. Das Manuskript beginnt mit den Worten: „In nomine domini. Amen. Incipit Begestrum facultatis artisticae, in quo lectiones et ezeroitia omnium et singnlorum magistrorum, et eorum diligentiae pro singulis commntationibus notari debebunt; nee non eorum negligentiae omnes, quoties eos aut lectiones, aut exercitia, ant etiam actus ordinarios sive quoscunque alios negligere contigerit; sive tales magistri sint collegiati tarn majores, quam minores sive eztranei tam de facultate, quam extra etc.“

Die Vorlesungen der Professoren der Artisten-Fakultät wurden in dem von Jagiello ursprünglich für die Gesammt-Universit&t bestimmten Gebäude auf der St. Annengasse gehalten. Die einzelnen Räume pflegten auch später noch durch Namen bezeichnet zu werden, wie sie von der ersten Bestimmung entnommen sind; als Saal des Sokrates, Aristoteles, Maro, Plato, Theologorum, Ptolemaeus, und „prope valvam“; die Vorlese-Stunden sind nach italienischer Zählung von 14-22 Uhr aufgeführt.

  • Seitdem Prag von einer Welt-Universität zu einer Lande„-Schule herab*

gesunken war, zogen die Studirenden aus Preussen zumeist nach Leipzig. Schon im ersten Jahre nach Eröffnung der Universität werden hier sechs preussische Studenten immatrikulirt (je zwei aus Danzig und Graudenz, Je einer aus Elbing und Marienburg). Die ersten Thorner Studenten sind in den Jahren 1411 und 1413 inskribirt (Matheus Furstnow und Johann Furste).

Die Gesammtzahl der in den ersten 20 Jahren zu Leipzig inskribirten Preussen beträgt 110, darunter 61 aus Danzig, 19 aus Elbing, 11 aus Thorn.

In dem Jahre 1491, in welchem Coppernicus die Universität Krakau bezog, sind in Leipzig 16 Studenten aus Preussen immatrikulirt, aus Thorn allein 7, aus Königsberg 4, aus Danzig und Elbing je 2 und einer aus Marienburg.

Auch die Universität Krakau wurde Mh von Studirenden aus Preussen aufgesucht. Ihre Reihe eröffnen im Jahre 1402 Nicolaus Tuniersyn und Johannes Waluckop aus Königsberg und Martinus Auber de Danczk. Die ersten Studirenden aus Thorn sind in der „metrica Studiosorum“ im Jahre 1403 verzeichnet: Johannes Platte und Henricus Merzback.

Allein, obgleich näher gelegen als Leipzig, wurde die Hochschule zu

122 DIE UNIVERSITÄT KRAKAU.

Zunächst war es die Nähe der durch die regsten Handelsbeziehungen verbundenen Schwesterstadt, welche die ans den Kaufmanns-Familien stammenden Jünglinge Thorns zahlreicher nach Krakau gezogen hatte, seitdem Weichsel-Preussen eine engere politische Verbindung mit Polen eingegangen war.*

Bei dem jungen Coppernicus traten für Krakau's Wahl auch noch Familien-Beziehungen entscheidend hinzu. Der Vater selbst war ja einst von Krakau nach Thorn eingewandert, hatte Geschäfts -Verbindungen mit seiner frühem Heimat stets erhalten. Auch die alten Familien-Verbindungen waren bewahrt, neue hinzugekommen (eine Schwester von Coppernicus hatte - wie oben, S. 90, mitgetheilt ist - ein Ehebündniss mit einem Krakauer Kaufherrn, Barthel Gertner, geschlossen). Am liebsten mochte also die besorgte Mutter den Sohn, da sie ihn aus dem Vaterhause entlassen musste, nach der befreundeten Schwesterstadt

Krakau von Studirenden aus Preussen weniger besucht (auch sogar nach dem 2. Thorner Frieden, nachdem Preussen in engere politische Verbindung mit Polen getreten war). In den neunzig Jahren seit Eröffnung der Krakauer Universität sind dort nur 104 Studirende aus Preussen immatrikulirt, also nicht einmal so viele als in den ersten zwanzig Jahren zu Leipzig. Die meisten hatte noch Thorn entsendet; das akademische Inskriptionsbuch führt bis zum Jahre 1491 aus Thorn 36 Namen auf. Aus Danzig sind 31 immatrikulirt, aus Königsberg und Graudenz je 10, aus allen übrigen Städten zusammen findet man nur 10 verzeichnet.

  • In den vierzig Jahren von 1454 - 1494 sind 34 Thorner zu Kr.akau

immatrikulirt worden, während in der ganzen ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts nur 12 Scholaren aus Thorn die dortige Universität angesucht haben. Bei den meisten Thorner Jünglingen fehlen die Familien -Namen in dem Inskriptions-Buche der Krakauer Universität; dort pflegt überhaupt den Taufnamen (des Immatrikulirten wie seines Vaters) der Familien-Name seltener hinzugefügt zu werden. Bei einigen ist es jedoch geschehen ; unter ihnen befinden sich zwei Studirende, welche aus Thorner Familien stammen, die mit Coppernicus verwandt waren: im Jahre 1428 wird Friedericus Friderici Waczilroth immatrikulirt, im Jahre 1458 Johannes Matthiae Thesner. Des Coppernicus mütterlicher Oheim wird im Jahre 1463 ohne Angabe des Familien-Namens aufgeführt (zugleich mit ihm „Nicolaus Fredewald de Thoran“. Durch ein Spiel des Zufalls findet sich zum Jahre 1473, dem Geburtsjahre von Coppernicus, in der metrica studiosoram ein „Nicolaus Nicolai de Thoronn immatrikulirt.

DIE UNIVERSITÄT KRAKAU. 123

entsenden, wo der Jüngling mannigfache Anlehnung finden konnte. Auch von ihrem Bruder war sicherlich die Krakauer Hochschule empfohlen, auf der er selbst einst seinen Studien obgelegen."^ Ausser den Genossen seiner akademischen Jugend hatte Lucas Watzelrode, seit er den Bischofstuhl von Ermland bestiegen, noch weitere Verbindungen in Krakau gewonnen, die dem jungen Neffen von grossem Vortheil sein mussten. Als erster Gross-Würdenträger der preussischen Lande stand er in unmittelbarster Beziehung zu dem Könige Polens und seinen Räthen.**

So eröffneten sich dem jungen Coppernicus bei seinem Eintritt in die grosse Welt sofort die reichsten Beziehungen. Nicht fand er sich gleich vielen Andern isolirt, hinausgeworfen in die Fremde und auf den glücklichen Zufall neben der eigenen Kraft verwiesen. Er brauchte die Beziehungen, die sich ihm von selbst darboten, nur zu pflegen und fortzuführen. Er konnte, ein gern gesehener Gast, Theil nehmen an den kleinen Freuden und Leiden des Gelehrten-Lebens , er durfte eintreten in die Häuser der grossen Kaufherrn der Sarmaten-Hauptstadt, und ebenso war ihm

  • Der Bischof Lucas Watzelrode ist im Jahre 1463 als „Lucas Luce

de Thorun diocoesis Culmensis“ in die metrica studiosorum zu Krakau eingetragen; einen akademischen Grad hat er sich jedoch daselbst nicht erworben.

    • Anfangs war die Stellung des Bischofs Lucas Watzelrode zu dem

Könige von Polen keine freundliche. Kasimir IV. hatte gegen seine Wahl protestirt, weil er das Nominations-Recht beanspruchte und gern einen Polen auf den ermländischen Bischofstuhl erheben wollte. Aber nach dem Tode desselben änderte sich das Verhältniss gänzlich. Der neue König bittet Lucas Watzelrode bei seiner Thronbesteigung in einem eigenhändigen Schreiben (d. d. Freitag nach Pfingsten 1492) um freundliche Unterstützung und wendet sich auch ferner stets in den wichtigsten Reichs-Angelegenheiten an ihn. Vgl. Erml. Zeitschrift I, 175, 255.^

Auch des Coppernicus anderer Oheim Tilman von Allen war in der Zeit, da der Neffe in Krakau studirte, diplomatisch thätig und mit den leitenden Persönlichkeiten am Hofe des polnischen Königs bekannt; er befand sich u. a. im Jahre 1492 bei der wichtigen Gesandtschaft, welche von den preussischen Ständen an das Hoflager des Königs zu Wilna entsendet worden war.

124 DIE UNIVERSITÄT KRAKAU.

die Gelegenheit geboten, sich den Kreisen zu nähern, welche Aßsk Königshof umgaben. So lernte der junge Coppernicus früh die Menschen kennen, so ward früh und in reichem Maasse der Gesichtskreifl des jungen PreuBsen erweitert, den schon die Umgebungen in der Heimat nichts weniger als beschränkt hatten.

Vor Allem aber die Universität selbst, welche reichen Bildungs- lemente schloss sie in sichl In hohem Ruhme strahlte damals die Krakauer Akademie weithin über die Länder Europa's. Mehr denn tausend Lernende sassen hier gleichzeitig zu den Füssen berühmter Lehrer.* Auch aus den weiter entlegenen deutschen Gauen kamen Scholaren nach der rauhen Weichselstadt.** Das „Jagellonische Studium a suchten sogar Männer auf,

  • Die Frequenz der ältesten Universitäten war meist eine recht bedeutende , weil sie die Mittelschulen ersetzen , Ja für viele Scholaren gar die

erste Vorbildung geben mussten. Allein die Zahl der Studirenden wird doch häufig sehr übertrieben angegeben. Auch die Zeugnisse von Zeitgenossen sind nur mit grosser Vorsicht zu gebrauchen. So ist z. B. die Angabe des Florentiners Ottaviano di Guccio, welcher nach Vincenzo Coppi Annali Firenze p. 119 die Zahl der zu Krakau im Jahre 1496 Studirenden auf 15,000 angiebt, ganz aus der Luft gegriffen. Der zehnte Theil dieser Zahl dürfte der Wahrheit vielleicht nahe kommen. Am Ausgange des 15. Jahrhunderts wurden lüimlich im Durchschnitt jährlich 300 Studirende zu Krakau immatrikulirt (im Jahre 1490-258, 1491-218, 1492-301, 1493-482, 1494-326, 1495-191, 1496-62, 1497-117, 1498-340, 1499-441, 1500-506).

  • ♦ Schon im Jahre 1401 wird ein Michael de Thuringia und ein Theodoricus de Saxonia, 1402 Petrus Johannis de Colonia und Otto Bertholdi de

Ghuidelfyngen immatrikuUrt.

In den Jahren 1491 und 1492 sind in Krakau immatrikulirt (haben also mit Coppernicus gleichzeitig studirt) : fünf Scholaren aus der Diöcese Konstanz, zwei aus Jüterbogk, je einer aus Basel, München, Regensburg, Schwäbisch Hall, Bamberg, Würzburg, Mainz, Strassburg. Auch ein Scholar aus dem fernen Norden „Baphael Philippi de Suecia civitate Habo“ war im Jahre 1492 unter die Scholaren der Krakauer Akademie aufgenommen.

Schon vorher finden sich 6 Scholaren aus Schweden in der metrica studiosorum zu Krakau aufgeführt, 4 im Jahre 1425 und je einer in den Jahren 1418 und 1426.

Bis zum Jahre 1508 sind in Krakau inskribirt: aus den deutsch-österreichischen Ländern 85 Studirende, aus Franken 81, aus Schwaben 75, aus Baiern 41, aus der Schweiz 28, aus Thüringen 26. Vgl. Zeissberg, das älteste Matrikelbuch der Universität Krakau p. 72 ff.

DER HUMANISMUS IN KRAKAU. 125[recensere]

die selbst als Lehrende auftreten konnten, die sich bereits die Wttrde eines Baccalanrens auf einer deutschen Universität, oder zu Paris, erworben hatten.* Wahrlich schon der damalige Weltruf Krakaus musste den jugendlichen Geist anlocken, dort seine Schwingen zu stärken 1

In Erakau ward Coppernicus auch schon unmittelbar von dem Geiste der neuen Zeit angeweht. Noch herrschte zwar auf den dortigen Lehrstühlen überwiegend die scholastische Anschauung und Lehrweise. Aber früher als auf andern Universitäten diesseits der Alpen waren in Erakau Berührungspunkte mit der neuen Zeit, die von Italien ausging, gewonnen wor(}en. Schon um die Mitte des 15. Jahrhunderts waren Sendboten des Humanismus in den fernen Osten vorgedrungen. Der bedeutendste unter den Verkündigem der neuen Lehre war der aus Florenz gebürtige Philipp Buonacorsi (bekannter unter seinem humanistischen Beinamen Callimachus).. Den Verfolgungen unter Papst Paul Ü. nach Auflösung der Akademie des Pomponius Laetus glücklich entkommen, hatte er nach manchen Irrfahrten eine Zuflucht-Stätte an dem Hofe des Eönigs von Polen Easimir IV. gefunden. Hier wirkte er, zuerst als Erzieher der Söhne des Eönigs, dann als Staatsmann, in unmittelbarer Umgebung des Eönigs, wie seines Nachfolgers Johann Albert. In dieser einflussreichen Stellung hat der gelehrte Mann, der mit den bedeutendsten Professoren der Universität persönlidi befreundet war, in den empfänglichen Ereisen die Liebe für die klassischen Muster der Latinität geweckt ; schon im Jahre 1484 wurde Virgil und Cicero in Erakau interpretirt.

„*

  • In dem durch Muczkowski (Crtcov. 1849) edirten „Über promotionnm

philoBophonim ordinis“ sind während des 15. Jahrhunderts 17 Wiener baccalaurei aufgeführt, die nach Krakau kamen, um hier ihre Studien fort^ zusetzen, femer 15 baccalaurei aus L;eipzig, 6 aus EOln.

    • Die Bedeutung des Gallimachus für die Verbreitung des Humanismus

ist lange Zeit keineswegs hinreichend gewürdigt worden. Seine italienischen Landsleute und die polnischen Literarhistoriker (unter den letzteren vornUmlich Wiszniewski hist. lit. Polsic. ÜI. 443-479) hatten sich mit dem be

126 DIE UNIVERSITÄT KRAKAU

Nun war noch, als so der Boden für die neue Aussaat gelockert war, der unermüdliche Verbreiter des Humanismus Con^ rad Celtes im Jahre 1489 nach Krakau gekommen, woselbst er sich zwei Jahre hindurch aufgehalten.*

Celtes war zunächst nach Erakau geführt durch den hohen Suf der dort lehrenden Mathematiker. Aber nicht wenig trieb ihn dazu auch die Kunde von dem frischen Oeiste, der eine Zahl von Professoren und Studirenden erfüllte. Zu dem Kreise von Gelehrten, mit denen Celtes zu Krakau in näherer Verbindung gestanden, gehörten mehrere Männer, die auch auf die Bildung des jungen Coppernicus von grossem Einflüsse gewesen sind. E„ war dies zunächst der berühmte Lehrer der mathematischen Wissenschaften Bru dz ewski, um dessentwillen Celtes vorzugsweise

deutendeD Manne bisher fast allein beschäftigt; Deutschland besaas kaum Nennenswerthes über ihn. Dagegen verdanken wir nunmehr einem deutschen Historiker eine treffliche Arbeit über diesen Sendboten des Humanismus, in welcher zum ersten Male die eigenen Schriften des Callimachus für die biographische Forschung vollständig verwerthet sind : Zeissberg in seinen „Polnischen Geschichtsquellen des Mittelalters S. 349 ff.

  • Die chronologischen Angaben aus dem Leben von Celtes sind bekanntlich sehr unsicher. Sie beruhen selten auf urkundlichen Zeugnissen, sondern

sind hauptsächlich aus den in seinen Gedichten enthaltenen Andeutungen su entnehmen, die häufig mit poetischer Licenz behandelt sind. Dazu mflssen, um einigermassen sichere Grundlagen zu gewinnen, durch Kombination andere Elemente zur Feststellung der Chronologie gewonnen werden, die deshalb auch nach den neusten Forschungen Aschbach's unsicher bleibt. So hat u. a. Aschbach geirrt, als er das Jahr 148S angab, in welchem Celtes nach Krakau gekommen sein soll. (Vgl. die Sitzungs-Berichte der phil.-hist. Kl. der Wiener Akad. der Wissenschaften LX., p. 99.)

Aus der Krakauer Universitäts-Matrikel wissen wir ganz genau die Zeit anzugeben, in welcher Celtes unter die Scholaren der Krakauer Akademie aufgenommen ist. Es geschah dies im Anfange des Sommer-Semesters 1489. Auf Seite 362 des erwähnten Manuskriptes ist Celtes mit der humanistischen Uebertragnng seines Familien-Namens in der (korrumpirten) griechischen Form aufgeführt als „Conradus Protacius Joannis de Herbipoli“ mit dem Zusätze „totum solvit“. Er ist „commntatione estinali“ unter dem Rektorate des Magister Stanislaus de Cobilino immatrikulirt worden.

Celtes hat nur wenige Monate vor der Ankunft des jungen Coppernicus Krakau verlassen, da er sich nach seinen eigenen Angaben zwei Jahre lang in Polen aufgehalten hat. (Vgl. Odar. lib. I. od. 11 und od. 23.)

CONRAD CELTBS IN KRAKAU. 127

>

nach Krakau gekommen war."^ Während Celtes unter seiner Leitung den mathematischen und astronomischen Studien als Scholar"*"^ oblag, hielt er selbst, wie später in Wien, als „fahrender Humanist“ , vor einem Kreise gleicbgesinnter' Freunde und Scholaren Gastvorträge über die römischen Klassiker, über Poetik

  • Wir haben eine Reihe von Zeugnissen, dass Brudzewski der Lehrer

von Celtes gewesen ist. Zunächst wird dies ausdrücklich bemerkt in einer Notiz zu dem über promotionum (z. J. 1470): „Alb. de Brudzewo (insignis MathematicuB, Conrad! Celtis magister).“ Ein vollgültigeres Zeug^ niss finden wir femer in der von der Sodalitas Bhenana herausgegebenen Vita Conradi Celtes: „Cracoviae astrorum studio vacavit praeceptore Alberto Bruto.“ (Die Form „Brutus“ ist von Celtes selbst übernommen, in dessen Gedichten Brudzewski's Name in dieser latinisirten Verstümmelung erscheint.)

Endlich ist noch der Brief anzuführen , welchen Brudzewski an Celtes nach dessen Abreise von Krakau im Jahre 1491 geschrieben, worin Brudzewski, auf das Pietftts-VerhUltniss des Lehrers anspielend, ihn mit den Worten „Mi fili“ anredet - eine Anrede, die sich sonst, von dem 46jährigen Manne an den kaum 15 Jahre jüngeren Celtes gerichtet, wunderlich genug ausnehmen würde.

    • Als Celtes sich den Scholaren der Universität Krakau anreihen Hess,

waren seit seiner ersten Immatrikulation in Köln nicht weniger als zwölf Jahre verflossen, er hatte schon das 30. Lebensjahr überschritten. Mehrere lateinische Gedichte waren von ihm bereits in der gelehrten Welt verbreitet und mit grossem Beifall aufgenommen, ausserdem hatte seine Ars versificandi in zwei Auflagen eine weite Verbreitung gefunden. Ja es war Celtes, nach einem mehrmonatlichen Aufenthalte in Italien zurückgekehrt, von Kaiser Friedrich ÜI. mit dem Dichterlorbeer gekrönt, als er den Entsohluss fasste, sich auf der Krakauer Hochschule immatrikuliren zu lassen, um noch Mathematik undAstronomie zu studiren.

Wie traurig es mit den mathematischen Studien auf den damaligen Universitäten bestellt war, ist aus vielen Zeugnissen allgemein bekannt. Von der Universität Köln sagt Celtes selbst (Od. ÜI, 21):

Nemo hie latinam grammaticam docet Nee expolitis rhetoribus studet;

Mathesis ignota est, figuris

Quidque sacris numeris recludit.

Nemo hie per axem Candida sidera Inquirit, aut quae cardinibus vagis

Moventur, aut quid doctus alta

Contineat Ptolemaeus arte.

128 DIE UNIVERSITÄT KRAKAU.

und Rhetorik.* Zh seinen Schttlern gebXMm n. A“ xwm Männer, von denen der eine bereits den Orad eines Baecalanrens erhalten hatte, dßT zweite sogar als magister legens an der UniversiUt wirkte - Lanrentias Corvinns und Johannes de Sommerfeld (Äestieampianns). Mit beiden Männern blieb Celtes anch nach seinem Weggange von Erakan in geistigem Verkehre.** Mit ihnen, mit Baonaeorsi, wie mit andern Männern, die der nenen Oeistes-Bichtong zugethan waren, bemühte sieh CeUes einen seiner lieblings-Fläne dnrchzafUhren, welche es ihm jedoch erst später gelang, in andern (hegenden, in Dentschland, zn verwiriLliehen. Er suchte nämlich nach Art der römischen Akademie des Pomponins Laetns einen gelehrten Verein zu begrttnden, welchem die Aufgabe gestellt war, den Kampf gegen die GeistesFessel des Scholastidsmus in gemeinsamer Thätigkeit fortzuführen. Zu diesem Zwecke sollten die den humanistischen Studien geneigten Gelehrten in den Weichselstädten, welche Celtes deshalb

  • Vortrüge über die rtfmiBchen Klassiker, namentlich über Cicero and

Boras, wie im Anschlnss an sie, über Rhetorik and antiken Versbau, hatte Celtes schon vorher in Erfurt, Rostock, Leipzig gehalten, so wie später an dei\|enigen Uniyersitäten, die er nach seiner Krakauer Reise aofruchte.

Zn diesen Vorlesungen, welche gans priyater Natur waren und gegen Honorar gehalten wurden, versammelten sich nicht nur Studenten, sondern auch reifere Hänner der Wissenschaft, um sich in die reinere Sprache Latiums, in die klassischen Reden Cicero's und die horazischen Gedichte einführen zu lassen. Celtes selbst erwähnt diese Krakauer Vorträge in dem „Carmen in laudem Sarmatiae ad gymnasium Cracoviense dum orare veUeti, aus dessen Exordium Klttpfel in seiner „vita Celtis“ einige charakteristische Stellen mittheilt.

    • .In der Celtes'schen Brieftammlnng finden sich mehrere Briefe von

seinen Krakauer Freunden. Di^nfttnr Briefe Sommerfeldes, des Lehrers von Ulrich v. Hütten, gehOren den Jahren 1497 - 1502 an, die von Corvinus sind ans den Jahren 1500, 1501, 1502 u. 1503.

Ausser diesen beiden Gelehrten wird noch ein Andreas Pegasus (von dem weiter Nichts bekannt ist) unter den Krakauer Freunden des Celtes aufgeführt. Celtes selbst richtet an ihn zwei Oden (I, 5 und 18). Auch die Vita Celtis zählt ihn neben Callimachns zu den vertrautesten Freunden des Dichters: „Afnicos secretiores et praeoipuos habuit - Andream Pegasum Sarmatum, Phttippum Callimachum, Florentinum vatem, virum^octissimum.“

DIE niMATBIKULATION. 129

persönlich bereiste, zu einer geschlossenen literarischen Genossenschaft vereinigt werden, als deren Sitz naturgemäds Erakau bestimmt wnrde.*

Der Plan ist wohl kaum ins Leben getreten, der vielleicht wirklich begründete literarische Verein jedenfalls nicht lebensfähig gewesen. Aber schon der Gedanke, der Versuch seiner Ausführung, zeigt, dass der Boden in Erakau für denselben nicht unempfänglich geschienen.

Wenige Monate waren verflossen, seit Celtes Polen verlassen, noch wirkte in nachhaltiger Weise die geistige Anregung die er gegeben, als der junge Coppernicus den Musensitz zu Erakau aufsuchte. Coppernicus wurde unter dem Rektorate des Matthias von Eobylin, an dem Immatrikulation49Termine des Winter-Semesters 1491/92 („in commutationehyemali“), unter die Scholaren der JagelionenUniversität aufgenommen,"^* zugleich mit ihm noch vier Jünglinge seiner Vaterstadt, darunter wohl auch sein Bruder Andreas.***

"* Ueber den Plan zu der sodalitas literaria Vistulana, wie über die andern gelehrten Sodalitäten des Celtes vgl. Aschbach a. a. 0. S. 103 , 122 u. a. In diesen Celtes'schen gelehrten Gresellschaften, welche zunächst die humanistischen Studien fördern sollten, ist die Grundlage der neuem Ak„demieen der Wissenschaften nicht zu verkennen.

    • Coppernicus ist unter der Bezeichnung „Nicolans Nicolai de

Thorunia“ mit dem Zusätze, dass er das ganze Inskriptionsgeld bezahlt habe, („solvit totum^) in der metrica studiosorum aufgeführt, als der 32. unter den im Wintersemester 1491/92 immatrikulirten Studenten.“

An dem Inskriptions-Termine des Wintersemesters 1491/92 sind mit Coppernicus 69 Studenten immatrikulirt wordeit. Ihre Kamen sind vollständig mitgetheilt von KarUnski in der I. Beilage su seinem ^ywot Kopernika.

      • Die in „commutatione hyemali“ des Jahres 1491, neben „Nicelaus

Nicolai“ zu Krakau immatrikulirten Thorner Studenten sind gleichfalls ohne Familien- Namen in dem Inskriptionsr Buche aufgeführt als: lüatthiaa Jacobr, Andreas Nicolai, Henricus Henrici, Jacobus Georgü de Thorun. Aus verschiedenen Gründen muss man geneigt sein in „Andreas Nicolai“ den altera Bmder von Coppernicus zu erkennen; doch spricht Einiges wieder dagegen. Di^ Namen der beiden Brttder folgen nämlich nicht unmittelbar

I. 9

130 DIE UNIVERSITÄT KBAKAU.

Coppernicus beabsichtigte in Erakan nicht sich einem Fachstadium zuzuwenden; die Angabe Gassendi's ist unrichtig, dass er dort Medicin studirt und den Doktorgrad erlangt habe.* Coppernicus hat auf der Krakauer Universität der Artisten -Fakultät angehört.** Diese war damals besonders blühend.*** Neben den

auf einander, sondern es stehen dazwischen die Namen von 17 andern Studenten; auch hat Andreas nur einen Theil des Inskriptions- Geldes bezahlt (4 gr.)> Im Ganzen haben während der Studienzeit des Coppernicus sich zwölf seiner Thorner Landsleute auf der Krakauer Universität aufgehalten, femer aus Danzig 22, aus Elbing 9, aus den übrigen preussischen Städten 12.

  • Das Haupt-Studium des Coppernicus auf der Krakauer Akademie war,

wie Gassendi richtig angiebt, den Vorlesungen der Docenten in der ArtistenFakultät zugewandt. Im Hinblick auf seine spätem medicinischen Studien, sowie mit Rücksicht auf die engen Beziehungen zwischen den medicinischen und Natur-Wissenschaften, ist es sehr wohl möglich, dass Coppernicus auch schon in Krakau einige von den medicinischen Vorlesungen seiner mathematischen und humanistischen Lehrer besucht habe. Die Physik ward zu den philosophischen Lektionen gerechnet und der Dekan der Artisten-Fakultät war verpflichtet, mit den Scholaren ein „Exercitium physicum“ al^ährlich abzuhalten.

^ Nach der Einrichtung der Universitäten des Mittelalters bildete die Artisten -Fakultät bekanntlich die Vorstufe und Grundlage für jedes Fach* Stadium; zu ihr gehörten in den ersten Studienjahren die Theologen, wie die Mediciner und Juristen. Gassendi sagt deshalb auch (1. 1. p. 5]: „in Academia Cracoviensi Philosophiae dedit Studium“, die irrige Angabe, dass er dort auch Medicin studirt habe, mit „subinde etiam“ anknüpfend. Spätere Biographen haben, mit Weglassung des ersten richtigen Satzes, nur den zweiten gedankenlos nachgeschrieben, auch Bartoszewicz (ed. Varsov. p. LI), der noch dazu den Aufenthalt des Coppernicus in Krakau auf zwei Jahre beschränkt. Coppernicus konnte in den beiden ersten Jahren seines Studiums nur der Artisten-Fakultät angehören.

Die Docenten der Artisten- Fakultät zu Krakau lasen über sämmtliche Bücher des Aristoteles, sie interpretirten lateinische Schriftsteller und lehrten Mathematik und Arithmetik, Astronomie und Astrologie, Physik und Theorie der Musik. Die vollständigen Lektions-Pläne der Artisten aus den Jahren 1491-1495 hat Karlinski in der 3. Beilage zu seinem ^ywot Kopernika veröffentlicht.

      • Bei der grossen Frequenz der Universität Krakau während der

Studienzeit des Coppernicus waren auch die Docenten in der ArtistenFakultät sehr zahlreich, es waren im Ganzen 76. Dem Collegium malus gehörten 15 Professoren an, dem Collegium minus 12; Extranei de facultate waren 13 und Extranei simplices 36. Die Namen derselben sind in der n. Beilage a. a. 0. von Karli^ki mitgetheilt.

DIE ABTISTBN-FAKÜLTÄT. 131

Yorlesungen über Poetik und Rhetorik und den alten scholastischen Kollegien über Donat, Priscian, Ganfredns, Alexander Galliens, Franciscns niger wurden in den Jahren 1491 bis 1494 (in denen Coppernicus zu Erakau weilte) von den jungen Humanisten interpretirt : Cicero (de officüs und de amicitia), Virgil (Aeneis, Bucolica, Georgica), Ovid (Fasti, Epistolae de Ponto, Tristia), Seneca (epistolae ad Lucilium), Yalerius Maximus/

In ein frisches geistiges Leben trat Coppernicus zu Erakau ein; eine abgelebte Form des wissenschaftlichen Lebens, der Scholasticismus, rang dort mit einer neuen Lehr- und Denkweise um das Dasein. Noch schwankte der Sieg. Denn bewährte

  • Die meisten Docenten, welche klassische Autoren zur Zeit der Anwesenheit des Coppernicus in Krakau erklärten, standen noch in jugendlichem

Alter und hatten erst kurz zuvor das Magister-Examen bestanden : im Jahre 1490 Martin y. Glogau und Caspar de Nissa, 1491 Stanisl. de Cracovia und Job. de Szadek, 1492 Adam de Lowicz, 1493 Georg, de Frencz und Nie. de Wratislavia. Einige waren etwas älter; aber gerade unter ihnen befanden sich die entschiedensten Anhänger der neuen Richtung, so die zu den bedeutendsten Humanisten Krakau's zählenden Joh. Sommerfeld und Laurentius Corvinus. Jener (der bereits 1481 Baccalaureus, 1485 Magister geworden war) hat in den Wintersemestern 1492/3 und 1493/4 Cicero de amicitia und Seneca's Briefe interpretirt. Lanrentius Corrinus dagegen, der im Sommer 1490 Yirgirs Bucolica erklärt hatte, hat in den Jahren 1491-1495 keine humanistischen Vorlesungen gehalten, sondern nur aristotelische Philosophie vorgetragen (im Wintersemester 1492/3 de ente et essentia und in den beiden folgenden Semestern de anima und die libri priorum).

Schon einige Jahre vor des Coppernicus Ankunft in Krakau waren römische Schriftsteller auf der Krakauer Universität interpretirt. Wiszniewskl hat bereits in seiner Litteraturgeschichte ÜI. 334 darauf hingewiesen und auch ein altes Lektions-Yerzeichniss mitgetheilt, das jedoch nicht ganz zuverlässige Angaben enthält. Aus dem „Über diligentiarum“ (es ist dasselbe Buch, welches Wiszniewskl „re^strum facultatis Artistarum“ nennt) geht hervor, dass ausser den bereits erwähnten Joh. Sommerfeld, Laur. Corvinus, Paul v. Zakliczew u. A. als Humanisten an der Krakauer Universität vor 1491 gelehrt haben: Johann Sacranus (von Auschwitz, O^wi^cim), Joh. Thurszy, Stanislaus Biel de nova civitate ad Przemysliam (letzterer las 1484/5 Virgil's Bucolica, 1488 u. 89 die Aeneide, 14S9 u. 90 die Metamorphosen), Stanislaus de Cracovia fl4S8 Georgica u. 1490 Terenz), Albertus de Monte Regio (1489/90 Cicero de officüs), Sigismundus de Vratislavia (1490 Georgica), Joh. de Szadek dr. med. .1490 Paradoxa TuUionis [sie]).

9„

132 DIE UNIVERSITÄT KBAKAU.

Kräfte vertheidigten auch in Erakau das Althergebrachte,* während die jungen Magister, wie überall, rttstig kämpfend für die neue Bildung eintraten.

Es war von grossem Einfluss auf die Entwickelung und Eräl^ tigung des jugendlichen Geistes, dass Coppernicus schon gleich beim Beginn seiner wissenschaftlichen Studien in so heisse Kämpfe hineingeführt wurde, bei denen auch er Partei ergreifen musste. Er konnte nicht schwanken. Der Keim, der in ihn vom Schöpfer gelegt war, seine geistige Beanlagung, die jugendlichen Jahre Alles musste ihn wohl in das Lager der kühn aufstrebenden Humanisten führen. Hier legte er den Grund zu der Sicherheit des lateinischen Ausdrucks, die ihn auszeichnet, und, indem er mit der reineren Sprache Latium's bekannt wurde, erschloss sich ihm auch ein tieferer Einblick in das römische Alterthum.

Die Kenntniss der griechischen Sprache blieb ihm noch yerschlossen.** Zwar hatte bereits das Baseler Koncil im Jahre 1439

  • Die Hauptyertreter des Scholasticismus auf der Krakauer Universitit

um das Jahr 1490 waren Jacob von Gostynin (über welchen Wissnlewski hist. lit. PoUk. ÜI. 207-212 berichtet} und Michael Bystrzyköw gewöhnlich Michael ParisiensiB genannt, von welchem ein Zeitgenosse rühmt „ex studio Parisiensi cum redierat non solum nomen, verum etiam magnam doctrinam reportavit“. Letzterer las selbst über rOmische Autoren, nachdem er sich an der Krakauer Akademie habilitirt hatte; so interpretirte er 1492/93 Cicero de officüs. - lieber seine Habilitation berichtet sehr bezeichnend eine Bandbemerkung zum liber diligentiarum pag. 327 : Anno 1475 Junü die 20 Michael de BystrzykcSw M. artium promotionis ParisiensiSi respondit pro loco inter Magistros Academiae Gracoviensest cum quo 30 magistri decertabant una cum medio die super hac quaestione proposita:

„Utrum materia prima sit entitas actualis et potentativa, simpliciter simplex per se cognoscibilis et per se reponibilis in praedicamento ab entitate forme et privatione realiter distincte et absque contradictione ab eisdem separabilis?“

    • Ganz unrichtig ist die Angabe Gkissendis, der den jungen Coppernicua

bereits auf der Thorner Schule das Griechische erlernen lässt - zu einer Zeit, wo diese Sprache sogar in dem Westen Deutschlands noch auf den besten Schulen unbekannt warl Es muss dies ausdrücklich hervorgehoben werden, weil viele der spätem Schriftsteller Gassendi's Autorit&t übereilt gefolgt sind.

DIE GRIECHISCHE SPRACHE. 133[recensere]

der Krakauer Universität einen „civis Constantinopolitanns(( Demetrius als Lehrer der griechischen Sprache empfohlen;* allein während des ganzen 15. Jahrhunderts ist zu Erakau das Griechische öffentlich nicht betrieben worden. Gegen Ende des Jahrhunderts mögen vielleicht, durch die aus Italien zurückkehrenden Studirenden und durch Celtes angeregt,** die jüngern Lehrer der Universität mit einiger Kenntniss des Griechischen ausgerüstet gewesen sein ; allein es war wohl kaum eine Gelegenheit geboten^ das Griechische unter sicherer Leitung zu erlernen. Von den Universitäts -Lehrern wurden die Griechischen Schriftsteller erst im 16. Jahrhunderte in den Kreis ihrer Vorlesungen gezogen.***

  • Das Original-Dekret des Baseler ökumenischen Koncils befindet sich

im Archiv der Krakauer Universität; es ist bereits von Wiszniewski bist, lit. Polsk. in., Vorrede S. ÜI und IV veröffentlicht worden.

  • '* Geltes hat allerdings keine tieferen Kenntnisse in der griechischen

Sprache besessen; allein bei seiner grossen geistigen Regsamkeit und dem Eifer für die humanisdschen Wissenschaften hat er auch für diesen Zweig derselben gewirkt, was in seinen Kräften gestanden. Nach dem Zeugnisse von Rudolf Agricola ist Geltes einer der Ersten gewesen, welche den Unterricht in der griechischen Sprache im südlichen Deutschland forderten, und bei der Empfänglichkeit, welche seine Krakauer Freunde fUr das Griechische nachmals bethätigten, dürfen wir wohl annehmen, dass die Anregung dazu vorzugsweise von Geltes ausgegangen ist.

Einer der bedeutendsten Krakauer Schüler von Geltes, sein Freund ^ Johannes Sommerfeld, hat im Jahre 1504 die Briefe des Libanius in einer lateinischen Uebersetzung herausgegeben. (Der Titel lautet: Libanü greci declamatoris disertissimi beati Johannis Grysostomi preceptoris epistole cum adiectis Johannis Sommerfeit argumentis et emendatione et castigatione clarissimis.) Allein die. Uebersetzung rührt nicht von Sommerfeld selbst her, ist vielmehr in Bologna angefertigt; das ihm durch den Buchdrucker zugekommene Manuskript war nur durch Sommerfeld zum Drucke befördert.

      • Der Erste, der die griechische Sprache auf der Krakauer Universität

lehrte, war Georg v. Liegnitz mit dem humanistischen Beinamen Libanus. Er hatte nach seiner eigenen Angabe um das Jahr 1519 seine griechischen Vorlesungen begonnen, geschützt von dem eifrigen Bef[5rderer der Wissenschaften in Polen, dem damaligen Reichskanzler und Bischof von Krakau, Pet. Tomicki. Die Vorurtheile, die er bei seinen griechischen Vorträgen zu bekämpfen hatte, waren, wie überall, auch in Krakau dadurch gesteigert, dass man in der Betreibung dieser Studien die Hauptquelle für die kirchlichen Häresien erblickte. „Scio ego plerosque, sagt Libanus - qui hanc

134 DIE UNIVERSITÄT KBAKAU.

So entbehrte Coppernicus während der Zeit seines Krakauer Universitäts-Lebens noch das Bildungselement und die Begeistemng, welche sein Jahrhundert aus dem Studium der griechischen Sprache und Literatur schöpfte. Dagegen ward ihm das Glttck, dass seine Führer auf dem Gebiete der römischen Sprache und Literatur der neuen Zeit ganz angehörten. Die jungen Humanisten Erakau's hatten - gleich ihren italischen Lehrern - das alte geistlose Herkommen verlassen und mit den bisher vergötterten Lehrbüchern die starren Formen der mittelalterlichen Lehrweise abgestreift. Dafür waren sie um so eifriger bemüht, zu den eigentlichen Quellen der altrömischen Welt hinau&usteigen und in den Geist der Sprache und Schriftsteller Rom's einzudringen. Indem sie so das freie Denken aus den Fesseln befreiten, entzündeten sie in ihren Schülern neben der Begeisterung für die Schätze des Alterthums ernstes wissenschaftliches Streben, weckten sie in ihnen den Geist der Forschung und selbstständigen Denkens.

Und Coppernicus war nicht bloss eifriger Zuhörer bei den Vorlesungen seiner humanistischen Lehrer; der junge Scholar, der vor den Genossen durch seine geistigen Anlagen hervorragte und begünstigt war durch die von Vater und Oheim überkommenen Verbindungen, trat auch bald in ein näheres persönliches Verhältniss zu den Lehrern der Universität. Es ist uns ein be

linguam latinis litteris necessariam esse negant, qui in compotationibus et lautis conviyüs, cum accrescit zelus domus dei, omifeB graecitatis studiosos aut haereticos aut lutheranos appellant aut schismaticos, et tantom proficiunt, ut ab omnibus, qui sani sunt, insani habeantur.“ Libanus berichtet dann weiterhin, wie er von einem einfiussreichen Gelehrten einst öffentlich getadelt sei „propter unnm et alterum libellum, quos tum huius negotü studiosis graece praelegeram, ceu furem aut sacrilegum me impetivit“. Mit feiner Ironie schliesst Libanus : „Omnia videbantur Uli, quae in gymnasio nostro tractarentur, alicuius esse momenti, litteris duntaxat graecis, quas unice oderat, exceptis, oderat inquam ob id, opinor, quod eas Apostoli tanto honore dignati sunt, ut non alia lingua scripserint.“

LAURENTIUS CORVINUS. 135

Btimmtes Zengniss erhalten von den innigen Beadehnngen, die ihn mit einem Haoptvertreter der neuen Richtung verbanden. Es war der ihm an Jahren nahestehende Laurentius Corvinus,"^ mit dem Coppernicus ein Freundschafto-BUndniss schloss, welches auch über die Zeit seines Universifäts-Lebens hinaus dauerte. Bei dem engen Bande y das die Humanisten umschloss, lässt sich nun mit Bestimmtheit annehmen, dass Coppernicus auch den andern humanistischen Lehrern nicht fremd geblieben ist. Dieser anregende Umgang musste selbstverständlich dazu dienen, die geistige Sichtung zu stärken, die er gewonnen hatte.

  • Laurentius Corvinus (Rabe) war zu Neumark iu Schlesien geboren.

Im Jahre 1486 erhielt er auf der Universität Krakau den Grad eines Baocflr laureus und *im Jahre 1489 wurde er Magister. Seine Vorlesungen begann er im folgenden Jahre mit Virgils Bucolica; ausserdem werden jedoch in dem Lektionen-Verzeichnisse nur scholastische GoUegia von ihm aufgeführt (traotatus Petri Hispalensis, Boethius de consolatione , de ente et essentia, de anima, priorum). Seit dem Jahre 1494 wird sein Name in dem über diligentiarum nicht mehr aufgeführt. Er wird also etwa gleichzeitig mit Coppernicus Ejrakau verlassen haben. In den nächsten zehn Jahren unterrichtete er an den Schulen zu Schweidnitz und Breslau. An letzterm Orte fungirte er seit 1503 als 3. Stadtschreiber; um 1506 wurde er, wahrscheinlich durch Empfehlung von Coppernicus, mit welchem er seit der Krakauer Zeit eng befreundet war, Stadtschreiber zu Thorn. Hier verweilte er jedoch nur einige Jahre, da seine Frau nach Schlesien zurückzukehren wünschte. Im Jahre 1509 ging dieser Wunsch in Erfüllung, indem Gorvinus als erster Stadtschreiber nach Breslau berufen ward, woselbst er in grossem Ansehn stand. Er ward u. A. zweimal als Gesandter vom Käthe an den Hof des KOnigs Wladislaus von Ungarn und Böhmen geschickt.

Gorvinus hatte sich an Geltes, seit er ihm in Krakau näher getreten war, mit grosser Innigkeit angeschlossen und suchte sich, als sie räumlich getrennt waren, durch Briefwechsel mit ihm geistig zu stärken. Seine humi^ nistischen Bestrebungen führten ihn früh in das Lager des Protestantismus, zu dessen ersten Bekennem in Schlesien er zählte. Gorvinus starb zu Breslau 1527. - Ueber sein Leben und seine Schriften hat zuerst ausführlicher berichtet Hancke de Silesüs indigenis eruditis p. 204 ff; vgl. auch Feldener Schles. Bibl. S. 348 ff. und Wiszniewski a. a. 0. HI, 319 ff. und 373.

Von dem vertrauten Verhältnisse, in welchem Gorvinus zu CopperniouB gestanden, legt das EinfUhrungs-Gedicht Zeugniss ab, welches Gorvinus dem Erstlings-Werke seines Freundes, der 1509 zu Krakau erschienenen UeberSetzung der Briefe des Theophylactus Simocatta, vorangestellt hat.

136 DIE UNIVERSITÄT KBAKAU.

Aber so hoch der Gewinn zu yeransehlagen ist, den Coppernicus aus den hnmaniBÜschen Stadien gewonnen, sie standen doch nicht im Mittelpunkte seines geistigen Strebens. Eine andere Wissenschaft hatte den jugendlichen Geist früh in höherem Maasse in Anspruch genommen und gefesselt. Es war das Gebiet, auf dem er später eine vollständige Neugestaltung durchführen sollte - Mathematik und Astronomie.

Beide Wissenschaften standen damals in hohem Ansehn. Wenn ein idealer Zug in dem Jahrhundert des Wiederauflebens der Wissenschaften die Geister mit unbezwinglicher Gewalt zu den humanistischen Studien zog, so waren es hauptsächlich äussere Anregungen, welche die mathematischen und astronomischen Studien in hohem Grade förderten.

Zunächst gewährte ihnen die Kirche gern Schutz und Untersttltzung, weil sie ihrer zur genauen Bestimmung der Festzeiten bedurfte, als der Kalender und die Zeitrechnung in arge Verwirrung gerathen waren. Die Gunst der weltlichen Macht femer musste der aufblähenden Astronomie wegen des praktischen Nutzens bei den weiten Seereisen zu Theil werden. Den Beifall der Menge endlich wandten ihr die allgemeinen astrologischen Träumereien der damaligen Zeit zu.

Bei dieser Bedeutung, welche Mathematik und Astronomie für die verschiedenen Lebenskreise hatten, befassten sich die ersten Gelehrten mit diesen Studien neben ihrer Berufswissenschaft; noch häufiger geschah es, dass junge höher strebende Talente der Artisten-Fakultät sich den mathematischen und astronomischen Studien ganz zuwandten. Das ideale Motiv ist ja selten das allein massgebende. Das Ansehn, in welchem der gelehrte Mathematiker stand, die Ehren, welche dem hervorragenden Astronomen zu Theil wurden, winkten mächtig zur Nacheiferung; ein Regiomontanus war für seine Verdienste um die Astronomie mit einem Bisthum belohnt!

Auch den jungen Coppernicus ergriff bei seinem heissen Wis

BRUDZEWSKI. 137

senstriebe die Liebe zu den mathematischen Wissenschaften, denen er sich mit der ganzen Energie einer jugendlichen Seele hingab. Auf keiner Universität diesseits der Alpen stand damals das Studium der Mathematik und Astronomie in solcher BlUte als zu Erakau."^ Hier lehrte seit zwanzig Jahren der berühmte Albertus Blar de Brudzewo** (abgekürzt gewöhnlich Brudzewski genannt),

^ Während es auf den meisten Umversitäten Deutschlands noch im 16. Jahrhunderte um die Mathematik sehr schlecht bestellt war, ist schon früh - wohl bald nach Begründung der Unfyersität - ein Lehrstuhl der Astronomie zu Krakau errichtet, durch Joh. Stobner de Cracovia, der im Jahre 1379 zu Prag zum Baccalaureus promovirt war.

Nach dem Statute vom Jahre 1449 umfasste diese Professur „Euclidem, Perspectivam , Arismetricam, Musicam und Theoricas planetarum“ endlich „tabulas Alphonsü praemisso Algarismo minutiarum“; das Statut vom Jahre 1475 fügte noch hinzu „tabulas resolutas“ (Regiomontani) „Eclipses“ und „confectionem Almanach singulis annis“.

Die Belege über die hohe BlUte, in welcher Mathematik und Astronomie am Ende des 15. Jahrhunderts auf der Universität zu Krakau standen, sind bereits mehrfach beigebracht. Es sei jedoch gestattet, hier noch das Zeug^ nisB eines Zeitgenossen anzuführen, der in einer Stadt lebte, welche seit Begiomontan's Zeiten den regsten Eifer für die astronomischen Studien bewahrte. Hartmann Schedel, der zu Nürnberg im Jahre 1493 seine commen tariolos de Sarmatia verfasste, schreibt: Cracoviae est celebre

gymnasium multis clarissimis doctissimisque viris pollens, ubi plurimae ingenuae artes recitantur. Studium eloquentiae, politices, philosophiae ac physices, astronomiae tamen Studium maxime viret Nee in tota Germania, ut ex multorum relatione satis mihi cognitum est, illo clarius reperitur.

Brudzewski's Nachruhm zog noch zur Zeit des Verfalls Studenten aus weiter Feme nach Krakau. So ist im Jahre '1501 „Johannes Petri de Habensberg“ immatrikulirt d. i. der bairische Geschichtschreiber Johann Turmair (Aventinus) , welcher selbst von sich berichtet, er sei der Mathematik wegen nach Krakau gegangen. - im Wintersemester 1499 findet sich „Thornas Murner frater ordinis sancti Francisi de Argentina“ in die Matrikel eingetragen.

    • In mannigfachen Varianten und Verstümmelungen erscheint der Name

Brudzewski 's, des berühmtesten unter den Lehrern des Coppernicus, zu Krakau. Geltes hat ihn aus metrischen Gründen für seine Gedichte in „Brutus“ umgestaltet. Trithemius nennt ihn „Albertus de Prusa“, Denis macht daraus „Albertus de Prussia“. Zum Theil unerklärlich sind die anderweiten Entstellungen >„Brudler<, „Brudlewus“, „Prosevus“.

Bei den polnischen Schriftstellern ist in neuerer Zeit die Form Brud

138 DIE UNIVERSITÄT KRAKAU.

dessen Name vorzugsweise die Studirenden ans den fernsten Gegenden Deutschlands nach Erakan zog. Ihn zu hören, war, wie

zewski überwiegend zur Geltung gekommen. Dieselbe ist richtig gebildet and deshalb auch allgemein adoptirt worden. In den Handschriften der Universität Krakau, - wie bei den älteren polnischen Schriftstellern wird Brudzewski einfach mit seinem Taufnamen unter Hinzufügung des Heimatsortes aufgeführt als „Albertus de Brudzewo“ ; so in dem PromotionsBuche zu den Jahren 1470 und 1474. In der „metrica studiosorum“ ist noch der Taufname des Vaters beigefügt („Albertus Stephani de Brudzewo“); vereinzelt endlich wird er in dem Promotionsbuche zum Jahre 1485 - in welchem er das Dekanat in der Artisten-Fakultät bekleidete - „Albertus blar de Bmdzewo“ genannt'.

Brudzewski's humanistischer Beinamen scheint „Vigellus“ gewesen zu sein, wenn es nicht etwa ein fingirter Name ist, mit welchem derselbe in Sommerfeld's modus epistolandi bezeichnet wird.

Brudzewski war im Jahre 1445 geboren und auf der Universität Krakau vorgebildet. Dort wurde er 1470 baccalaureus, 1474 magister artiom. Seit dem Jahre 1476 finden wir ihn als Vorsteher der bursa Hungaromm, im August desselben Jahres wurde er in das collegium minus gewählt. Im Jahre 1484 ward er Mitglied des Collegium malus und bekleidete 1485 das Dekanat der Artisten-Fakultät; im Jahre 1493 war er procurator universitatis.

Das Lektions-Verzeichniss der Krakauer Universität führt von ihm nachstehende Vorlesungen auf: Arithmeticam (1484), exercitium parvorum logicalium (1484), exercitium veteris artis (1488, 14S9), theoricas planetarum (14SS), exercitium novae logicae (1488/9, 1490, 1491/2), scientiam mötus orbis Messahalae (1488/9), perspectivam (1489), de coelo scientiam (1489/9U), exercitium de anima (1490/91), exercitium meteororum (1492), exercitium parvorum naturalium :i492/3j, de coelo (1493), de genera^ tione 1493/4).

Seitdem Brudzewski Mitglied des grossen Kolleg geworden war, wandte er sich theologischen Studien zu und wurde im Jahre 1490 baccalaureus der Theologie. Später nahm er auch eine Domherm-Stelle in Krakau an, verliess jedoch bald darauf die polnische Hauptstadt, indem er im Jahre 1494 einem Rufe nach Wilna folgte, woselbst er als Sekretär in die Dienste des Fürsten Alexander von Littauen trat (des nachmaligen Königs von Polen). Dort starb er bereits im Jahre 1497.

Eine kurze Lebensbeschreibung Brudzewski's hat zuerst Starowolski in seinem „Scriptorum Polon. hecatontas“, gegeben.

Von Brudzewski wird eine Reihe mathematischer Manuskripte auf der Universitäts- Bibliothek zu Krakau aufbewahrt: 1) Introductorium astronömonim Cracoviensium , 2; tabulae resolutae astronomicae pro supputandis motibus corporum coelestium, 3; de constructione astrolabü, 4) tractatus et canones ad reducendum motimi pro meridiano Cracoviensi, 5) Commentarium super theoricis novis Oeorgü Purbacü in Studio Generali Cracoviensi.

BBUDZEW8KI. 139

oben erwähnt ist, n. A. anch Conrad Celtes nach Erakau gekommen. Ebenso wird nach dem Vorgänge von alten Gewährsmännern Bmdzewski allgemein als Lehrer von Coppernicus angegeben.* Neuere Untersuchungen, auf archivalische Dokumente gestutzt, haben dargethan, dass Coppernicus einer öffentlichen UniversitätSr-Yorlesung Brudzewski's über Mathematik nicht beigewohnt haben kann."^ Dieser hatte nämlich die Reihe seiner astronomisch-mathematischen Vorträge an der Universität bereits abgeschlossen^ als Coppernicus nach Erakau kam; er hatte zur letzt im Winter 1489/90 de coelo scientiam vorgetragen. Seit dem Jahre 1490 bis zu seinem im Jahre 1494 erfolgten Weggange von Erakau las Bmdzewski nur über Schrifken von Aristoteles.

  • Als Lehrer von Coppernicus wird Brudzewski zuerst von Starowolski

genannt in der zweiten Ausgabe seiner Scriptorum Polonorum hecatontas, welche unter dem Titel: „Elogia ac vitae centum Poloniae scriptorum“ zu Venedig im Jahre 1627 erschienen ist. In der zweiten Ausgabe war ihm dies Verhältniss Brudzewski's zu Coppernicus noch unbekannt; ebensowenig geschieht desselben in der Biographie Bradzewski's Erwähnung. Starowolski's Bericht lautet: „Copernicus cum in Academia Cracoviensi sub Alberto Brudzevio una cum Jacobo Cobylinio, qui Astrolabü declarationem scripsit, Mathematicas artes didicisset, peregrinationibus deinde totum se dedit.“ - Starowolski's Bericht ist von Gassendi in seine vita Copernici übernommen, und ihrer Autorität sind dann alle Späteren gefolgt.

    • Der Direktor der Sternwarte zu Krakau Prof. Dr. F. Karlinski hat

das Verdiensti den index lectionum der Krakauer Universität für die Zweeke einer quellenmässigen Bearbeitung der Studienjahre des Coppernicus sa Krakau einer genauen Durchforschung unterzogen zu haben. Die Resultate dieser Studien, soweit sie die mathematisch-astronomischen Vorlesungen an der Universität Krakau in den Jahren 1491-1495 betreffen, sind von Karli^ki selbst in seiner 1864 erschienenen „rys dziejöw obserwatoryum Astronomicznego uniwersytetu Krakowskiego“ verüffentücht worden.

Allein Prof. Karli^ski hat seine Studien noch auf andere Manuskripte der Krakauer Universitäta-Bibliothek ausgedehnt und befreundeten Forschem in liberalster Weise zur Verfügung gestellt. Auch dem Verfasser dieses Buches sind bereits seit Jahren die werthvoUen Excerpte des durch eingehende Sachkenntniss vor Vielen berufenen Gelehrten zur Benutzung übermittelt worden, und ergreift derselbe gern diese Gelegenheit, seinen Dank für die freundliche Unterstützung öffentlich abzustatten.

140 DIE UNIVERSITÄT KRAKAU.[recensere]

Dennoch scheint es nicht gerechtfertigt, das Zengniss von Starowolski, des ersten Biographen von Coppernicns, anzufechten, welcher Brndzewski mit bestimmten Worten als Lehrer von Coppernicus bezeichnet. Der scheinbare Widersprach löst sich auch, wenn man erwägt, dass Brndzewski sein reiches Wissen ftlr die Scholaren nicht allein in den streng akademischen, öffentlichen, Vorträgen verwerthen konnte und verwerthet hat.

Als Vorsteher von Bursen stand Brndzewski zu einem Theile der Studirenden in einem nähern Verhältnisse ; er hatte hierdurch besondere Veranlassung, die ihm zugewiesenen Studirenden in privatem Wege zu fördern. Aber auch ausserhalb der Bursen muss Brndzewski noch freie Vorlesungen gehalten haben. Es würde sonst n. A. Geltes seinen Unterricht in der Mathematik gleichfalls nicht haben gemessen können. Denn auch während der Zeit, dass Geltes sich in Krakau aufhielt, hat Brndzewski - wie der index lectionum ausweist - keine Vorlesung aus dem Gebiete der reinen Mathematik an der Universität angekündigt und nur zwei Vorlesungen aus der angewandten Mathematik gehalten (im Sommer 1489 las Brndzewski Optik und in dem darauf folgenden Winter trug er vor „de coelo scientiam“).

Gleich Geltes wird also auch Coppernicus unzweifelhaft Zutritt in die Privatkreise von Brudzewski gehabt haben. Gassendi - dem ausser Starowolski wohl noch andere Quellen vorlagen - sagt dies mit bestimmten Worten,* und es liegt kein hinreichender Grund vor, seine Angabe zu verdächtigen. Gassendrs Zengniss wird überdies durch innere Gründe in gewichtiger Weise unterstützt. Das Verhälti^iss, in welchem Geltes zu Brudzewski gestanden, die Stellung, welche Brudzewski zu den Humanisten,

  • Gassendi'B. Bericht (vita Copernici p. 5) lautet: Copernicus .... quia

a primis annis ardore Matheseos magno tenebatnr .... in academia Cracoviensi . . . non aeglexit sane praelectiones Alberti Brudzevü in eadem academia mathematicas artes profitentis, quem etiam fuit solitus et convenire et audire privatim.

DIE MATHEMATISCHEN LEHRER. 141

wie ZU den mathematischen Lehrern, an der Universität Krakau gehabt hat - Alles würde, selbst wenn kein äusseres Zengniss vorläge, zu der Annahme drängen, dass ein aufstrebender begabter JttngUng, wie Coppernicus, der sich ganz den mathematischen Studien hingegeben, nicht des Unterrichtes und Beirathes von dem anerkannt ersten Lehrer der Mathematik an der Krakauer Akademie entbehrt haben werde.

An welche unter den mathematischen Lehrern Erakau's ausser Brudzewski sich Coppernicus besonders angeschlossen, ist uns zur Zeit unbekannt. Aus dem Lektionen-Yerzeichniss, welches der „Über diligentiarum“ enthält, können wir nur die mathematischastronomischen Vorlesungen angeben, welche von Coppernicus benutzt werden konnten; nicht wissen wir, welche er wirklich gehört hat. 16 Lehrer hatten in den Jahren 1491 - 1495 mathematisch-astronomische Vorlesungen angekündigt : „Arismetrica“ und „Musica“ wurde von sechs Docenten vorgetragen ; vier interpretirten den Euclid; je fünf lasen über „Perspectiva communis“ und üb^r die Flanetentheorie Peurbach's; vier kommentirten die „Tabulae resolutae“ des Regiomontanus ; je zwei behandelten das Calendarium Regiomontan's, die „scientia motus orbis“ und die „sphaera materialis“ ; je ein Docent endlich las über die „Eclipses“ und den „computus chirometralis.“"^

  • Die Namen der Docenten, welche in den Jahren 1481-1495 Arismetrica und Musica vortrugen, sind: Stanislaus de Olkusz (1491/2 und 1493),

Martin de Szamotuly, Nicolaus de Labiszyn (1492/3), Stanislaus de Eleparz (1493/4), Mathias de Lazy (1494), Mattinus de Seburg (1494/5). - Den £u* clid interpretirten: Leonardus de Cracovia (1491/2), Bartolomaeus de Lipnioa (1492/3), Stanislaus de Kiepars (1493, 1494/95), Bartholomaeus de OraozcSw (1495). - Die Theoricae planetarum Peurbach*s trugen vor: Albertus de Pniewy (1492/3), Simon de Sieprz (1493), Nicolaus de Labiszyn (1493/4), Stanislaus de Olkusz (1494/95), Jaoobus de Ilia (1495). - Die tabulae reso'iutae des Regiomontanus kommentirten Bemhardus de Biskupic (1492/3), Michael de Vratislavia (1493/4), Simon de Sieprz (1494), Martinus de Seburg (1495). - Ueber „Perspectiva communis“ lasen: Stanü^us Biel de nova civitate (1491-92), Johannes de Przemyftl (1492), Martinus de Olkusz (1492/3), Nicolaus de Labiszjm (1493), Albertus de Pniewy (1493/4), Simon de Sieprs

142 DIE UNIVERSITÄT KBAKAU.

Die Astrologie - welcher zum Theil freilieh schon die „scieiH tiamotns orbis“ angehört - war anf der Krakauer Akademie zu der Zeit, da Coppernicus dort studirte, nur massig yertreten."^ Die „Astrologia in genere“ wurde in den Jahren 1493 und 1494 von Albert de Szamotuly vorgetragen, von demselben im Winter 1494/5 das Quadrupartitum Ftolemaei; ausser Szamotufy las nur noch Johannes de Przemysl, ein Studiengenosse des Laurentius Corvinus, im Winter 1491/92 über das „Alcabitium“.

Alle Lehrer der Mathematik, welche in den Jahren 1491 bis 1495 Kollegien angekündigt hatten, waren jünger als Brudzewski

(1495). - Den Kalender des Regiomontan interpretirten : Johannes de Gromadzice (1492/3) und Martinas de Olkusz (1493/4). - Die scientia motos orbis trugen vor: Thornas de Zoravia (1491/2), Nicolaus de Labiszyn (1492). - „Sphaera materialis“ wurde nur in den Sommer-Semestern 1494 und 1495 von Stanislaus de Olkusz und Stanislaus de Eleparz vorgetragen; „de eclipsibus“ las Bemhardus de Biskupice (1493), den computus chirometralis er^ klärte Johannes de Przemyftl (1493/94).

  • Eine Professur der Astrologie war an der Krakauer UniversitSt bereits

sehr früh (1450) durch Martin Kröl „de Premislia“ errichtet. Ihr waren zugewiesen die Vorträge über Ptolemaeus in Quadrupartito, Alcabitinm, Oentiloquium verborum Ptolemaei, Albumazar „et alios libros spectantes ad astrologiam“. Der Astrolog war ausserdem verpflichtet, jährlich ein ludicium (Prognosticon) zu verfassen. (i-Collegiatus domini M. Martini dicti Bex iudieium correctum et a senioribus suis in eadem facultate revisum et approbatum universitati singulis annis praesentabit.“)

Manche Vorlesungen, die später noch hinzugefügt wurden, wie z. B. die scientia motus orbis, wurden bald zu den astronomischen, bald zu den astrologischen, gezählt; es ist überhaupt die Grenze schwer zu ziehen„ denn jeder Astronom des Mittelalters ist ja zugleich Astrolog.

Während des 15. Jahrhunderts stand die Astrologie auf der Krakauer Universität, wie schon die geringe Zahl der Vorlesungen und Docenten anseigt, in keiner besondem Achtung. Kein Student war verpflichtet, ein astrologisches Kolleg zu hOren, auch bei keiner Prüfung wurde Kenntniss der Astrologie verlangt. Das Uebergewicht der Astrologie trat erst mit dem Verfall der Universität im 16. Jahrhunderte hervor. Im Jahre 1522 wurde durch eine Stiftung des Domherrn Matthias de Myechow das Einkommen der astrologischen Professur bedeutend erhöht.

Die berühmtesten Astrologen der Krakauer Universität waren : Johannes de Glogovia und Michael de Vratislavia, Zeitgenossen von Coppernicus. Ihre „iudicia“ wurden zu Anfang des 16. Jahrhunderts in Krakau und Wien öfter gedruckt.

DIE MATHEMATISCHEN LEHRER. 143

und Bämmtlich auf der Krakauer Universität vorgebildet. Sie sind Bonach (vielleicht mit einziger Aasnahme des ihm an Jahren zunächst kommenden Albert de Pniewy"^) als Schüler Brudzewski's anzusehen^ so dass die erste mathematisch-astronomische Bildung des Coppernicus ganz Brudzewski und seiner Schule angehört.

Unbestritten bleibt der Universität Krakau das Verdienst, dass ihre Lehrer in der Mathematik den jugendlichen Geist des Coppernicus für diese Wissenschaft gewonnen und einen festen Grund ge- ^ X legt haben."^ Und das Hauptverdienst hat sicherlich Brudzewski. Nur ein Lehrer, wie er, begeistert für seine Wissenschaft, kann dieselbe Begeisterung in den Herzen seiner Schüler entzünden. Nur ein Mann, wie Brudzewski, konnte die Sicherheit des mathe

  • Albert de Pniewy war im Jahre 1473 baccalaureus geworden (also

nur 3 Jahre später als Brudzewski). Unter den übrigen Lehrern der Mathematik, welche Coppernicus zu Krakau vorfand, waren vier gegen Ende der siebziger Jahre des 15. Jahrhunderts baccalaurei geworden; die meisten hatten erst wenige Jahre vor seiner Ankunft in Krakau die licentia docendi erlangt.

Zu den bedeutendsten Docenten neben Brudzewski gehört Martin de Olkusz, welchen man nach dem Vorgänge Starowolski's irrthttmlich für einen Mitschüler von Coppernicus anzugeben pflegt. Derselbe stand ihm freilich an Jahren nahe; er war 14S8 baccalaureus geworden und magister um die Zeit, da Coppernicus seine Studien begann. Sein Gutachten über die Verbesserung des Kalenders wird handschriftlich auf der Universitäts-Bibliothek zu Krakau aufbewahrt.

^ Mit Recht nehmen wir an, dass Coppernicus auf der Krakauer Universität zunächst die grundlegenden mathematischen Vorlesungen besucht und sich dann besonders der Astronomie zugewandt habe. Ein alter Bericht hebt aber ausdrücklich hervor, dass Coppernicus sich auch auf andern (^ bieten der angewandten Mathematik in Krakau heimisch gemacht und mit besonderm Eifer die Optik - oder, wie man sie damals nannte, Perspectiva communis - studirt habe. In Anl^nung an diese Studien habe er gelernt, nach der Natur zu zeichnen und sei in dieser Kunst zu einer solchen Vollkommenheit gelangt, dass er sich selbst nach dem Bilde im Spiegel gemalt habe. „Cum partes vero omnes matheseos curaret, tum perspectivae speciatim incubuit eiusque occaslone picturam tum addidicit, tum eo usque calluit, ut perhibeatur etiam se ad speculum ezimie pinxisse. Consiüum autem pingendi ex eo cepit, quod peregrinationem ac potissimum in Italiam cogitans in animo haberet, non modo adumbrare, sed graphice etiam, quantum posset, exprimere quidquid occurreret observata dignum.“ (Gassendi vita Copernici ed. 1654 p. 5.)

144 DIB UNIVEBSITÄT KRAKAU.

matischen Wissens, die Schärfe des Blickes, die erhabene Einfach* heit der Beweisführung, welche die Nachwelt an Coppernicus bewundert, in ihm begründen. Brudzewski besass neben Klarheit der mathematischen Anschauung eine seltene Gabe, die Probleme der Wissenschaft seinen Zuhörern vorzuführen. „Alles was ider Scharfsinn eines EukUdes und Ptolemäus geschaffen - so schreibt ein Zeitgenosse - hatte er zu seinem geistigen Eigenthum gemacht; was dem Laien-Auge tief verborgen blieb, wusste er seinen Schülern sonnenklar vor Augen zu stellen.*

Die wichtige Frage, ob durch Brudzewski und seine Schule Keime der neuen Weltanschauung in Coppernicus gelegt sind, wird wohl kaum je zur Genüge beantwortet werden. Den öffentlichen Vorträgen der Krakauer Professoren lagen die Arbeiten von Peurbach und Begiomontanus zu Grunde. Brudzewski selbst hatte sie kommentirt. Wie weit die Krakauer Schule über diese grossen Heister hinausgegangen ist, darüber wird man in den UniversifätS'Manuskripten vergebens Aufschluss suchen, und anderweite Quellen fehlen uns gänzlich. **

"^ Sommerfeld hat uns in seinem „modus epistolandi“ (Viennae 1515] das im Texte angeführte Urtheil aufbewahrt, welches Callimachus über Brudzewski fällte. Es ist einem Briefe entnommen, welchen Callimachus an einen Landsmann Joh. von Arezzo geschrieben: Habet nostrum gymnasium hac tempestate in omni facultate clarissimos viros, praecipue in naturalium rernm cognitionibus perspicasissimos et in coeliferis astroram motibus Indagandis, non minus etiam eruditissimos; inter ceteros habet quendam virum Albertum Vigellum (vgl. S. 138) hominem mathematicae adeo a multis annis studiosum, ut nihil eum fugiat, quod vel Euclides vel Ptolemaeus claro quisque suo ingenio perlustravit; quaeque oculum nostrum fugiant, ita discentibus suis demonstrationibus in medium affert, ut luce clarius tanquam visa in* telligant.

    • Brudzewski's Kommentar zu den Theoricae Planetarum von Peurbach

ist durch einen seiner Schüler Joh. Otto Germanus „de valle uracense“ bereits im Jahre 1495 zu Mailand dem Drucke übergeben. Sorgfältiger als der Abdruck ist jedoch das Manuskript, welches, durch „Michael de Proszowice in bursa Jerusalem“ zu Krakau im Jahre 1493 geschrieben, auf der dortigen Universitäts-Bibliothek aufbewahrt wird.

BRUDZEWSKI'S KOSMISCHE ANSCHAUUNGEN. 145

Soviel jedoch kann mit Sicherheit behauptet werden, dass Coppernicus ans den mathematischen Vorlesungen auf der UniAus letzterem Mannskripte hat Prof. Earlinski die beiden auf die Bewegung der Erde bezüglichen Stellen bei Hipler Spie. Copern. p. 314 veröffentlicht. Die erste Stelle enthält der Eingang des Kommentars. Derselbe lautet:

„Astrorum observatores Studiosi experti quidem sufficienter sensu, ratione et instrumentis tradiderunt recte virtute primae sphaerae omnium orbium lationes, necnon cnnctarum stellarum fixarum volntationem , rotari. Tradiderunt insuper et alium motnm huic primae lationi contrarium gravem quidem et tardum, quatenus omnium rerum generationes cunctosque mutabilium naturae progressus sui gravitate retardaret, ne fluxibilitate continua celeriter defluerent. Hos autem orbes sie motu contrario currentes stellarum et astrorum mira pulchritudine primus artifex adomavit, tanquam lucemas fulgßntissimas, dubitavitque eis ab eorum primordiali formatione diversas virtntes et opera, ne otio vilescerent, sed ut terram immobilem in medio orbium sitam eisdem virtutibus disponerent, proportionalique influxu eam fixe tenerent, ne ad dextrum, sinistrum, aut quaquam versus, declinaret, ceteraque mobilia elementa suis regerent afflatibus, hominibus quoque ministerium suis circumrotationibus , luminibus, inquiescibilibusque influentüs prout eis concessit, exhiberent, usque in diem, quem ipse primus conditor volueritnetc.

Die andere Stelle findet sich zwei Seiten später: Oritur autem hie, Albertus (%c. Magnus) inquit, gravis quaestio: quam licet in seeundo coeli et mundi tetigimus, tamen etiam hio solvenda esse videtur: Quare primi duo coeli (h. e. coelum „primi et aecundi mobüm) nullam habent stellam , tertium autem habet multas valde et Septem alü quilibet habent unam tantum. Et causa huius est procul dubio, quod sphaera, quae uniformitatis est, non potest esse difformis in habende Stellas aut habende stellam, est enim esse in se uniforme; quod est effectus primae sphaerae. Similiter autem compositio, quae tantum ex principüs substantiae non habet difformitatem , et ideo secundum coelum non habet stellam aliquam. Sed cum figurae sunt plurimae et propriae, quibus distingnuntur entia quanta, oportuit quoque stellata multis stellis esse sphaera tertia. Propter quod etiam ab astronomis isti sphaerae (h, e, sphaerae terüae teu recte octavae sphaerae stellarum ßxarum) attribuitur movere terram, quae producit figuras varias planetarum et moderatur. Et cum aliae sphaerae non moveant nisi prinoipia simplicium et complexionantium et illa sicut singula, non potuit quaelibet aliarum sphaerarum habere nisi unam stellam pro unaquaque et tali ordine dispositam ut dictum est.“ Aus den beiden oben mitgetheilten Stellen ist allerdings ersichtlich, dass Brudzewski sich an die damals gültige Welt-Anschauung angeschlossen. Dasselbe geschieht in seinen andern Schriften. Es muss demnach zugegeben werden, dass Coppernicus keine Anregung zu seinen Ideen aus den üffentI. 10

146 DIE UNIVERSITÄT KRAKAC.

yersität Krakau Anregung der verschiedensten Art in sich aufgenommen hat. Die dortigen Mathematiker beschränkten sich nicht auf den engen Kreis ihrer Wissenschaft und der damit zusammenhängenden Disciplinen. Einige von ihnen sind den Humanisten beizuzählen, wie Stanislaus Biel de nova civitate. Dieser hatte, als Coppernicus die Universität bezog, ein Kollegium über Optik angekündigt, in den vorhergehenden Jahren jedoch den Ovid, wie die Aeneis und die Bucolica Yirgils, interpretirt. Andere wiederum lasen neben ihren mathematischen Kollegien oder vorzugsweise philosophische Kollegien. So Brudzewski selbst. Und man nehme keinen Anstoss daran, dass es Schriften des lateinischen aus dem Arabischen übersetzten - Aristoteles waren. Auch Laurentius Gorvinus und Johannes Sommerfeld, die zu den hervorragenderen Humanisten gehören, interpretirten den lateinischen Aristoteles. Ueberdies lässt sich nicht annehmen, dass Männer, an welche sich der von solchem humanistischen Eifer erfüllte Celtes mit Innigkeit angeschlossen, in der Unfreiheit der scholastischen Denkweise ihre Studien getrieben haben.

liehen Vorträgen Brudzewski's habe entnehmen kOnnen, selbst wenn er eine derselben gehOrt hätte.

Allein aus den erhaltenen Kollegien-Heften kann nicht, wie es geschehen ist (vgl. Hipler Spie. Copern. p. 227 und 313), mit voller Sicherheit der Schlüss gezogen werden, dass Brudzewski sich lediglich in dem hergebrachten Geleise der kosmischen Anschauungen bewegt habe. Brudzewski durfte bei der damaligen Universitäts-Einrichtung von dem Katheder nichts Anderes vortragen, als was allgemeine Greltung hatte. VV^enn seine Ueberzeugung mit den Überlieferten Lehren nicht Übereinstimmte, so konnte der Docent seine abweichenden Ansichten nur in esoterischem Kreise vortragen. Das Kollegien-Heft, aus welchem die oben mitgetheilten Stellen entnommen sind, lehnt sich Überdies geradezu an ein bestimmtes Lehrbuch an, es wurde in ihr ein Kommentar zu dem Lehrgebäude Peurbach's gegeben.

Ausserdem darf man nicht Übersehen, dass Brudzewski's freundliche Stellung zu den Humanisten, die er ganz offen zur Schau trug, ihm besondere Vorsicht auferlegte; bei dem schroffen Cregensatze, in welchem die beiden feindlichen Parteien zu Krakau standen, waren Verdächtigungen sehr leicht möglich. Endlich war Brudzewski, seit er in den Dienst der Kirche getreten, noch mehr verpflichtet, Nichts Öffentlich zu lehren, was der kirchlichen Lehre zu widersprechen schien.

DIE ASTRONOMISCHEN INSTBUMENTE. 147

Aach in dem Gebrauche der astronomischen Instrumente'*' and in der Beobachtung des Himmels ist Coppernicus zu Erakau geübt worden. Zu seiner Zeit ist zwar nicht, wie in frühem Jahren, ein öffentliches Kolleg über den Gebrauch des Astrolabium ge

  • Die erste Nachricht von astronomischen Instrumenten zu Krakau hat

sich in den Mannskripten des Joh. von Olkusz erhalten, welche nm die Mitte des 15. Jahrhunderts geschrieben sind und auf der UniversitätsBibliothek zu Krakau aufbewahrt werden. Die Aufschrift der Manuskripte lautet: 1. Compositio Astrolabü (1444). 2. Compositio novi Quadrantis (1444). 3. Canones super astrolabium Ptolemaei (1447). 4. Canones novi quadrantis (1447). - Karli^ki hat bei Erwähnung dieser Manuskripte (aufweiche bereits Wiszniewski a. a. 0. IV. ISl aufmerksam gemacht hatte) mit Recht hervorgehoben, dass die dort gegebene genaue Beschreibung der Instrumente für die Studirenden nur von Yortheil sein konnte, wenn sie dieselben unmittelbar vor Augen hatten (Rys dziejöw obserw. Astron. p. s.). Auch Brudzewski soll nach dem Zeugnisse von Radymidski eine Abhandlung „de constructione astrolabü“ hinterlassen haben, welche Karlinski jedoch nicht aufgefunden hat. Bei der wissenschaftlichen Stellung Brudzewski's lässt sich noch weniger annehmen, dass er, ohne eigene genauere Anschauung von den beschriebenen Instrumenten, nur die Arbeit eines Andern kopirt habe.

Die Ueberlieferung bestätigt gleichfalls, dass seit der Mitte des 15. Jahrhunderts die damals gebräuchlichen astronomischen Instrumente zu Krakau vorhanden gewesen sind. Noch heute werden daselbst einige Astrolabien aufbewahrt, von denen man annimmt, dass sie durch Martin von Olkusz (welcher mit Regiomontanus in Italien gewesen) nach Krakau gekommen sind. Ausser den altem unvollkommneren Instrumenten hat Coppernicus also auch diese bessern Astrolabien auf der Krakauer Universität bereits vorgefunden.

ELarli^ski verdanken wir [a. a. 0. p. 7, 8 und p. 64 ff.) nähere Angaben über die noch gegenwärtig zu Krakau aufbewahrten alten astronomischen Instramente. Das eine von den ältesten Astrolabien ist arabischen Ursprangs. Es ist ganz gleich dem zu Berlin auf der königl. Bibliothek aufbewahrten, von welchem Woepcke eine eingehende Beschreibung in den Abhandlungen der mathematischen Klasse der Berliner Akademie der Wissenschaften ( Jsürgang 1858) geUefert hat. Neben verschiedenen Angaben in arabischer Sprache enthält das Krakauer Astrolabium auch noch spätere Zusätze in lateinischer Sprache. Die Breiten-Bestimmungen sind für Gk)ndar in Nubien, fttr Mekka, Siut (?) und Kairo angegeben, dann fttr Saragossa, Andigar (?) und Toledo, endlich fUr Padua und Wien-Pressburg. Die letzteren Notizen zeigen zugleich den Weg an, auf welchem das Astrolabium nach Polen gewandert ist, von Spanien über Italien und Wien oder Ungarn. - Ein zweites Astrolabium, gprösser als das eben beschriebene, ist nach der Aufschrift im Jahre 1486 angefertigt.

10*

148 DIE UNIVERSITÄT KBAKAU.

halten.* Allem gerade diese mit der Praxis yerbundenen Vorträge sind ja jederzeit mehr der Privat-Uebereinkonft anheimgegeben. Dass Coppernicas, nicht bloss als gründlich gebildeter Mathematiker, sondern anch als Sorgfältiger Beobachter die Universität Erakan verlassen, erfahren wir aus seinem Monde durch Rheticas. Dieser berichtet, es sei Coppernicas, als er später die Universität zn Bologna aufgesucht, nicht mehr als Schüler angesehen, sondern habe bereits in selbstständiger Weise die Rechnungen und Beobachtungen seines dortigen Lehrers Dominicus Maria di Ferrara unterstützt.**

Coppernicus selbst hat der Universität Krakau, die ihm zuerst die Bahnen der Wissenschaft eröffnet hat, stets ein treues Andenken bewahrt.*"^* Leider hat uns die Ungunst der Jahrhunderte, wie so Vieles von Coppernicus verloren gegangen ist, auch den Briefwechsel entzogen, welchen derselbe mit seinen frühem Leh

  • Nach Ausweis des über diligentianim ist an der Jagellonen-Uxüversität

eine Öffentliche Vorlesung über den Gebrauch des Astrolabium im Winter 1487/88 von Stanislaus ans Krakau gehalten worden („Canones astrolabü“). In den folgenden Jahren bis 1495 findet sich eine ähnliche Vorlesung nicht angekündigt.

    • Der im Texte erwähnte Bericht des Rheticus findet sich im Eingange

der Narratio prima: „Cum D. doctor mens Bononiae non tam discipulus

qoam adjutor et testis observationum Viri Dominici Mariae summa

oora observationes adnotasset etc.

      • Ein Zeitgenosse des Coppernicus hat in einem, noch bei Lebzeiten

des grossen Mannes veröffentlichten, Schriftstücke Zeugniss abgelegt von der Anhänglichkeit, welche Coppernicus noch in seinem hohen Alter der Bildnngs- Stätte seiner Jugend bewahrt habe. Albert Caprinus schreibt in dem Widmungs- Briefe an den Bischof Sam. Maciejowski von Plock, d. d. den 27. September 1542, welchen er seinem „Indicinm astrologicnm“ vorangestellt hat: „Ex hoc enim gymnasio (sc. Cracoviensi) multi mathemata hanserant, qni in Germania magna cum laude et emolumento studiosomm eadem profitentur, quorom honoris gratia nomine Nico laum Coper nie um Canonicum Varmiensem, qui huius urbis olim hospitio usus erat et haec, qnae scripsit in rebus mathematicis admiranda, plura etiam edenda institnit, ez hac nostra universitate ceu ex fönte primum accepit. Id qnod ipse non solum non diffitetur, benignum esse et plenum ingenui pndoris iudicio Pliniano existimans profiteri per quos profeceris: verum hoc quidquid est, totum nostrae fcrt acceptum Academiae.

DIE BiOTSCHÜLER. 149

rern und Mitschttlem in Krakan geführt hat.* Von diesen Briefen des Coppernicos hatte im Anfange des 17. Jahrhunderts Professor'

  • Noch im Anüange des 17. Jahrhunderts, als Starowolski seine Tita

Copernici schrieb, wurde ein Theil des Briefvrechsels, welchen Coppernicus mit seinen Krakauer Freunden geführt, daselbst aufbewahrt. Diese Briefe befanden sich damals im Besitze des Prof. Joh. Broscius, sind nach dessen Tode jedoch verschollen. Die Namen der Krakauer Gelehrten, an welche die verloren gegangenen Briefe des Coppernicus gerichtet waren, hat Starowolski a. a. 0. uns aufbewahrt. Sein Bericht lautet:

„ Copernicus familiäres habnit Vapovium

CantoremCracoviensem, ad quem scripsit epistolam de motu octavae sphaerae, Nicolaum de Schadek, Martinnm de Olkusz, Mathematicos Cracovienses, olim condiscipulos suos, cum quibus conferebat de eccHpsibus et earum observationibus, ut patet ex epistolis manu illius scriptis, quas habet in academia Oracoviensi Joh. Broscius.“

Die bestimmten Angaben Starowolski's über die Korrespondenz des Coppernicus mit den von ihm erwähnten Gelehrten anzuzweifeln liegt kein Grund vor, wenn man ihn nicht der grOssten Leichtfertigkeit zeihen will. Derselbe scheint die Briefe doch selbst eingesehen zu haben. Dagegen irrt Starowolski freilich, wenn er jene mit Coppernicus befreundeten Gelehrten sämmtlich als dessen Studien -Genossen bezeichnet. Es trifft dies nur bei Wapowski (Vapovius) zu. Dieser ist durch das Promotions-Buch als (etwas älterer) Universitäts- Genosse von Coppernicus beglaubigt; er wird 1493 baccalaureus, 1495 magister (er ist beidemal als „Bemardus de Mny^ schewo eingetragen).

Ein dem Coppernicus gleichaltriger Astronom Martinus de Olkusz ist den polnischen Literatur-Historikem unbekannt. Die Universitäts-Matrikel fuhrt zwar unter den Coaetanen des Coppernicus einen Martinus de Olkuts auf; allein von dessen literarischen Verdiensten weiss Niemand etwas. Wahrscheinlich liegt hier ein Irrthum Starowolski's vor, indem er den durch seine akademische und schriftstellerische Thätigkeit bekannten Martin de Olkusz zu einem Mitschttler des Coppernicus macht. Dieser war einer seiner Lehrer und als solcher vielleicht mit ihm befreundet ; er hatte in dem Jahre 1491, in dem Coppernicus immatrikulirt wurde, bereits den Magister -Grad erlangt. - Auch in Betreff des Nicolaus de Schadek, welcher viele Jahre hindurch Docent an der Krakauer Universität gewesen, ist Starowolski's Angabe irrig; derselbe ist viel jünger als Coppernicus, er wurde erst im Jahre 1508 baccalaureus.

Ausser den vorstehend genannten Krakauer (belehrten nennt Starowolski noch im Eingange seiner Schrift als Studiengenossen von Coppernicus und hervorragenden Schüler von Bmdzewski einen „Jacobus Cobilinius“ (Copernicus igitur cum in Academia Cracoviensi sub Alberto Bmdzevio una cum Jacobo Cobilinio, qui Astrolabü desoriptionem scripsit, Mathematicaa artes didicisse“ etc.j. Die Aehnlichkeit des Namens hat die polnischen

150 DIE UNIVBBSITÄT KRAKAU.

BrosciuB ZU Erakau eine grössere Zahl zusammengebracht ; es hat sich von ihnen jedoch nur ein einziger in Abschriften erhalten.

lieber das äussere Leben von Coppernicus während seines Elrakauer Aufenthalts sind uns Einzelheiten nicht bekannt. Es waren reichbewegte Jahre, in welche seine dortige Studienzeit fiel. Im Sommer 1492 war der alte König Kasimir auf der Heimreise von Wilna gestorben und zu Krakau mit grossem Pompe beigesetzt worden. Ende August ,wurden die Grossen des Reichs zur Königswahl entboten; aus Preussen war als Erster der Bischof Lucas Watzelrode entsandt. Der Einzug des neuen Königs in die alte Krönungsstadt, das Eintreffen der einheimischen Magnaten und der fremden Oesandtschaften, die Krönungsfeier selbst, dazu die steten Kriegs-Rüstungen gegen die Türken und Tartaren - , all dies bot verschiedenartige Bilder in reicher Abwechselung."^

Auch das Leben der Scholaren unter sich war reich bewegt.

Schriftsteller verleitet, ihn zu einem Familien -Genossen des Matthaeus de Kobylin zu machen,- unter dessen Rektorate Coppernicus immatrikulirt worden ist. Ihre Literarhistoriker wissen von ihm jedoch nichts weiter mitzutheilen als was Starowolski berichtet (vgl. Wiszniewski a. a. 0. ÜI, 146). Auch ans der metrica studiosorum hat sich ein Scholar mit diesem oder einem ähnlich klingenden Namen nicht nachweisen lassen.

Aus dem Zusätze, den Starowolski macht, „qui astrolabium scripsit“ ersehen wir, dass der in der Geschichte der Astronomie wohlbekannte Jacob Köbel oder Kobelius gemeint ist. Dieser ist aber keineswegs, wie der mehrfach genannte Anonymus R** (a. a. 0. S. 160) mit besonderer Emphase verkündete, polnischer Herkunft, sondern ein ehrsamer Deutscher, aus Heidelberg gebürtig und zu Oppenheim als Stadtschreiber verstorben.

♦ Zu jener Zeit - im Herbste 1492 - hatte Coppernicus die Freude, seinen väterlichen Berather, den Oheim Lucas Watzelrode, in Krakau zu begrüssen. Der Wahl-Reichstag war zwar nach Petrikau berufen; allein die feierliche Krönung des neuen Königs ward selbstverständlich in der Hauptstadt des Reiches vollzogen (am 29. September). Dorthin folgten die Grossen. Lucas Watzelrode musste nicht nur als Hauptvertreter der preussischen Lande, sondern auch im eigenen Interesse suchen, länger in der Umgebung des neuen Königs zu weilen. Es lag ihm viel daran, zu diesem in bessere Beziehungen zu treten, als es bei König Kasimir der Fall gewesen war, der ihm bis zu seinem Tode grollte. - Neben seinen Neffen und der Nichte iand Watzelrode überdies eine Reihe alter Studien -Genossen zu Krakau, welche er seit der Universitäts-Zeit nicht wieder gesehen hatte.

DAS LEBEN DER SCHOLAREN. 151[recensere]

Nicht bloss- aus allen Theilen des weiten Polen-Reiches, auch aus den Nachbarländern waren ja damals Scholaren in grosser Zahl nach Krakau zusammengeströmt - darunter viele, die nicht gesonnen waren, nur den Studien dort zu leben. Streitigkeiten unter den Studenten der verschiedenen Nationen waren gerade zu der Zeit an der Tagesordnung, als Coppernicus in Krakau lebte ; namentlich die zahlreichen Ungarn - sich mitunter den „Masoviten“, vorzugsweise aber den Deutschen gegenüberstellend - bildeten schroffe Farteiungen, die oft in blutige Raufereien ausarteten.

Nach dem Wortlaut der Statuten war das Leben der Scholaren streng geregelt. Jeder neu eintretende Student sollte gleich nach der Inskription in einem jener klosterähnlichen Institute, welche „bursae“ genannt wurden,"^ oder in einer der 14 städtischen Pfarrschulen Wohnung nehmen ; hier waren sie besonderer Aufsicht unterstellt."^ Allein gleichzeitig waren manche Ausnahmen, und

  • Die „bursae“ waren durch Stiftungen entstanden, deren bis zum Ende

des 15. Jahrhunderts 7 gegprttndet waren. Man findet sie aufgezählt in dem Anhange zu Muczkowski : Statuta nee non Über promotionum philosophonim ordinis p. 444 und näher beschrieben in desselben „Mieszkanie i post^powanie Uczniöw Erakowskich w wiekach dawniejszych“. Die älteste, die „bursa pauperum“ oder “Jagiellonica“, war bereits bei der Gründung der Universität eingerichtet; die berühmteste aber war die „bursa Hierusalem“, durch deren Stiftung sich der Kardinal-Bischof Zbygniew Ole^nicki {jr 1455) von dem Gelübde einer Pilgerfahrt in das heilige Land gelöst hat. Sie um&sste ausser Küchen-Räumen, Dienergelass u. s. w. 50 Zimmer zur Aufnahme von 100 Scholaren. Der geräumige Bibliotheks-Saal enthielt die Bücher, welche zum Grebrauche der Schüler mit eisernen Ketten an ihren Pulten befestigt waren.

Die Oberaufsicht führte der „Rector bursae“, einer der altem Professoren ; unter ihm sorgten für die Aufrechthaltung der Disciplin die „Seniores bursae“; es waren dies jüngere Graduirte der Universität, baccalaurei, magistri, doctores. Jeder der in die bursa Aufgenommenen durfte zehn Jahre darin wohnen bleiben.

    • Das reformirte Universitäts-Statut vom Jahre 1491 bestimmte : „Quod

studentes ad Studium venientes infra octo dies aut de licentia Rectoris dnarum septimanarum sibi de introitu bursarum aut locorum honestorum, nt puta scolarum provideri teneantur ; alioquin si secus feceriat, ex tunc domini Consules Cracovienses eos de hospicüs et de suburbüs secundum tenorem privilegü et ordinationem Ser. Regis Poloniae et dominorum Consulum Cra

152 DIE UNIVERSITÄT KRAKAU.

gerade für die übermüthigen Söhne voraehmer Eltern, gestattet. Femer konnte die Aufsicht bei der grossen Zahl der Scholaren keine besonders strenge sein; jedenfalls war das Leben in den Bnrsen nichts weniger als klösterlich. Und die wiederholte Erneaemng der strengen Gesetze über die Wohnung und Aufsicht der Scholaren bezeugt, dass dieselben in Wirklichkeit nicht ein* gehalten worden sind. Deshalb wurde auch (im Jahre 1480) die alte Bestimmung eingeschärft, „ut quilibet promotionem ex hae universitate assequi volens infra unum mensem postquam universitati se incorporaverit et in matriculam fuerit inscriptus, aliquem sibi ex magistris deligat, cuius instructionem sequatun. Diese Anordnung, in Verbindung mit der UeberfüUung der Bursen und der geringen Garantie, welche sie in Betreff der Ueberwachnng der Scholaren gewährten, hatte zur Folge, dass von einzelnen Lehrern Privatinstitute zur Aufnahme von Studenten eingerichtet

covienaium, qui ad id se obligarunt, expellere Unquam acepbaloe et sine remige fluctoantes tenebuntur.“

Die Beweggründe für die Einschttrfung der alten Bestimmimgen erfahren wir aus dem Eingange des „Statutum, quod baccalarü et studentea peram- plius in bnrsiB stare tenentur“. Es heisat dort: „Qaia secnlariom conversaoioni et praesertim feminarum implicatus yix quispiam aut nuUo modo deo atqae litteria inaiatere toto poase valet, cum ob eam causam Augnitino docente, feminarum com clericia nullo pacto coniuncta permittitor conver sacio atatuimua irrefragabiliter . . . quod a modo et in amplins

nollua baccalariorum aut studencium .... in civitate Cracovienai aut vici„ et auburbüa ipaiua domo aut hoapicio conducta moram habere presumat : sed quilibet eorum in bursis aut in acolis aub diaciplina atare teneatur et sit aatrictuB.“

Aus der voratehend mitgetheilten Motivirung eraieht man, dass die Liebes-Abenteuer des Geltes, über welche er uns in seinen Gedichten selbst Kunde giebt, doch viele Nachahmer gefunden haben mttssen. Jedenfalls hat die EinschXrfung der alten Statuten keine Abhülfe gebracht. Das Leben der Studenten scheint vielmehr trotz aller strengen Beatimmungen reeht locker geblieben zu aein. Die „filü magnatorum et nobilium personarum“, deren Studien und Lebenswandel ganz besonders hätte überwacht werden mttssen, waren überdies von der Strenge der Statuten ausgenommen; sie hatten das Recht eine Privatwohnung zu wählen und waren nur verpflichtet, einen Kagister „oder wenigstens einen baccalaureus“ dem Rektor zu bezeichnen, dessen Aufsicht sie unterstellt aein wollten.

DIE BURSEN. 153

wurden. Eine solche Privat-Burse unterhielt n. A. auch Johannes Sommerfeld, von dem einige der polnischen Biographen des Coppernicus wohl nicht mit Unrecht angenommen haben, dass letzterer zu ihm in ein näheres Verhältniss getreten sei. Dann könnte man geneigt sein weiterhin anzunehmen, dass Coppernicas, falls er nicht in dem Hanse seiner verheirateten Schwester Aofüahme gefanden, in der Bursa des Sommerfeld gewohnt habe, in welcher derselbe gemäss einem Beschlüsse der Universität (Acta rectoralia 1491/92 pag. 516) die Erlaubniss erhalten hatte, „studentes cuiuscunque nationis secondum suum beneplacitum“ aufzunehmen.* Wie lange der Aufenthalt des Coppernicus in Krakau gewährt

  • Mag. Job. Sommerfeld übernahm zuerst im Jahre 1488 miethweise,

auf drei Jahre, ein der Universität gehörendes Gebäude auf der Brüdergasse als „senior de bursa Alemannorum“, wie er in den betr. Verhandlungen genannt wird. Hier hatte sein schlesischer Landsmann Mag. Johannes de Glogovia eine Privat-Bursa fOr deutsche Scholaren, seine Schüler, eingerichtet und fHnf Jahre hindurch weitergeführt. Nach Ablauf der drei Jahre lässt Sommerfeld den Mieths-Kontrakt nicht verlängern. Das Gebäude übernimmt vielmehr Mag. Michael de Waradino (aus Grosswardein) „pro natione Ungarorum“. Allein die Geschäfte gehen schlecht; im Jahre 1491 sind mit Coppernicus nur 7 Ungarn immatrikulirt. Er bittet deshalb die Universität um Lösung seines Kontrakts, und Mag. Johannes Sommerfeld (inzwischen collega minor geworden) miethet das Haus wiederum auf drei Jahre. Dies ist bekanntlich die Zeit, in welcher Coppernicus zu Krakau studirte. Eine zweite „Bursa Germanorum“ war durch den oben erwähnten Johanü von Glogau im Jahre 1488 auf der St. Annengasse errichtet, nachdem er die Bursa in der BrUdergasse dem Mag. Johann Sonunerfeld überlassen hatte. Dieses zweite BLaus für deutsche Studenten „bursa lignea fundata per M. Job. Glogoviensem pro Germanis dicta bursa nova“ war aber schon kein Privatinstitut, sondern ein stabiles Wohnhaus für deutsche Scholaren. Die Bnraa nova bestand deshalb auch noch nach dem Tode des Begründers" bis um die Mitte des 16. Jahrhunderts. Karli£ski hat eine andere Konjektur in Betreff der Wohnung des Coppernicus in Krakau aufgestellt; er verlegt dieselbe in die bursa Jerasalem. Hier ist nämlich die grosse Mehrzahl der astronomischen Manuskripte geschrieben worden, welche sich im Archive der Universität erhalten haben. Sie lag ausserdem in unmittelbarer Nähe des Collegium maius, in welchem die astronomischen Instramente aufgestellt waren, in deren Gebrauch Coppernicus nach dem Zeugnisse des Rheticus sich sehr bewandert zeigte, als er nach Bologna kam (i^ywot Kopernika p. 11).

154 DIE UNIVERSrrlT KBAKAU.

hat, kann nicht mit voller Bestimmtheit angegeben werden. Fast nach subjektivem Belieben sind mitunter die entgegengesetztesten Angaben gemacht worden. Einige von den Schriftstellern, welche über das Leben von Coppernicus geschrieben, haben seine Krarkauer Universitäts-Zeit auf zwei Jahre beschränkt; von andern wieder ist sie, ebenso ohne irgend einen Grund, auf sechs Jahre ausgedehnt. Polkowski hat in s. Zywot Mik. Kopernika p. 129 diese verschiedenen Angaben zusammengestellt.

Die gewöhnliche Dauer des akademischen Studiums betrug damals vier Jahre.* Nun darf freilich die Krakauer UniversilätsZeit des Coppernicus nicht nach dieser allgemeinen Norm bemiessen werden. Denn Coppernicus hatte nicht die Absicht, seine akademischen Studien in Erakau zu beendigen; er hat deshalb

  • Das akademische QuadrienDium war durch die Statuten der Krakauer

Universität vom Jahre 1480 fßr alle [diejenigen vorgeschrieben, welche sich einen akademischen Grad erwerben wollten: „Constitutionem antiquam deolarantes statuimus, ut nullus ad quemcunque gradum in artibus promoveatnr, nisi quatuor integris commutationibus lectiones talem gradum concementes cum diligentia audiat“.

Ob und wie viele von den Scholaren, welche während des 15. Jahrhunderts in Krakau „intitulirt“ sind, die normale Studienzeit von 8 Semestern wirklich absolvirt haben, ist aus der metrica studiosQrum nicht zu ersehen, weil in derselben die Zeit des Abgangs der Scholaren nicht verzeichnet ist. Viele mügen sich mit einem Triennium begnügt haben, namentlich diejenigen, welche sich nur die Vorbereitung fUr die niedem Stellen im Staatsund Eirchendienste zu erwerben suchten, und deren VermOgens-Verhältnisse einen langem Aufenthalt auf der Universität nicht gestatteten. Dagegen haben andere wiederum eine längere Studienzeit fQr nothwendig erachtet, bevor sie sich zur Baccalaureus -Prüfung meldeten. So hat unter den mit Coppernicus im Jahre 1491 immatrikulirten Studenten sich Stanisiaus Solcz de Cracovia erst im Jahre 1506, wie der über promotionum ergiebt, der Baccalaureus -Prüfung unterworfen. Genauere Nachweise lassen sich auch hier schwer geben, weil der liber promotionum nur die Vomamen und den Geburtsort der Graduirten angiebt, während die metrica studiosomm wenige Btens noch den Vomamen des Vaters (seltener den Familien-Namen) hinzufügt. Die Identität der Persönlichkeiten lässt sich also nur in den Fällen sicherer feststellen, wo ein seltener vorkommender Ortsname als Geburtsort erscheint, oder ausnahmsweise in beiden Aktenstücken der Familien -Name aufgeführt ist.

DER STUDIEN-ABSCHLUSS. 155

auch nicht einen akademischen Orad auf der Jagellonen-Universität erstrebt.* Allein die gelehrten und freundschaftlichen Verbindungen, die er zu Erakau geschlossen, begründen schon an sich die Vermuthung, dass er die Zeit seines dortigen Aufenthaltes nicht ungewöhnlich abgekürzt habe : die Anhänglichkeit, die Coppernicus an die Krakauer Universität, als seine vorzüglichste Bildungsstätte, stets bewahrt hat, lassen ebensowenig die Annahme einer kurzen Studienzeit zu; das Maass der Kenntnisse endlich, das er von Krakau nach Italien mitbrachte, erhebt es über jeden Zweifel, dass Coppernicus ein volles Triennium in Krakau zugebracht hat.

Dass Coppernicus noch darüber hinaus in Krakau geweilt habe, ist nicht glaublich. Brudzewski hatte im Jahre 1494 Krakau verlassen, für Coppernicus an sich ein schwerer Verlust. Aber Bmdzewskrs Weggang bezeichnet zugleich einen Wendepunkt in der Geschichte der Universität Krakau. Wie einst in Prag die Deutschen und Czechen unter der Fahne des Nominalismus und Realismus gegen einander kämpften, so standen auch in Krakau die Deutschen und Ungam sich gegenüber - die einen für den Humanismus streitend, die andem den Scholasticismus vertheidigend.** Bmdzewski schützte als Prokurator der Universität

  • DasB Coppernicus in Krakau nicht graduirt ist, ergeben die Promotions-Bücher; es erhellt dies femer auch ans der Eintragung in die Acta

nationis Grermanorum zu Bologna, in welchen sein Name ohne die NebenBezeichnung eines akademischen Grades aufgeführt ist.

Von den 69 Studenten, welche mit Coppernicus zugleich immatrikulirt wurden, hat kaimi der fQnfte Theil die Würde des Baccalaureus erworben, ist nur einer zum Magister aufgestiegen. Dies dürfte durch den damaligen Verfall der Studien zu erklären sein, welche in Folge der in der nSchstfolgenden Anmerkung berührten Studenten -Excesse schwer vemachlSssigt wurden. Namentlich die Vorlesungen über klassische Autoren, welche gewöhnlich von den jungen Magistem gehalten wurden, waren gänzlich in Stagnation gerathen.

    • Die Kämpfe der Scholaren über die Lehrmeinungen und philosophischen Anschauungen ihrer Magister wurden auch zu Krakau auf das nationale

Gebiet übertragen, aus den Kollegien und der Arena der Wissenschaft auf

156 DIE UNIVERSITÄT KRAKAU.

mathig die Deatscfaen; neben ihm standen Johann Sommerfeld und Johann von Glogan gegen die von Michael Parisiensis und Jacobns de Gostynin angeführten Ungarn. Aber der mächtige Einfioss der scholastischen Philosophen, die wachsende Zahl der angarischen Stadenten neigte den Sieg auf die Seite der Ungarn - es ist zugleich der zeitweilige Sieg der Scholastiker über die Humanisten zu Krakau.*

In diese Zeit, da ein vorübergehender Verfall der Universität Ejrakau sich ankttndigte [im Jahre 1493 waren 482 Studenten immatrikulirt, im Jahre 1496 sind dagegen nur 92 Scholaren auf

die Strasse gezerrt. Die strengen Verfügungen, welche im Jahre 1491 die Universität, wie die Stadt-Obrigkeit, über das häuBUche Leben der Studenten erlassen hatte, waren erfolglos geblieben. Schon nach zwei Jahren beginnt das wüste Treiben von Neuem, dessen die BehOrde nicht mehr Herr werden kann. Namentlich nehmen die Streitigkeiten zwischen den deutschen and ungarischen Studenten seit 1493 einen heftigeren Charakter an; sie arten in blutige Schlägereien aus, deren Schauplatz besonders die Brüderr gasse war. Die Acta rectoralia in den Jahren 1493 - 1495 sind voll von Klagen und Strafen der Scholaren, ohne dass dem Unfuge ein Ende gemacht werden kann.

Wenn diese Verhandlungen von sachkundiger Seite einer eingehenderen Durchforschung unterworfen würden, dürften wohl manche interessante Streiflichter auf die Zustände der Krakauer Universität zur Zeit des Aufenthalts von Coppernicus fallen. Thorner Studenten werden in den Verhandlungen der Jahre 1491 bis 1493 nicht erwähnt.

  • Das Studium der Klassiker wird in don Jahren nach 1493 zu Krakau

nur im Stillen von den Humanisten weiter getrieben, namentlich dureh Johann von Sommerfeld und Paul de Zakliczow; sie bilden die frische Reihe der Humanisten, welche seit dem Jahre 1498 (ni^ht erst im Jahre 1507, wie Wiszniewski a. a. 0. ÜI, 337 irrthümlich angiebt) mit ihren Vorlesungen wieder öffentlich auftreten. Freilich waren dies nur schwache Anfänge und die einstige hohe Blüte der klassischen Studien hat nicht wieder erreicht werden können. So klagt Sommerfeld im Jahre 1499 in einem Briefe an Celtes : Non in tanto statu floret nostrum Gymnasium, ut olim, cum tu ipse praesens aderas.

Die Frequenz der Universität hatte sich gegen Ende des Jahrunderts zeitweise wieder zu einer grossen Höhe erhoben, wie sie selbst zur Blütezeit des dortigen Studiums nicht erreicht war. Im Jahre 149S sind 340 3cholaren intitulirt, im Jahre 1499 441 und im Jahre 1500 gar 506.

DER WEGGANG. 157

genommen*), - in die Herbst-Monate des Jahres 1494 haben wir den Weggang des Coppernicus von Erakan zu setzen.** Damals verliess Krakau, wer der freien Riehtnng angehörte und nicht aus äussern Gründen zu bleiben gezwungen war. Wer die genügenden Mittel besass, zog- nach Italien. Auch Coppernicus beschloss das gepriesene Land des Humanismus aufzusuchen, um dort den Schlussstein seiner Bildung zu legen.

  • Im Jahre 1496 drohte das Krakauer Stadium ganz zu erlöschen. Im

Sommersemester 1495 wurden nur 37 Studenten immatrikulirt , im Sommer des Jahres 1496 sogar nur acht.

    • Zu den im Texte angeführten Gründen, welche uns bestimmen müssen, den Weggang des Coppernicus in das Jahr 1494 zu setzen, tritt noch

ein weiteres gewichtiges Moment hinzu.

Der Bischof Lucas Watzelrode gedachte den Neffen dem ermländischen Domherm-Kollegium baldmöglichst anzureihen. Nun war es nicht gut möglich den jungen Scholaren von der Universität her als Kandidaten bei einer eintretenden Vakanz aufzustellen; dergleichen Ausnahmen pflegten auch damals nur bei fürstlichen Persönlichkeiten gestattet zu werden. Deshalb rief der Bischof den Neffen von Krakau zurück, sobald derselbe sein akademisches Triennium absolvirt hatte, welches die Statuten seines Domkapitels für ausreichend erachteten. „Statuimus quod quilibet Canonicus de

novo intrans, nisi in sacra pagina Magister vel Baccalaurius formatus

exstiterit, teneatur ad Triennium ad minus in aliquo studio privilegiato studere sicque soll studio operam dare ut iugiter et continue in ipso per memoratum triennium perseveret.“

Anhang.[recensere]

Hoher Ruhmesglanz umstrahlt die Universität Krakau, weil der jugendliche Coppernicus daselbst in die Hallen der Wissenschaft eingeführt worden ist. Allein nationaler Uebereifer hat sich hiemit nicht zufrieden gestellt und eine Reihe polnischer Schriftsteller verleitet, noch einen zweiten, längeren Aufenthalt des gereiften Mannes in der polnischen Hauptstadt auszudenken. Coppernicus soll nach der Rückkehr aus Italien als Lehrer an

158 ANHANG.

der Jagellonica gewirkt haben. Das Jahr der Heimkehr wird verschiedentlich angegeben (1502, 1503, 1504), ebenso die Dauer und die Art seiner Krakauer Thätigkeit.

Die „alte Ueberlieferung“ von der Krakauer Professur, wie sie genannt wird, taucht zuerst im Anfange des laufenden Jahrhunderts auf. Sniadecki (o Koperniku etc. p. 163] berichtete, Coppernicus sei 1504 unter die Docenten der Jagellonica aufgenommen, der Oheim aber habe ihn bald nach Ermland zurückgerufen. Soltykowicz (o stanie akad. Krak. p. 104) folgte^ schwächte

9

jedoch Sniadecki's Bericht ab, indem er dem Coppernicus nur die Absicht unterlegte, in Krakau zu bleiben. Andere wiederum schmückten jenen Bericht, den sie als urkundlich belegt annahmen, weiter aus. So wussten sie u. a., dass Coppernicus zu Krakau die geistlichen Weihen empfangen und daselbst in den Jahren 1504-1507 (oder 1502-1509) das Werk de revolutionibus niedergeschrieben habe. Das Nähere findet man bei Polkowski (Zywot Mik. Kopern. p. 162 sqq.), welcher selbst natürlich, der Tendenz seiner Schrift gemäss, die weitgehendste „Ueberlieferung“ aufnehmen musste. Ihm hatten Krzyianowski , Gzynski und vor Allem Bartoszewicz in seiner der Warschauer Prachtausgabe der Coppernicanischen Schriften vorangestellten Biographie schon vorgearbeitet. Letzterer hatte in gewohntem Tone der Sicherheit genaue chronologische Angaben beigefügt und dadurch den Schein der Authenticität erweckt. Dennoch blieben die Kundigen mit Recht misstrauisch. Der Heissspom R** tadelte deshalb (a. a. 0. S. 168) „die deutschen Biographen“, welche des zweiten Krakauer Aufenthaltes nicht Erwähnung gethan hätten. Es ist sonach Pflicht, hier ausdrücklich hervorzuheben, dass die Krakauer Professur des Coppernicus lediglich der Erdichtung angehört. Mit verdientem Schweigen übergeht diese Mythe auch der berufenste Forscher auf diesem Gebiete. F. Karlinski, der Festredner der Krakauer Universität zur Säcularfeier 1873.

Viertes Buch.[recensere]

Zwei Jahre in der Heimat. Thorn und

Heilsberg 1494-1496.

Das Bisthum und Domstift Ermland.

Viertes Buch.

Zwei Jahre in der Heimat. Thorn und Heilsberg

1494-1496.

Erster Abschnitt.[recensere]

Rückkehr von Krakau. Die Bewerbungen um ein erm ländisches Kanonikat. Der Eintritt in das

Domstift zu Frauenburg.

Als Coppernicus in die Heimat zurückkehrte, war die grosse Zeitung von der BeschifFung des westlichen Weltmeeres auch nach den nördUchen Ländern des erstaunten Europa gedrungen."^ Noch

  • Bei den so sehr beschränkten Verkehrs -Verhältnissen jener Zeit verbreiteten sich einzelne Nachrichten allerdings nur allmählich. Allein Ereignisse, welche, wie die erste Fahrt des Columbus, die ganze europäische

Welt in Aufregung setzten, die man „mehr ftir ein göttliches Wunder als eine menschliche That“ hielt, wurden doch verhältnissmässig schnell, namentlich in den Handelsstädten, bekannt. Die Stelle der Zeitungen vertraten Briefe von Eaufleuten und politischen Agenten, Staatsmännern und Prälaten. Daneben wirkte einflussreich die junge Presse durch schnellen Druck von kleinen Flugschriften, welche in den Kulturländern Europas emsig verbreitet wurden. Der Brief, den Columbus nach der ersten Rückfahrt im März 1493 von Lissabon aus an den Schatzkanzler Raph. Sanchez schrieb, wurde bereits im Mai ins Lateinische übersetzt, und in den Jahren 1493 und 1494 zweimal in Rom, einmal in Malland und einmal in Ulm gedruckt. Dürch diese Flugblätter wurde die Kunde von der Entdeckung einer neuen Welt in ganz Europa eilig verbreitet; sie ward in vielen Schichten der Gesellschaft durch das Gerücht noch tausendfältig vergrOssert. Vgl. Peschel, Gesch. des Zeitalters der Entdeckungen S. 668 ff. ,

1. 11

162 DIE BÜCKKEHB VON KRAKAU.

wusste man freilich nicht, dass der kühne Genuese einen neuen Welttheil entdeckt hatte, Columbus selbst vermeinte ja Theile von Indien erreicht zu haben. Aber die portugiesischen Seefahrer hatten bereits seit einigen Jahren die Südspitze Afrikas erreicht ; immer näher war die Hoffnung gerückt, auf dem Seewege nach dem alten Wunderlande zu gelangen.

Besorgt vernahmen die Bewohner der bisherigen HandelsEmporien die Kunde von den neuen Entdeckungen. Auch die Hanseaten, die Verwandten von Coppernicus, die Danziger und Thorner Kaufherren mussten mit Recht fürchten, dass die veränderten Handelswege ihren Erwerb schmälern würden. Aber eine nähere Sorge hielt die letztem schon seit langer Zeit in grösserer Aufregung: die politische und nationale Stellung Westpreussens erschien immer mehr gefährdet.

Unter der Regierung des Königs Kasimir IV. hatten die Streitigkeiten über die Sonder-Stellung Westpreussens niemals aufgehört. Während die Polen dasselbe zu einer vollständigen Provinz ihres Reiches machen wollten, weigerten die Preussen sich standhaft, eine engere Verbindung mit dem polnischen Reiche einzugehen. Sie erklärten, dass sie zwar durch ein festes Bündniss mit Polen vereinigt seien, dass sie aber ihre besondern Gesetze, Sprache und Sitten beibehalten und nur den König mit Polen gemein hätten.*

Mit Lissabon, auch mit der Nordküste von Spanien, hatten die preussiBohen Seestädte bereits während des ganzen 15. Jahrhunderts direkte Handelsverbindungen. Holz, Mehl und gedörrte Fische waren die hauptsächlichsten Ctogenstände der Ausfuhr nach Portugal und Spanien ; von dort wurde nach Preussen vorzugsweise Lissabon'sches Salz importirt, dann Oel, Talg, Wein, Hopfen und Südfrüchte. Vgl. Hirsch, Danzigs Handelsgeschichte S. S4 ff.

  • Schon auf der ersten preussischen Tagfahrt nach dem Thorner Frieden

im Jahre 1467 „hub sich der Zwist an mit des Königes Bäthen dann

leider Oott geklaget in gegenwertigkeit solche gewalt in diesen landen fUrgenommen würde, die dann bei gezeiten der Herrschaft des Ordens nie warlich were erhöret gewesen“. Als im Jahre 1472 König Kasimir selbst nach Preussen kam, „hatten Land und Städte viel Handlung mit dem Könige

PBEUgSISCH-POÜNISCHE WIBBEN. 163

Voran standen in diesem Kampfe der Preussen für ihre SonderRechte die nächsten Verwandten des Coppernicus; seine Oheime Tilman von Allen* und Lncas Watzelrode. Der Letztere war den

wegen ihres Privüegü, das Urnen in vielen stücken gekrenket würde

so unterstünden sich die Polnischen mehr im Lande zu regieren als ihnen gebührte“. Der König zeigte sich damals , wie in den folgenden Jahren, nachgiebig, weil seine Fehden mit Ungarn und Böhmen dazu dringten. Er bestätigte die Privilegien der Preussen, ohne Jedoch das rege Misstrauen derselben zu beschwichtigen.

Zu neuem Zwiste kam es im Jahre 1486, als Kasimir von den Preussen Hülfe gegen die Türken begehrte „dieweil diese Lande der Krone Polen

einverleibet und ein Leib geworden weren“ „Worauff Land und

Städte erklereten . . . darumb weren sie der Krone also einverleibet, dass die EjTone schuldig were, sie für jedermänniglich zu vertheidigen und nicht dass die Preussen schuldig wären, die Krone für den Türken oder andern angelegenen Feinden zu beschirmen.“ - Bei solcher naiven Betonung des strengsten Partikularismus konnte natürlich eine Versöhnung mit den Polen nicht eintreten. Bis zum Tode des Königs Kasimir dauerten diese Wirren. „Das Land zu Preussen - so erklärten die preussischen Stände bei den letzten Verhandlungen - hat in der ersten Auffiaehmung verschreibungen erhalten, davon wir nicht wollen abtreten in ir keinem Artikel.“

  • Unter den vielen Gesandtschaften, zu denen Tilman von Allen deputirt wurde, hatte er auch die Vertretung Thorns auf dem wichtigen Verhandlungs-Tage Übernommen, zu dem die Abgeordneten der Lande Preussen

von König Kasimir nach Wilna am 10. Januar 1492 entboten waren. Dort sollte ein erneuter Versuch gemacht werden, um den steten Uebergriffen der Polen zu wehren, die staatsrechtliche Stellung Preussens zu dem mächtigen Nachbai^Staate durch persönliche Verhandlung der Landes-Bäthe mit ihrem Schutzherrn, dem polnischen Könige, fester zu regeln. Einen sehr eingehenden Bericht Über diese Verhandlungen findet man bei Schütz (bist. rer. Pruss. p. 386-394), welcher „die Beredung der Gesandten, ob sie wol etwas weitleufttig mit denen worten, wie sie ein und aussgeredet worden, aus dem Becesse dieses ortes mit einziehen wollen darumb ..... das daraus zu ersehen, wie des Landes Privilegien bald am anfange seind disputiret und angezogen worden.“

Der Wortführer der preussischen Gesandtschaft, der Woiwode von Marienburg Niclas von Baysen, verlangte vomämlich von dem Könige Kasimir die unumwundene Erklärung, dass er fortan nur mit dem Beirath der preussischen Bäthe die Angelegenheiten ihres Landes ordnen wolle. Der König und sein Grosskanzler weigerten sich jedoch dies zu thun; sie verschanzten sich stets hinter die Ausflucht, dass die Privilegien der Preussen niemals wären verletzt worden, und dass der König, wie er sie bisher gehalten, auch fernerhin halten wolle.

164 BISCHOF LUCAS UND KÖNIG KASIMIB.

Polen besonders verhasst. König Kasimir hat ihm bis an sein Lebensende, vier Jahre hindurch, die Anerkennung als Bischof yersagt."" Trotzdem ward er gerade von den prenssischen Stibid^i

So verlief auch diese YerhandlüDg, gleich den frühem, resultatlos. Die zurückgekehrten Gesandten erstatteten ihren Bericht auf der ntfchsten Tagfinhrt der prenssischen Stftnde zu Graudenz. Die ungünstige Aufnahme ihrer Beschwerden erregte allgemeinen Unwillen; ganz besonders erbitterte die Erkläruog des Königs, dass die Rftthe der gesammten polnischen Laude darüber entscheiden sollten^ ob die Gerechtsame der Preussen verletzt seien. •Das were ein gar neves vund geferliches Ding, das man mit ihme solte zum erkenntniss gehen , ob Königliche Mayestet dieser Lande ' Privilegien hette gehalten oder nicht; dann alzeit im polnischen Bathe zwanzig vnd mehr Stimmen gegenst eine der Preussen würde auffgebracht vnd zusammen gefordert werden.“

Die G^emüther wurden uoch mehr erhitzt, als sehr verfÜngKche Heden der polnischen Grossen mitgetheilt wurden , wie sie öfters zu Wilna geführt seien. So erzählte der pommerellische Woiwode, „wie die Polen gesagt hetten, es würde mit ihnen hier im laude nimmer gut, sie brechten es dann darzu, dass sie die woywoden dieser Lande in den Zeunen suchten“. . . . „Daher Land vnd Städte wenig hofbung haben kunten, das durch die Königliche Mayestet solche gewaltsame vnterfahung solte abgeschafft werden, sondern sie müssten selbst ihr bestes bedenken, wie sie solchen Hochmut vnd Schmach zerstöreten vnd eine gewalt mit der andern hintertreiben; sie hetten es zuvom von den Ordensherm nicht dulden wollen noch können, vnd weiten es nun von ihres gleichen, auch die geringer weren denn sie, viel weniger leiden, dann man sehe und spürete doch wohl, je mehr man klagete, je mehr die Gewalt überhand neme.“

  • Eine noch entschiedenere Stellung als Tilman von Allen und die übrigen Vertreter der prenssischen Lande musste der Bischof Lucas Watzelrode bei den in der vorstehenden Anmerkung berührten Händeln mit Polen

einnehmen; denn die schwersten Eingriffe waren in die Gerechtsame der ermländischen Kirche unternommen und er persönlich zum Kampfe gereizt worden.

Schon bei der ersten Erledigung des bischöflichen Stuhles, kaum ein Jahr nach dem Abschlüsse des „ewigen Friedens“ zu Thorn, hatte König Kasimir das Nominations- Recht, wie es ihm in den Diöcesen seines Erbreiches rechtlich zustand, auch im Ermlande ausüben und einen Polen auf die Ejithedra beflSrdem wollen. Das Kapitel leistete jedoch kräftigen Widerstand; der Papst stellte sich gleichfalls auf die Seite des Rechts, und bestätigte den von dem Kapitel erwählten Bischof Nicolaus von Tttngen. Allein auch Kasimir beharrte auf seinem Willen und schickte den von ihm nominirten Bischof Vincenz Kielbassa mit Heeresmacht in das Land. Es kam nun zu offenem Bürgerkriege, in welchem Bischof Nicolau^ die Hülfe

BISCHOF LUCAS UNP KÖNIG KASIMIR. 165

erwählt, auf dem Reichstage zu Petrikau (1492) bei der Wahl des neuen Königs die Gerechtsame des Landes wahrzunehmen.

deB mit Polen im Kriege befindlichen KOnigs Matthias von Ungarn nachsuchte, diesem die Schirmyogtei über Ermland übertragend; schliesslich musste sich derselbe jedoch unterwerfen. König Kasimir nahm den Reichsfeind zu Gnaden auf und gab bei seinen anderweiten Bedrängnissen gern das erneute Versprechen, die ermländische Kirche gemäss den Bestimmungen des ewigen Friedens zu schirmen; das Kapitel verpflichtete sich dagegen bei Erledigung des ermländischen Bischofstuhles fortan nur eine dem Könige von Polen angenehme Person auf denselben zu erheben.

Durch die letztere Bestimmung schien Kasimir das Nominations -Recht thatsächlich erhalten zu haben, falls nicht eine authentische Interpretation des Begriffs der angenelimen Person vereinbart würde. Natürlich weigerte sich der König dergleichen Beschrilnkungen anzunehmen. Das Kapitel aber schritt wegen dieser Unsicherheit, als der Bischofstuhl durch Tüngen's Tod im Jahre 1489 erledigt war, eiligst zu einer Neuwahl, bevor eine Einmischung des Königs stattfinden konnte. In Einstimmigkeit erkor man zu seinem Nachfolger 4sn Domherrn Lucas Watzelrode, der auch, damals in Rom befindlich, leicht die Bestätigung der päpstlichen Kurie erhielt. Allein König Kasimir verweigerte mit Entschiedenheit, Watzelrode als ermländischen Bischof anzuerkennen. Das Kapitel habe sich bei der Unterwerfung Tüngen's ausdrücklich verpflichtet, nur eine dem Könige angenehme Person zu wählen; ihm könne aber Niemand angenehmer sein als sein Sohn Friedrich, den er auch dem Pap9te präsentirt habe. Demgemäss forderte er die Stände Preussens auf, den gewählten Bischof gleichfalls nicht anzuerkennen. Allein Watzelrode war, sobald er die päpstliche Bestätigung erhalten, nach dem' Ermlande gekommen und hatte die Huldigung dort entgegengenommen.

Die Sache kam in den nächsten Jahren nicht zUm Austrage, weil König Kasimir durch den Türkenkrieg vollauf beschäftigt war. Allein als im Jahre 1492 die Abgeordneten des ermländischen Kapitels sich der - in der vorigen Anmerkung besprochenen - Gesandtschaft in Wilna angeschlossen hatten, wies er dieselben mit Heftigkeit zurück. „Unter vielen andern Worten - so berichteten die zurückgekehrten Landesräthe - habe Königliche Mayestet gesprochen: das were der Teufel, das der Lineas solte

aufstehn gegen st uns selten wir auch in einem Hemde bleiben,

. . . wir wollen das weren bis an unsem Halss. . . . Wir haben viel Freunde und Beystender, und do die alle abstehen wolten, da Gott für sei, so weren noch die Türken und Tattern, die uns helfen wolten.“ Noch härter hatte sich der Grosskanzler ausgesprochen: „Der Teuf fei hat den Tungen weggenommen und wird schier diesen nachholen.“ „Viel beweguis - so schliesst Schütz a. a. 0. S. 394 seinen Bericht - ward auf der preussischea Tagfahrt zu Graudenz erreget durch die Gesandten des Ejipitels .... wie sie viel weniger gehöret worden ... als Türken, Tattern und offenbare.

166 PREU88ISCH-POLNISCHE WIRBEN.

Hier gaben die prensflischeü Abgeordneten die Erklärung ab „wie Land und Leute eintreclitiglich beschlossen hätten, Seiner Gnaden keineswegs den Eid zu leisten, es wären denn ihre Gebrechen, darüber sie öfters geklagt, durch Königliche Majestät abgeschafft, und sie in vollkommenen Besitz der verschriebnen Freiheiten und Gerechtigkeiten eingesetzt worden. Wozu der Königlichen Majestät Gegenwärtigkeit im Lande Tonnöthen sein woUte.a (Schütz hist. rer. Pruss. p. 396.)

Diese Erklärung brachte die Preussen in den erneuten Verdacht, dass sie von Polen ganz abfallen wollten; sie fbhrte zu Weiterungen, so dass der neuerwählte König Johann Albert zunächst Abstand nahm, in das Land zu kommen. In den beiden folgenden Jahren wurde er durch die ungarischen Angelegenheiten, wie durch die Kriege mit den Tartaren, vollauf beschäftigt. Erst gegen Ende des Jahres 1494 konnte die preussische Beise aufgenommen, und die Stände des Landes zur Huldigung entboten werden.

Um die Zeit, da Coppernicus aus Krakau in die Heimat zurückgekehrt war, geschahen die Zurüstungen zum Empfange des Königs im Preussenlande. Die Huldigung war zu Thorn angesetzt. Dort, in der Geburtsstadt von Coppernicus, fand sich im November des Jahres 1494 eine stattliche Versammlung ein.*

Feinde von Ihrer Königlichen Mayestet“ „Daraus mögen Ewer H.

merken, da“ die Ungnad und Ungunst das ganze Land mit belangt, dann man will nicht mehr einen PreuBBen, sondern einen Polen zum Bischof haben. So aber der Bischof polnisch würde , der were das Haupt , der wolte die Glieder als die Thumherm auch polnisch haben, als zu Culmenaee geschehen ist.“

  • Die Zeit des Thorner Huldigungs-Tages wird sehr verschieden angegeben. Schütz verlegt die Versammlung in den Frühling des Jahres 1495,

die Thorner Chronisten sogar erst in den Herbst dieses Jahres. Letstere Angabe ifft sicherlich falsch. Aber auch Schütz scheint sich geirrt zu haben. Wenigstens ersehen wir aus mehren Schreiben des Hochmeisters, dass der KOnig bereits im Januar in Preussen war und im Februar nach Thorn wie*

KÖNia JOHANN ALBEBT IN THOBN. 167

Ausser den polnisehen Ghrossen, welche den König begleiteten, erschienen unter Führung des Bischofs Lucas Watzelrode die Landes-Bäthe Preussens, die übrigen weltlichen und geistlichen Herren, die Abgeordneten der grossen Städte.

Dem eigentlichen Huldigungsakte gingen lange Verhandlungen vorher, weil keine Partei der andern traute. Die Preussen verlangten, der König solle zuerst ihre Privilegien beschwören; dieser wiederum forderte zuvörderst den Huldigungs-Eid. Endlich ward ein Kompromiss geschlossen. Nachdem der König eine vorläufige Zusage gegeben hatte, leisteten die Stände den Eid, als Erster der ermländische Bischof Lucas Watzelrode; allein auch dieser fügte noch einen ausdrücklichen Vorbehalt hinzu„ dass die Rechte seiner Kirche durchaus unverletzt erhalten bleiben inttssten.*

der zurückkehrte. Der in Marienbnrg und Danzig Btark herrBchenden Seuche, welche nach Schütz die schnelle Bttckkehr des Königs nach Thorn bewirkte, gedenkt auch der Hochmeister in einem Schreiben aus der Mitte Februar des Jahres 1495.

Die Zeitbestimmung des Huldigungs-Tages scheint ausser Zweifel gestellt durch die Konfirmations-Urkunde, welche Johann Albert am 28. November 1494 zu Thorn ausstellte. Unter den Zeugen, welche in dem Dokumente „datum in Thorun Sabbato in Vigilia S. Andreae Apostoli Anno millesimo quadringentesimo nonagesimo quarto, Reg^i vero nostri Anno tertio“ aufgeführt werden, befinden sich aus Preussen der Bischof Lucas Watzelrode und die Palatine von Marienburg, Kulm und Pommerellen („Nicolaus de Baysen, Carolus de Felden und Nicolaus de Wolikow“).

Die Urkunde ist abgedruckt bei Dogiel, Codex diplomaticus Begni Polen. IV, p. 186.

  • Näheres über die Huldigung und die wichtigen Vorverhandlungen der

preussischen Landesräthe mit dem Könige Johann Albert bietet uns in dankenswerther Weise ein Thorner Manuskript, die Excerpta Recess. HesioSchultiana, welche Zemecke in seiner Thornischen Chronica ad a. 1495 veröffentlicht hat. Wegen der Beziehungen zu Watzelrode lasse ich den Bericht über die erwähnten Ereignisse, welche der 22jährige Coppernicos miterlebt hat, nachstehend folgen:

„Pruthenici Consiliarü hie Thorunü congregati Vistulam transierunt excipiendi Regia gratia idque denunciatum duos ex suis ad Regem miserunt Remanserat in citeriori ripa Thorunensi solus Varmiensis episcopus Lucas Weisselrod Thoruniensis. Venit cum Rege Sigismundus jfrater, excipiun

168 DIE HULDIGUKO IM LANDE.

Von Thorn ging der König weiter in das Land, um, begleitet iron dem ermländischen Bischöfe und den Landes^Bäthen, die Huldigung an den bedeutenderen Orten persönlich entgegenzunehmen. Zunächst wurde die Marienburg aufgesucht, der einstige Hochmeister-Sitz, dann Elbing. Die Huldigung zu Danzig, der grössten Stadt des Landes, musste ausgesetzt werden, weil die Pest sich in der dortigen Gegend verbreitet hatte. Im Februar 1495 kehrte Johann Albert wiederum nach Thorn zurück.

Das längere Zusammenleben des Bischofs Watzelrode mit

tur a Prathenis binis lapidum iaetibos a ripa Yistalae. Bex com in medium Pruthenorum venisset, cum fratre ab equo descendit apertoque capite manas ipsis poirexit. Palatinus Mariaebnrgensis yerba feeit pauea de obitn patris et ipsioB electione et exspeetatione hactenus missoqae ob id Poenaniam nuntio. Dein adventum gratulabatur et confirmationem iurium cavet auamqne omnium nomine yicissim submissionem commendat. Bex ipse paucis polonice gratias agit et dementem se fore pollicetur; traieeit postea cum consiliarüB in navigio rubre panno obdncto. In medio Vistulae Palatinos MariaeburgensiB ipsi fines demonstrat eosque conservari petit, qnod Bex humaniter pollicetur.

In ripa Thorünensi excipit eum Episcopus Varmiensis episcopali habitu indntuB cum turba clericorum pacemque osculandam offert. Ibidem et senatus Thorunensis cum Bcabinis et civibus regem excipiunt. Ipse sub umbella serico tecta, quae a duobus Terrestribus , duobusque Consulibus Thorunenalbus portabatur, templum parochiale ingreditur; ibi consuetae Deo gratiae aguntur, inde in praetorium deducitur etc.

Postea Bex iuramentum fidelitatis a Pruthenis postulat poUicens se vicissim faoturum, quae sui sint officü. Petunt Prutheni peculiare consilium. Bex pollicetur et a meridie semotis Omnibus alüs cum ipsis consulturum. Bepetunt deinde petitionem de peculiari iuramento, quod non aliud Bex praestiterit , quam quäle ante unionem praestari solitum sit. Excipit Bex*. Se Begno et omnibus Provincüs Jurasse et Pruthenos etiam comprehendisse. Instant, saltem itaque ante jusjurandum confirmationem PriYilegiorum sibi dari. Bex id nusquam observari excipit, sed postea se id factnrum verbo Begio promisit. Urgente itaque Bege primum juravit Episcopus Varmiensis in eam formam, quam Praedecessor suus, Nicolaus, observaverat, praeeunte Episcopo Posnaniensi, protestatus tamen prius de incolumitate jurium Ecdesiae suae; post juramentum praestitum Bex dextram Episcopo porrexit. Post longam disputatipnem jurant primum Consiliarü Pruthenioi Terrestres, dein Canonici Yarmienses suum peculiare juramentum , postremo tres Praeoonsules Tborunenses cum uno Gonsule, et post hos Elbingenses et Gedanen* ses, Omnibus praeeunte Episcopo Varmiensi.“

BISCHOF LUCAS DER BEIUTHEB VON COPPEBNICU8. Id9

dem Könige hatte seine Stellung zu Polen yollständig verändert. Er wandelte jetzt ganz entgegengesetzte Wege. Die Anssöhnung mit seinem Landesherm, welche er auf dem Wahl- und Krönungstage zu Petrikau und Krakau angebahnt hatte, ward jetzt vollständig dui:chgefbhrt ; durch reiche Geldspenden - sagen die Ordens-Quellen - hatte sich Lucas Watzelrode die Gunst des Königs erobert. Durch diese Wandelung seiner Politik musste sich der Bischof aber die preussischen Stände, mit denen er bisher in freundlichem Einvernehmen gestanden hatte, mehr“und mehr entfremden. Ganz besonders trat er in ein gespanntes Verhältniss zu dem deutschen Orden, an den er sich bisher eng angelehnt hatte, da sie durch dieselben Interessen gegen ihren gemeinsamen Oberherm, den König von Polen verbunden waren.

Diese Zeit, welche in den allgemeinen Verhältnissen Preussens so folgenreiche Umgestaltungen vorbereitete, war auch für das Leben von Coppernicus von hoher Bedeutung. Denn neben der Sorge um des Landes und seiner Kirche Wohlfahrt beschäftigte den Bischof Lucas Watzelrode, bei seinem damaligen Aufenthalte in Thorn, die Sorge für die Kinder seiner verwittweten Schwester Barbara Koppernigk. Namentlich war dieselbe seinem Neffen Nicolaus zugewandt. Hier im Familien-Rathe wurden die Häne für die nächste Zukunft; von Coppernicus festgestellt. Es ward beschlossen, dass er in den Dienst der Kirche trete. Zugleich aber wurde bestimmt, dass er die in Krakau begonnene Ausbildung auf den Universitäten Italiens weiter führe. Gern gab Bischof Lucas dem Wunsche des jungen Mannes seine Zustimmung; er hatte ja an sich selbst den hohen Werth eines solchen Studienganges erprobt. Wenn die Mittel aus dem väterlichen Nachlasse nicht ausreichten, um einen langem Aufenthalt in Italien zu ermöglichen, so konnte er leicht helfend eintreten, da er als Bischof von Ermland reiche Einnahmen hatte.*"

  • lieber die MachtfUUe des Bischofs von Ermland verbreitet sich des

170 K0CHOF LUCAS DER BERATHBB VON COPPERNICfüS.

Allein der letztere Plan ward nicht sofort znr Aasf&hmng gebracht. Der sorgsame Berather des Neffen wollte vorher dauernd dessen Znknnft sicher stellen. Er beschloss seine Aufnahme in das ermländische Domstift herbeiznfbhren. Deshalb nahm er ihn vorerst nach seinem Bischofs-Sitze, um seinen Pflegling mit den massgebenden Persönlichkeiten und den Verhältnissen Ermlands bekannt zu machen. Coppernicus hatte freilich kaum das 22. Lebensjahr zurückgelegt. Aber es ist bekannt, wie das jugendliche Alter damals kein Hindemiss der Erlangung hoher Kirchenämter entgegenstellte ; es wurden ja in jener Zeit der Verweltlichung des Klerus nicht bloss Jünglinge, sondern sogar Knaben in das höchste Kollegium aufgenommen, als Kardinäle designirt."* Bischof Lucas schien sich der sichern Erwartung hingeben zu können, es werde seinem Einflüsse gelingen, den Neffen, der den nothwendigen Vorbedingungen vollständig entsprach, in sein Kapitel einzuführen :

Kähern der folgeode Abschnitt; das Bisthum umfasste einen FlSchenrsnm von ca. 80 D Meilen. Die Einkünfte des Bischofs waren demnach sehr bedeutend. Man schätzte sie im 17. Jahrhunderte - wie Lengnich berichtet - etwa gleich den Einkünften des Erzbischofs-Primas von Polen. „Qaanti sint reditns, qui episcopo Varmiensi obyeniant, vix definire licet, nisi quod archiepiscopi Gnesnensis aeqnare et ceterorum episcoporum, si Cracoviensis excipiatnr, vincere dicantur.“ Der Ermländer Leo, Domdechant von Gntstadt, welcher seine „historia Prussiae“ im Anfange des 17. Jahrhunderts schrieb, giebt die Jahres -Einnahme des Bischofs Lucas Watzelrode auf 15000 Mark an „Lucas Episcopus .... ecclesiam Varmiensem non minus in spiritualibus quam temporalibus adeo recte prudenterque administravit, nt ex censibus episcopatus quindecim millia marcarum in reditibus annuis habuerit“ (1. 1. p. 346). Den Werth dieser Geldsumme in jener Zeit kann man vergleichsweise daran abwägen, dass bei der, ein Menschenalter nach dem Tode von Lucas Watzelrode gegründeten, Universität Königsberg das Gehalt sämmtlicher Lehrer und Beamten 3000 Mark betrug.

  • Ohne auf die zahlreichen Fälle einzugehn, in welchen Knaben die

Tonsur erhielten, bez. in Domstifte aufgenommen wurden, will ich hier nur flüchtig daran erinnern, dass Giovanni de Medici, der Zeitgenosse von Coppernicus, als vierzehnjähriger Knabe durch Innocenz VÜL zum Kardinal erwählt wurde, wenngleich die wirkliche Einführung des nachmaligen Papstes Leo X. in das Kardinals-Kollegium des Decorums wegen allerdings noch drei Jahre verschoben wurde.

DIE FÜB80S6E DES BISCHOF LUCAS FOB COFPEBHICUS. 171

das kanonische Alter hatte er bereits erreicht und auf der LandesUniversität ein akademisches Triennium absolvirt.*

Recht zu erwünschter Zeit trat eine Vakanz im ermländisehen

  • Die ermläDdischen ELirchenhiBtoriker rühmen die Uneigenntttzigkeit

des Bischofs Lucas Watzelrode, der seine reichen Einkünfte nicht zor Bereicherung seiner Verwandten, sondern lediglich im Dienste der Kirche und zum Yortheil seiner Diöcese verwandt habe. (Vgl. Leo hist. Fruss. p. 376.) Dies ist im Allgemeinen vielleicht richtig. Dagegen wissen wir ebenso bestimmt, dass er seinen Einflnss reichlich aufgeboten, seine Angehörigen innerhalb seines Sprenget zu versorgen. Oben S. 80 ist bereits mitgetheilt, dass er einen natürlichen Sohn, den er nach seiner Bückkehr aus Italien mit einer Thornerin erzeugt hatte, in die städtische Verwaltung zu Braunsberg brachte, wo er bis zum Bürgermeister aufstieg. Dies berichten übereinstimmend Treter de episc. etc. ecdes. Varm. p. 78 und Leo 1. 1. p. 361 „Philippus quoque Teschner, qui ex quadam puella bastardus erat Lncae Episcopi, dum olim ludimagistrum Torunü ageret, et postmodum eodem Luca creato Episcopo promotore usus divitüs Brunsbergensis civis Zanderi filiam uxorem adeptus atque ita sensim e stercore ad consulatus apicem evectns fuerat, praeclaram animi grati erga Episcopi successorem testificationem edidit etc.“

Ebenso sorgte Lucas Watzelrode, was ihm sicherlich nicht zum Vorwurfe gereicht, für die hinterbliebenen Kinder seiner Schwester; seine Neffen Nicolaus und Andreas Coppernigk unterhielt er auf den Hochschulen zu Krakau und in Italien. Ausserdem Hess er sie in das ermländische Domstift aufnehmen, und neben ihnen Danziger PatricieivSöhne aus den mit ihm verwandten Familien; Tiedemann Giese wurde 1504, Mauritius Ferber 1507 ermländischer Domherr.

Auch die Nachfolger von Lucas Watzelrode auf dem ermländisehen Bischofbtuhle befolgen in gleicher Weise die Mahnung, wie sie Lorenzo Medici einst Innocenz dem VÜI. zugerufen, „ein Papst, der seine Würde nicht zu vererben im Stande sei, könne nur das sein nennen, was er den Seinen zuwende“. Gleich den andern Kirchenfdrsten sorgten die erml&ndischeir Bischöfe eifrigst für die BeftJrderung ihrer Nepoten. Neben dem Bischöfe Mauritius Ferber waren zwei seiner Bruders-SOhne und ein Schwester-Sohn (Johann Zimmermann) Mitglieder des ermländisehen Domstifts; ausserdem erscheint noch gleichzeitig ein vierter Domherr zu Frauenburg aus der Fa* milie der Ferber, Eberhard F. (welcher nach dem Zeugnisse des Bischof„ Mauritius im Jahre 1528 zu Kom gestorben ist. Spie. Cop. p. 280).

Bischof Johannes Dantiscus beförderte ebenso zwei Schwester-Söhne in sein Kapitel: Johannes und Kaspar Hanow; ein dritter Neffe war bischöflicher Sekretär und wurde unter seinem Nachfolger Stanislaus Hosius gleiche falls Domherr. - Letzterer selbst hat auch zwei gleichnamige Söhne seiner Brüder Ulrich und Johannes in das ermländische Domstift aufgenommen.

172 FRUCHTLOSE BEWERBUNG UM EIN KANONIKAT.

Domstifte ein. Im Herbste 1495 starb der Domkantor Matthias von Launan. Allein dessen Tod war nicht in einem bischöflichen, sondern einem päpstlichen Monate erfolgt* (Launan starb am 21. September 1495). Wie nun zumeist bei Vakanzen, die in die ungeraden Monate fielen, zahlreiche Bewerber auftraten, und Agitationen der Mitbewerber, wie der sie begünstigenden Parteien, zu bekämpfen waren, so wurde auch die Wahl des Nachfolgers von Launau durch Streitigkeiten verwirrt. Es hatten sich Bewerber in der Nähe, wie aus der Feme gemeldet.** Der Einfluss des Bischofs war diesmal in Kom nicht ausreichend, die Zustimmung der Kurie für seine Wünsche zu erlangen. Der Eintritt in das ermländische Domstift blieb dem jungen Coppernicus darmals noch verschlossen. Die Briefe, in denen sich dieser über die gegen seine Bewerbung gerichteten Agitationen beklagt, wurden noch im Anfange des 16. Jahrhunderts in Erakau aufbewahrt.'

  • In Folge des Beitritts des ermländischen Bischofs Franz Kulisohmaiz

(i 1457) zu den deutschen Eonkordaten besass die römische Enrie die Alternativa mensium auch im Ermlande, d. h. der Papst hatte das Becht, die in den ungeraden Monaten erledigten Kanonikate zu besetzen.

Matthias Launau hatte in Bologna gleichzeitig mit Lucas Watzelrode atudirt. Nach den „Annales Glarissimae Nacionis Germanorum“ erfolgte die Aufnahme des „Matthias Michael de Lunaw“ im Jahre 1471. Im Jahre 1483 erscheint er als Mitglied des Domstifts in einer Frauenburger Urkunde. In den Jahren 1490-1495 bekleidete er eine Prälatur als Domkantor. Bei mehreren wichtigen Gesandtschaften des Kapitels war er betheiligt; er begleitete auch den Bischof Lucas Watzelrode zur Königswahl im Jahre 1492 nach Petrikau. Seinen Todestag (21. September 1495) kennen wir durch seinen Leichenstein im Dome zu Frauenburg.

    • Die Zahl der Bewerber war um so grosser, als ausser dem Eanonikate auch die erledigte Prälatur zu besetzen war. Der Bischof von Breshiu

brachte seinen Leibarzt, Dr. Michael Jode, der aus Preussen gebürtig war, dazu in Vorschlag. - Wer die Prälatur erhielt, wissen wir nicht; ebensowenig ist uns bekannt, wer der Nachfolger Launau's im Kanonikate gewesen jst. Wir besitzen ein Verzeichniss sämmtlicher ermländischer Domherrn, geordnet nach den sog. Numerar-Kanonikaten ; allein auffallenderweise fehlt, wie bereits erwähnt ist, gerade Launau's Name in diesem Kataloge.

    • ♦ Die Briefe, in welchen Coppernicus sich über die Gkgner bei seiner

Bewerbung um das ermländische Kanonikat beklagt, waren im Anfange des

.J

AGITAflONEK GEGEN DIE BEWERBUNG. 173

Neben den mannigfachen Intrigaen, welche die Neubesetzung eines ermländischen Kanonikats heryorznrofen pflegte, wird gegen

17. Jahrhunderts in den Händen von Job. Broscius, der eine Professur au der Krakauer Universität bekleidete und um das Jahr 1612, noch vor der Beraubung durch die Schweden, die Frauenburger Archive geplündert hat. Starowolski hat sie bei ihm selbst gesehen, wie er in seiner vita Copernici angiebt: „ . . . . Inde reversus ab Episcopo Luca avunculo suo adscriptus est CoUegio Canonicorum Yarmiensium, in quo tarnen ab invidis impedimenta persensit, nt manifestum est ex litteris varüs, quas habet Clarissimus vir Joh. Broscius, Philosophiae et Medicinae Doctor Ordinariusque in Alma Universitate Cracow. Astrologiae Professor, manu ipsius Copernici ad Lncam avuncnlum aliosque exaratis.“

Der vorstehende Bericht eines zuverlässigen Gewährsmannes, der auf authentische Quellen gestützt ist, hat für uns ein mannigfaches Interesse. Es ist deshalb sehr zu bedauern, dass Starowolski nicht weiter auf den Inhalt der Briefe eingeht, sondern nur die Thatsache konstatirt, dass der Aufnahme des Coppernicus in das ermländische Domstift Hindemisse in den Weg gelegt sind. Wir erhalten durch ihn keine Andeutung darüber, von welcher Seite die Anfeindung ausgegangen ist; in gleicher Weise sind uns nur Vermuthnngen darüber gestattet, welche Motive derselben zu Grunde gelegen haben.

In den meisten Fällen, wo bei Neubesetzung von Eanonikaten Streitigkeiten entstanden, war es Missgunst und gekränkter Ehrgeiz von Mitbewerbem, welcher dieselben erzeugte. Sodann mochte die Fürsprache, wie sie häufig von Kirchenfürsten oder dem polnischen Hofe, mitunter sogar vom deutschen Kaiser eingelegt wurde, innerhalb des Kapitels selbst Leidenschaften hervorrafen. Beides kann in dem vorliegenden Falle mitgewirkt haben, wenngleich die definitive Entscheidung bei der Neubesetzung des durch den Tod von Matthias Launau erledigten Kanonikates vielleicht durch die päpstliche Kurie allein erfolgt ist Endlich darf nicht ausser Acht gelassen werden, dass die Domkapitel - und nicht nur wegen materieller Interessen - ihre Rechte den Bischöfen gegenüber zumeist sehr eifersüchtig zu wahren suchten und, um seinen Einfluss nicht zu mächtig werden zu lassen, nicht selten gegen die von ihm begünstigten Kandidaten entweder versteckt intriguirten, oder auch ganz offen in Opposition traten. Die Eigenwilligkeit des Bischofs Lucas - wie sie ihn zu vielen Konflikten mit den polnischen Königen und seinen preussischen Mitständen geführt hatte - war nun auch in dem Verhältniss zu seinem Domkapitel früh hervorgetreten. So konnten auch hierdurch, durch das Widerstreben der nicht gefügigen Mitglieder des Kapitels, dem Eintritte seines Neffen Hindemisse in den Weg gelegt sein. Jedenfalb haben wir in solchen äussern Gründen, nicht in der Abneigung gegen die Person, in der Bemängelung seiner Qualifikation, die Motive zu suchen, aus denen die Bewerbung des Coppernicus um die Aufaahme in das ermländische Domstift bekämpft worden ist.

174 DIE ABREISE NACH ITALIEK.

Coppenücus auch die BesorgniBS wirksam gewesen sein, dass durch die Aufnahme eines von ihm abhängigen Neffen der Eänfluss des Bischofs im Stifte zu mächtig werden könnte. Lucas Watzelrode war ein schroffer Charakter; dil9 Eigenwilligkeit des selbstbewussten Mannes hatte oft viele Interessen verletzt und ihm auch in seiner ermländischen Umgebung manche Gegner erweckt.

Uebrigens war die Nicht-Erlangung der ermländischen Pfründe bei seiner ersten Bewerbung für Coppernicus kaum ein Nachtheil, sie verzögerte nur seine gesicherte materielle Stellung. Er konnte fast eine günstige Fügung des Schicksals darin erblicken, dass es ihm nun gestattet war, unbehindert von jeder amtlichen Rücksichtnahme dem Lande seiner Sehnsucht zuzueilen. Die Erfüllung dieses Wunsches war ohnehin durch seine Kandidatur sehr verzögert worden. Die Entscheidung der römischen Kurie muss diesmal lange ausgeblieben sein ; wir wissen überhaupt nicht, wann dieselbe schliesslich erfolgt, und wer der Nachfolger von Launau gewesen ist.

Im Sommer des Jahres 1496 rüstete sich Coppernicus zur Reise über die Alpen. Bologna war sein nächstes Ziel. Dort traf er beim Beginne des Wintersemesters 1496/97 ein; am 6. Ja

Starowolski's Bericht ist von Gassendi (vita Copern. p. 6, 7) mit einer Abänderung wiedergegeben. Er lässt die Agitationen nicht gegen die Bewerbung des Coppernicus, sondern gegen den Besitz des ihm zu TheU gewordenen Kanonikats gerichtet sein; er fügt femer hinzu, die Briefe von Coppernicus seien an den Oheim gerichtet gewesen „ . . . Non possedit tarnen initio pacifice satis eum canonicatum, ut non semel conquestus est littaris conscriptis ad Avunculum in Aula praesertim morantem.“ - Da Gkissendi jedoch, wie er in der Einleitung seiner Schrift ausdrücklich angiebt, nur gedruckte Bücher, und keine ursprünglichen Quellen, hat benutzen können, 80 ist sein Bericht nur als Interpretation der allerdings nicht ganz bestimmt gehaltenen Worte Starowolski's anzusehn und kein besonderes Gewicht darauf zu legen. Da Beide der irrthümlichen Meinung sind, dass Coppernicus erst nach seiner Rückkehr aus Italien in das ermländische Kapitel au^nommen sei, so lässt Gassendi seine Briefe au den Oheim während dessen Abwesenheit aus Preussen gerichtet sein.

DIE AUFNAHME IN DAS DOMSTIFT. 175

nuar des folgenden Jahres wird seine Anfüahme in die „natio Germanormn“ zu Bologna bezeugt.

Noch vor Ablauf des zweiten Studienjahres kam dem jungen Preussen zu Bologna die Nachricht von einer neuen Vakanz im ermländischen Domstifte. Der Domherr Johannes Czannow war am 26. August 1497 gestorben. Diesmal ward das erledigte Kanonikat dem Coppernicus zu Theil.* Die nähern Details fehlen.

  • Der Todestag des (aus Danzig gebürtigen) Domherrn „Johannes Zcannow“ ist auf seinem Leichensteine in der Domkirche zu Frauenborg verzeichnet. Dass Nicolaus Coppernicus sein Kanonikat erhalten habe, wird

durch ein altes- Frauenburger , aus der Zeit von Coppernicus stammendes, Manuskript bezeugt. Da diese zeitgenössische Quelle neben einem später mitzutheilenden Kapitels-Schlusse aus dem Jahre 1501 das einzige heimische Dokument ist, welches über den Eintritt des Coppernicus in das ermländische Kapitel sicheres Zeugniss ablegt, werden einige nähere Angaben mitgetheilt werden müssen, zumal in neuerer Zeit von kundiger Seite der Versuch gemacht ist, die Zuverlässigkeit des Manuskripts zu erschüttem.

Im Archive des Frauenburger Dom -Kapitels wird ein, 186 Pergamentblätter umfassender, Foliant aufbewahrt, welcher die Bezeichnung „Über privilegiorum Capituli Warmiensis Litt C“ führt. Dieses aus dem 14. Jahrhunderte stammende Manuskript diente als amtliches Lager^ oder Hypothekenbuch für die bischöfliche Kanzlei. Dem Haupttheile, welcher Urkunden aus den Jahren 1260-1426 enthält, ist vorangestellt ein im 16. Jahrhunderte geschriebenes Yerzeichniss der Bischöfe, Prälaten und Domherrn der ermländischen Kirche. Die Bischofs-Reihe geht von der Gründung des Bisthums aus; die Prälaten beginnen mit dem Ende des 13. Jahrhunderts, die Namen der Domherm dagegen erst zwei Jahrhunderte später. Sie sind in genauer chronologischer Folge nach den 16 Domherrstellen geordnet, so dass die unmittelbar auf einander folgenden Canonici daraus ersehen werden können.

Die ersten Eintragungen der Domherm erfolgten gegen das Ende des 15. Jahrhunderts, sind also von einem Zeitgenossen des Coppernicus gemacht; das Yerzeichniss ist dann später von Verschiedenen bis auf die neuem Zeiten herabgefUhrt. Der Name „Nicolaus Coppernic“ ist noch von dem ersten Begründer dieses Domherm-Katalogs geschrieben; der Name seines Nachfolgers Johannes Loysse dagegen schon von einer andem Hand. Jener war also bereits vor Coppernicus gestorben.

Nicolaus Coppernicus wird in dem sog. 14. Numerar-Kanonikate aufgeführt; als sein unmittelbarer Vorgänger ist Johannes Zcannow bezeichnet;

176 DIE AUFNAHME IN DAS DOMSTIFr.

Wir wissen nicht einmal , wann Coppernicas persönlich von der Pfründe Besitz genommen, und ob er sich dieselbe Anfangs durch einen Stellvertreter hat übertragen lassen. Während der nächsten zehn Jahre nach der Aufnahme in das ermländische Domstift findet sich der Name von Coppernicus überhaupt nur zweimal in den Frauenburger Akten. Das erste Mal begegnen wir ihm in dem Vermerke über eine Allodien-Vertheilung d. d. 7. Februar 1499, sodann in dem Protokolle über die Sitzung des Domstifits vom 27. Juli 1501. An letzterem Tage erscheint Coppernicus wahrscheinlich zum ersten Male - in der Mitte des Kapitels, um

aasserdem nennt der Katalog nur noch Johannes Rex als ersten Inhaber dieses Kanonikats.

Auch bei allen übrigen Kanonikaten beginnt die Reihe der verzeichneten Domherrn mit der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts, so dass der erste Yeranlager des Domherrn -Verzeichnisses ersichtlich nur aus seiner unmittelbaren Erfahrung, nur aus persönlicher Kenntniss schöpfte. Durch spätere Forschungen ist seine Glaubwürdigkeit seither stets von Neuem bestätigt worden. Ein einziges Versehen hat ihm nachgewiesen werden können; es fehlt nämlich in dem Kataloge merkwürdigerweise der Name des Domherrn Matthias Launau, ein Versehen, das gerade für die Feststellung des Aufoahme- Jahres von Coppernicus besonders bedauert werden musste.

  • Das Protokoll über die Allodien -Vertheilung , welche am 7. Februar

1499 vorgenommen wurde, findet sich in den „Acta capituli ab anno 1499 ad annum 1593“ (fol. 26b):

„Anno domini 1499 in crastino Dorotheae optatio facta allodiorum infra scripta per dominos de Capitulo subscriptos:

Dominus praepositus optayit allodium in czawer quondam Domini De cani, Dominus Caspar obtinuit Dominus Zacharias retinuit . . . . ,

D. Martinus optayit . . . . , D. Andreas retinuit . . . . , D. Balthasar obtinuit . . . . , D. Albertus . . . . , D. Michael . . . ., Dominus Nicolaus Koppernick optayit allodium Domini Michaelis vacans, Dominus Cantor Joh. Sculteti optayit allodium in Zandekow.“

Als ich den vorstehenden Vermerk zum ersten Male veröffentlichte, (Z. Biogr. V. Nie. Cop. S. 32) hatte ich irrthümlich angenommen, dass der fehlende Zusatz „per procuratorem“ bei dem Namen von Coppernicus auf die Anwesenheit desselben bei der Kathedrale nothwendig schliessen Hesse. Diese Ansicht wird durch den Kapitels-Schluss d. d. 27. Juli 1501 widerlegt, in welchem ausdrücklich bemerkt wird, es sei damals ein Urlaub von drei Jahren für Coppernicus zu Ende gegangen. (. . . Nicholaus Coppernick qui iam tres annos ex licentia capituli peregit in studio.)

• • •

DIE BEDEUTSAMKEIT DES DOMHEBRN-STELLUNO. 177

zur Fortsetzung seiner Studien einen weitem Urlaub von den Confratres zu erbitten.""

Der bedeutsamen Korporation, in welche Coppernicus bei seiner zweiten Bewerbung im Jahre 1497 aufgenommen wurde, hat derselbe bis zu seinem Tode, fast ein halbes Jahrhundert hindurch angehört. Die Gunst des Schicksals, welche ihm durch den so frühen Eintritt in das ermländische Domstift zu Theil geworden ist, wird Jeder leicht ermessen, dem die Verhältnisse desselben bekannt sind.

Dort trat Coppernicus in mannigfache Berührung mit dem praktischen Leben. Es wurden ihm Aufgaben staatsmännischer Wirksamkeit gestellt, die ihn zwangen in der Beherrschung des Einzelnen geistige Kraft zu üben, und welche ihn andererseits wieder lehrten, grosse Gesichtspunkte aufzustellen und festzuhalten. Der nachfolgende Abschnitt versucht die Entwickelung des Frauenburger Kapitels bis zu der Zeit darzulegen, in welcher Coppernicus lebte. Der Text hebt in gedrängter Kürze nur das Hauptsächliche hervor. Dennoch hat der Abschnitt einen grössetn Umfang gewonnen, weil bei der vorherrschenden Unbekanntschaft mit den ermländischen Verhältnissen weitere, auf die Quellen gegründete, Ausftlhrungen stets hinzugefügt werden mussten.

  • Die Verhandlung vom 27. Juli 1501, durch welche dem Coppernicus

ein weiterer zweijähriger Urlaub zugebilligt wurde, soll in einem spätem Abschnitte abgedruckt werden. Der Kapitel^-Schluss vom Jahre 1498, in welchem der erste dreyährige Urlaub ertheilt ward, hat sich nicht erhalten.

I. 12

Zweiter Abschnitt.[recensere]

Das Bisthum und Domstift Ermland.


Bei der Entsendung des deutschen Ordens nach der Weichsel hatte Papst Gregor DC. seinem Legaten den Auftrag gegeben, das Preussenland in Diöcesen einzutheilen. Das Friedenswerk konnte jedoch erst mit Erfolg in Aussicht genommen werden, als die deutschen Ritter bis an das frische Haft vorgedrungen waren und die westliche Hälfte Preussens erobert hatten.* Die Anord

  • Die erste kirchliche Organisation Preussens war schon vor dem Eintritte des deutschen Ordens in Preussen unternommen worden, als eine

erfolgreiche Verbreitung des Christenthums durch den Cistercienser Mönch Christian aus dem Kloster Oliva begonnen hatte. Dieser war im Jahre 1215 zum Bischöfe von Preussen ernannt worden und hatte, obwohl bald darauf ein wilder Ansturm der UeideustÜmmo gegen die Verbreitung des Christenthums sich erhoben hatte, und die neuen christlichen Schöpfungen niedergetreten waren, im Jahre 12 IS vom Papste die Vollmacht erhalten, in seinem illusorischen Bisthume Kathedral-Kirchen zu gründen und den Diöcesen Bischöfe vorzusetzen. Diese Metropolitan -Stellung war ganz bedeutungslos; denn es gelang den von Deutschland aus aufgebotenen Krcuzhoeren ebensowenig als den pommerschen und polnischen Herzögen, die für das Christenthum gewonnenen Gebiete wieder zu erobern.

Eine völlige Umgestaltung erlitten die Verhältnisse in Preussen, als der deutsche Orden die ersten grösseren Erfolge errungen hatte. Die dem Bischöfe Christian ertheilten Vorrechte ignorirend nimmt Papst Gregor IX. im Jahre 1234 Preussen für den römischen Stuhl in Besitz und giebt es dem deutschen Orden als seinem Vasallen zu Lehen. Der rein kirchliche Gesichtspunkt, die bischöfliche Wirksamkeit in Preussßu frei zu entfalten, wird von der Kurie aufgegeben, und nunmehr die Ausbreitung der politischen Macht des apostolischen Stuhles erstrebt.

PREUSSENS DIÖCESAK-EINTHEILUNa. 179

nangen des apostolischen Legaten erhielten die päpstliche Bestätigung in einer an den Hochmeister gerichteten Bolle d. d. 8. Oktober 1243. Danach sollte Preossen in vier Sprengel zerfallen, in die Bisthtlmer Kulm, Pomesanien, Elrmland und Samland. Innerhalb der Diöcesan-Grenzen wurde zwischen dem Orden und dem Bischöfe über den weltlichen Besitz die Entscheidung dahin getroffen, „dass die Ordens-Brüder, welche des Tages Last und Hitze tragen, zwei Theile mit allen zeitlichen Einkünften erhalten und dem Bischöfe der dritte Theil ungeschmälert zufallen sollte“."^

Dieser veränderten Politik der Kurie fällt Bischof Christian zum Opfer. Der apostolische Legat Wilhelm von Modena unternimmt die kirchliche Eintheilung Preussens und entwirft die Grundzüge flir das YerhSltniss, in welchem der Orden und das Episkopat politisch und kirchlich in Preussen stehen sollen.

  • Die Urkunde, durch welche die Diöcesan-Theilung Preussens angeordnet wird, ist vom Hofe des Papstes Innocenz lY. zu Anagni 4. Juli 1243

datirt. Die Grenzen der vier preussischen Bisthümer werden in folgender Weise bestimmt:

„Primam dyocesim limitavimus de terra Colmensi, sicut circueunt tres floYÜ Wixla, Dravanza, et Ossa, ita quod in eadem dyocesi Lubovia includatur.

Secundam dyooosim limitavimus, sicut clauditur Ossa, Wixla et stagnum Drusine ascendendo per flumen Passaluc, ita quod insulae de Quidino et Santerü in eadem dyocesi habeantur.

Terciam quoque limitavimus, sicut claudit recens mare ab occidente, et flumen quod dicitur Pregora sive Lipza ab aquilone, et stagnum praedictum Drusnie a meridie ascendendo per praedictum Passalucense flumen et Seriam “ontra orientem usque ad terminos Letvinorum.

De non conversa autem terra, dyocesi iam dictae coniuncta, limitavimus quartam dyocesim, sicut claudit mare salsum ab occidente, et flumen Memele ab aquilone, et a meridie flumen Pregorae versus orientem usque ad terminos Letvinorum, ita quod praedicta flumina communia sint dyocesibus, quae ipsis fluminibus terminantur.

Nach der „limitatio“ der Diücesen folgt die „divisio terrarum et redituum“.

„Praeterea quia fratres praedioti totum pondus expensarum et praeliorum sustinent, et quia multis oportet eos infeudare terras, sie divisimns terras Prussiae, ut, sive unus fuerit episcopus, sive plures, fratres duas partes integre cum omni proventu habeant et episcopus sive episcopi terciam Integre cum omni iurisdictione et iure, salvis tarnen episcopo in duabus partibus fratrum illis omnibus, quae non possunt nisi per episcopos exerceri.“

12„

180 DAS BISTHUM ERMLAND.

Auf solcher Grandlage erhoben sich in Preassen neben dem Ordensstaate eine Zahl von geistlich^i Fürstenthümem. Den grössten Landbesitz erhielt das Bisthum Ermland.* Die Grenzen dieses Bischofstheils waren durch gütliche Uebereinknnft mit dem Orden festgesetzt; ** der erste Bischof von Ermland hatte ans

Die Bestimmimg über die Theilung des weltlichen Besitzes zwischen dem dentschen Orden und dem Episkopat war aas den Verhandlungen Übernommen, welche zwischen dem apostolischen Legaten und dem Bischöfe Christian stattgefunden hatten. Auch hier hatte Wilhehn von Modena entschieden, dass der Orden zwei Drittheile, und der Bischof ein Drittheil des Landes erhalten solle. „ . . . . Stabiliyimus inter eos, quod de terris tone acquisitis et in posterum acquirendis fratres, qui portant pondus diel et aestus, duas partes haberent com omni temporal! fmctu et Episcopns tertiam cum omni integritate haberet, sie tarnen quod in duabus partibus fratnuD illud ius haberet spirituale, quod non potest nisi per episcopum exerceri.“

  • „Ermland“, in alter Namensform „Warmien“, bezeichnet eine der

altpreussischen Volks- Landschaften, das Land der Warmier, welche vom Drausensee und dem Elbing längs des frischen Haff bis zum Pregel wohnten. Wie weit sich die engen Grenzen von Warmien landeinwärts erstreckten, ist nicht mit Sicherheit anzugeben; über die Alle gingen sie im Bilden nicht hinaus. Die Nachbar-Landschaften waren im Osten Natangen, im Sfiden Barten -Land, im Westen Pogesanien. Die alte Landschaft Warmien umfasste nur den nördlichen Theil des ermlSndischen Bisthums. Der Name derselben ging aber auf letzteres über, weil dort die ersten Kathedralen gegründet wurden.

In der Cirkumskriptions- Urkunde vom Jahre 1243 führt das an dritter Stelle genannte preussische Bisthum noch keinen besondem Namen, obgleich für die Volks-Landschaft am frischen Haff der Name bereits im Anfange des 13. Jahrhunderts schriftlich fixirt ist. In dem (um 1231 abgefassten) Reichs -Lagerbuche des dänischen Königs Waldemar Ü. erscheint „Ermelandia“ unter den altpreussischen Landschaften, welche er neben den andern südbaltischen Besitzungen noch als zu seinem Reiche gehörig ansah. Um dieselbe Zeit ist der Name Warmien urkundlich nachweisbar in einem Dokumente aus dem Jahre 1238. Als Bezeichnung der iHOceae wird Warmien zuerst in einer Urkunde des Jahres 1249 aufgeführt. Die Namensform Ermeland kommt in einer einheimischen Urkunde zuerst vor zum Jahre 1292. - Eine eingehende Untersuchung über die sprachliche Ableitung und das Vorkommen der Namen Ermeland und Warmien hat Bender in der ermländischen Zeitschrift I, 15-39 gegeben.

    • Die Theilung des Landbesitzes zwischen dem Orden und den eiuelnen Bischöfen in Preussen konnte nach der Bestimmung des apostolischen

Legaten in dreifacher Weise yor sich gehn: durch freies Uebereinkommen, durch Uebertragung des Theilnngs -Geschäfts an Schiedsrichter oder, wenn

DIE GRENZEN EBMLANDS. 181

den drei Gebieten, in welche bei der Onmdyeranlagung der grosse Diöcesan-Sprengel getheilt war, sich den mittleren Theil ausgewählt, weil derselbe gegen die Angriffe der Feinde im Osten und Norden am meisten gesichert war.

Der weltliche Besitz des ermländischen Bischofs umfasste einen Flächenraum von ca.. 80 Quadrat-Meilen, war also grösser als das Grossherzogthum Sachsen-Weimar."* In diesem Gebiete

auch diese sich nicht einigen konnten, in der Art, dass der Orden den Di5cesan-Sprengel in drei Gebiete zerlegte, von denen der Bischof sich einen Theil auswählen konnte.

Der Landestheil des ermländischen BisThorns wurde durch gfitliche Uebereinkunft zwischen dem Orden und dem ersten Bischöfe Anselm, welcher selbst Ordensbruder war, festgesetzt. „Ipsi fratres - sagt Bischof Anselm in der Urkunde vom 27. April 1251 - quorum est dividere, pro

tempore divisionem fecerunt concordavimus cum eisdem fratribns

de voluntate nostra eligentes et cum desiderio acceptantes unam partem terrae diocesis nostrae pro quadam tertia parte, quae ipsam diocesim contingere debeat.“

Die Grenzen des ermländischen Bischofs theils, welche in der erwähnten Urkunde vom Jahre 1251 nur im Allgemeinen bestimmt werden, sind specieller fixirt in einem zweiten Vertrags-Dokumente vom Jahre 1254. Die detaillirte Angabe dieser Grenz-Bestimmungen findet man in Yoigf s Preuss. Gesch. Ü, 488 ff. und Erml. Ztschft. I, 48-51 .

Die Grenzen des ermländischen D 10 cesan- Sprengeis vom 13. bis 16. Jahrhunderte sind näher angegeben in der Erml. Ztschft. I, 64 - 71 und U, 359 - 378. Ueber die Veränderungen, welche durch die Reformation herbd* geführt wurden, findet man gleichfalls Auskunft in dem ersterwähnten Aufsatze der Ermländischen Zeitschrift I, 71 ff. Indem die dem Orden gehörenden Theile der Diöcese von der Kirche abfielen, schrumpfte sie auf den bischöflichen Antheil zusammen. Da nun auch ihre preussischen SchwesterDiöcesen Pomesanien und Samland ihre Existenz verloren, so war Ermland ganz umgeben von akatholischen Landstrichen. In neuster Zeit ist die ermländische Diöcese durch Vereinbarungen der kirchlichen mit den Staatsbehörden erweitert, um dem Bedürfnisse der unter der protestantischen Bevölkerung zerstreut wohnenden Katholiken in den frühem Diöcesen Samland und Pomesanien zu genügen. Die geistliche Jurisdiktion des Bischofiei von Ermland erstreckt sich sonach gegenwärtig über einen weiten Baum (ca. 650 OM.) in den Begierungsbezirken Danzig, Gumbinnen, Königsberg und Marienwerder.

  • Die Grenzen des Bisthums Ermland , wie sie zuletzt im Jahre 1374

definitiv regulirt wurden, sind bis in die neuste Zeit dieselben geblieben;

182 DAS BISTHUH EBMLAND.

war der Bischof Landesherr, Land und Volk ihm nnterthan. Er that Lehen ans, bestimmte den Lehendienst, Zins und Steuern, übte die Gerichtsbarkeit, ertheilte Privilegien und handhabte die staatliche Ordnung, gleichwie die Ordensritter in ihrem Landestheile.*

sie fallen ziemlich genau zusammen mit den Grenzen der gegenwärtigen Landraths-Kreise Braunsberg, Rössel, Heilsberg und Allenstein.

Ermland ist nicht durch natürliche Grenzen eingeschlossen, nur die Passarge in ihrem obem und mittleren Laufe ist zur Grenze gemacht. Das rechtsseitige Gebiet dieses Flttsschens und das obere Gebiet der AUe bilden die Landstriche, welche als Bisthum Ermland in der Geschichte bezeichnet werden. Mehrere Höhenzüge, Theile des uralisch-baltischen Landrückens, geben dem Lande den Charakter eines ununterbrochenen, wellenförmig sich senkenden und hebenden Hügellandes. Nur die untere Passarge bietet das Bild einer kleinen Fluss-Ebene dar, während die übrigen Flüsse und Fliesse meistens schroff die Höhen durchschneiden.

Die Fruchtbarkeit der gesegneten Landstriche, welche Ermland umfasst, zog sehr früh Einwanderer aus Deutschland herbei. Die ersten Einwanderer kamen aus der Gegend von Lübeck und den westlicheren Gebieten yon Nieder-Deutschland, dann aber auch aus Ober-Deutschland. „Viel Leute erzählt der preussische Chronist Lucas David - sind aus Deutschen Landen willig hereinkommen, ynd hat sich ein Jeder gesetzt, da es Ime gelegen oder am besten behagte, als umb den Elbing und andere wässerige Orte, die aus Sachsen, Jülich und andern Ländern, der dann viel ins ermländische Bisthumb zogen .... Auch zum Theil ins Ermländische seindt viel aus Oberdeutschen Sprachen kommen und sich allda gesetzt , also dass auf ein Mahl aus Meissen, weil das Land der Zeit voller Volk gewesen, über 3000 Pauren seindt in Preussen ankommen.“

Die Kolonisation, welche sich Anfangs auf das nördliche Ermland beschränkte, dehnte sich seit dem Beginn des 14. Jahrhunderts auch auf das mittlere und südliche Ermland aus. Diese neuen Ansiedler scheinen zumeist aus Schlesien, namentlich aus der Umgegend von Breslau, gekommen zu sein.

So hat Ermland eine Misch-Bevölkerung erhalten ; noch heute sind dort auf kleinem Räume die verschiedenartigsten Dialekte des Mutterlandes erkennbar.

  • Die Territorial-Hoheit des Bischofs von Ermland gründete sich zunächst

auf die Cirkumskriptions-Urkunde vom Jahre 1243, in welcher dessen Rechte denen des Ordens ganz gleichgestellt werden. Dort heisst es: „Episcopns tertiam partem integre cum omni iurisdictione et iure habeat“, und das Theilungs-Dokument vom Jahre 1251 fügt noch zur nähern Erklärung hinzu: „sicut fratres üdem possident suas partes“.

Diese Territorial-Hoheit des Bischofs von Ermland, so ausgedehnt dieBelbe auch erscheint, wurde jedoch, ebenso wie die Hoheits- Rechte der

DIE STELLUNO ZUM DEUTSCHEN ORDEN. 183

Während die übrigen preussischen Bischöfe allmählich in Abhängigkeit von dem deutschen Orden geriethen,"^ bewahrte der


deatschen Fürsten dem Kaiser and Reiche gegenüber, beschränkt durch die höchste Landes- Obrigkeit in Preosseu, durch den deutschen Orden. Das Ordens-Oberhanpt, der Hochmeister, blieb doch immer der Landesherr.

Die Beweise für das Souverainetäts-Verhältniss des Ordens finden sich zunächst in der Gesetzgebung und Verwaltung des Landes ausgeprägt. Das Bisthum lehnte sich in dieser Beziehung vollständig an den Oberherm an. Die Kolonisation und Boden-Yertheilung erfolgte in Ermland nach denselben Grundsätzen, wie sie der Orden aufgestellt hatte. Die von dem Hochmeister erlassenen Gesetze und organischen Verordnungen hatten volle Geltung in Ermland; sie waren mit dem Bischöfe und Kapitel vorher vereinbart oder doch nachträglich von denselben für ihren Landestheil acceptirt. Man findet in den ermlSndischen Archiven keine Spuren einer eigenen Gesetzgebung der Bischöfe, sondern in den Landes-Willküren treten uns nur die bekannten organischen Verordnungen der Hochmeister entgegen. So bietet die handschriftlich älteste Urkunde dieser Art, welche in dem alten Privilegien-Buche Ermlands erhalten ist, nichts Anderes als die Landes-Ordnung Conrads von Jungingen von 1394 mit Beifügung der Renten -Ordnung des Hochmeisters Conrad Zöllner von Rothenstein. Die im nächsten Privilegien-Buche als „Aide Wilkore disser lande„ aufgeführten Artikel femer sind nur Excerpte aus der Landes-Ordnung des Michael Küchmeister von Stemberg von 1416. Ebenso besteht die Landes-Ordnung des Bischofs Nicolaus von Tüngen, welche als „Willkür des Bischthums Ermland“ überschrieben ist, nur aus den Landes-Ordnungen von 1417 und 1420.

Diese Anlehnung des Bisthums Ermland an den Orden und die freiwillige Anerkennung einer gewissen Oberherrlichkeit desselben zeigt sich auch in den Rekursen, welche man wiederholt in Rechtssachen an denselben nahm, und in der officiellen Geltung, welche den vom Orden ausgegangenen Gesetzesinterpretationen beigelegt wurde. So ist eine Entscheidung des Hochmeisters über Ins Culmense, haereditarium und Prutenicum vom Jahre 1406 in das ermländische Privilegienbuch eingetragen.

Diese Beziehungen zwischen Ermland und dem Orden hatten so starke Wurzeln geschlagen, dass sie selbst die politische Verbindung überdauerten. Wir finden noch immerfort während des 15. und 16. Jahrhunderts dergleichen Anfragen in Königsberg und gegenseitige Vereinbarung der Landesordnungen. So erscheint die „Summa privilegiorum Magdeburgicorum a Martine Truchsess de Wetzhausen“ vom Jahre 1487 unter den organischen Gesetzen Ermlands. Die Landes-Ordnung, welche der Hochmeister Friedrich von Sachsen im Anfange des 16. Jahrhunderts ausgehen liess, war mit dem Beirath des Bischof^ Lucas Watzelrode entworfen und auch für Ermland als gültig angenommen.

  • Das Streben des deutschen Ordens, welcher sich eine fürstliche Terri

184 DA8 BISTHUM EBICLAND.

Bischof von Ermland sich eine selbstständige Stellung; er stand der Landes-Herrschaft, dem deutschen Orden, gegenüber etwa in demselben Verhältnisse, wie die geistlichen Fürsten in Deutschland gegenüber dem Kaiser. Schon früh war diese Unabhängigkeit vom Orden dadurch begründet, dass den deutschen Ordensbrüdern der Eintritt in das Kapitel verschlossen blieb; mit Ans

torial-Herrschaft an der Ostsee begründen wollte, war früh darauf gerichtet, die Gewalten, welche sich neben ihm zu einem selbstständigen Leben entwickeln konnten, seinem Einflüsse zu unterwerfen. Deshalb sachte er vor Allem die Macht der Landes -Bischöfe zu beschränken und ganz in das Ordens-Interesse zu ziehen. Dies gelang ; denn die Kurie wandte dem Orden, als einer kirchlichen Stiftung, gern ihre Gunst zu. Nur der Bischof von Ermland und sein Kapitel leistete erfolgreichen Widerstand. Die übrigen Bisthttmer aber geriethen bald in vollständige Abhängigkeit vom Orden. Zunächst glückte es den Deutschrittem , die bischöflichen Stühle Preuasens mehrmals mit Ordensbrüdern zu besetzen ; da konnte es nicht schwer fallen durchzusetzen, dass nur Ordenspriester in das Kapitel gewählt würden„ oder dass die Gewählten als Brüder in den Orden eintraten.

Bei dem kulmischen Domkapitel - dem ältesten in Preussen - scheinen die Pläne des Ordens Anfangs Widerstand gefunden zu haben. Da Hess es der Orden an nachdrücklichen Mitteln nicht fehlen. „Denn wo die Domherrn - berichtet Lucas David - nicht Lren orden annemen weiten, fugte der orden dem bistumb allen Widerwillen zu, wolte auch Inen wenig oder nichts zu dem, was sie berechtigt waren, vorhelfen.“

Bei der Errichtung des pomesanischen Domstifts (1284) wurde von dem Bischöfe Albert, der selbst Ordensbruder war, sofort angeordnet, dass zu Mitgliedern des Kapitels nur Ordensbrüder gewählt werden dürften, die sich Jahre lang täglich für die Ehre Gottes dem Tode ausgesetzt hätten. „Sine dubio - so heisst es in der Stiftungs-Urkunde - utilitas nostrae dyocesis et fidei propagatio christianae per nullos sie poterat procurari sicut per viros religiosos religionis praedictae, qui quotidie non solum res, imo et Corpora, pro dei gloria mortis periculo exponere sunt parati opponentes se murum pro domo Israhel ascendentibus ex adverso. - Nach denselben Grundsätzen wurde auch das 1285 begründete Kapitel von Samland eingerichtet, die Stiftungsurkunde ist wörtlich gleichlautend mit der des pomesanischen Domstifts.

Der in solcher Weise statutarisch anerkannte Einfluss des Ordens auf die Landesbischöfe und die Domstifte in Preussen wurde ihm dauernd dadurch gewahrt, dass dem Orden das Yisitations-Recht zustand. So konnte er jede Wahl, auch die der Bischöfe, ganz nach seinem Wunsche lenken, jede Anordnung nach seinem Interesse gestalten.

DIE LANDES-HOHBTT DES BISCHOFS. 185

nähme des ersten Bischofs Anselm ist kein Ordens-Priester mit der ermländischen Mitra geschmückt worden."*

  • Der politiBche EinfluBB des BiBchofs von Ermland war ein ganz anderer,

als der der übrigen preuBBiBchen Bisthümer. Dieae waren nämlich entschieden Ordens-BiBthümer, yon Bischöfen und Kapiteln ans den vom Hochmeister unmittdhar abhängigen OrdenB-PriesterBtande regierte Landestheile, also fast unmittelbare Glieder des Ordensstaats. Ermland dagegen erhielt seine BischOfe und Eapitnlaren durch freie Wahl auB dem Weltpriesterstande.

Der Orden yersuchte allerdings mehrfach diese selbstständige Stellung Ermlands zu untergraben und auch die ermländische DiOcese seinem Interesse gänzlich unterzuordnen. Allein diese Versuche waren von keinem Erfolge begleitet. So sehr auch einzelne Bischöfe der Ordenssache zuneigten, licBsen sie doch die Freiheiten ihrer ELirche nicht verletzen. Als im Jahre 1448 sich der Hochmeister vom Papste das Becht zu verschaffen gewusst hatte, zwei Kanonikate und eben so viele Präbenden im ermländischen Domkapitel zu besetzen, leistete dieses, ebenso wie der Bischof, eifrigen Widerstand, obwohl letzterer ein inniger Freund des Ordens genannt wird („innatus domini magistri suique ordinis amicus“). Als der Hochmeister bei einer, kurz nach Erlass der päpstlichen Bulle, eingetretenen Erledigung von seinem Rechte Gebrauch machen wollte, besetzte das Kapitel eiligst das vakante Eanonikat und entsendete Abgeordnete nach Rom, um das ertheilte Privilegium widerrufen zu lassen. Bei der damaligen Gährung im Lande musste dem Hochmeister daran gelegen sein, einen so getreuen Freund, wie den ermländischen Bischof, sich geneigt zu erhalten. Er suchte deshalb die Sache friedlich beizulegen; er versprach, dass er zu den Domhermstellen nur solche Ordenspriester in Vorschlag bringen werde, welche des Bischofs Wünschen sicher entsprechen würden. Allein diese Vorstellungen blieben ohne Erfolg. Bischof und Elapitel beruhigten sich nicht eher, als bis das Privilegium dem Orden wiederum entzogen wurde; es geschah dies durch die Bulle d. d. Romae VH. Idus Augusti 1453.

Vereinzelt mögen Ordenspriester Eintritt in das Kapitel gefunden haben, aber sicherlich nicht wegen ihrer Zugehörigkeit zum Orden. Im Jahre 1371 finden wir urkundlich einen Ordensbruder als ermländischen Domherrn, allein dessen Nachfolger war wieder ein Weltgeistlicher.

Zu der Zeit als der Orden seiner Blüte entgegenging, im Anfange des 14. Jahrhunderts, wusste es der Hochmeister durchzusetzen, dass der ermländische Bischof einen Ordensbruder zum Bisthums-Vogt ernannte. In dieser Würde folgten über ein halbes Jahrhundert hindurch Vögte aus dem deutschen Orden bis 1375. Dann beginnt eine einheimische Reihe von Vögten bis 1415; zuletzt werden 'noch Ordens-Vögte in den Jahren 1436 und 1441 genannt. In diesen Bisthums -Vögten zeigte sich fast allein der Einfluss, den der Orden auf die innem Angelegenheiten in Ermland ausübte. Im Uebrigen scheute er sich, es zu offenem Zerwürfniss kommen zu lassen.

186 DAS BISTHUM EBMLAND.

Der Bischof von Ermland konnte trotz freiwilliger Anerkennung einer gewissen Oberherrliehkeit des Ordens als Mitfbrst in Preussen angesehen, die staatsrechtliche Stellung zu seinem Lande mit der des Hochmeisters in dem unmittelbaren OrdensGebiete recht wohl verglichen werden."^ Er erscheint diesem in mehrfacher Beziehimg koordinirt, ungeachtet der dem Orden obliegenden Schirmvogtei über die ermländische Kirche.'

•#

  • Das Hoheits-Recht des Bischofs von Ermland war, gleichwie die SouTerainetät seines Landesherrn, des Hochmeisters, den Staatsideen und Anschauungen des Mittelalters gemäss vielfach modifizirt und abgeschwücbt.

Der Papst, das universelle Haupt der christlichen Kirche, galt zugleich als Oberlehnsherr über Ermland , wie über das gesammte Ordens - Gebiet. Der Orden selbst beanspruchte femer die Oberherrlichkeit als Schinnvogt der ermländischen Kirche. Endlich nahm auch der Kaiser als Schirmvogt der gesammten christlichen Kirche eine oberste Schirmherrschaft über Ermland in Anspruch. Auf der andern Seite wurde wiederum die souveraine Gewalt des Bischofs durch sein Kapitel und andere Korporationen, wie durch die Allodial-Besitzer beschränkt.

  • '^ Die Territorial-Hoheit des Bischofs von Ermland wurde von Anbeginn

durch die Schirmvogtei des Ordens eingeengt. Diese Art Oberhoheit war bereits in der mehrfach erwähnten Cirkumskriptions-Urkunde vom Jahre 1243 ausgesprochen, wonach der Orden von dem Gebiete der ermländischen Dit^ cese zwei Drittel erhält „weil er die ganze Last des Krieges und die Kosten für die Landes -Vertheidigung zu tragen habe, auch viele Ländereien als Lehen austhun müsse“. Der Orden hatte für die Sicherung seines ganzen Landes, also auch des Bischofstheils , gegen die äussern Feinde zu sorgen; er war fUr die Kirche „Schild und Schirm der Vertheidigung“ („defensionis clipeus et tutela“ wird der Orden in der Theilungs- Urkunde des Bischofs Anselm vom Jahre 1255 genannt).

In dieser Stellung dos Ordens zum Bisthum lag klar eine gewisse Oberhoheit. Das Yerhältniss war im Einzelnen nicht näher bestimmt ; man wird jedoch nicht fehlgehn, wenn man dasselbe als ganz analog auffasst mit der Stellung des Schirmvogts (advocatus), wie er bei den geistlichen Besitzungen, bei den BisthUmern in Deutschland, von den Kaisem eingeführt war. Dieses Yerhältniss der Schirmvogtei des Ordens über Ermland, worauf gewisse wechselseitige Hechte und Pflichten beruhten, wurde im Allgemeinen festgehalten. Erst nach dem Aufhören der Ordensherrschaft wurde die Stellung des Bisthums Ermland dem neuen Landesherm gegenüber ungünstiger. Wiewohl der Künig von Polen den Verträgen gemäss nur Rechtsnachfolger des Ordens geworden war, trat an die Stelle der Schirmvogtei das LehensVerhältniss mit verschärfter Abhängigkeit ein.

DIE STELLUNG ZUM DEUTSCHEN REICHE. 187

Auch das Verhältniss des ermländischen Bischofs zum deutschen Reiche galt, wenigstens in der spätem Ordenszeit, als analog der Stellung des Hochmeisters, welcher zu den geistlichen Ständen des Beichs zählte. Oleich diesem wird der Bischof von Ermland von den Kaisern als ReichsfUrst angesehen."^ So nennt ihn Kaiser Karl lY. bei seiner Bestätigung der Rechte Ermlands im Jahre 1357 „princeps et devotns noster dilectns“, und denselben Titel ertheilt trotz der gänzlich veränderten Verhältnisse Kaiser Maximilian I. dem Bischof Lucas Watzelrode in einem Schreiben d. d. 10, Juli 1492.** - Eine Folge der engeren An*

  • Die Zugehörigkeit Ermlands zum deutschen Reiche leiteten die spätem Kaiser aus der Schenkung des Preussenlandes an Hermann von Salza

her. Kaiser Friedrich Ü. war hierbei von dem Gnmdgedanken ausgegangen, dass des Kaisers Macht, als des Erben des römischen Weltreichs, die gaoie Erde umfasse. Er nennt deshalb den Herzog Konrad yon Masovien geradezu einen Mannen des Reichs und gewährt dem Orden die volle Landeshoheit über Preussen, das ebenfalls zu seiner Monarchie gehöre.

Dieselbe Anschauung des frtthem Mittelalters legte Kaiser Karl IV. zu Grunde, als er in einer “goldenen Bulle“ d. d. 25. August 1357 dem Bischöfe Johann von Ermland und seinen Nachfolgern alle Privilegien, welche in Bezug auf die Rechte, Besitzungen , Lehen , höhere und niedere Gerichtsbarkeit, landesherrliche Rechte u. s. w. der ermländischen Kirche von ihm und den römischen Kaisem und Königen, seinen Vorgängern, verliehen worden wären. Kaiser Karl nennt ihn in dieser Urkunde „Ftlrst und seinen geliebten Vasallen“. („Pro parte Venerabilis Joannis Varmiensis episcopi principis et devoti nostri dilecti“.) In einer andern Urkunde von demselben Tage bestätigt er als Kaiser, der nach göttlicher Anordnung berufen sei, der Schirmherr der Kirchen zu sein („commodis ecclesiarum praeesse“), die frühem päpstlichen Bullen über die Landestheilung und den dem Bischöfe zugefallenen Besitz („iura temporalia tanquam principis imperü . . . .“).

  • "* Wie die Hochmeister, haben auch die Bischöfe von Ermland die

Fürstentitel, welche ihnen der Kaiser und andere weltliche Fürsten beilege' ten, während des ganzen Mittelalters nicht von sich selbst gebraucht. Es sind merkwürdigerweise erst ermländische Bischöfe polnischer Nationalität, welche seit der Mitte des 17. Jahrhunderts sich den Titel: „des heiligen Römischen Reiches Fürst“ beilegen. Es ist hier also ähnlich geschehen, wie bei den Fürst-Bischöfen Deutschlands. Der Bischof von Münster z.B. nannte sich gleichfalls erst seit der Mitte des 17. Jahrhunderts „Sacri Romani Imperü Princeps“, während die Kaiser ihm schon seit dem 13. Jahrhunderte den Titel „Princeps et devotus dilectns“ beilegen.

ISS DAS BIOTHUM EBXLAyD.

lehnong Ermlands an Deatschland war aach die Annahme der deutschen Konkordate.*

Die Beziehungen des Bisthnms Ermland hatten snr Zeit des Coppernicos eine wesentliche Aendemng erfahren, da durch den Thorner Frieden das Band zerrissen war, welches das Lindohen mit dem deutschen Ordensstaate yerknüpft hatte. Ermlands bisherige Selbstständigkeit blieb zwar bestehen, es entging dem Schicksale, der einen der beiden streitenden Mächte einrerleibt au werden, wie es mit den andern preussischen Bisthttmem geschah. Aber die Hoheits-Rechte, welche der Hochmeister bisher besessen hatte, gingen auf den König von Polen über.'

  • H„
  • Die Unterstellung Ermlands unter die deutsehen Konkordate erfolgte

um die Mitte des 15. Jahrhunderts gleich nach ihrer BestStigong durch den Papst. Aus der Annahme dieser Konkordate bewies das Domkapitel noch im Jahre 1724 die Zugehörigkeit Ermlands zu Deutschland, um die durch dieselben garantirte Freiheit der Bischofs-Wahl zu wahren. Es geschah dies durch eine eigene Denkschrift, welche unter dem Titel: „Jura Bey. Capituli Yarmiensis circa electionem Episcopi“ zu Rom gedruckt ist. Unter Beifügung von Urkunden und Belegen aus geographischen und historischen Schriftstellern wird darin ausgeführt, dass Preussen immer als Theil dea deutschen Reiches angesehen sei. Die Zeugnisse mehrerer ermländischer Bischöfe polnischer Nationalität, Cromer, Szyszkowski, Wydzga, Zahiski werden vorgeführt, um zu beweisen, dass deutsch die Muttersprache der Bewohner Ermlands sei, dass sie ausser der Sprache mit den übrigen deutschen Stämmen Sitten und Gesetze gemeinsam hätten, dass die Alumnen aus Ermland in dem Collegium Germanicum Aufnahme fanden, in welches nur deutsche Jünglinge aufgenommen würden u. a. m.

    • In dem Kriege des preussischen Bundes gegen den deutschen Orden

war der Bischof Ton Ermland nach manchen Schwankungen schliesslich (im Jahre 1460) der Weisung des Papstes gefolgt, sich ganz neutral zu halten. Die von beiden krieg^hrenden Parteien anerkannte Neutralität konnte jedoch nicht lange behauptet werden. Von den Polen bedrängt unterwirft sich der Bischof dem Könige Kasimir, wird in den Bund der preussischen Stände aufgenommen und tritt im Anfange des letzten Kriegsjahres als offener Feind des Ordens auf, da er, wie der Chronist sagt „yermerkete, das der Creutzherren Sachen begunten sehr abzunemen, hat er sich neher als zuTom KU dem Königlichen teil verbunden“.

Der Bischof von Ermland steht in dem Friedens -Instrumente, durch welches 1466 zu Thorn der dreizehnjährige Krieg beschlossen wurde, ausdrücklich unter den paciscirenden Parteien aufgeführt: „ inter Nos

DIE STELLUNO ZU POLEN*. 189

Die Stellung des ermländischen Bisthums zu dem neuen Schirmherm wurde bald eine unfreundliche. Zunächst trat der

Casimirum Regem Poloniae, Magnum Dncem Lituaniae, RoBsiae PruBsiaeque Dominum et Illnatres PriDcipes Masoviae, ac Reverendum Patrem Dominum Episcopum et Ecclesiam atque Capitulum eiusdem Varmiense . ... In derselben Weise wird, wie im Eingange, so noch an andern Stellen der Urkunde „Episcopus, Episcopatus ac Capitulum Varmiense“ unter den „adiutores, adhaerentes et subditi nostri“ (des Königs yon Polen) namentlich aufgeführt, während der übrigen preussischen Bischöfe nur insoweit gedacht wird, als ihre Oebiete bei dem Orden verbleiben oder dem Könige Ton Polen überwiesen werden.

lieber die künftige Stellung des Bisthums Ermland ist auch ein besonderer Artikel in der Friedens-Urkunde enthalten. Derselbe lautet: „Item concordavimus, quod Varmiensis ecclesia et eins pontifex pro tempore cum suo Venerabili Capitulo Varmiensi ex nunc et de caetero cum omnibus suis

castris, civitatibus, oppidis et munitionibus cum omnibus districti bus, Nobilibus et Vasallis .... in Nostra et Successorum Nostrorum Regum et Regni Poloniae ditione, subiectione et protectione consistent et Dominus Magister, sni successores commendatores et ordo eius ditioni, subiectioni expresse renuntiant, et omne ius, quod ipsis in praedicta Ecclesia, Episcopatu et Capitulo Varmiensi quomodolibet hactenus competebat, in Nos Casimirum Regem, Successores Nostros Reges et Regnum Poloniae plenarie transfundant, et transfundere teneantur.“ Nach dem 2. Thorner Frieden zerfiel das bisherige Ordens -Oebiet in drei Theile, deren politische Stellung zu dem gemeinsamen Oberherm, dem Könige von Polen, eine verschiedene war.

Das „Königliche“ Preussen (Westpreussen) trat in die relativ stärkste Abhängigkeit zu Polen. Wenngleich auch dieses Land seine besondern Landtage, Gesetze und Gerichte beibehielt, und alle Würden und Aemter nur mit Eingebomen besetzt werden sollten, so ernannte doch der König von Polen die Woiwoden, Kastellane, Kämmerer und die übrigen hohem Beamten.

In der lockersten Beziehung zu Polen stand der freilich sehr verkleinerte Ordensstaat, dessen Hochmeister den Lehnseid, zu dem sie durch den Thorner Frieden verpflichtet waren, bei jeder Neuwahl weigerten und nur gezwungen leisteten.

Eine Mittelstellung nahm das vom Ordens-Gebiete umschlossene Ermland ein, dessen Fürst dem polnischen Könige gleichfalls durch den Lehnseid verbunden war. Es behielt nicht nur, wie die übrigen Landschaften Preussens, welche unter der polnischen Krone vereinigt waren, eigene Gesetze und Rechte, sondem es bewahrte sich auch in Hinsicht der Verwaltung eine selbstständigere Stellung. Das Bisthum hatte nicht königlich

190 DA3 BISTHUM ERMLAND.

Oegensatz der Nationalität trennend ein.* Es lag im Interesse des Königs von Polen, das deutsche Element aus der einflussreichen Stellung, welche der Bischof und das Kapitel Yon Ermland einnahmen, zu verdrängen.'^'^ Dies konnte aber kaum geschehen, wenn der bisherige Wahlmodus beibehalten wurde, wonach der

polnische, Bondern fUrstbischöfliche Beamte, die Person des Bischofs allein vermittelte den Zusammenhang mit Polen.

  • Ermland war, gleichwie das übrige Preussen, durch EinzOgünge aus

Deutschland kolonisirt worden. Daneben blieb ein kleiner Bruchtheil der alteinheimischen, preussischen Bevölkerung. Von Bewohnern, die der polnischen Nationalität angehört hätten, finden sich während der deutschen Periode nur vereinzelte Spuren. In den Synodal - Statuten und andern Urkunden aus den ersten Jahrhunderten ist stets nur von Preussen neben den Deutschen die Rede, niemals von Polen.

Erst als Ermland unter die Oberhoheit des Königs von Polen gekommen war, begann die theilweise Polonisirung. Der schwere dreizehnjährige Krieg hatte besonders die südlichen Gegenden Ermlands verödet; die hier gebliebene schwache preussische Landbevölkerung, hinter der polnischen Kultur meist noch zurückstehend, verlor ihre Nationalität an die einziehenden polnischen Kolonisten, welche herbeikamen, angelockt durch die neuen politischen Beziehungen ihres Vaterlandes zu Ermland. Auch polnische Edelleute setzten sich allmählich durch Kauf und Verleihung in den Besitz verödeter Güter. Raschere Fortschritte machte die Polonisirung, als seit der Mitte des 10. Jahrhunderts die Reihe der Bischöfe polnischer Nationalität begann. Schon nach wenigen Menschenaltem waren die südlichen Landestheile , die Bezirke von Allenstein, Wartenburg und Bischofsburg zahlreich mit Bewohnern polnischer Nationalität besetzt. Der grösste Theil Ermlands, die hegenden, wo vorherrschend. Deutsche sassen, wo die preussische Bevölkerung fast ganz vernichtet war, sind stets ganz deutsch geblieben.

    • Die Verdrängung des deutschen Elementes aus dem ermländischen

Domstifte konnte nur erst allmählich geschehen, da demselben das Kooptations-Recht zustand. Länger als ein Jahrhundert wehrte das Kapitel den Eintritt von Nicht-Preussen ab. Vereinzelt nur gelangton Domherrn in das Kollegium durch den Einfluss der polnischen Könige, als ihnen durch die Kurie zeitweise das Recht gegeben war, zwei Kanonikate zu besetzen. Mehr glückten die polnischen Pläne, seit Leo X. der Krone das dauernd behaltene Vorrecht verliehen hatte, die Dompropstei zu besetzen, deren Träger, als Vorsitzender des Kapitels, einen grossen Einfluss auf die Wahlen hatte. Im Jahre 1519 hatte zum ersten Male ein Pole diese Würde inne. Aber immer noch widerstrebte eine starke deutsche Partei. Erst im Jahre 1551 wurde ein National-Pole Stanislaus Hosius zum Bischöfe gewählt. Von nun an aber folgten bis zum Aufhören der politischen Selbstständigkeit Ermlands nur Landesherren polnischer Nationalität.

DAS VEBHÄLTNISS ZUM KÖNIGLICHEN PBEUSSEN. 191

Bischof durch freie Wahl yom Kapitel eingesetzt ward. Ueberdies hatte der König in den polnischen Bisthttmem das NominationsRecht, er sachte dasselbe anch sofort in Ermland einzuführen."^ Die schweren Immgen, welche sich an diese Forderung des Königs anschlössen, fanden erst zur Zeit des Coppernicus ihren Abschlnss.

Die Beziehungen Ermlands zu dem übrigen Preussen blieben ebenso lose, wie sie zur Ordenszeit gewesen; es stand selbstständig als geschlossenes FUrstenthum neben den andern preussischen Landschaften, welche unmittelbar unter der polnischen Krone vereinigt waren.** Die Gesetze und Landes-Ordnungen, wie

  • Der Verlauf der Streitigkeiten, welche zwischen dem KOnige Kasimir

von Polen und dem ermländischen Bischöfe ein Decennium nach dem 2. Thorner Frieden entbrannten, ist oben S. 165 dargelegt worden. Als Bischof Nicolaus im Jahre 1479 im Kriege unterlegen war, musste er die Gnade des KOnigs nachsuchen, welcher ihm einen sehr ungünstigen Vertrag in Betreff der Bischofswahlen aufnöthigte. Er musste sich im Namen seines Kapitels der Verpflichtung unterziehn, bei Erledigung des Bischofstuhls nur eine dem Könige angenehme Person zu wählen. „Praeterea submittimus et praesentibus obligamus nos et successores nostros cum capitulo ecclesiae nostrae Varmiensis, quod in futuris electionibus pro tempore existentibus sive postulationibus Episcoporum dictae ecclesiae Varmiensis capitulares eidem Regiae Maiestati et eius successoribus personam gratam eligere tenebuntur.“

Der Unterwerfungs-Urkunde des Bischofs Nicolaus wurde die päpstliche Genehmigung versagt, weil dieselbe „contra libertates ecclesiasticas“ stritt. Es begannen daher Verhandlungen über eine neue Vereinbarung zwischen dem Könige Kasimir und dem Kapitel. Bei derselben ist Lucas Watzelrode, der Oheim von Coppernicus, direkt betheiligt gewesen; über den Fortgang bez. Abschluss der Streitfrage wird an anderer Stelle zu berichten sein.

    • Die abgeschlossene Stellung Ermlands zeigte sich nach dem 2. Thorner Frieden auch darin, dass sie mit den im königlichen Preussen eingerichteten Ständen keine Beziehung hatten. Selbst später als der ermländische

Bischof zu dem preussischen Landesrathe hinzutrat, behielt Ermland seine besondem Landstände, welche aus dem Adel, den Städten und den Kölmern gewählt unter dem Vorsitze des Bischofs tagten. Ihre Zustimmung war zu den Kriegssteuem , wie jedem andern Beschlüsse des preussischen LandesRaths erforderlich.

Im Uebrigen wurde die grössere Unabhängigkeit Ermlands von der Krone Polen sehr bald alterirt, seitdem der König durch den Vertrag mit Bischof Nicolaus von Tüngen einen grossem Einfluss auf die Bischofswahl erhalten

192 DAS BISTHUH ERMLAND.

sie yerschiedene Hochmeistjßr für das ganze Ordensgebiet. erlassen hatten, blieben in YoUer Gültigkeit. Im Uebrigen yermittelte nur die Person des Bischofs die Beziehungen zu dfim westlichen Preussen. Dieser nahm aber hier eine sehr hervorragende Stellnng ein, wie sie ihm seinem Machtverhältnisse nach zukam. Der ermländische Bischof übte einen grossen Einfluss auf die Geschieke des Gesammtlandes, seitdem er - es geschah dies ziur Zeit yon Coppernicus - das Präsidium auf den preussischeaJLuidtagen übernommen hatte.*

hatte und der BisthumBYOgt aus den unmittelbaren Vasallen des Königs genommen werden musste.

  • Nach der 1766 erfolgten Verbindung Westpreussens mit Polen wurde

ein engerer preussischer Landes -Ausschuss eingesetzt, zu denen Anfangs der Gubemator, die vier Woiwoden, zwei Starosten und noch zwei Mitglieder aus der Ritterschaft erwählt wurden. Zu diesen „Landes^'iUthen“ trat eine gleiche Zahl Abgeordnete der Städte Kulm, Thorn, Elbing, Braunsberg, Königsberg und Danzig.

In den ersten Jahren wurde der Bischof von Ermland , obgleich er bereits in der Ordenszeit zum preussischen Landes-Rathe gehört hatte, yon den neu eingerichteten Land-Ständen nicht hinzugezogen. Dieselben hatten die Prälaten überhaupt ausgeschlossen, weil der Klerus sich während des ISjäürigen Krieges fast durchweg dem Orden geneigt gezeigt hatte. Erst "1482 erschien Bischof Nicolaus auf der Tagfahrt zu Elbing ; sein Nachfolger Lucas Watzelrode erhielt bald einen tiberwiegenden Einfluss unter den L'andeeRäthen.

Das Präsidium der preussischen Land-Stände hatte zuerst der königliche Statthalter geführt. Nach Aufhebung dieser Würde wurde es dem kalmischen Woiwoden übertragen. Neben diesem nimmt jedoch früh der Bischof von Ermland eine hervorragende Stellung ein. Dauernd scheint ihm das Präsidium erst im Anfange des 16. Jahrhunderts übertragen zu sein. Das Prädikat „Praeses Terrarum Prussiao“ nahmen die ermländischen Biscl^Ofe deshalb später in ihren Titel auf. '- Der Bischof Martin Cromer (f 1589) fasst in seiner „Descriptio Episcopatüs Varmiensis“ die politischen Rechte und Befugnisse des Bischofs von Ermland mit folgenden Worten zusammen: „In senatu Prussico principem locum Varmiensis Episcopus obtinet et praerogativam eins convocandi, proponendi in consultationem quae opus sunt, diem dicendi reis quibusvis in conventu iudicandis et concludendi promulgan^ dique constitutiones publicas atque decreta.

DAS DOMSTIFT ZU FRAUKNBUB6. 193

Der erste regierende Bischof Ermländs, der Deutsch-Ordenspriester Anselmns, dachte gleich bei der kirchlichen Einrichtung des Sprengeis daran, sich seinen Senat zu schaffen. Er fundirte im Jahre 1260 das Domkapitel, welches bei der Kathedrale seinen bleibenden Sitz erhalten sollte;* vier Jahre später verlieh er dieser Erektion in seiner Eigenschaft als päpstlicher Legat die höhere Bestätigung und erforderliche Rechtskraft.

NaChTdem Plane des Stifters sollte Ermland Preussens vorzüglichste Diöcese sein und deshalb ein starkes Kapitel haben.*"^ Er beschränkte die Zahl jedoch später selbst auf 16 Kanonikate mit 5 Prälaturen.*** Das Kapitel erhielt das Recht sich durch

  • Bischof Anselm hatte die ermländische Mutterkirche Anfangs in Braunsberg errichtet, woselbst er 1251 seinen Sitz genommen. Die neue Schöpfung

hatte jedoch durch einen grossen Aufstand der Preussen im Jahre 1261 ihren Untergang gefunden. Als Braunsberg von den Feinden bedrängt wurde, flohen die wenigen Domherrn, welche damals bereits ernannt waren, mit dem Bischöfe nach Elbing. Anselnäs Nachfolger, Heinrich Fleming, verlegte das Kapitel an einen weiter westwärts von Lübecker EinzOglingen besetzten Hügel hart am frischen Haff und errichtete dort Ermlands Kathedrale.

Erauenburg ist fortan der Sitz des Domstifts und der Kathedrale Ermlands geblieben.

    • Nach dem ursprünglichen Plane des Fundators sollte das Kapitel 24

Kanonikate zählen; bei den damals noch sehr geringen Mitteln der Kirche wurde es jedoch auf lö beschränkt.

Um dieuMitte des 14. Jahrhunderts waren den 16 ursprünglichen Kanonikaten noch vier sog. mittlere und vier kleinere Präbenden hinzugefügt, diese wurden aber durch eine päpstliche Bulle im Jahre 1426 wieder aufgehoben.

  • ^* Die fünf Prälaten, welche Anselm's Urkunde erwähnt, waren der

Propst, Dechant, Kantor, Scholastikus und Kustos. Die Pflichten ihrer Würde werden im Allgemeinen schon durch ihre Namen bezeichnet.

Wie bei den meisten Hochstiften stand- der Dompropst (praepositus) an der Spitze des Kapitels, folgte im Range zunächst nach dem Bischöfe, leitete die Verhandlungen und vertrat das Kapitel nach aussen. Der Dechant (deoanus) führte die Aufsicht über die Geistlichen in der Domkirche und .(^atte den Kultus in derselben zu ordnen. Der Kustos hatte den Schatz, die Gewänder und sämmtlichen Schmuck der Kirche in Verwahrung; er besorgte alle zum kirchlichen Dienste erforderlichen G^enstände und verwaltete die Einkünfte der Sakristei. Der Kantor hatte den Gesang im Chore zu leiten. Der Scholastikus stand der Domschule vor und hatte die Leitung über das gesammte Unterrichtswesen. Die Würde des Scholastikus I. 13

194 DAS DOMSTIPT ZU FRAÜBKBCRG.

Kooptation selbst zu ergänzen;"^ ebenso ward ihm das Recht zugesichert, bei eingetretener Sedisvakanz den neuen Oberhirten frei zu wählen.** Durch Anselm's Nachfolger, den Bischof Heinrich Fleming, wurde Frauenburg Sitz des Domstifts und der Kathedrale.

Zur Dotation des Kapitels waren bei dessen Stiftung liegende Gründe angewiesen, welche ein Drittheil des bischöflichen Gebiets umfassen sollten.*** Genauer bestimmt wurden die Grenzen der

iKt sehr bald eingegangen; urkundlich sind nur zwei ermländische Schohistiker nachzuweisen (im Jahre 1297 und in den Jahren 1308 - 1317).

Die Prälaten gingen im Range, selbst wenn sie nur Kleriker niederer Weihen waren, den übrigen Domherrn vor. Sie besassen an sich keine Präbenden, es konnten auch ausserhalb des Kapitels stehende Gleistliche zur Prälatur beförde^ werden. Sie durften dann aber nicht im Kapitel erscheinen oder ihre Stimme abgeben. Sie erhielten Stimm- bez. Wahlrecht erst, sobald sie ein Kanonikat inne hatten. Bis dahin bezogen sie nur gewisse jährliche Einkünfte: der Propst 40, der Dechant 28, der Kustos 20, der Elantor 16 Mark.

  • Die betr. Worte der Erektions- Urkunde lauten: .... „quasdam

terras .... pro sexdecim praebendis in ecclesia matrice habendis conferimus, quatenus ad easdem sexdecim recipiantur canonici, qui in divinis officüs in ipsa ecclesia perpetuo famulentur. Ins vero eligendi in dieta ecclesia Praepositum. Decanum, Cantorem, Scholasticum, Custodem et Canonicos Nobis et Successoribus nostris una cum Capitulo retinemus.„

Nach diesen Bestimmungen wurden die erledigten Prälaturen und Kanonikate zwei Jahrhunderte hindurch von Bischof und Kapitel gemeinschaftlich besetzt (dem Bischöfe stand nur eine Stimme zu, wenngleich die erste). Durch den Beitritt Ermlands zu den deutschen Konkordaten im Jahre 1447 wurde auch für dieses Bisthum die „alternatio mensium“ eingeführt: der apostolische Stuhl erhielt das Recht, alle in Rom und dessen Umgegend, so wie die in den ungeraden Monaten erledigten Kanonikate zu besetzen. Es war jedoch üblich , dass die Kurie auf ihr Recht zumeist verzichtete ; so wurde dem neuerwählten Bischöfe das Recht zugestanden„ die Kanonikate, welche in den ungeraden Monaten zur Erledigung kamen, selbstständig zu besetzen.

    • Die Stiftungs-Urkunde sagt : „Sane Episcopum eligendi seu postulandi

Canonici dictae Ecclesiae liberam facultatem habeant“.

      • Dem Domkapitel hatte Bischof Anseimus bei dessen Stiftung im

Jahre 1260 „quasdam terras cum decimis suis, iurisdictione et alüs utilitatibus“ und zwar „nomine et loco tertiae partis totius episcopatus“ überwiesen.

DER LANDBESITZ DES DOMSTIFTS. 195

dem Domkapitel nrsprttnglich überwiesenen Ländereien dnreh schiedsrichterlichen Sprach im Jahre 1288."^ Dazn kam im Jahre 1348 bei einer weiteren Theilung zwischen Bischof und Kapitel ein Drittheil der früher noch nnbebauten Gegenden im südlichen Theile des Bisthums.*"^ Danach nmfasste der Landbesitz des

  • lieber die Begprenzung der dem Kapitel bei dessen Fundation überwiesenen Ländereien hatte Bischof Anselm eine besondere Urkunde ausgestellt, welche indess schon früh verloren ging. Als Anselm's Nachfolger

Heinrich Fleming ohne Genehmigung des Domkapitels über Besitzungen in dem Gebiete desselben Verschreibungen ausstellte, kam es zu Streitigkeiten, welche im Herbste 1288 durch Schiedsrichter ausgeglichen wurden.

Die Grenzen der dem Domkapitel damals überwiesenen Ländereien lassen sich nach den, am Ende des 14. Jahrhunderts gefertigten, Handfesten-Büchem sicher bestimmen ; man findet die nähern Angaben in d. Monum. bist. Warm. ÜI, p. 57 ff. Danach erhielt das Domkapitel drei von einander getrennte Bezirke: 1) die terra Wewa auf dem rechten Ufer derPassarge, das spätere, Kammeramt Mehlsack; 2) den dritten Theil der Ländereien zwischen den Flüssen Narz und Baude, das spätere Kammeramt Frauenburg, es sind dies die Ländereien auf dem linken Baude- Ufer > welche das Domkapitel noch heute bewirthschaftet ; 3} 60 Hufen zwischen Braunsberg und dem Felde Welowe auf dem linken Ufer der Passarge. Sie bildeten die bona capituli Sawers; ein Theil derselben war zu Vorwerken für die einzelnen Domherrn eingerichtet. Diese „allodia in Czawem wurden jedoch schon im Anfange des 15. Jahrhunderts verkauft, sie bilden jetzt das Dorf Zagem.

    • Bei den ersten Landes -Theilungen zwischen Bischof und Kapitel

waren nur diejenigen Gegenden berücksichtigt, in welchen sich damals schon Kolonisten niedergelassen hatten, während die unbebauten Landstriche noch ausser Acht blieben. Daher findet man auch nach der zweiten Theilung in der Gegend der jetzigen Städte Allenstein, Wartenburg, Rössel noch „bona communia episcopi et capituli“, von denen der Zins unter Bischof und Kapitel vertheilt wurde, und deren Verschreibungen theils der Bischof und das Kapitel allein, theils beide gemeinschaftlich ausstellten. Erst mit dem Jahre 1348 hört diese Gemeinschaft auf und die Verschreibungen des Domkapitels beschränken sich auf das Allensteiner Gebiet, die des Bischofs auf die übrigen Theile. Es muss sonach um die Mitte des 14. Jahrhunderts eine neue Theilung vorgenommen sein. Die Urkunde darüber ist verloren; allein es erhellt sicher, dass damals der südwestliche Theil des Bistbums, das spätere Kammeramt Allenstein, dem Domkapitel überwiesen wurde. Ausser dem unmittelbaren Territorial -Besitze hatte das Kapitel auch noch Liegenschaften in dem Bischofs -Theile. Einzelne Dörfer und Güter waren der Kathedrale testamentarisch vermacht, und dem Kapitel wurde die Verwaltung dieser Stiftungen übergeben. Andere Besitzungen aber waren von dem Kjipitel als Eigenthum angekauft worden.

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196 DAS DOMSTIFT ZU FBAUENBUBO.

Domkapitels seit der Mitte des 14. Jahrhunderts drei getrennt von einander liegende Bezirke, die Kammer- Aemter Franenburg, Mehlsack und Allenstein.

In diesem Gebiete von ca. 20 Quadrat -Meilen besass das Kapitel im Wesentlichen dieselben landesherrlichen Rechte, wie sie der Rischof in seinem unmittelbaren KUrstenthume ausübte.* Wie letzterer den Orden als Oberherm anerkannte, so stand allerdings auch dem Bischöfe in dem kapitularischen Landestheile eine gewisse Oberhoheit zu. Allein dieselbe war kaum wahrnehmbar und wurde balancirt durch die Stellung, welche nach den kanonischen Gesetzen das Kapitel neben dem Bischöfe einnahm, der an den Beirath und die Zustimmung des Kapitels in vielen wichtigen Angelegenheiten gebunden war.^* So musste u. a. bei Errichtung von neuen Landea-Ordnungen und Gesetzen das Kapitel ausdrücklich seine Zustimmung ertheilen.*** Selbst

• Schon durch eine Urkunde von 12S8 wurde die Territorial-Herrschaft des Kapitels festgestellt. Es erhielt seinen Landbesitz „mit vollem Rechte“. Alle Güter und Besitzungen seines Antheils soll es innc haben mit denselben Rechten, Freiheiten, Nutzniessungen und der Territorial-Üoheit, wie sie der Bischof besitzt/ Fischfang und Jagd soll das Kai)itel mit dem Bischöfe im ganzen Lande gemeinschaftlich haben. „ . . . . Loco tertiae partis totius Episcopatus ex autiqua donatione eis debitao terram Wewa .... Canonici possideaut et teneant eisdem iuribus, libertatibus . usibus. dominio, qüibus

dominus Episcopus teuet et possidet suam partem piscationes et

venationes in totius ecclesiae Warmiensis districtibus eis, sicut domino Episcopo sunt liberae et communes.

    • Bei allen wichtigen Vermögens -Angelegenheiten des Bisthums war

nach den Bestimmungen des kammischen Rechts der Bischof an die Zustimmung des Kapitels gewiesen. Wir finden letztere darum regelmässig bei Verleihungen zu Lehen von Seiten des Bischofs ausdrücklich hinzugefügt. Das Kapitel dagegen konnte, weil es eben eine Torritorial-Korporation für sich bildete, in seinen Bezirken selbstständig ohne den Bischof kolonisiren.

^♦* Alle Edikte und Verordnungen, welche das ganze Ermland betrafen, wurden vom Bischöfe und dem Kanzler des Kapitels unterzeichnet; sie wurden jederzeit im Namen des Bischofs und Kapitels erlassen, und die Titulatur des letzteren „>Wir Prälaten, Domherrn und sämmtliches Kapitel der Kathedral- Kirche von Ermland“ jederzeit dem bischöflichen Titel hinzugefügt. Es war dies ein Ausfluss der vom Bischöfe in Vereinigung mit dem Kapitel ausgeübten Gresammt-Souverainetät.

DIE HOHEITS-RECHTE. 197

yerständlioh galten diese dann ftlr das ganze geistliche Fürstenthum, also auch für die Kapitular- Besitzungen. Ueberhanpt lehnte sich ungeachtet seiner Territorial -Hoheit das Kapitel in Allem, was die obersten Grundsätze der Verwaltung und Rechtspflege, wie die Vertheidigung betraf, ganz an den Bischof an.* Die Hoheits-Rechte des Kapitels waren, was ihren Umfang betrifft, ganz dieselben, wie sie ähnliche Territorial-Herrschaften besassen. Das Kapitel war der höchste Herr über Grund und Boden ; ^^ ihm steht (mit dem Bischöfe) die allgemeine und (selbstständig) die Special -Gesetzgebung zu,*** femer die Verwaltung, die Rechtspflege, t die Besteuerung, die Anstellung bez. Bestätigung der von den Städten gewählten Beamten, ff das Patronat über

  • Die Verwaltungs-Nonnen waren im kapitularischen Landestheile gans

konform denen im Bischofs-Theile ; dies bezeugen die Verschreibungen und Gründungs-Privilegien, in welchen z. B. die Verpflichtungen wegen Kriegsdienst und Burgbau vollständig übereinstimmend auferlegt werden. Ebenso erscheinen die beiderseitigen Stände gemeinsam auf den ermländischen Tagfahrten.

    • Gegen bestimmte Leistungen und Verpflichtungen vergiebt das Kapitel einzelne Theile des Landes; es setzte nicht nur die Bauern in seinem

Gebiete ein, sondern verlieh, ebenso wie der Bischof, auch die grosseren Güter nach den bestehenden Rechten, dem Kulmer-Magdeburgischen, Preussischen, oder dem Feudal-Rechte.

  • ♦♦ Die Special -Gesetzgebung („Willkür*), welche dem Kapitel zustand,

verstattete es den Städten nur mit ausdrücklicher Zustimmung des Vogtes. Ebenso wurde ein anderes Reservat -Recht der Territorial -Herrschaft, die Ausübung des sog. Strassen-Gerichts, nur in besondem Fällen an Städte, wie an einzelne Grundh^rren verliehen.

f Das Kapitel hatte, wie der Bischof, einen eigenen Vogt, welcher im Namen seiner Auftraggeber die oberste Gerichtsbarkeit ausübte. Dooh war, wie von dem Bischöfe, auch Seitens des Kapitels die Jurisdiktion vielfach an die Kolonisten verliehen, die höhere sowohl wie die niedere, die iudicia maiora („ad manum et Collum“, „grose gericht, das da get an Hals und Hant“) und die minora („die minneren Gerichte“).

In Civilsachen entschied das Kapitel in letzter Instanz; die zweite Instanz bildete der Canonicus administrator, welcher über das Amt gesetzt war.

•H- Während der Bischof, wenn er einen Landvogt oder Burggrafen ernannte, jedesmal dem Kapitel davon Anzeige machte, da joner dem Bischöfe und Kapitel schwüren musste - so setzte letzteres, gleichwie es selbstständig kolonisirte, auch die Beamten ein, ohne den Bischof zu befragen. Das

198 DAS DOltSTIFT ZU PRAUENBURG.

die Pfarreien, das Fischerei- und Jagd-Recht/ Bei dieser MachtfttUe, die das Kapitel besass, und den reichen Besitzungen, deren Ertrag unmittelbar unter die Mitglieder vertheilt wurde, '*^ waren die Einkünfte des einzelnen Domherrn sehr bedeutend.***

ELapitel bildete eben nicht nur das eine Glied der Gresammt- Landeshoheit, sondern war zugleich eine Territorial-Korporation mit selbstständigeren Befugnissen.

Die ältesten Kapitel-Beamten finden wir urkundlich bereits zu der Zeit, als die Landestheilung zwischen Bischof und Kapitel vollzogen wurde : den „procurator“, welcher mit der Nutzbarmachung und Verwaltung des neuen Territoriums betraut ward und den Vogt, „advocatus“ oder „iudex“, welcher seit dem Anfange des 14. Jahrhunderts seinen ständigen Sitz in Mehlsaolc hatte. Neben diesen beiden höchsten Beamten erscheinen früh ein Notar, Dolmetsch und Feldmesser, deren das Kapitel flir die Kolonisation und den Verkehr mit den Eingeborenen benöthigt war. Bei den entwickelteren Kultur-Verhältnissen kam zu diesen Beamten noch eine Reihe anderer, unter denen die Burggrafen und die Magistrate in den Städten des Kapitels die vornehmsten waren.

  • Das ermländische Domkapitel war sonach im Besitze aller HoheitsRechte, wie sie ähnliche Territorial-Korporationen besassen. Nur das MünzRecht dürfte man vennissen, welches manche Kapitel Deutschlands in beschränktem Umfange erhielten. Von diesem kann jedoch hier kaum die

Rede sein, weil nicht einmal der Bischof von seinem ihm urkundlich zustehenden Rechte schwerlich jemals Gebrauch gemacht hat.

^* Der Bischof Cromer berichtet in seinem Werke de episcopatu Varmiensi fol. vüi über die Vertheilung der Einkünfte unter die Stiftsherrn: .... Ex Omnibus capituli bonis emolumenta quotannis ad basilicam comportantur .... praelatis et canonicis praebendae sive corpora earum anni versaria certa ratione distribuuntur canonicis aequaliter residentibus

sexagenae marcae communes, quod est integrum corpus; non residentibus vero dimidia eins, nempe tricenae marcae, etiamsi non sint in sacris ordinibus . . . neque enim habent canonici distinctas et inaequales praebendas sive, ut vocant, fundos. Reliqua vero pecunia . . . inter residentes pro portione diligentiae in cultu divino certo anni tempore dividitur

Distribuuntur praeterea certis annis temporibus siligo, avena, foenum, pisces, pulli gallorum, ligna, asser es et alia eiusmodi ad sustinendam rem familiärem pertinentia.

      • Neben den Natural -Gefallen, welche am Schlüsse der vorstehenden

Anmerkung erwähnt werden, und die, wie Cromer sich ausdrückt, zur Vertheilung kamen, um das Hauswesen der einzelnen Kanoniker zu unterhalten, beliefen sich die Einkünfte eines Stiftsherrn zur Zeit des Coppernicus nach sachkundiger Schätzung auf etwa 9000 Reichs- Mark nach heutigem Geldwerthe. Vgl. Hipler Kopernikus und Luther S. 24, Anm. 47.

DIE RBCHTB DER DOKHEBRN. 199

Wenn man den Bischöfen Ermlands eine fürstliche Stellung beilegt, wie sie dieselben in Wahrheit besassen, dann sind - ebenso mit vollem Rechte - die Verhältnisse, in denen die Domherrn lebten, als reich edelmännische zu bezeichnen.* Jeder ermländische Stiftsherr war statutarisch verpflichtet, mindestens zwei Diener und drei Pferde zu halten; *"" über sein Hausgesinde, wie über die ihm zugewiesenen Dienstleute, hatte er die volle Gerichtsbarkeit;***

  • Wie sehr die im 15. und 16. Jahrhunderte überall eingetretene Entwöhnung vom Dienste der Kirche auch im ermländischen Hochstifte stattgefunden hatte, ergeben einzelne Bestimmungen der Statuten, in denen ausdrücklich die Kürzung bez. Entziehung der Einkünfte angeordnet wird,

wenn die Stiftsherm ans unzureichenden Gründen sich von der Kathedrale entfernen und im Lande umherfahren. Hierdurch werde ganz besonders so heben die Statuten mit Nachdruck hervor - das Ansehn der geistlichen Herren in den Augen der Laien geschädigt. „Item, ut Canonici ab illi" citis evagationibus refrenentur, ex quibus plerumque laicis datur occasio eisdem detrahendi, Statuimus, quod Canonicus residens, qui se ultra XXX dies continuos ab ecclesia duxerit absentandum, tarn panum et cerevisiae quam aliarum rerum distribucione carebit, quousque denuo visus fuerit in divinis, nisi super ulteriori tempore a capitulo licentia petita fuerit diutius abessendi.“

Dass unter den ermlUndischen Stiftsherm zur Zeit des Coppernicus die Verweltlichung mehr und mehr um sich gegriffen hatte , ersieht man auch daraus, dass das Waffentragen unter ihnen üblich gewesen ist. Die mehrerwähnten Statuten des Bischofs Nicolaus von Tüngen halten es fUr nOthig, das ausdrückliche Verbot auszusprechen, dass kein Kapitular bewaffnet zu den Sitzungen erscheine („quod nullus Canonicus arma quaecunque ad capitnium deferat“).

    • Die Bestimmung über die Pferde enthalten die Artikel 60 und 62 der

Statuten. „Item quia rationi consonat, eos onera aequalia recusare non de" bere, qui rerum commoda aeqnaliter amplectuntnr , proinde oapitulariter statuimus, quod qnilibet Canonicorum, cum ad plenariam avenae et foeni percepcionem pervenerit, pro opportunitatibus deinceps tres equos proprios ad minus habere teneatur, quorum cuiuslibet valor secundum communem existimationem marcas 7 bonae monetae perficiat. Alioqutn praedictorum foeni et avenae distribucione carebit, quousque huic Statute pacienter paruerit“.

Zu Reisen, welche im Auftrage des Kapitels unternommen wurden, hatte der Domherr nur die Verpflichtung, zwei Pferde von seinem Gespann zu stellen; drei andere mussten ihm aus dem Gremium des Stifts dazu gegeben werden, falls ihm nicht eine grössere Zahl zugebilligt wurde.

    • "* § 39 der Statuten besagt: . . . Praeterea quilibet Officialis..

200 DAS DOMSTIFT ZU FBAUENBUB6.

ausser der Wohnung auf dem Domberge (der „curiaa) besass jeder Kapitular noch ein Vorwerk („allodiuma) in der Nähe der Kathedrale.*

Die Pflichten der ermländischen Stifksherm waren dieselben, wie an den andern Kapiteln.** Sie mussten bei der Kathedrale anwesend sein (“Residenz halten“]*** und die gottesdienst

cui pro executione officü sui aliqui de subditis Capituli deputantur, pro tempore deputationis huiusmodi super negligencüs et excessibus animadvertere poterit in eosdem. Porro cuilibet Canonico in curia Canonicali et Allodio suis iurisdictio salva consistat. Non tarnen volumus sie ad praedictos iuriedictionem pertinere, ut eam a capitulo penitus abdictemus, <iuininimo Capitulum ipsum praemissis non obstantibus per viam appellationis a subditis ipsius universis et singuüs libere poterit adiri.“

  • Ueber die Kurien und Allodien der Domherrn giebt Crom er de episcopatu Varm. fol. 8 einige Erläuterungen: „Sunt etiam pecularia praedia

(allodia vulgo vocantur) non procul a basilica, quae cum vacaverinti singula singuüs Canonicis petentibus secundum Senium, hoc est pro eo ac prior quisque canonicatum adeptus est, sive sit in sacro ordine, sive non, absenti iuxta ac praesenti (dum modo intra praestitutum tempus per procuratorem petat et intra praetcritum biennium vel semel basilicam viserit) a Capitulo gratis conferuntur.

Domus autem et curiae empticiae sunt. Sed ad eundem modum, ut allodia, a Capitulo conferuntur. Precium secundum aestimationem Capituli priori possessori vel haeredibus oius iuterpolatis pensionibus exsolvitur.“

Einige nähere Bestimmungen über die Besitznahme der Kurien und •Allodien, wie sie zur Zeit von Coppernicus bestanden, enthalten die Statuten des Bischofs Nikolaus von Tüugen vf l-*89) ; sie werden in einem spätem Abschnitte beizubringen sein.

    • Die Statuten, in denen der Kreis der Verpflichtungen bestimmt war,

welche dem Domherrn oblagen, pflegten alljährlich im Kapitel vorgelesen zu werden, damit sich Niemand mit Unwissenheit entschuldigen könne.

Auch in den Statuten des ermländischen Ilochstifts sind die Pflichten vorangestellt, denen sich der Kapitular zu unterziehen hatte. „Sanctorum patrum tradit autoritas, quod beneficium datur propter officium“.

♦♦* Die Verpflichtung bei der Kathedrale „Residenz zu haiton“ wurde durch alle Kapitels- Statuten eingeschärft. Jeder Stiftsherr, welcher nicht anwesend war, sollte nach dem Gesetze alle oder einen grossen Theil seiner Einnahmen verlieren. Es galt durchweg der Spruch: „Non residentes Canonici non percipientes.“

Allein bei der Erschlaffung des kirchlichen I^bens wurden sehr bald alle nur irgend möglichen Gründe zur Urlaubs -Ertheilung für zulässig er

DIE PFLICHTEN DER DOMHERRN. 201

liehen Handlungen an derselben yerriehten; sie hatten tägliche Morgen- und Abend-Andachten einzuhalten (die sog. „horas canonicas“] und die Seelenmessen zu lesen. "^ Ausser diesen Andacht„Uebungen hatte der Domherr nur die Verpflichtung, als des Bischofs Beirath zu fungiren, die Hitzungen des Kapitels wahrachtet; als „residirend“ pflegte Bchon angesehen zu werden, wer ein halbes Jahr hindurch bei der Kathedrale anwesend geblieben war. Und auch diese Beschränkung wurde nicht einmal eingehalten. Die Erlaubniss zur Abwesenheit wurde zur Zeit des Coppernicus mitunter in unbeschränktem Masse ertheilt. So hat, um nur ein Beispiel anzuführen, der Dompropst Benedict Solpha während der langen Zeit, dass er ein ermländisches Kanonikat inne hatte und den nominellen Vorsitz im Kapitel führte (1530- 15()4) gar nicht zu Frauenburg Residenz gehalten.

Die zu jeuer Zeit so sehr häufige Kumulation von Domherrn-Pfrüuden machte die ständige Residenz an einem Orte ohnehin unmöglich. Solpha war Domherr zu Frauenburg, Wilna und Breslau, hielt sich aber bei keiner dieser Kathedralen auf, sondern lebte zu Krakau am Hofe des polnischen Königs, dessen Leibarzt er war. Selbst Stanislaus Hosius, dieser eifrige Regenerator streng kirchlichen Lebens, war königlicher Sekretär, daneben Domherr zu Krakau, Sandomir, Frauenburg, und ausserdem noch Pfarrer zu Golombie und Randlow.

  • Wie an andern Stiftskirchen, hatte man auch in Fraueuburg sog.

Diptychen, aus einem über vivorum und mortuorum bestehend, d. i. Verzeichnisse derer, die sich um die Kathedrale verdient gemacht hatten. Der die Messe celebrirende Priester bedurfte dieser Verzeichnisse, um an geeigneten Tagen beim Memento der Messe fUr die Einzelnen besondere Gebete zu verrichten.

Wenn auf diese Weise das Andenken der Wohlthäter jährlich erneuert wurde, so zogen es Andere vor, an dem Jahrestage ihres Todes („dies annivcrsarius“) zu ihrem Gedächtnisse eine eigene kirchliche Feier zu stiften; gewöhnlich waren es Requial-Messen, denen sich mitunter noch eine Vigilie, der Kondukt oder das Absingen bestimmter Psalmen anschloss. Diese kirchlichen Feierlichkeiten nannte man anniversarü und die Verzeichnisse, in welchen die Namen der Wohlthäter und ihrer Gedächtniss-Tage zusammengetragen waren, hiessen libri anniversariorum (vier solcher Verzeichnisse, bis zum Ende des 16. Jahrhunderts reichend, haben sich in Frauenburg erhalten).

FUr die Feier der anniversarü galten feste kirchliche Bestimmungen; auf das Schlussgebet folgten sofort die Distributionen an die Anwesenden. Bei den grossem Anniversarien mussten alle Domherrn zugegen sein. Wer von ihnen zu spät kam, oder wer zu früh wegging, wurde als abwesend betrachtet und von den Distributionen ausgeschlossen.

202 DAS DOMSTIFT ZU FRAUENBURG.

zunehmen und all den Geschäften obzuliegen , welche ihm flir die geistliche und weltliche Verwaltung der Diöcese vom Bischöfe oder dem Kapitel aufgetragen wurden.*

Das Recht, in das ermländisehe Hochstift aufgenommen zu werden, war, wie bei allen andern Stiften des 15. und 16. Jahrderts, an keine bestimmten Vorbedingungen geknüpft. Eine besondere theologische Vorbildung war ebensowenig erforderlich, als der Durchgang durch ein niederes kirchliches Amt. Die Domherm-Pfrttnden wurden lediglich als Versorgungs-Stellen ftlr bevorrechtete Kreise betrachtet.** Um religiöse Interessen, um den

^ Den KreiB der amtlichen Verpflichtungen der Domherrn h„t Cromer 1. 1. fol. VÜ mit kurzen Worten klar angegeben:

„Collegium Canonicorum, quod Capitulum vulgo vocatur, est consilium eplBCopi, cuBtodes inriB epiBCopalis, protectores ecclcBiae et subditorum eins et in basilica adminlBtri sacrorum cultusque divini. Quem partim univerBi administrant, partim aliquot Bimul, partim Binguli per oertaB vices hebdomadarias. Tum demum autem Canonici fiunt capitulares, quando Bunt in saeris ordinibuB, hoc e^t presbyteri, diaconi, vel subdiaconi, et cooptati in oolleginm mensem unam circa basilicam in cultu divino exegerint.

Convenit Collegium sive Capitulum e praescripto Btatuti quolibet menae Bemel. Extra ordinem vero, quoties opus CBt, convocatum a praesidente.“

BiB zum Ende dcB 14. Jahrhunderts pflegte das Domkapitel jährlich nur vier regelmässige Sitzungen zu halten („capitula generalia“): an den vier Tagen der Anniversarien flir den Dompropst Heinrich von Sonnenberg am 22. Januar, 7. Mai, 18. August und 3. November. Als diese zur Erledigung der laufenden Geschäfte nicht mehr ausreichten, bestimmte das Domkapitel im Jahre 1391 diese General -Kapitel auf den Tag nach der Anni verBari en- Feier; ausserdem aber sollten noch in den acht übrigen Monaten ordentliche Sftiungen anberaumt werden („capitula ordinariaa).

In besonders dringenden Fällen traten die Domherrn auch nach andern Anniversarien zu einer Sitzung zusammen, welche Capitulum extraordinarüim genannt wurde.

    • Den Kirohengesetzen zuwider, welche nur Wtlrdigkeit der Perwm

verlangten, wurden bekanntlich in einzelnen Stiften Beschränkungen in Betreff der Aufnahme durch Statut oder Herkommen eingeführt. So gab es in Deutschland Stifte, welche die Forderung von 16 Ahnen stellten; ia Polen pflegten nur vier Nicht-Adelige zugelassen zu werden.

Im ermländischen Domstifte prävalirte, wie schon mehrfach hervorgehoben ist, das grosBStädtische Patriciat zu der Zeit, als ihm Coppernicu„ angehörte. Eine Aenderung trat erst in der 2. Hälfte des 15. Jahrhunderts ein, seitdem polnische Bischtffe die Kathedra bestiegen hatten.

DIE VORBEDINGUNGEN ZUM EINTRITT. 203

Dienst des Altars hatte sich der Stiftsherr nur zu kümmern, wenn er sich innerlich dazu getrieben fühlte. Zumeist wurden von ihnen nur die Rechte betont, welche der „canonicus in floribusa als Theilhaber am Kirchen-6ut und Kirchen-Regiment besass (locus in capitulo, stallus in choro, praebenda). In Kämpfen ftlr ihre äussere Stellung, namentlich auch dem Bischöfe gegenüber/ ging das geistige Leben der Domherrn häufig auf; der kanonischen Pflichten wurde überall nur selten gedacht. Die kirchlichen Interessen traten so sehr zurück, dass die meisten Stiftsherm sich nicht einmal das Subdiakonat ertheilen liessen, wie es die Synodal-Gesetze forderten. Im 15. und 16. Jahrhunderte hat die überwiegende Mehrzahl der ermländischen Domherrn die priesterliche Ordination nicht empfangen; ja es gab Zeiten, - und es waren gerade die Jahre, in denen Coppernicus dem Kapitel angehörte - in welchen kaum ein Presbyter dem Dienste am Altare vorstehen konnte.**

"^ Gleichwie die Kurfürsten die Macüt des Kaisers durch die WahlKapitulationen zu beschränken wussten, so pflegte man auch zu Frauenburg vor der jedesmaligen Bischofswahl einige Artikel über die Verwaltung der Diöcese und das Verhältniss des Bischofs zum Kapitel aufzusetzen, welche jeder Domherr, falls ihn die Wahl treffen sollte, zu halten beschwor.

Das Notariats-Instrument über die articuli iurati, welche vor der Wahl des Johannes Dantiscus 1537 vorgelegt wurden, bei denen Coppernicus unmittelbar betheiligt gewesen ist, wird noch im Kapitular-Archiv zu Frauenburg aufbewahrt. Vgl. Ztschft. f. G. u. A. Erml. I, 321 u. 331.

    • So richtet u. a. der Bischof Mauritius im Jahre 1531 an sein Kapitel

die Mahnung, den Kultus in der Kathedrale nicht verkümmern zu lassen. Es sei gegenwärtig nur ein Priester im Kapitel, welcher dem vollen Dienste am Altare vorstehen kOnne „„quod solum unum valentem presbyterum .... habeant“; die Kapitularen möchten sich daher bereit halten bis zu den nächsten Ostern die htfhern Weihen zu empfangen, widrigenfalls sie ihre Beneficien verlieren würden. Hipler, Kopernikus und Luther S. 28. - Ob der Bischof seinen Zweck in dem gewünschten Umfange erreicht hat, ist fraglich. Jene erste Mahnung wenigstens war dazu nicht ausreichend, er musste den Termin zunächst bis zum Herbste hinausschieben.

Aehnliche Verhältnisse, wie damals in Frauenburg, finden wir in allen Hochstiften jener Zeit. Man zögerte sich die Priesterweihe ertheilen zu lassen, weil mit derselben ein character indelebilis aufgeprägt ward, und

204 DAS D0MSTIPT ZU FRAUENBÜRG.

Der geringe Kreis der Pflichten, welche der Stiftsherr auf sich nahm, und die glänzende äussere Lebens-Stellung bewirkten, dass bei Erledigung eines ermländischen Kanonikats stets eine grosse Zahl von Bewerbern auftrat. Und es unterliegt keinem Zweifel, dass auch der Eintritt des Coppernicus in das Hochstift zu Frauenburg durch diese äussern Momente wesentlich bestimmt ist; kirchliche Interessen oder eine besondere Neigung zu beschaulichem Leben waren bei dem Jünglinge nicht hervorgetreten.

Allein doch noch andere Erwägungen haben neben jenen äussern Gründen bei Coppernicus mitgewirkt, seinen Eintritt in das Frauenburger Stift wünschenswerth erscheinen zu lassen. Wenn zu jener Zeit nicht wenige unter den Humanisten die niedem Weihen auf sich nahmen, um sich für ein Kirchen-Amt geeignet

der Kreis der Pflichten dadurch sehr erweitert wurde. Auch die Domherrn, welche zu einer Prälatur aufstiegen, pflegten keineswegs die priesterliche Ordination nachzusuchen. Selbst diejenigen, welche auf die Bischofs-Würde aspirirten, begnügten sich zumeist mit der untersten der drei höhern Weihen, mit dem Subdiakouat. So war der Zeitgenosse des Coppernicus Fabian von Lossainen nur Subdiakon, als er zur ermländischen Kathedra emporgehoben ward. Auch Johannes Dantiscus war nur Diakon, als er Bischof von Kuhn wurde. (Dass letzterer demohngeachtet schon seit 1513 die Pfarrei zu Golombie bei Krakau und seit 1523 das oberste Pfarramt in Danzig inne hatte, darf uns nicht Wunder nehmen. Mit der Uebernahme von Pfarreien waren zwar auch in der Zeit der Verweltlichung dos Klerus noch zumeist kirchliche Pflichten verknüpft; allein man konnte diesen durch Einsetzung von Vikaren genügen.)

Eine Aenderung in dieser laxen Auffassung der Pflichten trat erst mit den Zeiten des Tridentiner Koncils ein. Dennoch mussten auch jetzt materielle Reizmittel angewandt worden, um den strengeren Forderungen der Kirche gerecht zu werden. Cromer 1. 1. fol. vüi führt eine Konstitution seines Vorgängers Stanislaus Hosius an, wonach die bisher gloichmässig erfolgte Vertheilung der Pfründen-Gelder abgeschafft wurde. Es wurde jetzt das Geld nach drei Abstufungen vertheilt. Die Presbyter erhielten den höchsten Satz, der Diakon nur die Hälfte dieses Satzes, die Subdiakonen den dritten Theil. Cromer selbst hatte gemäss den Bestimmungen des Tridentiner Koncils eine tägliche Vertheilung der baaren Gefälle des Kapitels eingeführt. An derselben nahmen überdies nur diejenigen Kapitularen Theil, welche bei der Messe und wenigstens zwei „horis canonicis“ in der Käthe* drale anwesend waren.

DIE PFLEGE DER STUDIEN. 205

zumachen, so wurden sie von der Hoffnung geleitet, es würde ihnen die Pfründe neben dem ausreichenden Lebens -Unterhalte die erwünschte Müsse für ihre Studien gewähren. Coppernicus und sein Oheim wussten, dass ein Frauenburger Kanonikat ernsteren Studien und wissenschaftlichen Plänen kein Hindernis„ entgegenstellen werde.

Das ermländische Hochstift hatte sich früh durch die Pflege höherer Bildung ausgezeichnet. Schon im 13. Jahrhunderte finden wir Graduirte unter den Mitgliedern des ermländischen Kapitels, welche den italischen Universitäten ihre akademische Würde verdankten; ' auch die Universität Paris war von Einzelnen aufgesucht worden.** Wenn seit dem Ausgange des 14. Jahrhunderts die Ermländer der neugegründeten Prager Hochschule vielfach den Vorzug gegeben haben,*** so pflegten sie hier, wie auf den

  • Uipler uennt in der ormländischen Litcratur-Gcschicbte S. t7 als graduirte Kanoniker aus dem 13. Jahrhunderte: M. Arnoldus physicus (1280),

M. Ambrosius (1287), M. Jordanus (1287), M. Joannes Komanus (1287), M. Henricus (1287), M. Jordanus Ü (1308),

Dem 14. Jahrhunderte gehören an: M. Tilo (1324), M. Wessel Dr. decretorum (1330), M. Martinus von Czindal (1345), M. Hermann vom Hofe (1345,, M. Laurentius (134G), M. Michael Fischau, Licentiat dos kanonischen Rechts (13(„4), Theodoricus de Dumerow (1370), M. Albertus de Prussia (1372), M. Günther von Rogitten (1374), Johannes von Essen, baccalaureus iur. utr. (1379), M. Gotfridus Bedeke (1393), M. Johannes Helge (1394), Dr. med. Bartholomaeus von Boruschow (1395), M. Lyphardus de Datteln (1397), M. Nicolaus Melsag (1400), Dr. theol. Johannes Hubener (1412).

Ausser den Kanonikern fUhrt Hipler 1. 1. noch eine Reihe von ermländischen Klerikern an, welche im 13. und 14. Jahrhunderte einen akademischen Grad erworben haben.

Von den ermländischen Bischüfen des 14. Jahrhunderts sind Graduirte gewesen: Hermannus de Praga Dr. decretorum, Heinrich Soerbom von Elbing, Dr. Henricus Heilsberg de Vogelsang (1391;, M. Johannes Abezier (1411;, M. Franz Kuh^chmalz (1412^.

^* So war u. a. Michael Fischau, der am 2o. Nov. 13G4 Mitglied des ermländischen Kapitels geworden, im Jahre 13(;5 Studien-Rektor der Pariser Universität. Fischau war 1372-87 Domdechant, starb als Dompropst 1388.

      • Zwischen Preussen und Böhmen waren schon seit dem Kreuzzuge

des Königs Ottokar Verbindungen angeknüpft, welche noch lebhafter wurden, seitdem Hermann von Prag den bischöflichen Stulil in Ermlaud bestiegen

206 DAS DOMSTIPT ZU FRAUENBURO.

Übrigen deutschen Universitäten/ doch nur die Artisten-Fakultät zu absolviren, um dann, mit der Würde eines Magisters der freien

hatte. Welch eine Anziehungskraft die neugestiftete Prager UniYersität besasB, zeigen die Matrikel der philosophischen und juristischen Fakultäten. Wie aus Preussen überhaupt, sind dort auch viele Studirende aus dem Ermlande inskribirt und graduirt, die später einflussreiche Stellungen in der Heimat einnahmen. In den Jahren 1369 - 1409 finden wir in dem Album der Artisten-Fakultät unter 220 preussischen Baccalaureen, Licentiaten und Magistern etwa 30 Ermländer. In dem Album der seit 1372 gesondert bestehenden Universitas canonistarum studü Pragensis sind während der 40 Jahre von 1372 - 1413 unter 130 preussischen Studirenden beinahe fünfzig ans dem Fürstenthum Ermland verzeichnet.

Auf der Universität zu Prag studirten u. a. drei nachmalige erjnländische Bischöfe: Heinrich (ÜI) Sorbom, Heinrich IV Heilsberg von Vogelsang (1382-1386], Johannes Abezier (1393 - 1401), die Domherrn Johannes und Heinrich Sorbom (1396) und die Neffen des Bischofs Heinrich ÜI. - Der Domkantor Johannes von Essen (1372 - 1416) ist im Jahre 1379 als Baccalaureus der Rechte und Magister in artibus in das Album der Juristen -Fakultät eingetragen (er war zu Montpellier zum magister artium promovirt). Im Jahre 1402 wurde Friedrich von Salendorf, der bereits Domherr von Breslau und Ermland war, als Baccalaureus des kanonischen Rechts bei der juristischen Fakultät in Prag intitulirt.

Näheres findet man auch über die vorstehend berührten Verhältnisse in Hipler's Erml. Litt.- Gesch., wie in der Abhandlung über Johannes Marienwerder, Erml. Ztschft. ÜI, 172-182 und 201-207.

  • Von den deutschen Universitäten hat Leipzig eine grosse Anziehungskraft auf die Ermländer ausgeübt. Unter 40 Preussen, welche 1409 aus

Prag ausgewandert waren, befanden sich 12 Ermländer. Bis zum Jahre 1536 (in c. 125 Jahren) sind etwa 250 Studirende aus Ermland in Leipzig immatrikulirt , unter ihnen der nachmalige Bischof Tiedemann Giese. Bei der grossen Zahl der preussischen Scholaren, welche gegen Ende des 15. Jahrhunderts in Leipzig studirten, ging man deshalb mit der Absicht um, dort eine preussische Bursa zu gründen , zu welcher ein ermländi scher Domherr Thornas Werner in seinem Testamente eine Geldsumme ausgesetzt hatte.

Auf den kleineren Landes-Universi täten, welche in Deutschland während des 14. Jahrhunderts gegründet waren, finden sich nur vereinzelt ermländische Scholaren. Auch die später in Norddeutschland errichteten Universitäten, obgleich zum Theil näher gelegen, konnten weniger preussische Studirende anlocken, da die dauernd unterhaltene Verbindung mit Leipzig die Mehrzahl stets dorthin führte.

Neben den deutschen Universitäten hat natürlich Krakau einen grossen Einfluss auf die Bildung des ermländischen Klerus ausgeübt. In der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts führt die Krakauer Matrikel c. 180 Studirende aus Ermland auf.

DIE PFLEGE DER STUDIEN. 207

Künste geschmttckt , nach Italien zu ziehn und dort die höhern akademischen Grade zu erwerben."^

Um die Zeit, als Coppernicus in das ermländische Hochstifl eintrat, war die Sitte, dass die Domherrn sich eine höhere Bil* düng als der niedere Klerus zu erwerben suchten,** bereits in die Form eines bindenden Statuts übergegangen. Die durch den Vorgänger des Oheims von Coppernicus, durch Nicolaus von Tüngen, publicirten Kapitular- Statuten bestimmen, dass jeder neu eintretende Domherr, wenn er sich in der Theologie, der Medicin, dem bürgerlichen oder geistlichen Hechte noch keinen aka*demischen Grad erworben hätte, gehalten sei, nach einjährigem

  • Ueber die Alpen pilgerten die Ermländer, wie alle nordischen Studir enden, um auf der klassischen Schule der Juristen in Bologna die berühmten Glossatoren zu hören. Aber auch Padua wurde früh besucht; 1360

finden wir dort den Domherrn Petrus Martini, der vier Jahre kanonisches Recht studirt hat. In Perugia scheint der oben erwähnte Domherr Michael Fischau studirt zu haben, bevor er nach Paris ging. Auch in Bom„ wo sich am Ende des 15. Jahrhunderts 31 Legisten und Dekretisten befanden, konnten die Mitglieder des ermländischen Kapitels, von denen sich oftmals mehrere gleichzeitig dort befanden, das vorgeschriebene akademische Triennium absolviren.

Dass die meisten ermländischen Kanoniker, welche im 14. und 15. Jahrhunderte einen akademischen Grad erworben haben, auf italischen Universitäten promovirt sind, darf man auch daraus folgern, dass sich ihre Namen in den theologischen und juristischen Promotions-Listen Krakaus, wie der deutschen Universitäten, nicht vorfinden.

    • Bereits im Jahre 1343 hatte das Kapitel, nm den Studirenden die

Kosten des Aufenthalts auf den fernen Universitäten zu erleichtem, den Beschluss gefasst, dass jeder Kanonikns, der wegen theologischer oder kanonistischer Studien von der Kathedrale abwesend sei, an allen Emolomenten gleichmässig participiren solle.

Die Kapitel -Statuten vom Jahre 1384 bestimmen, „quod praelatus vel Canonicus maiorem praebendam obtinens, existens in studio privilegiato de licentia Episcopi et consensu Capituli, recipiat integram praebendam, ultra quam de bonis communibus Oapitnlum sibi pro subsidio quindecim marcai teneatur singulis annis ministrare.

Im Jahre 1438 fragt der „OanonicnB novellus“ Arnold Coster von Venrade (nachmals Domkantor 1448-1461) beim Kapitel an, ob er, wenngleich schon länger denn 17 Jahre im Dienste der Kirche beschäftigt, um den Statuten KU genügen, noch eine Universität besuchen müsse.

208 DAS DOMSTXFT ZV FRAUENBURG.

Aufenthalte bei der Kathedrale eine Universität zu beziehn und dort drei Jahre hindurch dem Studium obzuliegen, falls ihn das KapitelTdazu Überhaupt für geeignet erachte.* Ausdrücklich wurde eine alte Bestimmung nochmals eingeschärft, dass dem auf der Universität weilenden Domherrn die Einkünfte unverkürzt zu belassen seien, gerade als wenn er bei der Kathedrale anwesend allen geistlichen Pflichten nachkäme.

  • § 51 . „Item cum de literatis üuplenda sit indigencia ecclesiae, ut fructum süo tempore aiferre valeant opportunum, Statuimus quod quilibet

OanonicuB de novo intrans, nisi in Sacra pagina Magister yel Baccalaureus formatus, aut in Decretis vel in Jure civili, aut in Medicina seu Physica Doctor aut Licentiatus exstiterit

post residenciam primi anni, si Capitulo visum et expediens füerit, teneatur ad triennium ad minus in aliquo studio privilegiato in una dictarum facultatum studere, sicque soli studio operam dare, ut iugiter et continue in ipso per memoratum triennium perseveret. Nee se inde absentare praesumat, nisi pestilenciae , infirmitatis, famis aut hostilitatis causa ad aliud se duxerit privilegiatum Studium transferendum. Quodsi ex alia causa, rationabili tarnen, Studium deseruerit, pro tempore absentiae eidem tanquam Studenti Capitulum minime respondebit. Si vero ex frivola causa (quae an talis sit, iudicio Capituli stabitur) se duxerit absentandum, pro tempore absentiae huiusmodi simpliciter reputabitur absens. Et nihilominus teneatur dictum triennium reincipere Studiumque, ut praemittitur, usque ad finem continuare, ac si prius nihil esset actum in eodem. De praemissis itaque omnibus et singulis, antequam ad perceptionem distributionum rediens admittatur, patentibus litteris sigillo Kectoris Studü, in quo studuerit, munitis et assertione proprü iuramenti teneatur facere plenam fidem. Praeterea si is utiliter se in sudio habuerit petiveritque sibi dari licentiam studendi diutius, non erit sibi talis licentia deneganda.

Zu der Zeit als Coppernicus Mitglied des ermlandischen Domstifts war, wurden in den Statuten des Bischofs Mauritius Ferber vom Jahre 1532 die vorstehenden Bestimmungen im Wesentlichen wiederholt; es wurde nur noch die Artisten-Fakultät mit den übrigen in gleiche Rechte gestellt. („.... in Decretis vel Jure Civili vel Medicina vel Artibus Doctor etc. . . . “). Der Bischof Dantiscus änderte im Jahre 1540 diesen Artikel, indem er verordnete : „Quod neutiquam de novo intrans ad residenciam recipiatur aut habilis residero ccnseatur, nisi doceat, quod per triennium in studio privilegiato bonis litcris antea continue, sine interruptione aut temporis intervallo, incubuerit. In quibus si defecerit, nuUomodo primi anni residentia gaudeat.“

    • § 22. Item Statuimus, quod Canonicus de licentia Episcopi

et consensu Capituli in studio privilegiato existens percipiat

DIE PFLEGE DER STUDIEN. 209

Einem EoUeginm anzugehören, das von solchen Grundsätzen geleitet wurde, musste Coppernicus wohl als eine besondere Gunst des Geschickes erkennen. Der jugendliche Forscher konnte mit Recht hoffen, dass er für seine wissenschaftliche Thätigkeit Verständniss und Anerkennung, deren ein jeder Strebende benöthigt ist, bei seinen Amtsgenossen finden werde, wenn er nach Beendigung seiner Studien aus Italien in die Heimat zurückkehrte."^

Auch in gemUthlicher Beziehung fand Coppernicus zu Frauenburg Befriedigung, soweit ein von den Seinigen getrennt lebender Cölibatär dieselbe gewinnen kann. Das Kollegium der Domherrn begann damals, als Coppernicus eintrat, eine grosse Familie zu

integräm praebendam, ultra quam de consolationibus et vinalibus marcae quindecim, quas in Quatuortemporibus et Capitolaribus defunctonim commemorationibus eo modo quo eas Canonicns residens deseruit, ipse deseruisse intelligatur, sibi pro subsidio cedant.“

Die Strenge, mit welcher von dem ermländischen Kapitel darauf geachtet wurde, dass der zu Studien bewilligte Urlaub auch pflichtmässig benutzt wurde, beweist ein Beschluss vom 6. April 1506, wodurch ein Landsmann von Coppernicus, Heinrich Snellenberg, von dem Genüsse der Einkünfte ausgeschlossen wurde, als er bei seiner Rückkehr nicht die erforderlichen Zeugnisse von der Universitüt mitgebracht hatte. „D. Henricus Snellenbergk triennio in officina litteraria ad calcem deducto residentiae gratia huc appulit , Sui non allatis studü literis testimonialibus iuxta statutorum decretum. Quare ad distributionum participationem aliquot Septimai^OB prohibitus tandem contemplatione Rev. Domini nostri per Yen. Capitulum generöse dispensatum est, ut distributionibns singulis gaudeat, dummodo alias residendo statutis se confirmaverit. Istam dispensationem non vult trahi ab alüs in consequentiam.

  • Der wissenschaftliche Sinn, welcher im ermländischen Domstifte zu

der Zeit waltete, als Coppernicus ihm angeh((rte, hatte sich auch noch später, in der 2. Hälfte des 16. Jahrhunderts erhalten, als an andern Orten mit dem stärkeren Hervortreten der kirchlichen Tendenzen bereits ein Niedergang bemerklich wurde. Als Beleg dient das Zeugniss des preussischen Geschichtschreibers Lucas David. Dieser hatte sich , mit Empfehlungs-Schreiben des Herzogs Albrecht Friedrich von Preussen ausgerüstet, längere Zeit in Frauenburg aufgehalten, um die dortigen Archive zu benutzen (vgl. meine Mittheilungen aus schwedischen Archiven und Bibliotheken S. 23 ff.). In seiner Chronik VÜ, 65; rühmt nun der Lutheraner Lucas David von den >'Thumherrn des ermländischen Stiffts, dasin sie allewege gar tapfere und gelarte Leute gewesen in allen konsten“. L 14

210 VEEWANDTE IM D0MSTIPT.

bilden; es setzte sich seit dem Ende des 15. Jahrhunderts mehr und mehr aus Danziger und Thorner Patricier-Söhnen zusammen, deren Familien mit einander verschwägert waren.*

So traf Vieles zusammen, was für Coppernicus den Aufenthalt in Frauenburg erwünscht erscheinen Hess, wenn derselbe nach Beendigung der Lehr- und Wanderjahre sich dort eine feste Heimat zu begründen hatte.

  • Zugleich mit Coppernicus waren Mitglieder des Frauenburger DomBtifts aus Thorn: sein Bruder Andreas, Johann Crapitz und Heinrich Snellenberg; aus Dan zig: Mauritius Ferber (Bischof seit 1537) und drei seiner

Neffen Johannes Ferber, Mauritius Ferber und Johannes Zimmermann, femer Tiedemann Giese, Albert Bischoff, Johannes Sculteti, Leonhard Niederhoff, Christoph von Suchten, Eckhard von Kempen, endlich, der freilich nicht zum Danziger Patriciate gehörige Johannes Dantiscus.

Fünftes Buch.[recensere]

InItaKen. 1496-1506.

14'

Fünftes Buch.

In Italien. 1496-1506.

Erster Abschnitt.[recensere]

Einleitendes. Die Reise nach Italien. Die Zustände Italiens am Ende des 15. Jahrhunderts.

Die Reize des südlichen Himmels hatten für den Nordländer jederzeit eine grosse Lockung. Während des ganzen Mittelalters klang bei den Deutschen der Ton hindurch, der in der Ottonen Zeit zuerst erklungen war. Immer hatte die feinere Bildung des Südens angezogen, immer hatten die Bewohner des Nordens das glücklichere Loos der Menschen gepriesen, welche auf dem Boden der alten Koma wohnten. Und wer nicht durch die klassischen Keminiscenzen angezogen wurde, den lockten die magischen Kreise, welche die Kirche um den Statthalter Christi auf Erden gezogen hatte.

Aber mit noch ganz anderer Gewalt wirkte der Zauber Italiens bei allen Höherstrebenden, seitdem dasselbe durch die Wiederbelebung der klassischen Studien das gepriesene Land des Humanismus geworden war. Jeder hervorragende Geist in den nordischen Landen glaubte seine Bildung nicht vollendet, wenn er nicht jenseit der Alpen die höhere Weihe erlangt hatte. Und in der That war durch den geistigen Aufschwung, der von der Wiedererweckung der Künste und Wissenschaften ausging, in

214 DIE KULTUR-BLÜTE 1TAUEN8.

Italien eine Blütezeit der Kultur geschaffen, wie sie kaum an den bevorzugten Stätten Griechenlands einst gefunden war. W-etteifemd hatten die glänzenden Höfe, wie die reichen Handelsstädte des i)olitisch zerrissenen Landes ihren Ruhm darin gesucht, die neue Wissenschaft an ihren Boden zu fesseln. Ja es hatten sich, von der allgemeinen Bewegung ergriffen, selbst die Pforten der Kurie dem heidnischen Alterthnm erschlossen, obgleich die neue Bildung nicht in den Dienst der Kirche trat.

Noch zahlreicher als früher, da die Studirenden über die Alpen pilgerten zu den Schulen der Glossatoren, deren Besuch die Erwerbung geistlicher und weltlicher Pfründen im Vaterlande so sehr erleichterte, zogen gegen Ende des 15. Jahrhunderts, wie aus Deutschland und den westlichen Kulturländern Europas, so auch aus dem fernen Norden und Osten, Jünglinge und Männer nach Italien, um sich einweihen zu lassen in die humanistische Bildung, um namentlich die Schätze des neu erschlossenen Hellenenthums zu heben und in ihr Vaterland zu führen.

Auch aus Polen und Preussen waren in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts nicht wenige Gelehrte nach Italien gegangen, dort den Schlussstein ihrer Bildung zu legen, und was als ruhmvoller erachtet wurde - . den Schmuck akademischer Ehren von dort heimzubringen.* Die Geistlichen, namentlich die

  • Ueber „preussische Studenten auf den Universitäten Italiens“ besitzen

wir eine Abhandlung von Johannes Voigt in d. Preuss. Prov.-Bl. 1S50 S. 154 -175. Die Ermländer, welche während des 13., 14. und 15. Jahrhunderts auf italischen UniversitUten graduirt sind, hat Hipler in d. Ennl. Litt.-Oesch. 8. 17 und 70 zusammengestellt. Von Einzelnen haben sich die DoktorDiplome in Italien erhalten.

Die ermländischen Kleriker, welche im 14. und 15. Jahrhunderte zu Bologna kanonisches Recht studirt haben, sind von Malagola Vita di ürceo Codro p. 524-535 aufgeführt. Ihre Namen sind den officiellen Akten der natio Germanorum zu Bologna entnommen; es konnten hier sonach auch genaue chronologische u. a. Angaben beigegeben werden. Die ersten Scholaren aus Ermland sind in den Jahren 1374 und 1375 nach Bologna gekommen. Vgl. Mittheilungen des Coppernicus -Vereins, Ü, 52 ff.

DER ZUG DER SCHOLAREN NACH ITALIEN. 215

zum hohem Klerus gehörenden, fanden noch in den kirchlichen Beziehungen zu Rom die erwünschte Veranlassung, Italien aufzusuchen und längere Zeit dort zu verweilen.*

Der Oheim und Beschützer von Coppernicus, Lucas Watzelrode, hatte selbst einst in jugendlichen Jahren die schönen Gefilde des Südens aufgesucht. Im Geburtsjahre seines grossen Neffen war er - wie oben S. 7S bereits erwähnt ist - zum Doctor decretorum in Bologna ernannt worden, nachdem er drei Jahre dem Studium des kanonischen Rechtes daselbst gewidmet hatte. In gereiftem Mannesalter hatte er dann Italien wieder gesehn; im Auftrage des ermländischen Kapitels befand er sich zu Rom, als er im Jahre 14S9 zum Bischöfe der Diöcese en^ählt wurde (vgl. S. 82).

Watzelrode kannte sonach in vollstem Masse die Wohlthat, welche ein Aufenthalt in Italien mit sich führte. Bereitwilligst kam er dem Wunsche des Neffen entgegen, das gepriesene Land des Humanismus aufzusuchen, um dort seine Studien weiterzu

Die Wanderungen der deutschen Scholaren nach Italien erfolgten zum Theil schon deshalb so zahlreich, weil die Rechtswissenschaft im eigenen Vaterlande sehr danieder lag. So war z. B. lange Zeit hindurch bei der Rechtsfakultät in Leipzig nur ein Professor fUr römisches Recht angestellt.

Dass in Preussen die Rechts-Schule zu Bologna sehr bekannt war, konnte man, wenn die urkundlichen Beweise nicht vorlägen, auch daraus schliessen, dass der Volkswitz sich ihrer bemächtigt hatte. So erzählen Grünau (XVin, 2) und Leo (bist. Pruss. p. 319,, es seien einem aus Bologna zurückgekehrten Scholaren die mitgebrachten Glossen zerschnitten worden, als er erklärte, es künnte durch ihre Hülfe das Recht gebeugt werden. Er sei hingeschickt worden, fügte man hinzu, „ut veritatem et aequitatem disceret ac alios doceret“ und nicht, „ut falsitatem miaceret cum veritate“.

  • Die vielfachen Rechts-Sachen, welche namentlich wegen der verwickelten Beziehungen mit dem deutschen Orden vor der Kurie zu verhandeln

waren, hatten nicht selten mehrere ermländische Domherrn gleichzeitig in Rom vereinigt. Ebenso lockte nach Rom die Aussicht auf die Erlangung der zahlreichen dort zu vergebenden Pfründen. Die drei Bischöfe, welche der ermländischen Diöcese in der 2. Hälfte des 15. Jahrhunderts vorstanden, waren sämmtlich zur Zeit ihrer Wahl in Rom anwesend: Paul Legendorf, Nicoiaus Tüngen und Lucas Watzelrode.

216 DIE REISEWEGE NACH ITALIEN.

fuhren. Bei den reichen Einnahmen, die ihm als Bischof von Ermland zuflössen, war er in den Stand gesetzt, den Aufenthalt in der Feme für denselben behaglich zu gestalten.

Allein die Abreise des Coppernicus aus der Heimat erlitt, wie bereits oben (S. 171 flf.) ausgeführt ist, eine Verzögerung durch das Eintreten einer Vakanz im ermländischen Domstifte. Bischof Lucas wUnschte die erledigte PfrUnde dem Neffen zuzuwenden. Das Kapitel ging jedoch auf den Wunsch des Oberhirten nicht ein: Coppernicus war noch nicht Domherr, als er seine Reise nach Italien im Jahre 1496 antrat.*

Das Jahr, in welchem Coppernicus in Italien eintraf, können wir gegenwärtig sicher bestimmen, seitdem die Akten der natio Germanorum wieder aufgefunden sind. Eine genauere Bestimmung des Monates jedoch, in welchem derselbe die Heimat veiv lassen, können wir zur Zeit noch nicht geben.**

Auch der Weg, den Coppernicus nach den Alpen eingeschlagen hat, lässt sich nur durch Kombination vereinzelter Momente vermuthungsweise aufstellen.

Bekanntlich führten damals zwei Hauptstrassen von Deutschland nach Italien, die eine von Wien über den Semmering nach Venedig, die zweite von Augsburg über den Brenner -Pass nach V^erona. Beide Alpen-Uebergänge sind von Preussen aus benutzt

  • Ausser den Belegen, welche S. 171 ff. 'dem Frauenburger Archive entnommen sind, ergeben auch die neu aufgefundenen Akten der deutschen

Nation zu Bologna, dass Coppernicus dem ermländischen Domstifte noch nicht angeh(5rte, als er nach Italien reiste. Bei der Eintragung in die "Matricula“ wurde nämlich der akademische Grad oder die kirchliche Stellung dem Namen des Scholaren stets beigefügt. Coppernicus ist dort aber einfach als „Dominus Nicolaus Kopperlingk“ aufgeführt.

  • • Weder^in Frauenburger.noch in Thoraer Manuskripten hat sich irgend

eine Nachricht über die ganze Zeit des Aufenthaltes von Coppernicus in der Heimat nach Beendigung der Krakauer Studien erhalten. Die Zeit seiner Ankunft in Italien Hess sich vor Auffindung der acta nationis Germanorum zu Bologna nur durch die von ihm selbst in dem Werke de revol. orb. cael. IV, 27 kimstatirte Mond-Beobachtung vom 9. März 1497 annähemd bestimmen.

DER WESTLICHE WEG. 217

worden. Dass Coppernicug jedoch den westlichen Weg gewählt habe 9 scheint ans dem Berichte Starowolski's zu folgen, welcher sagt, es habe Coppernicus nach Beendigung seiner Krakauer Studien, d. h. also auf seiner Reise nach Italien, noch verschiedene Universitäten in Deutschland aufgesucht.*

Zu den östlichen Universitäten Prag und Wien hat Coppernicus zu keiner Zeit seines Lebens in Beziehung gestanden. Prag hatte Überhaupt, seitdem es durch die Vertreibung der deutschen Docenten und Scholaren zu einer Landes-Schule herabgesunken war, seine Bedeutung auch für Preussen und Ermland verloren; während des ganzen 15. Jahrhunderts verirrte sich kaum noch ein preussischer Scholar auf das Prager Studium. Wien aber war während der ganzen Zeit seines Bestehens nur selten von Preussen aufgesucht worden.

Auch andere Gründe noch bestimmen uns zu der Annahme, es habe Coppernicus auf seiner Reise nach Italien die Hauptstrasse durch Mittel-Deutschland eingeschlagen. Dieselbe führte von Thorn über Posen, Breslau (oder Frankfurt a./O.), Leipzig auf Nürnberg.

Die beiden letztgenannten Orte hatten für Copi)emicus eine besondere Anziehungskraft. Die Universität Leipzig zählte unter Lehrern und Studenten nicht wenige Preussen. Aus der Zahl der Professoren nenne ich vomämlich drei Männer, welche enge Beziehungen zu ihrem Heimatlande Preussen stets bewahrt hatten. Der eine war ftälat des ermländischen Domstifts, Thomas Werner; der zweite, Johann Knolleisen, gleichfalls aus dem Ermlande gebürtig; der dritte endlich, Wilhelm Haltenhoff, war ein engerer Landsmann von Coppernicus.'* - Unter den Studi

  • Die erste Ausgabe der „hekatontas script. Polon.“ enthält die Notiz:

„Copenücus .... sumptis in alma Universitate Cracov. mathematicarum disciplinarum principüs diversas Germanorum academias invisit, tum et aliorum, ubi tum studia florebant.“

•* Die drei im Texte aufgeführten Landsleute von Coppernicus, welche

218 LEIPZIG UND NÜRNBERG.

renden, welche damals zu Leipzig lebten , befanden sich u. a. zwei Vettern von Coppernicus und nachmalige Amtsgenossen, gein vertrauter Freund Tiedemann ßiese, damals junger Baccalanrens, und dessen Mentor Johannes Ferber.""

Ebenso ist es sicher, dass den jungen Coppernicus Nürnberg längere Zeit gefesselt haben wird. Diese Stadt hatte seit den Zeiten des Regiomontanus Weltruf; sie war Mittelpunkt der mathematischen Studien in Deutschland und galt mit Becht als die Metropole deutschen Kunstfieisses in der Fertigung astronomischer Instrumente. Noch befanden sich auf der Kosenburg die kostbaren Instrumente, welche der reiche Patricier Bernhard Walther mit fürstlicher Freigebigkeit für Regiomontanus hatte fertigen lassen.**

im Jahre 149G an der Universität Leipzig wirkten, haben ihr Interesse für ihr Heimat-Land durch Stiftungen bethätigt, welche noch gegenwärtig, nach fast vier Jahrhunderten, segensreich wirken: sie fundirten Stipendien für Jünglinge aus Preussen, welche sie verpflichteten zu Leipzig ihren Studien obzuliegen. Der erste dieser Männer, der ermländische Domkustos Thornas Werner aus Braunsberg (f 1498), bekleidete eine Professur der Theologie; der zweite, Dr. Joh. Knolleisen, aus Allenstein gebürtig (f 1511), war gleichfalls Professor der Theologie ; der zu Thorn geborene Dr. Wilhelm Haltenhoir (f 1507) war als Arzt und Professor der Medicin in Leipzig thätig.

  • Ueber Tiedemann Giese wird später eingehend berichtet werden.

Johannes Ferbcr war ein Sohn des Danziger Bürgermeisters Eberhard Ferber und Neffe des Bischofs Mauritius. Er ward 1516 Mitglied des ermländischen Domstifts und bekleidete seit 1522 die zweite Prälatur als Domdechant.

    • Die Bedeutung Nürnbergs und seiner Sternwarte lässt die Annahme gerechtfertigt erscheinen, dass Coppernicus auch bei seinen spätem

Reisen von und nach Italien den Weg über diese Stadt genommen haben wird. Erst 1504 starb ja der Mäcen des Regiomontanus Bcmhard Walther. nach dem Tode seines Lehrers und Freundes das Haupt und Orakel der damaligen Astronomen und ohne Widerrede der ausgezeichnetste astronomische Beobachter seines Zeitalters.

Durch seine Nürnberger Besuche wird Copperaicus auch in Verbindungen

DIE KRIEGE UM ITALIEN IM 15. JAHRHUNDERTE. 219

In den Herbst-Monaten des Jahres 1496 überstieg Coppernicus die Alpen. Er fand dort Vieles ganz anders, als er es nach den Schilderungen des Oheims erwartet hatte. In den zwei Decennien, welche seit Watzelrode's Studienzeit verflossen waren, hatte sich eine grosse Wandelung aller Verhält^ nisse vorbereitet. Die glückliche Periode war vorüber, wo Italiens Bürger sich selbst überlassen, der geistigen Fortentwickelung allein hatten leben können. Die in Florenz aufgesammelten Schätze der Kunst und Wissenschaft waren bereits zerstreut, als die Mediceer bald nach Lorenzens Tode aus der Vaterstadt hatten flüchten müssen. Aber das frühere ästhetische Still-Leben hörte gänzlich auf, als König Karl VÜI. von Frankreich - es geschah dies zwei Jahre bevor Coppernicus nach Italien kam - seinen Eroberungszug nach Neapel unternahm. Nun beginnt fUr Italien jene unglückliche Zeit, in welcher es der Kampfplatz der Grossmächte um die Hegemonie in Europa wurde. Eine lange Reihe von Schuld und Verhängniss machte das schöne Land zur Beute der Fremden.

Und noch Schlimmeres als die Fremd-Herrschaft und die Verwüstung der Fluren und Städte hatten diese Kriege im Gefolge. Bereits während der Blütezeit des Humanismus war neben dem geschmackvollen Lebensglanze und den heitern Bildungsformen eine sinnliche Leichtfertigkeit eingezogen, welche an die schlimmsten Zeiten des sinkenden Alterthums erinnert. Jetzt da die

getreten Bein, welche ihm die Beobachtungen Walther's und Schoner's über den Merkur aus den Jahren 1491 und 1504 direkt zugeführt haben. Sie sind in dem 1543 gedruckten Werke de revol. orb. cael. angeführt und benutzt, während sie erst ein Jahr nach dem Tode von Coppernicus dem Drucke übergeben und allgemein zugänglich gemacht sind. Die Vermuthung Apelfs (Reform der Sternkunde S. 158), dass Coppernicus durch seinen Bnider Andreas in ihren Besitz gelangt sei, ist hinfällig. Letzterer sollte sie durch Vermittelung von (}eorg Hartmann erhalten haben, dessen Bekanntschaft er in Rom gemacht hatte. Allein Hartmann ist erst 151S nach Nürnberg gekommen, zu einer Zeit als Andreas Koppernigk, seit mehreren Jahren schwer krank, bereits dem Tode entgegensiechte.

220 ALEXANDER VI. UND SAVONABOLA.

fremden Kriegshorden das Land überschwemmten^ hatte die frivole Sinnenlust zur vollsten Verwilderung geführt. Die Borgia's, welche man so häufig als „eine importirte Rotte von Bösewichtem“ anzusehen geneigt ist, - sie sind auf italischem Boden dazu geworden ; sie lebten in einer Umgebung von Frevlem gleicher Art, sie treten unter ihnen nur hervor wegen ihrer Machtstellung und des Hintergrundes der Kirche als „die infernale Karrikatur des Heiligen“.

Während der ganzen Zeit fast, da Coppernieus in Italien weilte, sass auf dem Stuhle des Apostelfürsten - ich sage genug, wenn ich den Kamen nenne - Alexander VI., der Vater von Cesare Borgia, diesem „Virtuosen des Verbrechens“, und der Lukrezia, der unseligsten Frauengestalt der neueren Geschichte. „Für die Borgia ist der beständige Hintergrund die christliche Kirche ; sie kommen aus ihm hervor, sie bleiben auf ihm stehen, und eben dieser grelle Widerspruch zum Heiligen macht sie dämonisch.“

In tiefem Schmerze über diese Versunkenheit des Lebens in Staat und Kirche suchten edlere Naturen Hülfe in strenger Umkehr und predigten Lebensemst und Sittenstrenge. In den Tagen, da Coppernicus den italischen Boden betrat, war Savonarola's Ruhm, des kühnen Dominikaner-Mönches, in alle Lande gedrungen. Eine grosse Welt-Reform strebte er an, eine Erneuerung des Lebens, eine Wiedergeburt der Menschheit zur Tugend und Gottesfurcht. Im Februar 1490 hatte der Prophet von Florenz seine berühmten Fasten -Predigten gehalten, in welchen er mit Flammenworten die Strafgerichte Gottes verkündete, die über die Welt hereinbrechen würden. Als Coppernicus in dem benachbarten Bologna in die Reihen der dortigen Scholaren aufgenommen wurde, war Savonarola noch allgewaltig in der Mediceer- Stadt. Allein ihn überkam doch schon die Ahnung von dem IJngewitter, welches sich über ihm zusammenzog. Er habe - so sagte er ahnungsvoll in einer seiner damaligen Predigten - den rothen

ARISTOTELES UND PLATÜ. 221

Kardinalshut verschmäht, dagegen werde er den blutigen Märtyrerhut empfangen. Sein Geschick sollte sich bald erfüllen. Im Frühlinge des Jahres 1497 sprach Alexander VI. den Bann über den kühnen Prior von San Marco zu Florenz, und ein Jahr später erfolgte der Urtheils-Spruch des Ketzergerichts, der dann auch sofort vollzogen wurde. Die Kirche war gerichtet in welcher ein Borgia einen Savonarola gesetzlich zum Tode verurtheilen konnte.*

In so aufgeregter Zeit, da die schroffsten Gegensätze das staatliche und kirchliche Leben in Italien bewegten, hat Coppernicus die Alpen überstiegen. Auf den empfänglichen Sinn des werdenden Mannes haben diese Kämpfe selbstverständlich einen tiefen Eindruck gemacht. Aber nachhaltiger und schwerwiegender war doch der Einfiuss, welchen die Kämpfe ausübten, die auf dem ihn unmittelbarer berührenden Gebiete der Wissenschaft damals in Italien durchgekämpft wurden.

Noch ehe der unverfölschte Aristoteles in die Gelehrten-Kreise eingeführt worden war, hatte Plato's Lehre aus Jahrhunderte langer Vergessenheit ihre Auferstehung gefeiert und war zu Florenz mit glühender Begeisterung aufgenommen worden. Dort bildete sich unter Cosimo Medici die sog. platonische Akademie, eine freie Vereinigung gleichgesinnter Genossen, welche Wissenschaft und Kunst im Sinne der platonischen Denkweise zu beleben suchte. Die Mitglieder der kleinen Gemeinde zeichneten sich durch höhere Bildung aus, sie hatten alle Bildungs-Elemente aufgenommen, welche die damalige Zeit pflegte. So wurden die

  • Im Hinblick auf den Process und die Hinrichtung Savonarola's klingt

es unglaublich und fast wie Hohn, wenn einer der neusten Lobredner des katholischen Rirchenthuras, wenn Reumont (Gesch. der Stadt Rom ÜI, 247) bei der Charakteristik des Papstes Alexander VI. in einem Athemzuge sagt: „Seine Regierung ist ein schweres UnglUck für das Papstthum gewesen . . . . Alexander VI. hat das Papstthum in Miskredit gebracht . . . Aber seine Behandlung kirchlicher Angelegenheiten hnt zu keinem begründeten Tadel Anlass gegeben.“

222 ARISTOTELES UND PLATO.

Lehren Plato's, der bis vor Kurzem ein grosser unbekannter Name gewesen, bald ein Gemeingut grösserer Kreise. Diese Erfolge weckten die Eifersucht der Aristoteliker, deren Schulweisheit bisher allein geherrscht hatte; sie beeiferten sich ihren Besitzstand zu verth eidigen. Ueber den Vorzug der aristotelischen und platonischen Philosophie erhob sich ein heftiger Streit, der zur Vertiefung der klassischen Studien und Klärung der philosophischen Anschauungen viel beitrug.

Wie Coppernicus in diese Kämpfe eingefllhrt wurde, wie weit er an ihnen selbstthätigen Antheil nahm, darüber fehlen uns leider alle Andeutungen. Aber einen grossen Einfluss musste das Studium Plato's auf seine Entwickelung ausüben. In Krakau hatte Coppernicus die Philosophie des Aristoteles kennen gelernt, freilich mit all dem überwuchernden Beiwerke der mittelalterlichen Kommentatoren und den scholastischen Begriffsspielen.* Nun wurde er in Italien von den begeisterten Verkündigem des platonischen Evangeliums in ein poetisches Schauen eingefllhrt. Wie bestrickend musste auf den jugendlich frischen Sinn diese zu Visionen sich Steigerade Offenbarung des Weltlebens wirken!

I**

  • Die Universitäten forderten durchweg die Erklärung der Schriften von

Aristoteles. Auch in Krakau war dies geschehn. Freilich behalf man sich hier, wie Überall, mit den lateinischen Uebersetzungen der arabischen üebersetzungen, welche Aristoteles selbst schwerlich anerkannt hatte.

Plato war auf den alten Schulen ganz vergessen, seit durch Abälard der Sieg für den Aristotelismus erkämpft war. Auch in Krakau waren die platonischen Schriften unbekannt. Zuerst geschieht ihrer im Anfange des 16. Jahrhunderts Erwähnung. Im Regestrum suppellectilis Ms. archiv. Univ. Jag. No. 69 findet sich auf fol. 37 der Vermerk, dass der 1512 verstorbene Archipresbyter Joh. de Dammis „legavit Piatonis opera“.

    • Ein gewichtiger äusserer Beleg für die früh hervorgetretene Hinneigung des Coppernicus zu Plato darf hier nicht übergangen werden.

Unter den Büchern, die einst im Besitze von Coppernicus gewesen sind, hat sich die (durch Aldus 1503 besorgte] Ausgabe der Schriften vorgefunden, welche der besonnene, massvolle Bessarion, der bedeutendste Vorkämpfer für Plato, gegen die Schmähungen des Georg von Trapezunt verfasst hat: (I Bessarionis Cardinalis in calumniatorem Piatonis libri quatuor etc.

DER EINFLUSS PLATO'S. 223

Und dazu kam für Coppernicus noch ein Weiteres. Bekanntlich finden sich in den platonischen Schriften die verschiedensten Auffassungen über die Erde und ihre Stellung im Weltraum. Als Jüngling den kindlichen Glauben der Zeit bewahrend, stand Plato ganz auf dem Boden der ionischen Schule. Dann aber von Stufe zu Stufe vorschreitend scheint er bis zur Annahme der Achsendrehung und bis zum heliocentrischen Systeme gelangt zu sein, wenngleich er über die Kühnheit seiner Gedanken selbst erschreckt, sie nicht offen auszusprechen wagte, sondern in dunkle, doppeldeutige Worte verhüllte. Aber auch das Helldunkel der platonischen Sprache war wohl geeignet, fruchtbare Keime neuer kosmischer Ideen auf empfänglichem Boden hervorzurufen.

Dass Coppernicus sich einige Jahre in Italien aufgehalten, war seit lange bekannt. Er selbst erwähnt in dem Werke de revolutionibus zwei Mond-Beobachtungen, die er im J. 1497 zu Bologna und im J. 1500 zu Rom angestellt hatte. Sein Schüler Rheticus hat uns femer berichtet, dass er zu Bologna in vertrautem Umgange mit dem Astronomen Dominicus Novara gelebt und im J. 1500 zu Rom Vorlesungen gehalten habe. In Betreff des Zweckes jedoch, der ihn nach Italien geführt, konnte bis vor Kurzem nur auf die hohe Bedeutung dieses Landes im Zeit

Q Eiusdem correctio librorum Piatonis de legibus etc< q Eiusdem de natura et arte adversus eundem Trapezuntium tractatus eto.

Coppernicus hat die zur Zeit seines Aufenthaltes in Padua 1503 gedruckten Bücher eifrig studirt, wie die zahlreichen Rand-Bemerkungen beweisen, mit denen er sie versehen hat. Blatt 2^ ist der Brief des Lysis an Hipparch besonders markirt, den Coppernicus selbst gleichfalls Übersetzt hat (vgl. Band Ü, 128 ff.); mit 4 Kandstrichen sind femer hervorgehoben (Blatt 4^) die Zeilen, in denen des Demosthenes lobendes Urtheil Über Plato mitgetheilt wird; ebenso finden sich unterstrichen (Bl. 8) die Worte „diserti multi, eloquens nemo nisi Uomerns, Plato, Demosthenes“. Blatt 72 sind 20 Zeilen angestrichen, welche Über den COlibat handeln; Blatt SO^ ist angezeichnet die Stelle, in welcher Plato's Lob der Mathematik mitgetheilt wird.

224 COPPERNICUS STUDIEN-ZIELE IN ITALIEN.

alter der Renaissance hingewiesen werden, und dass auch Coppernicus Italien aufgesucht haben dürfte, um dort den Schlussstein seiner Bildung zu legen.

Die archivalischen Forschungen der beiden letzten Deceunien haben eine Reihe näherer Details hinzugebracht. Wir sind in den Stand gesetzt, nicht nur durch urkundliche Angaben die Zeit seines Aufenthalts an den einzelnen Orten sicher zu bestimmen, sondern auch die speciellen Zwecke anzugeben, welche Coppernicus dort erstrebte. Ueber die Verhältnisse, unter welchen er in Italien gelebt hat, über die Wissenschaften, denen sein Studium daselbst zugewandt war, über die Bildungsmittel, welche er in den einzelnen Zweigen suchte und fand, hat die neuere Forschung manches Licht verbreitet. Die Resultate derselben scheinen nur in Einzelheiten noch vervollständigt werden zu können.

Coppernicus hat fast ein volles Jahrzehnt in Italien zugebracht, die schöne Zeit des ersten Mannesalters vom 24. bis zum 34. Lebensjahre. Sein Aufenthalt daselbst zerfällt in zw ei grössere Perioden, deren erste er zu Bologna durchlebt hat, die zweite zu Padua. Dazwischen fällt ein kürzerer Aufenthalt in Rom und eine Reise in die Heimat.

Neben der Fortsetzung seiner mathematisch-astronomischen und philosophischen Studien hat Coppernicus sich in Italien noch zwei ganz verschiedenen Fach-Wissenschaften zugewandt. Er hat dem RechtsStudium zu Bologna obgelegen, sodann zu Padua die kanonistischen Studien fortgesetzt und zu Fcrrara durch seine Promotion abgeschlossen. Ausserdem hat er zu Padua Medicin studirt.

Zweiter Abschnitt.[recensere]

Auf der Universität zu Bolosma. 1496 - 1500.

Die altberUhmte Hochschule zu Bologna war es, wohin sich Coppernicus in Italien zunächst wandte. Dort hat er jedoch nicht, wie man bisher gemeinhin anzunehmen pflegte, der „Universitas philosophorum et medicorum“ sondern der RechtsSchule angehört, der klassischen Bildungsstätte der Juristen im Mittelalter. *"

Die „Universitasff der Juristen, die Grundlage des Studium Bononiense, war bekanntlich von der medicinisch-philosophischen und der noch später hinzugekommenen theologischen Universitas scharf geschieden.** Ohne Zusammenhang mit den übrigen bil

  • Die Sage verlegt die Grttndung der Universität Bologna in das 5. Jahrhundert. Die vorgebliche Stiftungs- Urkunde, welche öfter abgedruckt ist

und im Staats- Archive aufbewahrt wird, ist bekanntermassen untergeschoben. Ein Anfang der Universität Bologna kann überhaupt nicht bezeichnet werden, weil dieselbe gar nicht von einer willkürlichen Stiftung ausgegangen ist. Die dortige Rechts-Schule ist allmählich erwachsen. Sie entstand im Anfange des 12. Jahrhunderts durch den Ruhm eines Lehrers und die Lembegierde seiner Schüler; um jene Zeit lehrte zu Bologna das römische Recht Imerius. mit grossem Beifall. Seit dem Ende des 12. Jahrhunderts finden wir dort eine Rechts-Sohule, deren Ruhm in den folgenden Jahrhunderten stetig wuchs.

♦* In derselben Weise, wie die Rechts-Schule, bildete sich auch die medicinisch-philoBophische Schule zu Bologna. Es traten mehrere bedeutende Lehrer in den freien Künsten und in der Medicin auf, und die Scholaren vereinigten sich zu einer Universitas der „medici“ und „philosophi“, deren Vorfassung im Anfange des 14. Jahrhunderts staatlich anerkannt wurde. I. 15

226 DIE UNIVERSITÄT BOLOGNA.

deten die Scholaren der Juristen -Universität eine selbstständige Korporation. Sie zerfielen in zwei Hälften, die nniversitas der Citramontauen und die der Ultramontanen,* von denen sich jede wiederum fUr die Zwecke der Verwaltung in Nationen gliederte.**

Diese universitas führte auch mitunter den Namen der „artistae“, sie stand jedoch in keiner organischen Verbindung mit der Universitas der Juristen. Ihre Stellung musste ohnehin eine andere sein, als die der Artisten-Fakultät der spätem Universitäten, da sie das medicinische Studium umschloss und also nicht vorzugsweise eine allgemeine Vorbildung für die andern Fakultäten erstrebte.

Die theologische Schule zu Bologna war in Betreff ihrer Grlindung, wie der Verfassung, wesentlich verschieden von der Rechts- und der ArtistenSchule. Sie war gestiftet durch eine Bulle des Papstes (1362) und eingerichtet ganz nach dem Muster der Pariser Schule, so dass sie eine „universitas magistrorumn und nicht „scholarium„ war.

^ Die Gesammtheit der Scholaren der Rechts-Schule zerfiel nach ihrem Vaterlande in zwei Hauptabtheilungen, in die Citramontani und Ultramontani; zu jenen gehörten die Studenten aus den verschiedenen italischen Landschaften, zu den letzteren die Scholaren aus dem übrigen Europa. An der Spitze jeder dieser beiden Universitates stand ursprünglich ein Rektor, welcher in einer gewissen Reihenfolge aus den verschiedenen Nationen derselben gewählt wurde; seit der Mitte des 15. Jahrhunderts pflegte diese höchste Würde in beiden Universitäten in einer Person vereinigt zu werden. So war nach Ausweis der Matrikel der natio Germanorum in dem ersten Jahre der Anwesenheit des Coppernicus zu Bologna „Nobilis Dominus Joannes de Kytscher „utriusque universitatis rector“.

Dem Rector scholarium waren neben seinen weitreichenden Befugnissen und seiner Machtgewalt ganz besondere Ehren-Rechte zugebilligt : Sie sollten allen Bischöfen (mit alleiniger Ausnahme des Bischofs von Bologna) vorgehen, ja selbst den studirenden Kardinälen, und dieser Rang wurde ihnen sogar durch päpstliche Bullen zuerkannt. Vgl. v. Savigny, Geschichte des römischen Rechts im Mittelalter ÜI, S. 175.

    • Die „Nationes““, in welche die Universitas scholarium auf den ältesten Universitäten sich gliederte, waren nach der geographischen Lage des

Heimat-Ortes gebildet. Der nächstliegende Zweck bei der Bildung dieser landsmannschaftlichen Genossenschaften war der Schutz, dessen der Einzelne in weiter Ferne bedurfte. Später gaben sie die erforderliche Grundlage für die Verwaltung der Universitas scholarium. In dieser Gliederung nach Nationen fungirte die Gesammtheit der Studirenden als staatlich anerkannte Korporation. Die Universitas scholarium hatte die gesetzgebende Gewalt und beschloss, nach Nationen stimmend, Aenderung der Statuten und Disciplinar-Gesetze u. a. Di^ Studirenden zu Bologna standen damals meist in älteren Lebensjahren und waren zum nicht geringen Theile Männer, die in

DIE DEUTSCHE NATION- 227

Dior angesehenste nnter den Nationen der Ultramontanen zu Bologna war die der Deutschen; sie war von altersher mit besondem Privilegien ausgestattet.* Ihr hat auch Coi)pemicus ander Heimat Amt und Würde besassen, und die nur aus Liebe zur Wissenschaft das ferne Bologna aufsuchten.

Wie an der Spitze der Uniyersitas der Scholaren ein „Bektor“ stand, so hatte eine jede Nation ihren Vorsteher, „procurator“ oder „consiliarius“, welcher ihre Kasse verwaltete und auf die Einhaltung der Statuten und Vorrechte der Nation zu achten hatte.

Die Zahl und Benennung der Nationen wechselte Öfter, je nachdem mehr oder weniger Scholaren aus bestimmten Oegenden vorhanden waren; das Gebiet der Länder, weiches den einzelnen Nationen zugetheilt war, zeigte die verschiedensten Grössen -Unterschiede. So gab es neben einer Natio Alamannia (oder Germanorum), welche das gesammte Deutschland umfasste, eine natio Sabaudia, Bicturia, Navaria.

Die Statuten der Universität Bologna nennen 17 nationes in der Universitas der Citramontani. Die Ultramontani bestanden aus 18 Nationen : Gallia, Portugallia, Provincia, Anglia, Borgondia, Sabaudia, Vasconia et Alvemia, Bicturia, Turonenses, Castella, Aragonia, Catalonia, Navaria, Alamania, Ungaria, Polonia, Boemia, Flandrenses.

Zum Schlüsse darf noch die Bemerkung hinzugefügt werden, dass die aus Bologna selbst gebürtigen Scholaren nicht in den Rahmen der Universitäts-Verfassung aufgenommen waren. Volles akademisches Bürgerrecht hatten nur die fremden Scholaren („advenae“, „forenses“).

  • Die Stiftung der deutschen Nation zu Bologna hüllt sich, wie die der

Universität selbst, in mythisches Dunkel. Sie selbst rühmt sich in einer Druckschrift aus dem 16. Jahrhunderte, bereits seit 774, also seit den Zeiten Karls des Grossen bestanden zu haben. Sicher ist es, dass die Begründung der natio Germanorum in die ältesten Zeiten der Hochschule gehört. Die geographische Lage, wie die enge politische Verbindung Ober-Italiens mit Deutschland bewirkten, dass schon früh eine grosse Zahl deutscher Studirenden nach Bologna kam. Der Schutz , den Friedrich Barbarossa auf dem Reichstage zu Roncaglia 1158 den fremden Studenten durch ein besonderes Privilegium zusicherte, war an erster Stelle den deutschen Scholaren zugedacht.

Die Akten der natio Grermanorum bewahren urkundliche Schriftstücke aus der Mitte des 13. Jahrhunderts, in denen auf die ihnen ertheilten Privilegien bereits Bezug genommen wird. So bekundet ein Dokument aus dem Jahre 1265, dass der Rektor der Universität schon damals alle 5 Jahre aus der deutschen Nation zu erwählen war; zum Jahre 1273 wird ein Protest aufbewahrt, welcher gegen die versuchte Aufhebung des alten Privilegiums eingelegt wurde,, „quod nobiles de Alemannia non teneantur iurare rectori“.

Im Jahre 1289 besass die Nation bereits ein festes Statut, welches je 15„

228 DIE UNIVES6ITÄT BOLOGNA.

gehört. Den urkundlichen Beleg dafür bietet seine Einzeichnung

doch verloren gegangen ist, gleichwie die verschiedenen „nova statuta^, welche in den Annales zu den Jahren 1343, 1349, 1367 und 1396 erwähnt werden. Aus einigen organischen Bestimmungen, welche sich vereinzelt erhalten haben, ergiebt sich, dass die Nation schon auf derselben Grundlage konstituirt war, wie sie das älteste der erhaltenen Statuten aus dem Jahre 1497 uns zeichnet; es scheint nur eine wesentliche Abweichung darin bestanden zu haben, dass bis zum Jahre 1316 auch die Artisten derselben angehörten.

Die gewichtigen Vorrechte, welche die Nation seit alten Zeiten besass, bestätigte Kaiser Karl V., als er 1530 die Kaiserkrone zu Bologna empfing. So wurde das oben erwähnte Vorrecht, dass die Scholaren der natio Ggtmanorum nur ihren Vorstehern, nicht dem Bektor der Universität, den Eid Btt leisten hatten, durch kaiserliches Privilegium von Neuem gewährleistet. Ebenso bestätigte Karl V. - wie bereits Savigny a. a. 0. ÜI, 181 hervorhebt - dass die deutschen Scholaren der Gerichtsbarkeit des Rektors überhaupt entzogen waren „Quod ü, qui nationi Germanorum praesunt, potestatem et auctoritatem jus dicendi inter eos, qui in illo collegio continentur, habeant, et quod extemus alüque, si quem e collegio convenire vellent, ei necesse esset coram magistratibus coUegü experiri, etiam quod Rector aut Syndicus, cessante CoUegü Germanici magistratu, eam iurisdictionem ad se transferre non posset.“

An der Spitze der natio Germanorum standen zwei jährlich gewählte „procuratores“, die neben der Gerichtsbarkeit, welche ihnen über die Scholaren anvertraut war, die Nation nach aussen hin zu vertreten und für genaue Einhaltung der Statuten zu sorgen verpflichtet waren. Sie führten die Akten, empfingen und leisteten die Zahlungen, wie sie überhaupt das ganze Vermögen der Nation, auch die ihr gehörigen Häuser und andere Liegenschaften zu verwalten hatten; für die letzteren Zwecke war ihnen ein Syndikus und ein Quaestor aerarü beigegeben. Karl V. bestätigte den Prokuratoren den Rang, den sie bisher inne gehabt hatten ; sie folgten gleich nach dem Rektor der Universität, den Bischöfen und den apostolischen Protonotarien. Er verlieh ihnen femer während ihrer Amtsdauer die Würde eines Pfalzgrafen mit dem Rechte, so lange sie in Bologna blieben, Waffen zu tragen, Notare und Richter zu ernennen und Bastarde zu legitimiren.

Ein Theil der Vorrechte, wie z. B. dass alle 5 Jahre der Rektor aus ihrer Mitte gewählt werden musste, war den deutschen Scholaren wegen ihrer grossen Zahl zugekommen. Im Jahre 1265, mit welchem die „Annales“ der Nation beginnen, wurden 27 Scholaren aufgenommen. Dieselbe Zahl weist die Matrikel für diejenigen Jahre auf, in welchen Coppernicus zu Bologna studirte. Die von Malagola veröffentlichten Auszüge bekunden, dass in dem letzten Decennium des 15. Jahrhunderts mehr als 250 RechtsStudenten in die natio Germanorum recipirt wurden.

Unter den Scholaren, welche die matricula aus dem höchsten Adel

DIE DEUTSCHE NATION. 229

in die vor Kurzem wieder aufgefundenen Akten d.er deutschen Nation zu Bologna.*

DeutBchlands aufführt, finden sich vielfach Angehörige der Kaiser, der Herzöge von Oesterreich, Sachsen, Baiem ü. a. - Von berühmten Männern der Wissenschaft, welche daselbst verzeichnet sind, seien hier genannt Nicolaos von Casa, Conrad Celtes, Cornelius Agrippa.

  • Die lange verschollenen, und schon, für verloren erachteten, Akten

der natio Germanomm zu Bologna sind in dem Familien-Archive der Grafen Malvezzi de' Medici, wohin sie im Jahre 1825 durch Ankauf gekommen sind, vor Kurzem wieder aufgefunden worden. Von diesem werthvollen Funde hat der glückliche Entdecker Carlo Malagola in seiner „Vita di Antonio Urceo detto Codro“ (Bologna 1878) der gelehrten Welt Kunde gegeben und gleichzeitig werthvolle Mittheilungen aus den Manuskripten veröffentlicht. Nur durch diese Veröffentlichung ist es möglich gewesen, über den Aufenthalt des Coppernicus zu Bologna einiges Licht zu verbreiten. Die hieranf bezüglichen Abschnitte des Malagola'schen Werkes sind in dem 2. Hefte der „Mittheilungen des Coppernicus -Vereins“ (Thorn 1880] durch M. Curtze ins Deutsche übertragen.

Unter den, einst im Archive der natio Germanorum aufbewahrten Manuskripten sind hervorzuheben:

1} Das Original des Statuts vom Jahre 1497, ein schöner Band in Quart von 12 Blättern. Die Vorderseite des obem Deckels zeigt die Aufschrift: „STATVTA GERMANICAE NACIONIS“. Auf der Rückseite des untern Deckels befinden sich die Namen der Prokuratoren des Jahres 1530; es geht daraus hervor, dass der Pracht-Einband zur Kaiserkrönung Karl des V. gefertigt ist. Der Kodex enthält werthvolle Miniaturen, welche deutsche Studenten der damaligen Zeit darstellen, wie sie den Eid auf die Statuten ablegen und dgl. Greziert ist das Manuskript femer mit dem durch die lustitia und die Fortitudo gehaltenen Wappen der Nation in schöner Ausführung. Das Wappen trägt die Kaiserkrone. Es besteht aus einem horizontal gehaltenen Schilde, der im obem Theile den zweiköpfigen gekrönten Adler im goldenen Felde zeigt; der untere Theil trägt ein geöffnetes Buch, auf welchem sich die Worte IVSTICIAE CVLTORES finden.

2) -ANNALES CLARISSIMAE NACIONIS GERMANORUM“. - Von den Annalen sind noch drei Bände erhalten. Der wichtigste unter ihnen ist der erste. Es ist ein Quartband von 226 Pergamentblättem (der gegenwärtige Einband ist im Jahre 1520 angefertigt). Das Manuskript hat vier verschiedene Abtheilungen.

Der erste Theil (Bl. 1-24) enthält notarielle Aktenstücke der Nation aus den Jahren 1265-1355. - Blatt 25-248 umfasst den wichtigen zweiten Theil. Derselbe enthält die Original-Rechnungen, welche Jahr ftlr Jahr die Prokuratoren von 1289-1543 gelegt haben, ebenfalls mit notariellen Urkunden untermischt. In diesem Theile finden sich prachtvolle Miniaturen; vor Allem sind aber die darin enthaltenen geschichtlichen, genealogischen u. a.

230 DIE UNIVERSITÄT BOLOGNA.

In den „Annales Clarissimae Nacionis Germanoram“, wie in der „Matricula Nobiliss. Germ. CoUegü“ findet sich Coppernicus znm Jahre 1496 aufgeführt als „Nicolaus Kopperlingk de Thorn“.*

Notizen unschätzbar. - Blatt 219 - 224 bietet eine AbBchrift der Matrikel von 1543 - 1557 und ein Verzeichniss der Docenten von 1543 - 1560. - Die letzten 27 Blätter enthalten „Notae .... in supplementum Annalium .... ab anno 1543 usque ad annum 1595“.

Der zweite der erhaltenen Bände umfasst die Jahre 1595 - 1619. Die beiden letzten Bände enthalten die Protokolle über die Versammlungen der Nation und ihrer Beamten.

3) Die Matricula Nobilissimi Germanorum Collegü, ein Pergament-Band aus dem 16. Jahrhunderte. Vorangestellt sind die Matrikeln der Kardinäle, Prälaten, Doktoren, dann folgt das Verzeichniss der übrigen Scholaren von 1289-1562. An diesen Haupttheil sind noch andere unwesentlichere Stücke angeschlossen, u. a. die Namen der im Jahre 1684 inskribirten Scholaren.

Dann folgt ein Verzeichniss der Doktoren und Studenten, welche von 1497 - 1596 bei ihrem Abgange von Bologna die Nation mit Geld beschenkten.

4) „Liber armorum Germ. Nat. apud Bonon.“ In dem Manuskripte, welches die Original -Statuten vom Jahre 1497 enthält, finden sich eine Eeihe späterer Beschlüsse der Nation verzeichnet. Unter denselben bestimmte eine Anordnung aus dem Ende des 16. Jahrhunderts, dass ein Buch anzulegen sei, in welchem die Wappen der Prokuratoren abzuzeichnen seien, so wie derjenigen Mitglieder, welche sich um die Nation verdient gemacht hatten. Das Archiv der Grafen Malvezzi bewahrt ein solches Volumen, in welchem nach Malagola's Bericht Wappen von Consiliarüs und Doktoren der Nation von 1599 - 1627 in meisterhafter Ausführung eingezeichnet sind.

Die Akten der natio Germanorum bieten selbstverständlich ein reiches Quellen-Material für die Geschichte derselben; sie werfen auch interessante Streiflichter auf die allgemeinen Kultur -Verhältnisse. Es ist hier jedoch nicht zulässig, ihnen mehr als das unumgänglich Nöthige zu entnehmen. Einige nähere Information giebt Malagola a. a. 0. p. 534 sqq. (deut4sch in den Mittheil, des Coppernicus -Vereins Ü, S. 74 [58] ff.).

  • Wie in den vorstehenden Anmerkungen mitgetheilt ist, sind in den

Annales, wie in der matricula der natio Germanorum, die Scholaren in chronologischer Ordnung verzeichnet, zugleich mit Angabe des Eintrittsgeldes, welches sie bei ihrer Aufnahme erlegt hatten.

Bei Beginn jedes Jahres -Kursus hatten die „Bidelli“ der Nation die Absteige -Quartiere zu besuchen, um die Ankunft deutscher Scholaren zu erkunden. Waren dieselben von hohem Stande, so machten ihnen die Prokuratoren die Aufwartung, um die Einzeichnung zu bewirken. Den Scholaren

AUFNAHME IN DIE DEUTSCHE NATION. 231

Diese Einzeichnung bietet uns ein sicheres Zeugniss für die Zeit der Aufnahme von Coppernicus unter die Scholaren zu

geringeren Standes brachte der Bidellus das Matrikelbuch, damit sie die Namen einzeichneten.

Die Proknratoren waren gehalten, Vor- und Zunamen, wie den Stand der Scholaren genau einzutragen, auch die DiOcese hinzuzufügen, zu welcher ihr Wohnort gehörte. Ausserdem wurde der Betrag des Inskriptions-Geldes gebucht, welchen der Eintretende gezahlt hatte. Nach der Bestimmung der alten Statuten hatte der Scholar für jede Mark, welche ihm jährlich zu seinem Unterhalte ausgesetzt war, einen Bologneser Groschen an die Nation zu zahlen. Das Statut von 1497 verzeichnet keine bestimmte Summe; es wendet sich an die Freigebigkeit der Scholaren im Allgemeinen. (Das Inskriptions-Geld, welches an die Hochschule selbst zu zahlen war, betrug ausserdem 12 Solidi.)

Der Vermerk über die Aufnahme von Coppernicus findet sich in den „Annales Clarissimae Nacionis Germanorum“ auf Blatt 141 :

„1496.

Racio dominorum Friderici SchOnleben Herridinensis ac novimonasterü herbipolensis ecclesiarum Canonici, et Gerardi Sugerode de davaentria traiectensis diocesis.

Anno domini 1496, Sexto die mensis Januarü Convocata et legittime congregata nacione theutonicorum in utroque Jure bononie studentium. In ede divi fridiani extra portam S. mamme, Concorditer electi fuerunt in einsdem nacionis prefectos seu procuratores dominus fridericus scoenleben herridinensis ac novimonasterü herbipolensis, ecclesiarum Canonicus, et dominus Johannes beghe de Cleven coloniensis diocesis, Cui abeunti substitutus fuit dominus Gerardus sugerode de davaentria, traiectensis diocesis, Qui, iuramento iuxta formam statutorum prestito, onus procuracionis assumpserunt.“

„Recepta.“

Es folgt hierunter die Angabe des von den vorjährigen Prokuratoren überlieferten Kassen-Bestandes, und dann die Namen bez. Eintritts- Abgabe der neu aufgenommenen Scholaren.

An neunter Stelle befindet sich der Vermerk :

A domino nicolao Kopperlingk de thorn IX grossetos.

Uebereinstimmend mit diesem Vermerke der Annalen lautet die Einzeichnung, welche die „Matricula Nobiliss. Germ. Collegü“ auf Blatt 70 verso und 71 recto enthält:

„Anno Domini M.CCCC.XCVI. Reverendis Dominis Friderico schönleben, Hirridinensis ac novi Monasterü Herbipolensis ecclesiarum canonico, et Joanne Beghe de Cleven, coloniensis diocesis, electis, et Gerardo sugerode de Davantria substituto procuratoribus, in Album relati sunt.

Dominus Nicolaus Kopperlingk de Thorn grossetos novem.“

232 DIE UNIVERSITÄT BOLOGNA.

Bologna. Ebenso wird hierdurch aber auch das Fachstudium bekundet, dem derselbe sich dort gewidmet hatte. In die „natio Germanoram“ wurden nämlich zu jener Zeit nor diejenigen Scholaren aufgenommen, welche das geistliche oder weltliche Recht studirten; sie bildeten ja eben eine Unter- Abtheilung der Uniyersitas der Kechts-Studenten."^

  • In Betreff der Aufnahme in die natio Germanorum bestimmten

die Statuten von 1497, dass alle Studenten des geistlichen und weltlichen Rechts eintreten durften, deren Muttersprache das

Deutsche war: „ statuimus et ordinamus quod ex teutonicorum

nacione, id est omnes qui natiuam alemanicam habent linguam“ licet alibi domicilium, cuiuscumque Status uel condicionis existant, etiam si forent Spectabiles, clarissimi vel illustres, in hac alma urbe studentes in iure canonico uel ciuili, censeantur et esse intelligantur collegium theutonice nationis, quod, ut est consuetnm, theutonicorum nacio appellatur.“

Da jedoch „ab antiquo“ die zum deutschen Beichsverbande gehörenden Böhmen und Mähren, ebenso die Dänen aufgenommen waren, so fuhr man auch später fort, diese hinzuzuziehen. Desgleichen behielt sich die Nation das Recht vor, berühmte Ausländer (aber ohne Stimmrecht) als Ehren-Mitglieder sich anzureihen.

Dagegen waren die deutschen Studenten der Medicin und der freien Künste seit dem Jahre 1316 nicht mehr gezwungen, der natio Germanorum beizutreten; damals ward den Artisten das lange vorenthaltene Recht, eine eigene universitas scholarium zu bilden, endlich zugestanden. Gegen Ende des 16. Jahrhunderts suchten die deutschen Studenten der Medicin und Philosophie das Recht des Eintritts in die natio Germanorum mehrmals wieder zu erlangen, wahrscheinlich weil die kaiserlichen Privilegien sie lockten. Allein die Aufnahme ward ihnen beharrlich verweigert; erst im Jahre 1661 beschloss die Nation sie als Schutzverwandte ohne Stimmrecht aufzunehmen.

Um des Schutzes theilhaftig zu sein, den die Mitglieder der natio Germanorum in besonderem Grade genossen, wurden nicht nur die Hofmeister der vornehmen Scholaren inskribirt, sondern oftmals auch das ganze Reisegefolge, welches sie nach Bologna begleitet hatte. So ist in dem Jahre vor der Ankunft des Coppernicus, im Jahre 1495 ein Graf Kunowitz aus Mähren mit nicht weniger als sieben Begleitern inskribirt. Der Vermerk lautet:

D. Joannes Kunowitz Comes Moravus, pro se et familia subscripta, scilicet: D. Joanne Polner de Castro Schess Transilvano, Cantore ecclesiae S. Crucis Vratislaviensis , D. Joanne Forderer Alemanno, D. Balthassare Saurman Vratislaviensi, D. Innocentio Parstedel, D. Joanne Amesto Brunen, D. Martino Romer ex Zwickavia, D. Vincentio Magistro Transsilvano, Florenos quattuor renenses. - Ausser den Nebengenannten ist noch ein

DIE ROTULI DER RBCHT6-UNIVER8ITÄT. 233

Coppernicus hat seinen Studien-KureuB zu Bologna im Herbste 1496 begonnen.

Die Lektionen-Verzeichnisse (die sog. rotnli) der Kechts-Schnle zu Bologna sind von der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts an erhalten."* Wir kennen sonach die Namen der Lehrer, bei welchen Coppernicus die Dekretalen, wie das Sextum und die Klementinen hat hören können.'*'^ Ein besonderes Interesse knüpft

„Dom. Johannes de Bota de Grymnis“ im Jahre 1497 inskribirt, welcher bezeichnet ist als „familiaris Dom. Joannis de Cunewitz“.

Im Jahre 1501 ist aufgenommen „lUnstrissimus Princeps Dominos B. Joannes Junior Saxoniae, Angariae et Westfaliae Dux etc. pro se ac familiaribus suis, seilicet Nobilibus D. D. Bernharde Opperhusen, Joanne de Mynningrode ac Andrea Lochowen“.

Am auffallendsten erscheint uns, dass sogar die Leibdiener der natio Germanorum sich anschliessen durften. Als Beleg diene u. a. der Vermerk z. Z. 1494:

In album relatisunt: „D. Vitns de Zeiting pro se et D. Wenceslao Honyder praeceptore suo et Joanne Honyder ministro suo.“

^ Die Botuli der Universität Bologna sind grosse Pergament-Bogen, auf denen für jedes Jahr die Namen der Rektoren, Professoren und Repetitoren, so wie die von ihnen besetzten Lehrstühle verzeichnet wurden. Diese Verzeichnisse mussten, nachdem sie von den „Riformatori dello Studio“ bestätigt waren, vierzehn Tage lang Öffentlich ausgehängt werden (viele zeigen noch heute die Spuren, dass sie an die Mauer geklebt waren); dann wurden sie in dem Stadt-Archive niedergelegt.

Gegenwärtig werden die Rotuli, in sieben grosse Bände gebunden, im Staats-Arcbive zu Bologna aufbewahrt. Die Rotuli der Rechts -Universität beginnen mit dem Jahre 143S und reichen bis 1769; die Rotuli der ArtistenUniversität reichen etwas weiter (von 1438 bis 1796). Einige Lücken, die sich in ihnen finden, können durch die im Staatsarchive, wie in den Sammlungen des erzbischöfliohen Palastes, zahlreich vorhandenen Koncepte ergänzt werden.

Mehrere der Original -Bogen sind mit feinen Miniaturen verziert; sie tragen die Wappen des Papstes, des Erzbischofs, des päpstlichen Legaten und der Stadt Bologna. Näheres bei Malagola a. a. 0. S. 20 und in den Mittheilungen des Coppernicus -Vereins Ü, 34.

"^"^ Zu der Zeit als Coppernicus in Bologna studirte, hatten ca. 50 Professoren (Dekretalisten und Legisten) an der universitas iuristarum Vorlesungen angekündigt.

Die Kanonisten, welche in den Jahren 1496-1500 zu Bologna lasen„ hat Malagola (a. a. 0. S. 331) aufgeführt.

In dem Jahres -Kursus 1496/97 hielten ordentliche Morgen -Vorlesungen

234 DIE UNIVERSITÄT BOLOGNA.

sich jedoch an diese Namen nicht, zumal da Coppernicus in der Rechtswissenschaft keine hervorragende Stellung eingenommen und

(„de mane“} über die Dekretalen: Giovanni da Sala, Domenico Ruffo und Bartolomeo Bolignini; am Nachmittage („de sero“) lasen: Floriano Dolfi,

Lodovico da Sala und Antonio Maria da Sala. - Die Dekretalen an den

  • diebu8 festig a erklärten: Antonio Busi, Pietro Aldrovandi, Teseo Grassi,

Pandolfo Bianchi und Angelo Valli. - Das „decretum in tertüs“ lasen: Gian. Battista Zabini und Giovanni Gaspare da Sala, an den Festtagen : Bartolomeo Negri, Lodovico da Calcina und Ercole dal Bono. - Für das Fach des Sextum und der Klementinen finden wir an den Nicht -Festtagen verzeichnet: Pietro da Unzola (jetzt Anzola) und Antonio Burgos, einen Spanier, an den „diebus festis“ dagegen: Amadesio Ghisilieri, Alessandro Peracini, Bemardino.Scardovi und Girolamo Lianori.

In dem Studienjahre 1497/98 sind nur wenige Veränderungen gegen das Vorjahr eingetreten. Für das Fach des Sextum und der Klementinen sind den beiden Professoren, die 1496 lasen, hinzugefügt: Giovanni Bonasoni. Giovanni da Monferrato und Bartolomeo Barbazza.

Vergleichen wir hiemit die Docenten des folgenden Jahres 1498/99, so sehen wir den Docenten der Dekretalen de sero hinzugefügt Antonio Burgos, denen des Decretum an den „diebus festis“ Agamennone Marcscotti ; an Stelle des Bemardino Scardovi ist für den Lehrstuhl des Sextum und der Klementinen Nicol6 Gortesl getreten.

Das letzte Studien-Jahr, welches Ooppernicus in Bologna zubrachte, begann im Oktober 1499. In ihm lehrten Floriano Dolfi und Lodovico da Sala die Dekretalen, welche sie früher „de sero“ gelesen hatten, jetzt „de mane“, und zwar der letztere anstelle von Bartolomeo Bolognini, mit dem er die Stunde seiner Vorlesung tauschte. Floriano Dolfi hingegen wurde durch Bartolomeo Barbazza ersetzt, den Sohn des berühmten Andreas. Bartolomeo erklärte früher das Sextum und die Klementinen; er hatte in diesem Jahre als Nachfolger Giovanni Gozzadini.

Durch die RotuU erfahren wir ausser den Namen der Professoren natürlich auch , welcheu Theil des kanonischen Rechts jeder vortrug. Dennoch scheint es nicht erforderlich, grössere Auszüge aus den Rotulis mitzutheilen. Wir kennen den wissenschaftlichen Gehalt der einzelnen Vorlesungen nicht, und wissen ebensowenig, welche von ihnen Ooppernicus sich ausgewählt hat.

Um ein Bild von den Rotuli für diesen Zweig der Wissenschaft zu geben, darf es genügen, wenn (mit Weglassung der bereits angeführten Namen der Professoren) der Anfang des Lektionen -Verzeichnisses für das kanonische Studium mitgetheilt wird*.

L Ad lectionem Decretalium diebus festis. Ad lectionem decretalium de mane ord. incipiant tertium librum et continuent usque ad titnlum de Regularibus exclusive: D. Joannes de Sala etc.

Ad lectionem Decreti in tertüs incipiant a XXVI cap. et continuent usque ad finem distinctionum de poenitentüs : Dr. Johannes Caspar de Sala etc.

DIE ROTULI DER ARTISTEN-UNIVERSITÄT. 235

den Vorlesungen wohl nur beigewohnt hat, nm den üblichen Fordemngen für das Examen und die Praxis zu genügen/

Von grösserer Wichtigkeit ist es, die übrigen Bildungs-Mittel zu erkunden, welche dem jungen Coppernicus zu Bologna geboten wurden.

Aus den Kotuli der Artisten-Universität kennen wir die Namen der Professoren und den Stunden -Plan der Vorlesungen, welche nach altem Herkommen den einzelneu Lehrstühlen überwiesen, waren. Allein ihre Aufzählung wird hier zu unterlassen sein. Es sind uns keine Andeutungen über den wissenschaftlichen Gehalt dieser Vorträge überliefert: wir wissen nicht, ob und wieweit dieselben aus dem althergebrachten Rahmen heraus

Ad lectionem Decretalium de sero incipiant quintnm librum et continuent usque ad titulum de haereticis: T>\ Florianus Dulfüs etc.

Ad lectionem Sexti et Clementinarum. Qui legent Sextum legant a principio usque ad titulum de appellatione inclusive. Qui vero legent Clementinas incipiant a principio et illas continuent ac finiant hoc anno : D. Petrus de Unzola etc.

n. Decretales: D. Antonius de Busis etc.

Decretum. Ad lectionem Decreti diebus festis: D. Bartholomaeus de Nigris etc.

Ad lectionem VI et Clementin. diebus festis: D. Amadasius de Ghisilerüs etc.

Ad lectionem Infortiati diebus festis: Ad lectionem C. de mane ord. legant totum sextum. D. Vincentins de Paleottis etc.

  • Die Detailforschung, welche in den letzten Decennien auch in Italien

recht rege gewesen ist, Alles zn erkunden, was sich auf die Lebensverhältnisse von Coppernicus bezieht, hat sich bemüht, die Räume zu ermitteln, in welchen Coppernicus den Vorlesungen der Kanonisten zu Bologna beigewohnt haben kOnnte. Das schöne Universitäts -Gebäude, welches heute bewundert wird, ist erst in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts erbaut worden. Bis dahin waren die Hörsäle der Professoren zum Theil in den Privat-Wohnungen derselben, zum Theil in Räumen, welche besonders hiezu gemiethet waren. Sie lagen jedoch - wie Guidicini in seiner „Monografia sulF Archiginnasio di Bologna“ hervorhebt - fast immer in der Strasse San Mamolo oder deren unmittelbarer Nähe. Die Strasse, welche heute Via Libri heisst, wird im Jahre 14S0 bezeichnet als „la strada, per la quäle si va alle scuole dei dottori“. Ein und das andere Auditorium, welches Coppernicus besucht hat, lag sicherlich nicht weit von dem Orte, wo sich jetzt das Archi^mnasium erhebt. Vgl. Malagola a. a. 0. S. 320.

236 DIE mVEBtfTAT B0LO6SA.

traten. Ueberdie“ hatte Coppendens den gewöhnlichen Knm“ der Artisten-Fakultät bereits zn Krakan abgeschlossen.

Der Forschung ist Grenüge geleistet, wenn sie aas der Zahl der Artisten-Lehrer einige wenige Männer henrorfaebt, welche Einfluss auf die Entwiekelung von Coppernicus geübt haben.

Unter diesen ragt weit hervor, stets mit Bnhm genannt als Lehrer von Coppernicus. der damalige Hanptvertreter der Astronomie zn Bologna. Dominicas Maria di Novara. * Coppernicus selbst berichtet uns dnrch Rheticns, dass er mit ihm ib nahen Beziehungen gestanden und ihn bei seinen Beobaehtnngeo unterstützt habe.*"

  • Der durch Coppernicus zur Berühmtheit gelangte Dominicas Maria

Novara - auch in der abgekürzten Form Domeni^o Maria genannt oder mit HinzufÜgung seines Greburtsortes als Domen ico Maria da Ferrara bezeichnet - ist im Jahre 1454 geboren. Einer seiner Vorfahren Bartolino Ploti war, wie Barotti in seiner Storiche di letterati Ferraresi Ü, 76 angiebt, von Novara nach Ferrara eingewandert, dnrch den Marchese Nico„ laus Ü berufen, dem er das Kastell daselbst erbaute.

Seine wissenschaftliche Vorbildung erhielt Domenico Maria in der Vaterstadt, wo Giovanni Bianchini grossen Eifer für Mathematik und Astronomie entzündet hatte, der Freund von Bessarion, wie von Peurbach und Regiomontanus. Nach Kenazzi >4toria deir Universita . . . . di Roma“ .'p. 23) soll Domenico selbst Anfangs zu Ferrara Mathematik gelehrt haben, hierauf in Perugia und Rom. Durch die Rotuli in Bologna ist sicher konstatirt, dass Domenico als Nachfolger von Girolamo Manfred! inicht, wie Hipler meint, von Niccolo dl sola Maria di Polonia, im J. 14S3 für den Lehrstuhl der Astronomie nach Hologna berufen wurde, „ad astronomiam de mane dieboa continuis et ordinurüs". Hier lehrte er bis an seinen im Jahre 1504 erfolgten Tod. 'TiralK)scbi's Angabe - SToria della Lotteratura Italiana VI, 401 dass Novara erst im Jahre 1514 gestorben sei, beruht auf einem Irrthum. Vgl. Malagola a. a. 0. p. H5o.}

    • An zwei Stellen seiner „Schriften godonkt Rhoticus dos Verhältnisses

zwischen Novara und Coppernicus. In dor noch bei Lobzeiten des Letztem verüffentlichton „Narratlo prima“ sagt or: „(hau I). Doctor mens Bononiae non tain disipulus ciuam adiutor et tostis obsorvatiouum doctissimi Viri

Dominici Mariao suuuna oura obsorvatiunos annotasset.“ Aehnlich

iMrichtot or in clor Vorrode zu den Ephonioridou fUr da“ Jahr 1551: “Vixerat cum Douünico Maria Hononionsi, cuius rntiomm pluno rognovorat et observationes ndiurat.““

Die oi'Ktt' Angabo des Rhoticus hat zu der Annnhmo goführt, es sei

D0MINICU6 MARU DI NOVARA. 237

Domenico Novara war im Jahre 1483, 29 Jahre alt, auf den Lehrstuhl der Astronomie nach Bologna berufen, woselbst er bis zu seinem Tode, der im Jahre 1 504 erfolgte, thätig war. Als Schriftsteller ist Novara nicht fruchtbar gewesen. Die wenigen Schriften, welche er zum Theil im Manuskripte hinterlassen, haben sich nicht zu erhalten vermocht.* Nur einige seiner astrologischen „Prognostika“ , welche er von Amtswegen al\jährlich zu veröffentlichen hatte, ist es in neuster Zeit gelungen aufzuspüren.

♦“

Coppernicus Assistent desselben gewesen, wie solche „lettori agginnti al lettore primario“ in den Rotulis Öfter aufgeführt werden. Man hat des Coppernicus Namen jedoch vergeblich in diesen Verzeichnissen aufgesucht. Derselbe konnte dort auch gar nicht gefunden werden, weil Coppernicus als Scholar in der universitas iuristarum zu Bologna lebte und nur in der Stellung des Freundes an den astronomischen Beobachtungen Novara's sich betheiligte.

  • Die frühem Literarhistoriker kannten nicht einmal die Titel der

Schriften Novara's; selbst Gherardi in seiner 1846 erschienenen „Materiali per la Storia della FacoltÄ Matematica . . . di Bologna“ erklärt, er habe nirgend erwähnt gefunden, dass Novara Schriften hinterlassen habe. Erst durch eine Notiz Lazaro Cotta's im Museo Novarensi erfahren wir, dass noch im 17. Jahrhunderte nachstehende Manuskripte vorhanden waren: Mundus sub stellis partitus ac gentium genia a stellis infuta; de lanis naturalibus, Orationes, Opuscula diversa astrologica. Vgl. Curtze, Altpreuss. Monatsschrift VI, 741.

    • Die alten Statuten vom Jahre 1404, die bis zur Zeit von Coppernicus in

Kraft waren, besagten über den Lehrstuhl in der Astrologie : „Quod doctor electus ad salarium in Astrologia det iudicia gratis Et etiam teneatur disputare. Rubrica LX>.

Item statuerunt et ordinaverunt et firmaverunt, quod doctor electus vel eligendus per dictam Vniversitatem ad salarium ad legendum in astrologia teneatur iudicia dare gratis scolaribus dicte Vniversitatis infra unum mensem postquam fuerint postulata, et etiam singulariter iudicium anni in scriptis ponere ad stationem generalium Bidellorum, et etiam teneatur legere secundum puncta ea servando solum diebus festivis et vacationum, Pena pro qualibet vice, in quolibet dictorum casuum, viginti solidorum bononiensium.

In den Rotulis steht vor jedem Jahre die Berufspflicht, welcher der Professor der Astronomie neben seinen Vorlesungen obzuliegen hatte., bezeichnet mit den Worten: „et fiat iudicium et tacuinum.“

Das Tacuinum war ein Ralendarium, in welchem die Mond-Phasen und

238 DIE UNIVERSITÄT BOLOGNA.

Um 80 heller strahlt der Ruhm Novara's als akademischer Lehrer, welchen er durch Gelehrsamkeit und Forschungs-Eifer begründet hatte. Es rühmt ihn einer seiner Nachfolger auf dem astronomischen Lehrstuhle, der mit Kepler befreundete Giov. Magini if 1615) als „vir divino ingenio praeditusa; in ähnlicher Weise bezeichnet ihn der gleichfalls zu Bologna lebende gelehrte Kiccioli als „vir summo ingenio praeditus“.^ Das vollgültigste

die Stellung der Planeten verzeichnet waren, zugleich mit Angabe der daraus resultirenden guten und bösen Tage.

Solcher astrologischen Almanache, welche unter dem Namen „Prognostica“ bekannter sind, mögen noch manche im Staube der Bibliotheken verborgen liegen. Ein Sammel-Band von S2 Prognostica ist vor einigen Decennien in den Besitz des Fürsten Baldass. Boncompagni gelangt; in demselben befinden sich 3 Prognostika von Novara auf die Jahre 1501, 1503 und 1504. Jedes umfasst 4 Blatt; Titel und Druckvermerk sind bis auf die Jahreszahl im Wesentlichen übereinstimmend. Es genügt daher Anfang und Schluss eines dieser Prognostika mitzutheilen. Die Widmung an Giovanni 11. Bentivoglio, einen eifrigen Anhänger der Astrologie, lautet: Ad Ulustrissimum dominum D. Joannem Bentivoglio, Dominici Mariae Ferrariensis de Novaria Pronosticon in Annum Domini 1503.

Am Schlüsse steht folgendes Impressum :

Datum Bononiae per eximium artlum et medicinae doctorem Magistrum Dominicum Mariam Ferrariensem de Novaria. In felici Gymnasio Bononiensi 1502 die 20 Decembris.

Impressum Bononiae per Benedi ctum Hectorem Calchographum etc.

Vgl. Curtze, Altpreuss. Monatsschrift VÜ, 515 ff.

♦ Als die berühmtesten seiner Vorgänger auf dem Lehrstuhle der Astronomie zu Bologna nennt Galilei's Schüler Cavalieri in seinem Directorium üranometricum : „praedecessorum meorum . . . . praestantissimi vir! Dominicus Maria Ferrariensis Copernici praeceptor, P. Magister Ignatius Dantes, necnon Maginus etc. Und der bekannte Gegner des Coppernicanischen Systems, der, unter geistlichem Drucke schreibende, Jesuit Giov. Riccioli steht gleichfalls nicht an, die Verdienste Novara's hervorzuheben„ der durch Lehre und Beispiel zur Erneuerung der astronomischen Wissenschaft anzuregen verstanden habe „ad astronomiam instaurandam verbis exemplisque observationum suarum alumnos incitabat„.

Gewichtiger noch ist das ürtheil Kepler's über die Bedeutung Novara's, welches sich in einem Briefe vom 14. April 1619 findet. Durch den Conte Bianchi auf Novara's Mond-Theorie aufmerksam gemacht erwiedert er, gern wolle er sich über dieselbe unterrichten. („Dominici Mariae modum dirigendi Lunam libenter videbo. Haesito enim etiam ipse circa Lunam, potiusque ducem sequor quam rationem propriam.“)

DOMINICUS MABU DI NOVARA. 239

Zengniss aber legt Coppermcus selbst ab, der noch als Greis dankbaren Herzens des Freundes und Lehrers seiner Jagend gedachte. Gleich nach seinem Eintreffen in Bologna hatte Coppernicus sich an Novara angeschlossen, welcher den für die Astronomie begeisterten und wohl vorgebildeten jungen Mann bereitwilligst aufnahm."^ Am 9. März 1497 bereits beobachtet Coppernicus mit seinem Lehrer die Bedeckung des Aldebaran durch den Mond „des glänzenden Sternes in den Hyadena (De revol. orb. cael. 4, 27). Es ist die erste Beobachtung, welche Coppernicus wissenschaftlich verwerthet hat; er benutzt dieselbe als Beleg für die Richtigkeit seiner Theorie der Mond- Parallaxe. Aus der Zeit seines Krakauer Aufenthaltes scheint er keine seiner Beobachtungen als genügend fixirt erachtet zu haben.

Bianchi's Anschreiben, welches in der von Hanschius herausgegebenen Sammlung der Briefe Kepler's lange versteckt gelegen hatte, ist dort von Gherardi aufgespürt und a a. 0. von Neuem abgedruckt worden. Wir ersehen daraus, dass Novara eine besondere Theorie fUr die Bewegungen der Himmelskörper aufgestellt hatte, welche Anklänge an Kepler's Ansichten über den Mondlauf dargeboten zu haben scheint.

Bianchi schreibt:

Directionum tuarum nova forma sublncet mihi, quam quidem a diumo Solis apparenti motu derivas. Sed cum librum nondum habuerim, in quo rationes reperiam, fundamenta et pericula tua, non diffundar in multis. Scito tantum, Dominicum Mariam Ferrariensem, Copernici praeceptorem, fuisse una fere simili dirigendi via usum. Scripta egregü huius mathematici apud Abbatem Ludovicum Marcellom, meum consobrinum, sunt. Tu dirigis Lunam eodem modo, quo Solem; Dominicus Maria Ferrariensis non. Tu subsequenti Solis motu diumo unius eiusdem anni (ni fallor) metiris directionum omnium spatium : Ferrariensis in singulos annos motum Solis diumum venatur. In Sole etiam quidpiam singulare aliud dirigendo inquirit, quod non bene modo recordor. Experientiam tamen, quemadmodum naturalem tuam rationem, existimo tibi palmam daturam.“

  • Der gut unterrichtete und einsichtige Gassendi hebt richtig hervor,

wie beide Männer sich gegenseitig anziehen mussten, und dass der in der Vollkraft der Jahre stehende Novara sich gern den jungen Coppernicus als Gehülfen seiner Mühen anschloss : „Nee vero difficile fuit in Optimi viri familiaritatem admitti, quando esse illi gratius nihil potuit, quam auditorem habere, ut perspicassimum sie appetentissimum veritatis.„ fa. a. 0. S. 5).

240 DIE UNIVERSITÄT BOLOGNA.

Aber Coppernicus fand bei Domenico Novara noch mehr als die blosse Bereicherung seiner theoretischen Kenntnisse und Uebung in der praktischen Astronomie. Es band die beiden Männer bald enger an einander die gleiche Gnmdanschauung. Auch Novara war, was Kepler in der astronomischen Wissenschaft als das Wichtigste bezeichnet, „ingenio et animo liber“. Er nahm eine freie Stellung in Betreflf der überlieferten Lehre ein. Er erachtete das Aristotelisch - Ftolemäische Lehrgebäude für nicht so gefestigt, wie seine Zeitgenossen es zumeist glaubten.

Zwei Resultate seiner astronomischen Forschung waren es, durch welche Novara meinte, dass das damals für unabänderlich gehaltene Ptolemäische Weltsystem erschüttert würde. Derselbe hatte die Pol-Höhen einiger grösseren Städte gemessen uild einen wesentlichen Unterschied zu den älteren Angaben gefunden; so hatte er namentlich bei Cadix eine Differenz von fast einem Grade zu der Angabe des Ftolemaeus zu ermitteln geglaubt. Aus der letztem Beobachtung zog er den Schluss, dass die Erdachse ihre Richtung seit der Zeit des Ptolemaeus geändert und der Pol sich dem Zenith genähert ^habe.* Er trug diese Hj-pothese

  • Die Meinung Novara's, dass die Erdachse seit Ptolemaeus ihre Lage

geändert und sich dem Zenith genähert habe, war durch Gassendi's vita Copernici allgemeiner bekannt geworden. Letzterer berichtete zugleich, es habe Novara seine Ansicht in einer Abhandlung niedergelegt, welche bereits acht Jahre vor der Ankunft des Coppernicus in Bologna gedruckt worden sei. Durch Giov. Magini, einen der Nachfolger Novara's, erfuhren wir femer, dass es das Prognostikon auf das Jahr 1498 gewesen. In der Besorgniss, dass das fliegende Blatt ganz verloren gehen könne, hatte Magini Novara's Ausführung über die vermeintliche A“nderung der Lage der Erdachse, worin die Späteren sein Hauptverdienst erblickt haben, nochmals vollständig abdrucken lassen. Es geschah dies in den 1585 erschienenen „Tabulne secundorum mobilium coelestium“ p. 29, 30:

„Quod porro in quorundam paucorum locorum latitudinibus etiam a priori nostro edito Catalogo dissentiamus, utpote Venetiarum, Veronae, Patavü, &c. nempe eas aliquantisper augendo in causa sunt recentes horum locorum indubiae repetitaeve obseruationes, quae a Petro Pitato, atque alüs diligentissimis nostri saeculi viris factae sunt, imo et aliorum locorum latitudines Ptolemaei debere augeri tum ex hoc, tum ex autoritate Dominici

DOMINICUS MARIA DI NO V ÄRA. 241

auch seinem jungen Freunde Coppenüeus vor, und es soll den

Mariae Ferrariensis opinamur, qui vir divino ingenio praeditus fuit Nicolai Gopernici praeceptor, caius in hac re Bententiam placet studiosis communicare praesertim cum sciam, non ita facile eins scripta ad cuiusque manus devenire posse, is namque in quodam antiquo vaticinio anni 1489 Bononiae excusso praeponit haec verba.

„„Ego autem superioribuB annis contemplando Ptolemaei Cosmograpfaiam inveni, eievationes Poli Borei ab eo positas in singuliB regionibas ab bis, quae nostri temporis sunt, gradu uno ac decem minatis deficere, quae diversitas vitio Tabuiae nequaquam asoribi potest: non enim credibile CBt, totam libri seriem in numeris Tabularum aequaliter depravatam esse. £a propter necesse est Poium Boreum versuB punctum verticaiem delatum concedere; longa itaque temporis observatio iam nobis coepit detegere, quae noBtris maioribuB latitarunt, non quidem ex eorum ignavia: sed quia longi temporis observatione praedecesBomm Buorum caruere. Pauca enim admodum loca ante Ptolemaeum in elevationibuB Poli observata fuere, sicut et ipse testatur in principio suae CoBmographiae: inquitenim: Solus HipparcfauB paucorum locorum latitudincB nobis tradidit, quamplures autem distantiarum , praesertim quae ad Solls Ortum seu ad Occasum vergerent, ex generali quadam traditione conceptae fuerunt, non ex ipsorum autorum ignavia, sed qüod nondum diligentiori Mathematica usus foret: nimirum igitur si priores huno tardissimum motum non perceperunt: is etenim in mille et septuaginta annis versus apicem habitantium gradu uno fere delatum se manifestat. Indicat autem hoc angustia freti Gaditani, ubi tempore Ptolemaei Polus Boreus ab horizonte gradibus 36. cum quarta, nunc vero 37. ac duplici quinta elevatus apparet; Bimilem quoque diversitatem indicat Leucopetra Calabriae, et singula loca Italiae, illa videlicet, quae a Ptolemaeo ad nostra tempora non mutarunt £x hoc itaque motu quae nunc habitantur loca deserta tandem fient; at illa, qu^e nunc sub Torrida Zona decoquuntur, longo licet temporis spacio ad nostram coeli temperiem deducentur, ita vt tercentis et nonaginta quinque millibus annorum currieulo motus is perficiatur tardissimus.““

Die ernste wissenschaftliche Haltung der vorstehenden Ausführungen Novara's, die Autorität, welche der Autor genoss, die praktische Nutsanwendung endlich, welche aus seiner Theorie zu folgen schien - Alles bewirkte, dass dieselbe in der Gelehrten -Welt lange Zeit hindurch Beachtung fand, wenngleich man sie meist zu bekämpfen versuchte.

So findet man die ganze Stelle aus dem Prognostikon Novara's bei dem Engländer Gilbert (f 1603) in seinem Buche „De magnete etc.“ (p. 212) abgedruckt. Er leitet sie ein mit den Worten:

„Axis telluris magneticus, ut in ipsis primordüs motivi mundi, per telluris media transibat : ita nunc per centrum ad eadem superficiei puncta tendit, permanente etiam aequinoctialis lineae circulo et piano. Non enim I. 16

242 DIE UKIVEB6ITÄT BOLOGNA.

Lehrer, wie Gassendi berichtet) sehr gefreut haben, dass sie dem Schüler nicht missfiel. "^

sine vastissima terrenae molis demolitione, immutari naturales hi termini possunt, ut facile est ex magneticis demonstrationibus colUgere. Quare Dominici Mariae Ferrariensis, ylri ingeniosissimi , qui fuit Nicolai Gopernici praeceptor, opinio delenda est, quae ex observationibus quibusdam suis talis est : “

Nach Mittheilang der Worte Novara's aus seinem Prognostikon fügt Gilbert noch hinzu:

„Ita iuxta has Dominici Mariae observationes polus Boreus altius elevatur et latitudines regionum maiores existunt, quam olim; unde immntationem arguit latitudinum. Jam vero Stadius contraria prorsus opinione decrevisse latitudines per observationes probat.“

Ausser bei Gilbert findet sich ein wörtlicher Abdruck der bez. Stelle aus Novara's Prognostikon noch in zwei namhaften Werken des 17. Jahrhunderts in dem „Eratosthenes Batavus“ etc. des Willebrord Snellius (p. 40), und in Riccioli's Almagestum novum (I, 348). Letzterer schickt die einleitenden Worte vorauf:

„Sub finem decimiquinti saeculi Dominicus Maria Ferrariensis, vir summo ingenio praeditus, et Nicolai Gopernici praeceptor, primus, quem sciam, hanc de mutatione altitudinis poli opinionem excitavit in quodam tractatu seu vaticinio, Bononiae edito Anno 1489, ex quo Maginus Canone 8. secundorum Mobilium et Gulielmus Gilbertus lib. 6. de Magnete cap. 2. verba haec selegit.“

Zum Schlüsse fügt er noch die Bemerkung hinzu :

„Porro huic Dominici Mariae commento subscripsit novitatum plurimarum Studiosus lordanus Brunus Nolanus in suis libris de Maximo et Immenso, et de Infinito ac Innumerabilibus pagina 306. et quod magis mirere, Joh. Antonius Maginus in tabulis Secundorum Mobilium Canone 8. ubi ait, se auxisse locorum latitudines in suo catalogo, propter observationes recentiores Petri Pitati et aliorum, qui eas auctas ac maiores, quam Ptolemaei tempore, nacti sunt, additque etc.“

  • Gassendi berichtet (a. a. 0. S. 5): „Delectavit autem illum maxiuie

non improbari Copernico suspicionem, qua tenebatur, ne Poli in eodem loco altitudo non tam constans foret, quam vulgo haberetur.“


An den vorstehenden Bericht Gassendi's sei es gestattet, Lichtenbergs kommentirende Bemerkungen anzuschliessen (Nicolaus Copernicus S. 31): •Maria hatte die Grille zu glauben, die Polhöhen hätten sich seit des Ptolemaeus Zeiten merklich verändert, und z. B. die zu Cadix habe über einen ganzeu Grad zugenommen. Er trug diese Meinung dem Copernicus vor, und es soll den Lehrer, sagt Gassendi, sehr gefreut haben, dass sie der Schüler nicht missbilligte. Diese Freude des Lehrers bei einer solchen Veranlassung macht dem Lehrlinge auf alle Weise Ehre und jene Nichtmissbilligung keine Schande, selbst wenn sie, wie ich fast vermuthe, etwas mehr

DOMINICUS MABIA DI NOVARA. 243

Die Schlassfolgerong Noyara'6 war irrig ; sie basirte auf einer anrichtigen Prämisse, auf einem Fehler der Beobachtung. Dieser kann ihm aber nicht zur Last gelegt werden. Novara hatte wie er ausdrücklich her>'orhebt - einen Beobachtungs-Fehler für ausgeschlossen erachtet; er sagt mit bestimmten Worten: „. . . quae diversitas vitio Tabulae nequaquam ascribi potest; non enim credibile est totam libri seriem in numeris Tabularum aequaliter depravatam esse.“

Die Richtung der Erdachse ist, wie die Wissenschaft gegenwärtig nachgewiesen hat, allerdings veränderlich. Allein sie erhebt sich nicht, wie Novara annahm, in der Richtung einer Sehne, sie verändert sich in einer Bogen - Bewegung. Immerhin bleibt es aber ein Verdienst Novara's, einen Gedanken ausgesprochen zu haben, der zu einer Wahrheit hinführte.

Die zweite astronomische Thatsache, worauf Novara seinen Einwurf gegen die Unveränderlichkeit der Elemente des Ptolemaeischen Systems gründete, war die durch eigene Beobachtung ermittelte Veränderung der Schiefe der Ekliptik. Ptolemaeus hatte die grOsste Deklination der Sonne zu 23" 51' 20" bestimmt, während Novara sie auf 23" 29' feststellte. Mehrere Schriftsteller des 16. und 17. Jahrhunderts hatten Letzteres berichtet:* eine

gewesen sein sollte, als ein blosses Kompliment. Der stille, strenge, ernste Copernicas war nicht von solcher Art. Auch war er kein durchfliegender berühmter Reisender, von dem man wohl solche fliegende Urtheile anmerkt. Diese Leute lebten beisammen und hatten sich Über die Sache besprochen. Ich denke : vielleicht hat sein ganz eminenter Sinn Hir Ordnung und Einfalt der Natur schon damals den Ptolemaeischen Wirrwarr lästig gefunden und er auf Verbesserung gedacht. In einer solchen Lage hürt sich jede neue Meinung eines berühmten und erfahrenen Mannes schon allein wegen der Hoffnung gern an, in ihr vielleicht ein Ret^tungsmittel zu finden, oder wo nicht, sich wenigstens berechtigt glauben zu können, den ganzen Plunder einmal wegzuwerfen und von Neuem anzufangen.“

  • Novara's GrUsscn-Angabe für die Schiefe der Ekliptik finden wir zuerst aufgezeichnet von Glavius in seinem Kommentare zur Sphaera mundi

des Sacrobosco [Romae 1570 p. 130}. Von ihm hat sie Pifferi Sansovino in seiner zu Siena 1004 erschienenen „Sfera di G. Sacro Bosco tradotta e

16*

244 DIE UNIVERSITÄT BOLOGNA.

BeBtätignüg ihrer Angaben haben wir durch eine jüngst aufgefundene Aufzeichnung von Coppernicus selbst erhalten/ Leider hat auch dieser ausser der Angabe der Gradzahl, welche Novara für die Schiefe der Ekliptik ermittelt hatte, keinerlei weitere Bemerkung hinzugefugt. Novara's Manuskripte aber sind, wie oben bereits erwähnt wurde, sämmtlich verloren gegangen. Wir wissen sonach nicht, ob und welche Erklärungs- Gründe Novara fttr die ermittelte Diflferenz aufgestellt, und ob er sie für eine Folge der Präcession der Nachtgleichen erkannt hat.

dichiarata“ (p. 255) Übernommen; er führt Novara unter denjenigen Astronomen auf, welche die grüsste Deklination der Sonne bestimmt haben.

Novara ist sicherlich in hervorragender Weise beobachtender Astronom gewesen. Libri hebt in seiner „histoire des sciences mathömatiques en Italie“ hervor, er habe die Positionen der Sterne, welche im Almagest des Ptolemaeus enthalten sind, neu bestimmt. Auch Montucla hatte bereits in seiner „Histoire des mathömatiques“ gerühmt: „Novara fut de plus a ce qu'il parait, observateur.“

  • Ausser seinen grossen Vorgängern Peurbach und Regiomontanus hat

Coppernicus auch sicherlich Novara im Sinne gehabt, als er schrieb: „Beperta est iam a nobis et alüs quibusdam coaetaneis distantia tropicorum partium esse non amplius 46 et scrupulorum primorum 57 fere, et angulus sectionis partium 23 scrupulorum 28 et duarum quintarum unius, ut satis iam pateat mobilem esse etiam signiferi obliquationem.“ (De revol. orb. coel. 11, 2).

Die gewünschte Bestätigung erhielt diese Annahme durch eine handschriftliche Bemerkung von Coppernicus, welche in dem Original-Manuskripte seines Werkes aufgefunden ist. Im 6. Kapitel des 3. Buches fUhrt Coppernicus die Zahlen - Angaben über die Schiefe der Ekliptik auf, welche seit Ptolemaeus ermittelt sind. Er fährt dann fort : „Was endlich unsere Zeiten betrifft, so haben wir durch häufige Beobachtungen seit, 30 Jahren ungefähr 23** 292/5' gefunden, wovon Georg Peurbach und Johannes Regiomontanus, welche uns kurz vorangingen, nur wenig abweichen.“ Ursprünglich hatte er jedoch die Grössen -Angabe, wie sie Peurbach und Regiomontanus für die Schiefe der Ekliptik ermittelt hatten, selbst anführen wollen und diesen auch noch das Resultat der Ermittelungen Novara's beigefügt. Es finden sich nämlich in dem Original-Manuskripte die Worte: Johannes Regiomontanus (inclinationem axis reperit) partes XXÜI scrupula XX VÜI s., Georgius Purbachius anno Christi MCCCCLX partes, ut illi, XXÜI, scrupula vero XXVÜI adnotavit, Dominicus Maria Novariensis anno Christi MCCCCXCI ultra partes integras scrupula XXVÜÜ et amplius quiddam.“ Vgl. ed saec. Thorun. p. 171. 172.

DOMINICUS MARIA DI NOVARA. 245

Jedenfalls folgt aber aus Allem , was uns über Norara bekannt ist 7 dass er nicht nur ein gelehrter Mathematiker, nicht nur ein fleissiger und scharfer Beobachter gewesen ist, sondern überhaupt den ungewöhnlichen Naturen beigezählt werden muss, als ein Mann von weitsichtigem Urtheile, der sich nicht in den eingefahrenen Geleisen bewegte, und der den Muth hatte, seine Ueberzeugung, auch wenn sie gegen die Vorurtheile der Zeit anstiess, offen kundzugeben."^ Im vertrauten Umgange mit einem

"^ Die Bedeutung von Novara kann nicht dadurch herabgedrückt, seine geistig freie Stellung deshalb nicht beargwöhnt werden, weil er eifriger Astrolog gewesen. Sein Amt verpflichtete ihn, alljährlich „Prognostica“ zu ver^Jffentlichen und astrolo^sche „iudicia“ zu ertheilen. Dergleichen Schriftstücke waren mit dem ganzen wissenschaftlichen Apparate ausgerüstet, wie ihn die Astrologie sich aufgebaut hatte, die ihren Schwestern ganz eben, bürtig erachtet wurde. Die Aufsuchung des Standes der Planeten beruhte ja ganz auf astronomischen Regeln, und die Deutung der Konstellation auf das Schicksal der Menschen hatte eine naturphilosophische Grundlage, sie ruhte auf dem metaphysischen Begriffs-System des Aristoteles.

Ebenso ward Novara, gleich seinen andern Berufsgenossen, durch Ökonomische Rücksichten genOthigt, astrologische Gutachten an Vornehme zu ertheilen; das „„salarium“, welches ihm von der Universität gegeben wurde, war nicht ausreichend, um anderweiten Erwerb zurückzuweisen. Novara kannte, wie kein Anderer, die jedesmalige Stellung der Gestirne und ward deshalb von den Gläubigen eifrigst aufgesucht. So darf es uns nicht Wunder nehmen, dass er als erfahrener Astrologus gerühmt wurde. Seine uns durch Alidosi (Li dottori Forestieri . . in Bologna etc. p. 19} aufbewahrte Grabschrift preist ihn als „Astrologum rarissimum“:

„Qui responsa dabat Coeli intemuncius ore Veridico fati sidera sacra probans.“

Die vorstehende Auseinandersetzung war erforderlich, um Novara von dem Vorwurfe zu befreien, „dass er in seinen astrologischen Bestimmungen nicht den Muth hatte, sich von dem gemeinen Volks-Glauben zu entfernen“. Diese Anklage ist von keinem Geringeren erhoben worden, als von dem Fürsten der italienischen Literar-Historiker, von Tiraboschi. Deshalb darf auch noch an Kepler's Stellung zur Astrologie erinnert werden, der in seinem Briefe an Kaiser Rudolph im Jahre 1606 offen sagt: „Ich habe schon häufig erklärt, ich sei nicht der Meinung, daas der Himmel sich in die besondem Angelegenheiten stimmgebend einmische. Allein da es mir befohlen ist, habe ich zu sagen von Anfang an die Meinung der Astrologen.“ Und gleich wichtig ist Kepler s Aeusserung in seiner Schrift, über den stemguckerischen Aberglauben :

246 DIE UNIVERSITÄT BOLOGNA.

solchen Lehrer und Freunde mussten in Coppernicus wohl die Keime reformatorischer Gedanken gepflegt und sein Vorhaben gestärkt werden, an die Stelle des Jahrhunderte hindurch unangetasteten Ptolemaeischen Systems eine neue Anordnung des Weltgebäudes zu setzen.

Mit wem von den zahlreichen Docenten der Astronomie und Mathematik zu Bologna* Coppernicus ausser Dominions Novara

„Es ist wohl diese Astrologie ein närrisches Töchterlein; aber lieber Gott, wo wollt ihre Mutter, die hoch vemUnftige Astronomia bleiben, wenn sie diese ihre närrische Tochter nicht hätte! Ist doch die Welt noch viel närrischer, und so närrisch, dass derohalben, zu ihrer selbst Frommeni diese alte verständige Mutter, die Astronomia, durch der Tochter Narrenteidung, eingelogen werden muss. Auch sind sonsten der mathematicorum salaria so seltsam und gering, dass die Mutter gewisslich Hunger leiden mUsste, wenn die Tochter nichts erwürbe. Wenn zuvor Niemand so thöricht gewesen wäre, dass er aus dem Himmel künftige Dinge zu erlernen Hoffbung geschöpft hätte, so wärst auch Du Astronom so witzig nie geworden, dass Du daran gedacht hättest, des Himmels Lauf von Gottes Ehre wegen, zu erkundigen; ja Du hättest von des Himmels Lauf gar nichts gewusst. Wahrlich nicht aus der heiligen Schrift, sondern aus der abergläubischen Chaldäer Bücher hast Du gelernt, die fünf Planeten vor anderen Sternen zu erkennen. Wenn wir zu der Naturkündigung anderen Weges nicht gelangen könnten, denn durch lauter Verstand und Weisheit, wUrden wir wohl nimmermehr dazu gelangen. Aller Fürwitz und alle Verwunderung ist in der Erste nichts denn lauter Thorheit. Aber doch zupft uns diese Thorheit bei den Ohren, und führt uns auf den Kreuzweg, der zur Rechten nach der Philosophie geht “

^ In der Zeit, da Coppernicus zu Bologna studirte, herrschte eine grosse Regsamkeit in den astronomischen und mathematischen Studien. Im Jahre 1 496/97 war der Lehrstuhl der Astronomie mit vier ordentlichen Professoren besetzt; es lehrten: Novara, Scipio de Mantua, Franciscus de Pavia und Jacobus de Petramelara. In den nächsten Jahren traten noch einige PrivatDocenten hinzu, welche Disputationen und Repetitionen über eiüzelne Abschnitte hielten: M. Jacobus de Mena Hispanus, M. Paulus de Montelupono und M. Jacobus de Tutüs de Buxeto.

„Ad Arithmeticam et Geometriam“ waren im Jahre 1496 fünf Docenten angestellt, zumeist freilich jetzt vergessene Namen : Antonius Leonardus de Cruce, Pyrrhus de Albirolis, Benedictus de Panzarasüs, Scipio de Ferro und Hieronymus de Machiavellis. Ausserdem waren auch hier einige jüngere Magister mit Disputationen und Repetitionen betraut.

Eine ausserordentliche Lehrkanzel „ad mathematicam “ wurde im Jahre 1501 für den berühmten Veteranen Lucas Paciolus errichtet, nachdem er in ganz Italien herumgepilgert war und die Mathematik zu Perugia, Rom,

SOIPIO DE FERRO. 247

Beziehungen unterhalten hat, ist zur Zeit nicht mit einiger Sicherheit zu bestimmen. Von Einem sind wir besonders geneigt anzunehmen, dass ihn Coppernicus aufgesucht haben Wird: es ist Scipio dal Ferro, der Erfinder der sog. Gardanischen Formel, der als ein Mann von seltener Geisteskraft; gerühmt wird."^ Sein

Neapel, Pisa und Venedig gelehrt hatte. Wie lange vorher sich Paciolus in Bologna aufgehalten hatte, wissen wir nicht, noch weniger ob Coppernicus zu dem berühmten Franziskaner-Mönche Beziehungen unterhalten hat, welcher damals bereits alle seine Werke mit Ausnahme der „diyina proportio“ herausgegeben hatte.

  • Scipio de Ferro istammte aus Bologna. Er hatte in seiner Vaterstadt von 1496 - 1526 einen Lehrstuhl der Arithmetik und Geometrie inne.

Ihm gebührt, wie Gherardi in seiner Storia della Facoltä Matematica . . . di Bologna nachgewiesen hat, der Ruhm, die Auflösung der Gleichungen dritten Grades zuerst entdeckt zu haben; (bekanntlich hat man die zweite Lösung dieses Problems dem ein Menschenalter später lebenden Tartaglia zu danken, durch den sie an Cardanus kam, welcher dieselbe in dem Werke „Ars magna sive de regulis algebraicis“ 1545 veröffentlichte).

Der gewaltige Schritt von den quadratischen Gleichungen zur Auflösung der Gleichungen dritten Grades bekundet Scipio de Ferro als einen der ersten Geister in seiner Wissenschaft.

Noch im Jahre 1494 hatte Frater Lucas Paciolus in seiner Summa de Arithmetica, Geometria etc. das Problem als ein unmögliches bezeichnet, ebenso unmöglich als die Quadratur des Kreises. Vollständig gerechtfertigt ist daher das emphatische Lob, welches wir in der Ars magna cap- 1 lesen : „Scipio Ferreus Bononiensis capitulum cubi et rerum numero aequalium invenit, rem sane pulchram et admirabilem; cum omnem humanam subtilitatem omnis ingenü mortalis claritatem ars haec superet, donum profecto coeleste, ezperimentum autem virtutis animorum atque adeo illustre ut, qui haec attigerit, nihil non intelligere posse se credat.“

Leider wissen wir nicht den Weg, auf ^^m Ferro die Auflösung der kubischen Gleichungen entdeckt hat. Er scheint wohl längere Zeit hindurch mit einer gewissen Eifersucht seine Entdeckung gehütet zu haben ; nur einem seiner Schüler, Antonio Maria Fiore, soll er die gefundene Regel um 1505 mitgetheilt haben. Schriftlich niedergelegt hatte sie Ferro in einem Werke, welches drei Jahre vor dem Drucke der Ars magna an Cardanus und Ferrari mitgetheilt wurde, „in quo istud inventum eleganter et docte explicatum tradebatum. Diese Bemerkung Cardan's bekundet sicherlich, dass in jenem Manuskripte Ferro's, welches ihm und Ferrari durch dessen Schwiegersohn und Nachfolger Annibale dalla Nave zugekommen war, nicht bloss die Endregel, die Formel für die allgemeine Auflösung der Gleichungen dritten Grades gegeben war, sondern auch die Methode, durch welche man zu ihr

248 DIE UNIVERSITÄT BOLOGNA.

Unterricht dürfte viel zq der Schärfe der mathematischen Beweisftthmng beigetragen haben, durch welche sich das unsterbliche Werk de revolutionibus orbium caelestium auszeichnet. Ueberdies war Ferro kaum einige Jahre älter als Coppernicus, - ein Moment mehr für die Annahme, dass die Studien-Gemeinschaft die beiden jungen Männer einander näher geführt haben wird.*

Neben der Vertiefung seiner mathematisch - astronomischen Kenntnisse und der methodischen Uebung in der Beobachtung der Gestirne hat Coppernicus von seinem Aufenthalte zu Bologna noch einen andern Gewinn davon getragen - die Einführung in die griechische Sprache und Literatur. Abgesehen von der allgemeinen Bedeutung dieses Studiums hatte die Bekanntschaft mit der griechischen Sprache für Coppernicus einen besondem Werth. Gerade in der Zeit, da die Zweifel an dem Ptolemaeischen System sich in ihm immer mehr festigten, musste es für ihn sehr wichtig sein, die kosmischen Ideen näher kennen zu lemen, welche von den griechischen Philosophen und Astronomeji vor und nach Hipparch ausgesprochen waren. Man erwäge nun, wie wenige griechische Schriftsteller damals gedrackt vorlagen, geschweige

gelangt, die Erklärung und der vollständige Beweis. - Vgl. Gherardi „Materialien zur Gesch. der Mathem. Fakultät zu Bologna“, deutsch von M. Curtze ilSTl;.

  • Das Geburtsjahr Ferro's kennen wir nicht. Die Rotuli bekunden jedoch, dass ihm ein Lehrstuhl der Geometrie im Jahre 1496 anvertraut ward.

Der junge Docent begann seine öffentlichen Vorlesungen im Herbste dieses Jahres, also zu derselben Zeit als der im 24. Lebensjahre stehende Coppernicus in Bologna eintraf. Die beiden Männer scheinen sonach in annähernd gleichem Alter gestanden zu haben.

Seit Curtze (Alt-Preuss. Monatsschft. VI, 742) zuerst darauf hingewiesen, dass Coppernicus der Schüler Ferro's gewesen sein dürfte, hat die ansprechende Yermuthimg allgemeine Billigung gefunden; nur Malagola erklärt sich dagegen. Allein die Gründe, welche er a. a. 0. p. 353 anführt, sind nur geeignet, Curtze's Annahme zu stützen: der geringe Alters-Unterschied zwischen Lehrer und Schüler und die hohem Dienstjahre der übrigen mathematischen Professoren. Die Männer, deren Namen längst vergessen sind, sollen den jungen Feuergeist Coppernicus mehr angezogen haben, als Scipio Ferro, der fast als ein Stern erster Grtlsse glänzt!

ANTONIUS ÜBCEÜS CODRÜS. 249

denn durch lateinische Uebersetznngen bekannt geworden waren. Es masste sonach Coppernicus sich die Fähigkeit erwerben, die Quellen selbstständig aufzusuchen, in denen Anklänge an die Gedanken zu finden waren, welche in ihm selbst festere Gestaltung zu gewinnen begannen.

Der Eintritt in das Hellenenthum ward dem lernbegierigen Scholaren durch einen der gelehrtesten Kenner der griechischen Sprache und eifrigen Apostel der humanistischen Bildung erschlossen. Es war Antonius Urceus,* welcher im Jahre 1482 „ad grammaticam, rhetoricam et poesim“ nach Bologna berufen,*"^ seit

  • Antonius Urceus (mit dem selbstgewählten Beinamen „Codrus“),

einer der bekannteren Humanisten des 15. Jahrhunderts, war 144ö zu Rubiera, einem Städtchen unweit Modena, geboren. Vorgebildet in seiner Vaterstadt und zu Modena, besuchte er seit 1464 die Universität zu Ferrara, wo er den Unterricht des jungem Baptista Guarino genoss, welcher eine grosse SchUlerzahl um sich versammelte und in ihnen namentlich einen regen Eifer für Erlernung der griechischen Sprache und Liebe für die griechische Literatur zu erwecken verstand. 1469 begab sich Urceus nach Forli, woselbst er 11 Jahre lang Unterricht ertheilte. 1480 verlegte er seinen Wohnsitz nach Bologna und erhielt hier 1482 die Lehrkanzel der lateinischen Grammatik, Rhetorik und Poesie. In den Rotuli wird er (bis zu seinem im Februar 1500 erfolgten Tode) als „Antonius de Forlivio“ aufgeführt, von dem Orte, wo er den Ruf seiner gelehrten Kenntnisse in den alten Sprachen begründet hatte. Urceus selbst schreibt in einem Briefe: „pro Foroliviensi potius appellor et cognoscor quam pro Herberiensi.“ Seinen Beinamen „â‚lodrus“, der Arme, soll er von einer scherzhaften Aeusserung behalten haben. Als er einst einem vornehmen Manne begegnete, der ihn mit den Worten begrüsste. dass er sich ihm empfehle, habe er ihm erwiedert: „Dü boni, quam bene se res habeat, videtis: Juppiter Codro se commendat.“

Eine eingehende Biographie von Urceus hat sein Schüler und Nachfolger auf dem Lehrstuhle, Bartholomaeus Bianchini, abgefasst; sie ist der 1540 zu Basel erschienenen Ausgabe der Werke von Urceus vorgedruckt. Neuerdings hat eine umfangreichere Schrift über Urceus und die einschlägigen Verhältnisse der Universität Bologna Carl Malagola veröffentlicht: „Della vita e delle opere di Antonio Urceo detto Codro“ (Bologna 1878).

    • Malagola hat a. a. 0. S. 478 den Beschluss veröffentlicht, welchen die

„Sexdecim Reformatores Status Libertatis Civitatis Bononiae“ am 14. Oktober 1482 in Betreff der Anstellung von Urceus gefasst haben:

„Item pro utilitate adolescentium huius Civitatis, qui literis incumbunt, per novem fabas albas et unam nigram conduxerunt egregium et doctum virum Magistrum Antonium de forlivio rotulandum ad Grammaticam, Rhe

250 DIE UKIVEBSITÄT BOLOGNA.

dem Jahre 1485 beauftragt war, neben seinem Hanpt-Lehrfache „ad literas Graecas diebus festis“ öffentliche Vorlesungen zu halten.*

toricam et poesim pro uno anno incipiendo in principio studü, cuius initium erit de mense praesenti, Ac ei constituenint libras centum bononenorum pro eiuB salario etc.“

Die Rotuli der Universität enthalten nun auch von dem Jahre 14S2 den Namen „Antonius de Forlivio“ bis zum Tode desselben. In der Zeit, da Coppernicus sich in Bologna aufhielt, vertraten dasselbe Lehrfach neben Urceus noch Jacobus de Cruce (1496), dann (seit 1498) der bekanntere Philippus Beroaldus und Benedictus de Pistorio. In den Rotulis des Jahres 1498/99 findet sich eine vollständige Anweisung ftir die Inhaber des Lehrstuhls :

„Ad Rhetoricam et poesim legat quilibet duas lectiones, videlicet unam in oratorio et aliam in poetica arte. Qui legent de mane, legant unam aliam de sero, Et qai legent et sero, legant unam aliam de mane a praedictis primis duabus penitus diversam.

In campana Sancti Petri Magister Benedictus de Pistorio cum hoc, quod in scholis publicis publice legat et etiam, i^t consuevit, Grammaticam doceat In tertüs Philippus Beroaldus

Magister Antonius de Forlivio ad Rhetoricam, Poesim et Grammaticam.

Magister Jacobus de Cruce cum hoc quod prublice legat et etiam Grammatfcam doceat extra scholas Sancti Petronü in loco Scholaribus commodo.“ Zuletzt wird Urceus aufgeführt in den Rotulis des Studien-Jahres 1499 bis 1500:

„Ad Rhetoricam Poesim et Grammaticam in vesperis , Magister Antonius de Forlivio.“

  • Die Kenntniss der griechischen Sprache mag durch flüchtige Byzantiner auch nach Bologna bereits im 14. Jahrhundert verpflanzt worden sein.

Einige Griechen fanden um 13S0 als Lehrer der Astronomie und Astrologie an der Artisten-Universität Anstellung; so wird ein Johannes und Jacobus aus Cypem von Malagola a. a. 0. p. 32 angeführt. Ein Lehrstuhl für die griechische Sprache war jedoch vor der Mitte des 15. Jahrhunderts nicht errichtet. Um 1425 scheint ein Theodorus aus Candia eine 0£fentliche Anstellung für seine Muttersprache erhalten zu haben; beglaubigt ist es von seinem Zeitgenossen Joh. Aurispa. Doch gewannen die griechischen Studien daselbst nicht viele Anhänger. So schreibt Aurispa (d. d. 2r>. Oktober 1424) : „Sum praesenti anno hie conductus ad graecas literas docendas. Invenio non haec solum sed omnis humanitatis studia adeo ab herum animis aliena esse, ut hie sine fastidio non sim. Putant nonnulli literas Graecas parvo dignas labore.“

Später sind noch mehrere Docenten für die griechische Sprache gefolgt ; Malagola hat a. a. 0. p. 41 ff. die Namen aus den seit dem Jahre 1438 er

ANTONIUS UBCEU8 G0DBU8. 251

Die ausgebreiteten Eenntüisfle des Ureens hatten ihm eine Reihe gelehrter Freunde verbunden, unter denen Aldus Hanutius, Angelus Politianus und Pieo von Hirandola hier hervorzuheben sind."^ Seine Lehr-Thätigkeit hatte ihm gleichfalls viele dankbare Schüler zugeführt, welche die Verdienste des geliebten Lehrers während seines Lebens laut rtihmten und ihm ein treues Andenken auch nach dem Tode bewahrten."^* Die Eleganz seines lateinischen

haltenen Rotalis der Artisten -Universität zusammengestellt. Ihr Einfloss scheint aber sehr gering gewesen zu sein, wie wir durch Urceus selbst erfahren: Postremo - sagt er in einem seiner „Sermones“ - nonnulli rerum ezperientes amici mihi affirmabant, multos doctos sane viros ante me lectionem Graecam interpretari coepisse, primo maximum auditorum examen ad audiendos conyolasse, subinde illos ab auditoribus destitutos rem turpiter reliquisse.“ Erst als der griechische Lehrstuhl dem Urceus übertragen wurde, erwachten die hellenistischen Studien zu neuem, frischem Leben.

In den Rotulis der Artisten -Universität zum Jahre 1485/86 finden wir zuerst die Ankündigung:

„Ad literas Graecas diebus festis Magister Antonius de Forlivio.“

Dieselbe Ankündigung finden wir in allen folgenden Rotulis bis zum Jahre 1500 wiederholt, in welchem Urceus gestorben ist.

Dass Urceus seit 1485 in öffentlichen Vorlesungen die griechische Sprache gelehrt hat, erfahren wir auch durch seinen „Sermo“ dieses Jahres, der in der Sammlung seiner Werke wieder abgedruckt ist. Er sagt dort : „De litteris Graecis non sum hodie plura dicturus : in proximum diem festum haue partem relinquo, ubi, ut reor, animis vestris pro virili satisfaciam.“

  • Malagola a. a. 0. p. 200-286 zählt die vielen gelehrten Freunde auf,

mit denen Urceus in Verbindung gestanden. Bei den hervorragenderen giebt er ausführliche Belege; von Interesse sind besonders die Mittheilungen aus dem Briefwechsel zwischen Urceus und Angelus Politianus.

    • Unter den Schülern des Urceus sind hervorzuheben sein späterer Amtsgenösse, der bekannte Philippus Beroaldus und Bartholemaeus Blanchinus;

letzterer hat das Leben seines Lehrers Urceus, wie das seines einstigen Mitschülers Beroaldus beschrieben. Die andern hervortretenderen Schüler des Urceus findet man aufgeführt bei Malagola a. a. 0. p. 286 - 306. Dort sind auch die Aeusserungen der Pietät gegen ihren frühern Lehrer und die Urtheile über seine Bedeutung zusammengestellt. Es sei gestattet, aus ihnen das Urtheil des sachkundigen Phil. Beroaldus über den Dichter Urceus hervorzuheben: „Codrus . . . ita enituit, ut cum quolibet non suae modo aetatis vate, sed etiam antiquorum conferri possit. Epigrammata scripsit, quibus humanos affectus, mores actionesque mire complexus est, executus iueunda lepide, gravia severe, moesta flebiliter, taxanda mordaciter, grandia audacter, sententiosa sapienter, omniaque haec pari ingenio At vero

252 DIE UNIVEBSrrÄT BOLOGNA.

Prosa -Stils, die Leichtigkeit seiner Verse hatten den Grund zu seinem Rufe gelegt, als er noch in der Feme weilte; aber noch zahlreicher kamen die Scholaren zu seinen Vorlesungen,'" als sie den Eifer sahen, mit dem Urceus seines Amtes wartete und die Begeisterung, mit welcher er dem griechischen Alterthume zugewandt war."^ Unverheiratet geblieben suchte und fand Urceus

hie noster Codras numeros omnes eminentis po&'tae adeptus est ... . CodruB certe quiddam grandius sonat, fabulatur lepide, narrat diligenter, metitur ad normam. Sed et iu omni fere carminum genere summus deprehenditur. Videas illum heroico sublimius detonantem, lyrieo suaviter canentem, elego et moeste et amatorie conquer entern, epigrammate nonnunquam lascivientem et, ne longum faciam, omnia proprüs et propria omnibus reddentem.“

  • Blanchinus berichtet, Urceus habe durch seine Vorträge die Scholaren

80 anzuziehen gewusst, „ut relicto Alexandro AchiUino, Galeotto Beccadello et Federico Gambalonga, philosophis acutissimis , ad Codnim audiendum convolarent“. Einzelnen seiner Vorlesungen wohnten Professoren und die Mitglieder der h(k;hsten Behörden bei.

Nicht wenig trug zu dem hohen Rufe, den Urceus genoss, auch die Vielseitigkeit seines Wissens bei. „Codrus - erzählt Blanchinus - omnem hominis vi tarn, omnes artes, omnia studia, praeter leges, taxavit.“ Er interpretirte nicht nur die griechischen Dichter und Philosophen, sondern auch die Werke der Mathematiker und Aerzte. In seinem 9. „Sermo“ sagt er: „Ad haec, si quid in arte medendi degusture volueritis, depromam vobis Hippocratis Aphorismos, Heliodori Chirurgiam, Antelli, Buffi, Galeni artes precioslssimas et etiam Onbasü Synagogas. In Mathematicis quoque si yo8 exercere volueritis, praesto erit Euclides, Nicomachus, Archimedes Syracusanus, et alü plures, quibus lectis et auditis, omnem et animi et corporis philosophiam vos legisse et audivisse affirmare poteritis.“

'^'^ In den Schriften von Urceus spiegelt sich so recht lebendig der Enthusiasmus seines Jahrhunderts wieder, welches in den neu entdeckten Schätzen der griechischen Literatur den Inbegriff aller menschlichen Weisheit erblickte. Als Belege mögen einige bezeichnende Stellen aus dem 3. „Sermo“, welcher sich mit dem Lobe Homers befasst, hier angeführt werden: „. . . incipiamus ostendere, - sagt er im Eingange - Sapientissimum Homerum divino carmine omnia, quae in Encyclopaedia dicuntur, vel monstrasse, vel intellexisse.“ Am Schlüsse ruft Urceus den Scholaren zu: „Si Homerum auditis et ediscitis, omnes artes, omnes scientias, omnia studia auditis et ediscitis, et in perenni fönte sitim aridam sedatis; sin minus, nihil scitis, nihil ediscitis et in medüs undis a Tantalo non differentes sititis.“ Mit dem idealen Enthusiasmus für seine Studien verband Urceus eine hohe Uneigennützigkeit. Tür sein Nebenamt der griechischen Lehrkanzel

ANTONIUS URCEUS CODBUS. 253

seine Befriedigung in den Stadien und in dem Umgange mit seinen Schülern.*

Gern mögen wir auch hier annehmen, dass unter den Scholaren, welche die Einsamkeit des alternden Mannes aufsuchten und erheiterten, sich Coppernicus befunden habe, ** wenn wir den Eifer sehen, mit welchem er die hellenistischen Studien betrieben

empfing er Jahre lang kein Honorar ; „duobns iam exactis annis - klagt er im Jahre 1487 - quibus literas Graecas interpretatus sum, nihil stipis, nihil mercedis mihi exsolatum faerat.“ Erst im folgenden Jahre erhielt er zu seinem massigen Jahres-Salarinm von „libris centnm bononenoram“ eine Zulage von 25 libr. ; nur während der letzten vier Jahre seines Lebens war sein Hauptgehalt auf 150 libr. erhöht worden. - Wahrscheinlich gewann Urceus durch Priyat-Vorlesungen einen Zuschuss zu seinem geringen Einkommen ; es ist dies aus der Aeusserung des ersten Docenten fUr den griechischen Lehrstuhl Aurispa zu schliessen, wenn er schreibt: „. . Mea res sine lucro non erit. Nam praeter publicum salarium erit emolnmenti quidquam aliud.“

  • In dem 4. seiner Sermones sucht Urceus sich für die fehlenden Kinder durch die Anhänglichkeit seiner Schüler zu trösten „ . . . sed quid mihi

filios deesse queror, cum plurimos in multis Italiae civitatibus discipulos habuerim et hie nunc habeam, qui me parentis loco amant, colunt et observant, qui me mortuum efferrent, dolerent ac plorarent?“

Dieser leidige Trost erschien ihm jedoch nicht immer ausreichend. Er lässt elegische Klageworte über sein einsam hingebrachtes Leben vernehmen: „0 Codrum infelicem, qui sine uzore vitam degit ferinam! Ego, vir! omatissimi , ut de me aliquid in hoc mei sermonls fine dicam , eram satis egregie naturae et fortunae bonis dotatus. Viguit et adhuc viget Ingenium, viget memoria; oculi acuti; intestina sana, sine vitio sunt, sine morbo; artus mei validi; non egeo amicis, non libris, non pecuniolis; ad quinquagesimum annum perveni, ad quem multi contemporanei mei non pervenere. Felix essem, nisi liberi non deessent. si quis parvulus aula luderet Aeneas, qui me tantum ore referret! cui cistam et Graecos possem legare libellosl Non omnino mihi desertus inopsque viderer.“ (Opera p. 125.)

    • Es ist Berti's Verdienst, in neuerer Zeit auf die Bedeutung von Urceus

nachdrücklich aufmerksam gemacht und die ansprechende Vermuthung begründet zu haben, dass Coppernicus dessen Schüler gewesen sei. (Copernico e le vicende del sistema Copernicano in Italia 1876. p. 48 sqq.) Berti hat bereits die wesentlichsten Momente hervorgehoben, durch welche die letztere Annahme gestützt wird. Dieselbe hat allgemeine Billigung gefunden. Selbstverständlich hat sich ihr auch Malagola in seiner oft angeführten Biographie des Urceus unbedingt angeschlossen, da der Nachruhm des Letztem erhöht wird, wenn ihm das Verdienst zugebilligt werden kann, der Lehrer von Coppernicus gewesen zu sein.

254 DIE UNIVERSITÄT BOLOGNA.

hat und ihnen treu zugewandt bUeb, auch nachdem er die Bchönen Gefilde des klassischen Landes verlassen hatte und in der Heimat allein stand mit seiner Kenntniss der griechischen Sprache.

In gleicher Weise musste die geistig freie Stellung, welche Urceus und seine Freunde einnahmen, den der neuen Richtung angehörenden Coppenucus anziehn. Die skeptischen Grundsätze und die antikirchlichen Aeusserungen, denen wir in den Schriften von Urceus begegnen,* konnten den jungen Domherrn diesen Kreisen kaum entfremden, wenn wir erwägen, welche indifferente

  • Sehr mild ist noch das Urtheil Bianchinis: „Oodrus . . . circa christianum dogma, si non re, saltem verbis clandicabat,“ wenn man die sehr weitgehenden Aeusserungen des Urceus erwägt, von denen einige hier anzuführen

sind. So sagt er z. B. in seinem 12. Sermo: „Nostri quoque theologi saepenumero yacillant et de lana caprina rixantnr, de conceptione Virginis, de Antichristo, de sacram^ntis, de praedestinatione et de alüs qnibusdam, quae potios tacenda sunt, quam praedicanda.“ Eine ebenso anstOssige Stelle findet •ich Opera p. 161: „ . . . Hie de mendacüs Summi Pontificis, de mendaeüs Cardinalinm Virorum, Episoopomm, Protonotariorum , Canonicomm, Abba tium, Monachorum et aliorum religiosorum dicendum esset , sed

nimis longnm sermonem facerem.“ - Am meisten bekannt ist die Verfluchung, welche er nach Bianchini's Mittheilung gegen sich ausgestossen haben soll, als er zu Forli durch einen Brand seine Manuskripte verloren hatte. Man findet sie u. a. auch in Bayle's dictionnaire historique et critique s. v. Urceus: „„Quodnam ego tan tum scelus concepi Christel quem ego tuorum unquam laesi, ut ita inexpiabili odio debaccheris. Audi Virgo (pergebat ad quoddam versus simulacrum) ea, quae tibi mentis compos et ex animo dicam. Si forte, cum ad ultimum vitae finem pervenero, supplex accedam ad te oratum, ne me audias neve inter tuos accipias oro, cum infemis Düs

in aeternum vi tarn agere decrevi.“

Nach Mittheilung der heftigen Aeusserungen des Urceus gegen den kirchlichen Dogmatismus dürfte es nur von historischem Interesse sein, anzuführen, dass er auch in Hier Philosophie eine skeptische Stellung eingenommen. Er betonte scharf die Unsicherheit aller menschlichen Erkenntniss. Einst, da er noch zu Forli lebte, suchte bei einem Gastmahle ein Tischgenosse ihn mit seinem Skepticismus in die Enge zu treiben. Urceus selbst berichtet hierüber in seinem 6. Sermo (opera p. 156], wie Jener mit der Thesis begonnen: „Quodcumque dicitur, aut est, aut non est.“ „Ego dubito“, inquam. Contra: „Tu dubitas hanc propositionem, ergo aliquid dubitas.“ „Ego dubito, an dubitem hanc propositionem.„ Contra: „Tu dubitas, an dubitcs, ergo aliquid dubitas.„ „Ego dubito, an dubitem, dubitemne; et si ille bis dubitare dicebat, ego ter repetebam, ne Codrum haberet irretitum.“

ANTONIUS URCEUB CODRUS. 255

Stellang zu jener Zeit die höhere Geistlichkeit zu den dogmatischen Ueberlieferungen einnahm. Die religiöse Ueberzeugung des Urceos mhte überdies auf ernster philosophischer Grundlage, und die dem Kirchenthum feindlichen Aeusserungen sind durch die damalige Entartung desselben, die schlimmen Auswttcnse und Missbräuche leicht erklärlich/ Sodann hatten sich die Anschauungen des Urceus aus früherer Zeit schon sehr geläutert, als Coppernicus mit ihm zu Bologna lebte; sein Testament zeigt ihn als gläubigen Christen."^*

  • Die schroffen antikirchlichen Aeusserungen des Urceus, welche in der

vorstehenden Anmerkung mitgetheilt sind, werden erklärlicher, wenn man sie nicht aus dem allgemeinen Zeitrahmen heraushebt, nicht in ihrer Vereinzelung betrachtet. Die Mehrzahl der italienischen Humanisten war in Gleichgültigkeit oder offener Feindschaft gegen den Dogmatismus grossgezogen, sie suchten fast geflissentlich diese feindliche Stellung zur Schau zu tragen. Der Freundeskreis von Urceus huldigte denselben Anschauungen. So hatte u. a. Beroaldus die Gedanken, welche Codrus gegen die Unsterblichkeit der Seele ausgesprochen! in epigrammatische Form gebracht:

„Codre quid est infra? - Tenebrae. - Non scansio ad astra est? Ulla. - Quid est Pluto? - Fabula vana hominum. Cerberus estne illic, Proserpina, Tisiphoneque? Non mage quam Pluto, quamque ager Elysius. Quae natura animae? Quae corporis? - lUa perinde

Solvitur ac corpus; nee magis illa viget.

Proinde tibi indulge, dum vivis, dum licet utl,

Utere delicüs; omnia mors adimit.“

    • Von Widersprüchen hatte sich Codrus, wie viele der Humanisten,

nicht frei gehalten. Wir finden bei ihm auf der einen Seite ein Anstürmen gegen den Dogmatismus der Kirche, und dann wieder eine abergläubische Abhängigkeit von Vorbedeutungen und Prophezeihungen. Die Belege bietet Bianchinl vita Codri p. 15 und 16. Derselbe deutet auch an, es seien die heftigen Ausfälle gegen die Satzungen der Kirche nicht so schlimm aufzufassen, es habe Urceus gegen das christliche Dogma mit Worten geeifert, „non ro<'. Ein anderer Schüler, der Bischof Joh. Pins von Rieux, bezeichnet seinen Lehrer als „hominem innocentissimum“. iCodri opera p. 225.)

. Bianchini berichtet, es habe Urceus in der letzten Zeit seines Lebens sich der Kirche zugewandt. Details, wie sie Spitzelius in seine Schrift „Felix literatus“ aufgenommen, hat Bayle bereits a. a. 0. mitgetheilt. Den zuvorlässigsten Beleg für die Wandelung des Urceus in seinen Grundanschauungen bietet jedoch sein Testament, welches Bianchini uns erhalten hat: „Ego Antonius Urceus . . . vitam et salutem ab immortali Deo spero

256 DIE UNIVERSITÄT BOLOGNA.

Dass Coppernicus die griechische Sprache bereits in Bologna, lUso unter Leitung von Urceus erlernt habe, ist nach den Ergebnissen der neuem Forschung als unzweifelhaft anzusehn. Die frühere Annahme, dass er das Studium der griechischen Sprache erst in Padua begonnen habe, gründete sich lediglich darauf, dass Padua, die Landes-Universität von Venedig, die flüchtigen Griechen vorzugsweise anlockte, und griechische Emigranten dort ihre Muttersprache lehrten.* Ueberdies hatte man, durch Papadopoli getäuscht, den Aufenthalt des Coppernicus zu Padua auf mehr denn sechs Jahre ausgedehnt. Gegenwärtig wissen wir, dass Coppernicus erst im Herbste 1501 diese Universität aufsuchte, dass die erste Zeit seines dortigen Aufenthalts durch die Vorbereitungen zu der im Mai 1503 erfolgten Promotion im kanonischen Rechte, wie durch den gleichzeitigen Anfang eines neuen, des medicinischen, Studiums vollauf in Anspruch genommen wurde. In den beiden letzten Jahren aber war er durch die Vertiefung und den Abschluss seiner medicinischen Studien vollauf beschäftigt.

et opto. Sed cum res humanae fragiles sint et caducae, et scansilis annus, qui fit ex sexto novenario, malam mihi minetur, dum memoria et ingenio promptus sum et valeo, ita de rebus meis disponi volo. In primis animum meum, seu animam, omnipotenti Deo commendo spiritum meum. Quem quidem animum semper immortalem duxi, contra Epicurum oscitantem et eos, qui sub christiano nomine nihil christiani agunt.“

Von geistigem Hochmuthe hatte sich Urceus während seines ganzen Lebens frei gehalten. Bezeichnend ist ftir seine anerkennenswerthe Grundanschauung die Stelle eines Briefes an Aldus Manutius: .... „officium nostrum esset non superbire, sed alterum ab altero discere et nos invicem amare et hominem ignotum ter et quater, priusquam contemnas, versare.“

Auf seinem Grabsteine gestattete er nicht, eine prahlende Inschrift anzubringen ; es sollten auf denselben die einfachen Worte

Codrus eram gesetzt werden.

  • Gerade in den Jahren, welche Coppernicus zu Padua verlebte, scheinen

die hellenistischen Studien daselbst weniger eifrig betrieben worden zu sein. Der damalige Inhaber der griechischen Lehrkanzel, Laurentius Creticus, war vom Senate zu Venedig nach Lissabon entsandt, und erst in der Mitte des Jahres 1503 wurde Marcus Musurus, vorläufig in einer Nebenstellung, als Supplent an die Universität berufen.

DIE EBLEBNUNG DEB OBnSBCHISCHEN 8PBACHE. 257

Zu Bologna dagegen hatte Coppernicus volle Masse ftir die Erlemong der griechischen Sprache, da die kanonistischen Stadien ihn nicht bedrängten/ Er fand hier femer - and dies ist das Hauptsächlichste - in Antonio Urceo einen trefflichen, bewährten Führer ftir die Erschliessang der hellenistischen Literatar.** Dieser verstand es, seine Schiller über die Schwierigkeiten der Erlernung des fremden Idioms leicht hinwegzuhelfen, indem er sie nicht in der methodischen Weise unserer gegenwärtigen Gelehrtenschulen zu lange in den Elementen verweilen liess, sondern Msch zur Lektüre, in den Geist der Schriftsteller selbst einführte.***

  • Nur dadurch, dass Coppernicus seine ^kanonistischen Studien zu Gunsten anderer wissenschaftlicher Thätigkeit zurücktreten liess, scheint die

lange Lehrzeit erklärlich. Sein Oheim Watzelrode hatte bereits nach Beendigung des 3. juristischen Jahres-Kursus promovirt; Coppernicus dagegen, obwohl auch er schon mindestens ein Triennium in der Artisten-Fakultät absolyirt hatte, unterzog sich dem Doktor -Examen erst sieben Jahre nach seiner Immatrikulation in der Bechts-Universität.

    • Urceus hatte bereits ein volles Decennium die griechische Sprache an

der Universität zu Bologna gelehrt, als Coppernicus dorthin kam. Bei seiner eingehenden Kenntniss der griechischen Literatur beschränkten seine Vorlesungen sich nicht auf einen kleinen Kreis; er interpretirte Schriftsteller, welche, wie oben S. 252 bereits mitgetheilt ist, den verschiedensten Ctobieten angehorten. Er las u. a. auch über Euklid und Archimedes, und verbreitete sich, wie aus dem 1 . und 3. Sermo hervorgeht, ebenso über die astronomischen Ansichten der Griechen.



Schliesslich darf fUr die Begründung der Ansicht, dass Coppernicus durch Urceus in die griechische Sprache eingeführt sei, hier wohl nochmals nachdrücklich hervorgehoben werden, dass Coppernicus sicher gleich die erste Gelegenheit zur Erlernung derselben benutzt haben wird. Er wusste, dass Bessarion und Begiomontanus das Griechische mit Eifer studirt hatten, um nur den lateinischen Text des Ptolemaeus nach dem Urtexte richtig zu stellen und die mannigfachen Fehler und Irrthümer zu entfemen, welche sich durch die bisherigen Kommentatoren eingeschlichen hatten. Er selbst aber durfte ho£fen, bei selbstständiger Forschung vielleicht neue Aufschlüsse über die Probleme zu entdecken, die ihn so sehr beschäftigten. Man vergesse doch nicht, dass damals noch wenig übersetzt war, und die Männer der Wissenschaft es nicht so leicht hatten, wie jetzt, wo Alles durchsucht ist.

      • Wie die ersten akademischen Docenten der hellenischen Literatur

durch den Umgang mit Männem, deren Muttersprache das Griechische war, I. 17

258 DIE UNIVERSITÄT BOLOGNA.

Welche Werke der Griechen Urceus in der Zeit interpretirte. da Coppernicus sich in Bologna aufhielt, können wir zur Zeit nicht angeben. Die Botuli hatten hier keinen bestimmten Turnus vorgeschrieben ) die Wahl des Schriftstellers war dem Docenten überlassen. Es haben sich nun zwar mehrere EinleitnngsBeden („Bermones“) erhalten , welche Urceus, nach Art unserer Jahres-Programme, seinen Vorlesungen voraufzuschicken pflegte; allein darunter befindet sich keine aus den Jahren 1496 - 1500.*

diese Sprache erlernt hatten, so pflegten sie selbst ihre Schüler gleichfalls nicht mit grammatischen Kleinigkeiten aufzuhalten; sie Hessen sie nur die Hauptregeln lernen und nicht die Ausnahmen von den Ausnahmen der Ausnahmen. „Meminisse vos velim - so warnt die Lehrer Aldus Manutius, der Freund von Urceus - ne quid nisi doctissimorum autorum ediscere cogatis adolescentulos ; immo ne grammaticas quidem regulas, nisi compendia quaedam brevissima, quae teneri facile memoria queant.“

Durch diese Art des Unterrichts wird auch die Freudigkeit erklärlich, mit welcher die Scholaren bei den griechischen Studien verblieben. So rühmt Urceus im 7. Sermo, dass ein grosser Theil seiner Schüler ihm stetig treu geblieben sei. „Ceterum multi adsunt in hoc auditorio, qui literarum Graecarum dulcedine et utilitate iam capti se mihi perpetuos discipulos obtulerunt. Speroque plures alios, cum literas Graecas vel summis labris degustarunt, itidem esse facturos.“

Die Schwierigkeiten, welche der methodischen Erlernung der griechischen Sprache in jener Zeit entgegenstanden, sollen in einem spätem Abschnitte hervorgehoben werden. Bei dem Mangel an den nothwendigsten HUlfsmitteln, Grammatiken wie Wörterbüchern, begnügte sich der Docent 'damit, die einfachsten grammatischen Regeln zu überliefern, auch von der Deklination und Konjugation nur die am häufigsten vorkommenden regelmässigen Formen einzuüben, die Abweichungen dem eigenen Urtheile oder gelegent* lieber Besprechung überlassend. Die ersten Lexika und Grammatiken waren gleichfalls in der einfachsten Weise angelegt. Der Lernende notirte sich selbst Erweiterungen und Ergänzungen, wie sie ihm bei der Lektüre aufgestossen waren. Belehrend sind in dieser Beziehung die Notizen, welche Coppernicus in sein Exemplar des griechisch-lateinischen Lexikon des Rarmeliter-MOnches Johannes Chrestonius eingezeichnet hat.

  • Unter den durch den Druck veröffentlichten Schriften des Urceus

haben sich auch 14 der mehrfach erwähnten „Sermones“ erhalten, der Programm-Reden, mit welchen er seine Vorlesungen alljährlich eröffnete. Nur von drei dieser Sermones können wir das Jahr bestimmen, in welchem sie gehalten sind; diese fallen vor die Zeit der Ankunft des Coppernicus [in Bologna (1489, 1494, 1495).

DIE GRIBCHISCHKN EPISTOLOGBAPHEN. 259

Durch Coppernictts selbst ist uns aber ein indirektes Zengniss erhalten, dass Urcens im Studien-Enrsas 1499/1500 die grie^ chischen Epistolographen in seinen akademischen Vorträgen, oder privatim, interpretirt hat. Aldus Manutius hatte dieselben im Frühjahre 1499 herausgegeben und seinem alten Freunde Urceus Codrus, mit dem er einst unter Baptista Guarino die griechische Sprache erlernte, als fjLVTjfioauvov zugeeignet."* Zugleich hatte er ihn ersucht, das Buch für seine Vorlesungen zu benutzen, um die Liebe zu der Wissenschaft in den Scholaren zu fördern.'^

Unter den 5 „Sermone„“, welche den griechischen Vorlesungen von Urceus voraufgeschickt sind, verbreitet sich die 5. dieser Einleitungs-Reden über die Schätze der griechischen Literatur im Allgemeinen ; die 11. wendet sich in heftigem Zorne gegen die Verächter dieser Studien und führt dann zu Hesiod und dessen Ip^a xa\ if)[A£pai über; die dritte preist in hohem Lobe Homer, mit dem sich auch der 2. Sermo bereits beschäftigt hatte; die 5. Rede endlich handelt über das Leben des Aristoteles und die griechische Philosophie bis auf dessen Zeit.

  • Die Erinnerung an seine Studienzeit in Ferrara, dem berühmten Musensitze der Este, begleitete Urceus 4urch sein ganzes Leben. Mit Begeisterung

gedachte er noch in späten Jahren seines Lehrers in den klassischen Sprachen, des jungem Baptista Guarino, welcher, gleich seinem berühmten Vater, mit Begeisterung dem griechischen Alterthume zugewandt war. „At illa inter minima non est reputandum“ - schreibt Urceus einem Freunde - „quod mihi in celeberrima studiorum ac literarum urbe doceri contigit, Ferrariae scilicet, et ab eo institui, qui linguae Latinae Graecaeque decus et specimen uno omnium literatissimorum ore fertur et praedicatur, Baptista Guarini Veronensis filio, qui famam ingenü re ipsa exsuperat, et a me semper summa praedicatione summoque honore colendus est ac observandus.“

    • Die Dedikation des Aldus Manutius lautet :

„Aldus Manutius Antonio Codro Urceo S. P. D.

Collegimus nuper, Codre doctissime, quotquot habere potuimus Graecas epistolas, easque typis nostris excusas duobus libris publicamus, praeter multas illas Basilü, Gregorü, et Libanü, quas, cum primum fuerit facultas, imprimendas domi servamus.

Auetores vero, quorum epistolas damus, sunt numero circiter quinque et triginta, ut in ipsis libris licet videre. Ha s ad te, qui et Latinas et Graecas literas in celeberrimo Bononiensi. Gymnasio publice profiteris, muneri mittimus,tum ut a te discipulis ostendantur tuis, quo ad cultioree literas oapessendas incendantur magis, tum ut apud te sint Aldi tui \ksri\U^'ios - et pignus amoris. Vale.

Vcnetüs quintodecimo calendas maias. M.ID.“

17* •

260 DIE UKIVERSITIt BOLOGNA.

UrceuB ist der Anfforderang des Freundes nachgekommen. Wir können es darans entnehmen, dass CoppernicnB spftter einen Abschnitt ans dem 2. Theile des Werkes, die Episteln des Theophylactns Simocatta, in einer lateinischen Uebersetznng heran„gegeben hat, die er ohne Anleitung nicht gefertigt haben würde. Nun hat Coppernicus zwar den Unterricht von Marcus Mnsums^ durch den Aldus Manutius bei der Herausgabe der Epistolographen unterstützt worden war, zu Padua benutzen können. Allein wenn es auch nicht unwahrscheinlich ist, dass Coppernicus seine zn Bologna begonnenen hellenistischen Studien unter Musurus fortgesetzt hat, so dürfte er doch kaum die Episteln des Theophylactus unter dessen Leitung gelesen haben. Die Coppernica^ nische Uebersetzung weicht nämlich in nicht wenigen Stellen von dem griechischen Texte der Aldina ab, und es ist schwerlich zu glauben, dass Musurus nach so kurzer Frist diese Abänderungen in seinen Vorträgen vorgenommen haben werde.* Es scheint sonach der Beweis erbracht zu sein, dass Coppernicus die Episteln des Theophylactus Simocatta als Lembuch unter Urceus Godms, entweder in dessen akademischen Vorlesungen, oder im Privatunterrichte benutzt habe. Nachdem der Versuch gemacht ist, den Boden zu analysiren, auf welchem in den Jahren 1494 - 1500 die geistige Entwickelung von Coppernicus gefördert ward, liegt der Wunsch nahe, auch die äussern Verhältnisse zu erkunden, unter denen Coppernicus zu Bologna gelebt hat und den Freundeskreis zu ermitteln, mit dem derselbe in den Jahren des angehenden Mannesalters verbunden gewesen ist.

Leider ist auch hier nur gering der urkundliche Anhalt; anderweite Ueberliefemng fehlt gänzlich. Es ist sonach nicht

  • Die wichti^ten Abweichungen des Textes, den Coppernicus zu Grundegelegt hat, Ton dem Texte der Aldina sind in den Anmerkungen zu dem

Abdrucke seiner Uebersetzung Band Ü S. 52 ff. verzeichnet. Sie finden sicl^ vomämlich Epist. 1, 3, 4, 5, 34, 35, 36, 65, 69, 82.

DIE ÄUSSERN YEBHÄLTNISSE DER SCHOLAREN. 26 t

möglich^ ein reicheres Bild zu entwerfen; es werden nur einige Umrisse gezogen werden können. Späterer Forsohnng muss es überlassen bleiben, einen und den andern charakteristischen Zog Tielleicht hinzuzufügen, -r Wo und in welcher Umgebung Coppernicus seine Wohnung 2U Bologna gewählt hat, wissen wir nicht. Bei den grossen Alters- Verschiedenheiten der Scholaren war. hier, wie auf den andern Universitäten, das äussere Leben derselben nach ganz verschiedenen Normen eingerichtet.* Die jüngeren bezogen mit

  • Gegenwärtig bestehen ziemlich feste Altersgrenzen für den Eintritt

in die Universität, seit die Mittelschulen einer gleichmässigen Regelung unterworfen sind, und ein Maturitäts-Examen üblich ist. Ganz anders war es bei -den Universitäten des 15. und 16. Jahrhunderts. Damals lag das mittlere Alter der Studenten auf den Landes-Universitäten im Allgemeinen unter dem Durchschnitts -Alter der heutigen Abiturienten; die Artisten -Fakultät der damaligen Universitäten musste ja zum Theil das heutige Ober-Gymnasium ersetzen. Neben diesen jungen Scholaren fanden sich dann freilich auch nicht wenige ein, welche durch die Verhältnisse gezwungen waren, nachträglich in spätem Jahren ihre Bildung zu vollenden.

Noch grosser, als in den übrigen Ländern, war die Alters-Verschiedenheit der Scholaren auf den Universitäten Italiens. Während die Einheimischen gleichfalls meist in jungem Jahren zu den akademischen Studien •entsandt wurden, kamen die fremdländischen Scholaren erst in reiferem Alter, wenn sie in der Heimat bereits graduirt waren, oder wenigstens die Artisten-Fakultät absolvirt hatten ; sie zogen nach Italien oft erst, nachdem sie in den Besitz einer Pfründe gelangt waren.

Aus der Matricula nationis Germanoram lassen sich nicht genaue Nachweise über das Lebensalter der Scholaren entnehmen ; sie enthält ausser den Namen nur den Heimatsort, bez. die Angabe der Diöcese, welcher sie zugehörten. Das Geburtsjahr ist niemals beigefügt, wohl aber die Lebensstellung, wenn die Scholaren bereits ein Amt bekleideten, oder graduirt waren. Sonach lässt sich annähemd der Procentsatz der Scholaren bestimmen, welche in reiferem Alter standen.

In dem Decennium von 1490 - 1500 sind ca. 250 deutsche Scholaren in 4er Juristen-Universität zu Bologna immatrikulirt. Von ihnen hatten mehr als der dritte Theil bereits die Jünglings- Jahre überschritten; mehr als 80 besassen eine Pfründe oder hatten sich schon einen akademischen Grad erworben. Es waren 20 „clerici“, ein „Archidiaconus“, mehr als 40 „canonicicr (darunter einer, der 2 Kanonikate besass, ein anderer, welcher deren fünf hatte; drei derselben waren „praepositi capituli“, einer decanus, einer scholasticus). Es waren ferner 10 artium magistri, ein Doctor iuris pontificü,

262 DIE UNIVERSITÄT BOLOGNA.

ihren Hofmeistern die Universität oder worden einem der PrcH fessoren als Kostgänger übergeben."^ Die älteren Seholaren, die bereits in Amt und Wttrden stehenden, wählten sich Hieth -Wohnungen, welche gegen einen bestimmten Taxwerth bereit gehalten wurden.**

Aus dem Berichte des Rheticus über das enge Verhältniss zwischen Kovara und Coppernicus hat man nun geglaubt, den Schluss ziehen zu können, dass Letzterer im Hause Novara's gewohnt habe.*** Die Annahme ist recht ansprechend. Sie gewinnt

ein doctor legum, zwei doctores iuris utriusque; dazu kamen noch 6 magiBtri jüngerer Scholaren und ein „rector utriusque universitatis“.

  • Wenn jüngere Scholaren die Universität bezogen, dann wurden nie su

Bologna, ebenso wie anderwärts, in die Kost eines Professors gegeben, welcher sie zugleich unterrichtete und beaufsichtigte. Die fremdländiachen Scholaren, welche in jugendlichen Jahren nach Bologna zogen, wurden von eigenen Hofmeistern begleitet, wenn die äussern Verhältnisse der £ltem dies gestatteten; letztere sind neben den Namen ihres Zöglinges als „praeceptor“ oder „magister suus“ in der Matrikel aufgeführt. Bei den bedeutenden Kosten, welche damit verknüpft waren, geschah dies natürlich nicht häufig; öfter kam es jedoch vor, dass die Jünglinge in Begleitung eines zuverlässigen, ungelehrten „famulus“ entsandt wurden.

Im Jahre 1490 sind zwei jugendliche canonici des Meissner Domstifts in der Matrikel der deutschen Nation aufgeführt, „Johannes und Wolfgangus de Schleinitz“. Beide hatten die Universität in Begleitung eines Hofmeisters bezogen; dem ersteren war „Hieronymus“ als „magister suus“ beigegeben, dem zweiten „Christophorus Kuppener“.

  • • Für die einzelnen Mieth -Wohnungen war schon durch die ältesten

Statuten eine Taxe angeordnet, welche alljährlich durch eine gemischte Kommission von zwei Bürgern und zwei Scholaren bestimmt wurde. Die Hausbesitzer waren bei Strafe gehalten, keinen hohem Preis zu fordern; ebenso durften die Scholaren den Miethspreis nicht erhöhen. Jeder hatte das Recht drei Jahre lang in der gemietheten Wohnung zu verbleiben, und kein Scholar durfte den andern ausmiethen.

♦♦♦ Die recht annehmbare Vermuthung, dass Coppernicus im Hause von Novara zu Bologna gewohnt habe, hat Berti zuerst ausgesprochen in der Festrede, welche er zur 4. Säkularfeier der Geburt von Coppernicus zu Rom gehalten und dann im Jahre 1876 veröffentlicht hat: „Copernico e le vicende del Sistema Coperaicano in Italia“ p. 27. Berti stützt sich auf die oben S. 236 bereits angeführten Berichte des Rheticus, denen der gewünschte Sinn allerdings untergelegt werden kann, wenngleich sie nicht unbedingt zwingende Beweiskraft haben. Rheticus bezeugt an beiden Stellen, dass Cop

ANDREAS KOPPERNIOK IN BOLOGNA. 263

RüB schon dadurch, dass früh eine gemeinsame Thätigkeit der beiden Männer bekundet wird ; bereits wenige Monate nach seinem Eintreffen in Bologna verzeichnet Coppernicus eine genaue MondBeobachtung. Eine zwingendere Beweiskraft würde jene Annahme erhalten, wenn wir über die häuslichen Verhältnisse von Novara unterrichtet wären, namentlich (darüber, ob sein Hausstand zur Aufnahme älterer Scholaren eingerichtet gewesen ist.*^

Während der beiden letzten Studien -Jahre zu Bologna hat Coppernicus seinen Bruder Andreas um sich gehabt. Letzterer war im Herbste 1498 daselbst eingetroffen, um gleichfalls geistliches Recht zu studiren/"^ Obwohl beide Brttder bereits im Be

pernicus die Beobachtungen Novara's unterstützt und seinen Ansichten unbedingt beigepflichtet habe. Er sagt in dem Briefe an Schoner vom Jahre 1540, Coppernicus sei „adiutor et testis observationum doctissimi yiri Dominici Mariae“ gewesen. Noch bestimmter scheint Rheticus in den Ephemeriden zum Jahre 1551 auf ein Zusammenleben des Coppernicus

mit Novara hinzudeuten: „Gopernicus y ix erat cum Domini co

Maria Bononiensi„ cuius rationes plane cognoverat et observationes adiurat.“

  • Zur Unterstützung seiner Ansicht, dass Coppernicus bei Novara gewohnt habe, hebt Berti hervor, dass die Professoren gern Scholaren bei sich

aufgenommen haben, weil sie bei ihrem spärlichen Gehalte darauf angewiesen waren, sich anderweite Einnahme -Quellen zu erüfifnen. Dass auch die angesehensten Gelehrten dies thun mussten, beweist er durch zwei Beispiele aus dem 15. und 16. Jahrhunderte. Es hat der berühmte ältere Guarino eine grössere Zahl von fremden Scholaren, namentlich aus Ungarn, bei sich aufgenommen, wie Rosmini in seiner „Vita e disciplina di Guarino Veronese“ nachgewiesen hat. Sodann wissen wir durch die von Berti selbst in den Abhandlungen der Venetianischen Akademie Bd. XVI veröffentlichten eigenhändigen Memoiren Galileis, dass auch dieser genöthigt gewesen ist, Kostgänger zu halten. - Diesen beiden berühmten Gelehrten ist nach dem Zeugnisse von Malagola a. a. 0. p. 550 noch der ältere Beroaldus anzureihen.

    • Andreas Kopper nigk ist im Herbste 1498 in die natio Germanorum zu Bologna aufgenommen, wie die „Matricula“ und die „Annales“ der

Nation nachweisen. Vgl. Malagola a. a. 0. p. 578.

Der Familien-Name erscheint in beiden Schriftstücken in der Verstümmelung Kopteroick, wenn nicht das t etwa als f zu lesen ist. Die Angabe der Heimat-Diöcese fehlt in der Matrikel, in den Annales ist für sie eine Lücke gelassen - ein Beweis, dass beide Eintragungen mit grosser Flüchtigkeit vorgenommen sind.

264 DIE UNIVERSITÄT BOLOGNA.

Bitze einer Domherrn - Pfirtinde waren,* und von dem noeh aoBserordentlichen ZoBchusg erhielten, reichten ihre Einnahmen nicht aoB, die Kosten des thenem Anfen&alts in Bologna zu bestreiten.**

Andreas Koppernigk ist an letzter Stelle eingetragen, yielleicht also erat einige Zeit nach dem Beginne des Studien -Conus 1498/^ eingetretea. In der Matricula Nob. Grerm. Coli, findet sich die Einzeichnung Blatt 72 recto (die ersten Einzeichnungen stehen auf der Seite vorher} :

„Anno Domini M.CCCC.XCVÜI. Nobilibus Dominis Jodoco de Anfseas, canonico ecclesiae Bambergensis, et Bussone de Alyensleve, Havelbvrgensü diocesis. electis procuratoribus, albo ascripti sunt:

Dominus Andreas Kopternick libram unam, bononenos daodeeim.“

Der Vermerk über die Aufnahme des Andreas Koppernigk in den An nales Clariss. nacionis Germanorum (Blatt 144) lautet:

„1 498.

Anno domini 1498, Indictione prima, sexta die mensis Januarü, Pontifi catus sanctissimi in cristo patris et domini nostri domini Alexandri papae

sexti, Ulustrissimo ac serenissimo domino Maximiliano monarchiam sacratif simi imperü Romani gubemante, Indita nacione dominorum scholaaticomm

Theotonicorum In utroque Jure bononiae studencium, In ecclesia sancti firi diani extra portam Sancti mammae, ut de consuetudine fieri Solet, Conyo cata et congregata rite, elegerunt legitime In eiusdem nacionis praefectos

seu procuratores Nobiles viros dominum Jodocum de aufses, canonicum bam bergensem, et dominum bussonem de alvensleve havelburgensis diocesis,

qui, juxta statutorum formam praestito Juramento, onus procuracionis in se


susceperunt.

Recepta.

A domino andrea kopternick diocesis . . . - bolonenos XXXÜ.“

  • Andreas Koppernigk war älter als sein Bruder Nicolaus, ward

Jedoch erst später in das Domstift zu Frauenburg aufgenommen. Die Gründe sind unbekannt. Andreas war Nachfolger des am 23. Deoember 1498 yerstorbenen Thornas Werner,' ist also im Laufe der ersten Monate des Jahres 1499 in das ermländische Kapitel eingetreten. Keinenfalls aber hat er, wie ich in der Schrift zur Biographie von Coppernicus p. 31 irrthfimlich angegeben hatte, an der Vertheilung der AUodien am 5. Februar jenes Jahres theilgenommen. Watterich a. a. 0. p. 29 hat bereits richtig bemerkt, da“ dort unter „Andreas“ der damalige Kustos de Cleetz gemeint ist; es geht dies aus der stets sorgfältig beobachteten Rangfolge hervor. Andreas wäre in jenem Dokumente vor Nicolaus aufgeführt, während er in allen flbrigen Schriftstücken als jüngerer Domherr seinem Bruder nachgesetzt wird.

    • Nach den Statuten des ermländiscben Domstifts behielt der auf einer

DIE OEBBOdEB KOPPERNiaK JX GELDNÖTE. 265

Im Herbste 1499 befanden cdeh - wie wir aus einem zu Franenburg erhaltenen Schreiben ersehen - die Gebrttder Koppernigk in grosser Geldverlegenheit. Der bischöfliche Sekretär Georg Pranghe"^ war zu jener Zeit in amtlichem Auftrage nach Rom entsandt und hatte zu Bologna Rast gehalten. Dort be UniverBität befindliche Kanonikus das “corpus praebendae“; dazu wurden ihm noch 15 Mark bewilligt. Ob ausser diesen statntenmässigen Zahlungen dem Domherrn noch eine ausserordentliche Unterstützung aus dem StiftsVermögen gewährt wurde, ist unbekannt. Die Einnahmen, welche ihm aus seinem Allodium zukamen, werden nicht bedeutend gewesen sein. Sonach waren die Grebrüder Koppernigk allerdings auch wesentlich auf das Wohlwollen des Oheims angewiesen. Dass der Zuschuss, den dieser seinen Neffen zu dem Grehalte ihrer Pfründe nach Bologna zukommen Hess, verhältnissmässig bedeutend gewesen sein muss, dafür kann man yielleicht einen Anhalt aus einer letztwilligen Bestimmung des in gleichen Verhältnissen lebenden Bischofs Tiedemann Giese gewinnen. Dieser fundirte in seinem Testamente ein Stipendium für seinen Neffen Georg Heine, aus dem derselbe während der Zeit, dass er ein Studium universale besuchte , alljährlich 70 Mark erhalten sollte. Bei diesem Ansätze hatte Giese eine inländische Universität ins Auge gefasst. Die Gebrüder Koppernigk aber hatten für das theure Bologna aus ihren Stifts -Einkünften noch nicht zwei Drittel jener Summe zu ihrer Verfügung. Das corpus praebendae betrug nämlich nach Hipler's Angabe (Kopernikus und Luther S. 24) damals nur 30 Mark.

Wie hoch sich die durchschnittliche Jahres -Ausgabe für den massig wohlhabenden Studenten zu Bologna damals belaufen hat, lässt sich kaum annähernd bestimmen. Die wenigen Angaben, die sich von einzelnen Studenten erhalten haben, die vom Hochmeister entsendet waren, sind zu fragmentarisch, überdies der Werth des Geldes sehr wechselnd. Allgemein sind jedoch die Klagen über die Theurung aller Dinge in Bologna, von denen die Briefe der dort studirenden preussischen Jünglinge im 15. und 16. Jahrhunderte , angefüllt sind. Vgl. Joh. Voigt N. Preuss. Prov.-Bl. 1850, 160 ff.

♦ Watterich, welcher den im Texte mitgetheilten Brief aufgefunden und in seiner Abhandlung de Lucae Watzelrode episcopi Warm, in Nicolanm Copernicum meritis p. 34 zuerst veröffentlicht hat, macht den Georg Pranghe irrthümlich zum Propste des Guttstädter Kollegiat- Stifts; er hat das vom Schreiber des Briefes im Kontexte abgekürzt gebrauchte Wort „praefatum“ für „praepositum“ gelesen.

Georg Pranghe, diaconus Warmiensis, wurde auf Empfehlung des Heilsberger Schlossvogts Casp. Scherf im Jahre 14S6 auf die Vicarie St. Mathiae Ap. in Guttstadt instituirt. Er war lange Zeit hindurch Sekretär der Bischöfe Nicoluus von Tüng^ und Lucas Watzelrode. Nach dem AnniversarienBuche des Kollegiat -Stiftes in Guttstadt ist er als Vikar in Königsberg gestorben.

266 DIE UNIVEBSITAT BOLOGNA.

dtttnoten ihn die jungen Domherrn, ihnen Gteld zu verabfolgen. Namentlich der ältere Bmder Andreas war sehr dringlich; er erklärte nmdweg, wenn er seine Sbhnlden nicht sofort bezahlen k(hine, mttsse er zu Rom „Dienste nehmen“ („Andreas Romae servitüs se dare oflferebat“).

Pranghe konnte augenblicklich nicht helfen, seine Reisemittel waren erschöpft, „nudi ad nudum convolarant“. Er versprach jedoch die Intervention des Bevollmächtigten der ermländischen Kirche bei der römischen Kurie, des Dom-Dechanten] [Bernhard Sculteti, nachzusuchen."^ Dieser kam den Bedrängten zu Hülfe. Er entnahm gegen schwere Zinsen von einer römischen Bank fttr die jungen Gonfratres 100 Dukaten, indem er die Rttckzahlung innerhalb vier Monaten garantirte. Vielleicht hatten letztere ihm frühere Deckung der Schuld zugesagt; denn erst nach Verlauf eines Monats meldet Sculteti den Vorgang dem Bischöfe. Elr bittet nun zugleich, den Betrag baldmöglichst in Posen oder Breslau einzuzahlen, damit die NefTen nicht zu grosse Einbusse leiden und die Giranten nicht ihren Kredit schwächten. Das Herz des gestrengen Oheims zu erweichen, fügte Sculteti die humoristische Wendung hinzu, „nach Studenten-Art“ [„scolarium more“) hätten sich die Neffen in grosser Noth befunden.

i)t^

  • Bernhard Sculteti hatte im Jahre 1499, während er sich in Korn aufhielt, die zweite Prälatur im ermländischen Domstifte erhalten; er war erst

kurz vorher in das Kollegium eingetreten, als Nachfolger des im Jahre 1497 verstorbenen Christian Tapiau. Im Eingange des im Texte mitgetheilten Briefes stattet er dem Bischöfe Lucas für die Beförderung in das Domstift seinen Dank ab. Als Domdechant beabsichtigte er in Frauenburg dauernd seinen Aufenthalt zu nehmen. Allein im Herbste des folgenden Jahres war er daselbst noch nicht eingetroffen. In den ersten Monaten des Jahres 1501 ward er zu Verhandlungen an den Hochmeister entsandt. Im August dieses Jahres finden wir ihn noch im £rmlande; er muss jedoch bald darauf nach Rom gereist sein, wo er als Bevollmächtigter des Kapitels thätig ist. Fortan scheint er dort geblieben zu sein; in den Jahren 1513 - 1517 fungirte er als Hauskaplan und Kämmerer Leo des X.

  • "* Der interessante Brief, welchem die im Texte mitgetheilten Details

entnommen sind, ist von Watterich a. a. 0. seinem ganzen Wortlaute nach

DIE VERGNÜGUNGEN DES SCHOLAREN. 267

Durch Studien-Bedürfnisse war die Bedrängniss der Gebrüder Koppernigk schwerlich entstanden, Sculteti hätte dies in seinem Anschreiben nicht unterlassen hervorzuheben.* Das Leben und Treiben der Scholaren zu Bologna stellte Anforderungen, denen sich die jungen, lebenslustigen Domherrn nicht entziehen konnten und wollten. Denn man darf nicht entfernt das Leben der Kleriker-Scholaren auf den italischen Universitäten des Mittelalters etwa mit den Zuständen und Verhältnissen auf unsem geistlichen Seminaren in Vergleich stellen. Sie waren dort aller äussern Verpflichtungen ledig, wie sie das geistliche Amt in der Heimat ihnen auferlegte ; sie lebten mit den weltlichen Nations-Oenossen

abgedruckt; fUr den vorliegenden Zweck ist jedoch nur der SchluBB-Absclinitt wichtig. In dem ersten Thoile entschuldigt Sculteti die Verspätung seines Dankes über die Beförderung in das ermländische Domstift, er hätte gehofft denselben persönlich abstatten zu künnen. Dann fährt er fort:

. . . Causarum Vestrae Revorendissimae Patemitatis statum ex domino Ctoorgio Vestra Rev. Pat. abunde accepit, ita ut de illis ad me nihil.

Verum cum his diebus anteactis patrueles Vestrae Reverendissimae patemitatis, Bononiae degentes, scolarinm more pecunüs carerent, et ad dominum Georgium, 'et vere nudus ad nudum, conyolarent interpelläntes praefatum dominum Georgium quid consilü esset, Andreas Romae servitüs se dare offerebat, ut egestati mederetur : tandem ex bancho centum ducatos sub fenore receperunt, pro quibus fidem dedi quarto mense solyendi, quorum unus iam praeterüt. Ne igitur malus dampnum ipsi Nepotes, et nos fideiussores yerecundiam patiamur, has antedictas pecunias citius quo possit exsolvere in Posna aut Vratislayiae, ut Romam mittantur, non dedignabitur R. D. V. humiliter rogo, in quo Dignitas Vestra nepotibus illis rem utilem, nobis pergratam faciet, erga eandem Vestram Reyerendissimam patemitatem sedulo compensandam.

Ex urbe die 21. Octobris 1499.

V. Râ„¢*“ Dgniti“

humilis servitor

Bernardus Sculteti decanus Warmiensis.

  • Sculteti, bez. Pranghe, würden überdies, wenn irgend eine plützlicb

eingetretene Bedrängniss der Gebrüder Koppernigk den ausserordentlichen Zuschuss des Oheims erheischt hätte, nicht so lange gezögert haben, die Meldung dem letztem zuzusenden. Ein yoller Monat war, so schreibt Sculteti, bereits seit der Aufnahme des Geldes in Rom yerflossen; Pranghe war sonach spätestens in der ersten Hälfte des September in Bologna gewesen*

268 DIE UHIVEBglTiT BOLOGNA.

in der engsten Verbindong. Gemeinsam ersehienen sie su den akademischen FeierHchkeiten , gemdnsam hatten sie ihre kirchlichen Feste und weltlichen Vergnügungen.*

Eine den Scholaren kenntlich machende Kleidang, ihre halbe Zagehörigkeit zum geistlichen Stande erkennbar madiend („Halfpapena nannte sie deshalb der Volksmond/ , waren auch die weltlichen Rechts-Stndenten za] tragen verpflichtet.** Aber in diesem

  • Die gesammte natio GermftDorum masste an bestimmten Festtagen längere Zeit hindurch an jedem Sonntage - in der Kirche des heiUgen

Fridianns vor dem Thore San Mamolo erseheinen, um der Celebraäon einer Messe beizuwohnen; jeder Nichterscheinende hatte einen Bolognino Strafe zu zahlen.

An jenen Feiertagen vereinigten sich sämmtliche deutsche Bechts-Stüdenten gegen Abend regelmässig zu einem heitern Feste. Die erhebücheü Kosten jedoch, welche diese officiellen Schmausereien und Gelage mit sieh führten, dazu andere Ungehöriglteiten, welche im Gefolge waren, Teranlass^ ten eine Beschränkung dieser Fest- Versammlungen ; sie wurden nur dreimal im Jahre angesetzt. Auch ein schlimmerer Missbrauch wurde abgeschafft. Es hatten sich zu denjenigen Festen, welche auf einem freien Wiesen-Platse ausserhalb der Porta di S. Mamolo stattfanden, noch andere Bewohner Bolognas eingefunden, in deren Begleitung Frauenzimmer von schlechtem Rufe mitgekommen waren. Es wurde nun die Verordnung erUissen, daas Niemand zu jenen Versammlungen Zutritt erhielt, der nicht zur Nation selbst gehörte.

Ausser den regelmässigen Zusammenkünften veranstaltete die Nation auch ausserordentliche Feste. So hat sich die Notiz erhalten, dass im Juli 1612 die Wahl dos Kaisers Matthias durch öffentliche Fest-Spiele und ein grosses Feuerwerk auf der Piazza di S. Domenico von der natio Germanorum gefeiert worden ist.

    • Das schöne Original- Manuskript der Statuten der natio Germanorum

ist - wie oben S. 229 bereits erwähnt wurde - mit werthvollen Miniaturen geschmückt, welche zumeist dem Ende des 15. und Anfange des 16. Jahrhunderts angehören. Auf zwei derselben sind Scholaren in der damals vorgeschriebenen Tracht dargestellt, wie sie den Eid auf die Statuten vor dem Prokurator ablegen. Sie tragen über einem bis an den Hals reichenden Untergewande einen dunkelfarbigen, vorn auf der Brust zurückgeschlagenen, mantelartigen glatten Talar, der bis auf die Fersen hinabreicht. Der Kopf ist mit einer Kapuze bedeckt.

Auf dem einen Miniatur-Bilde steht der Prokurator hinter einem chorstuhlartig umrahmten Tische, auf dem die aufgeschlagenen Statuten liegen. Die Vorderseite des altarartigen Tisches trägt das Wappen der Nation: den doppelköpfigen gekrönten Adler und das geöffüete Buch mit der In

STUDBNTEN-BAUFEBEIEN . 269

dunkeln Rock-Talare mit Kapuze erschienen sie nur bei der Messe, den Kirchenfesten und Uniyersitäts- Feierlichkeiten. Die lange Reihe immer wieder eingeschärfter Kleider-Ordnungen zeigt, dass auf allen Uniyersiläten die Jünger der Wissenschaft die Anonymität der Kinder der Welt gern aufsuchten; die Berichte über die Studenten -Krawalle und Raufereien zwischen den einzelnen Nationen/ die Verbote der Übermässig zahlreichen Schmausereien

sehrift „Justiciae caltores“. Unter demselben steht die Jahreszahl 1495, ein Beweis , dass die Tracht der Scholaren gerade der Zeit angehört , in welcher Coppernicus zu Bologna studirte.

  • Studenten-Raufereien zwischen den einzelnen Nationen, wie zwischen

Scholaren und Bürgern oder den öffentlichen Sicherheits- Beamten, kamen auf allen Universitäten vor. Coppernicus kannte sie schon zur Gütige von Krakau her.

In Bologna waren zwischen den deutschen und polnischen Scholaren sehr früh heftige Reibungen entstanden ; die Annales nationis Germ, erwähnen sie bereits gegen Ende des 13. Jahrhunderts (I fol. 29). Im Jahre 1301 werden dieselben unter Vermittelung des berühmten Eanonisten Johannes Andreae beigelegt. Aber schon wenige Jahre darauf beginnen wieder heftige Reibungen, die zu sehr tumultuarischen Scenen führen. In den Annales werden unter den Ausgaben, welche zum Jahre 1306 notirt sind, Summen aufgeführt „pro refectione candelarnm, quae in rumore rumpebantur“, und „pro sacco, in quo portabantur res nacionis in discordia“ (I fol. 31) ; dort findet sich auch zur Illustration die Zeichnung eines Degens. Diese Raufereien scheinen dadurch entstanden zu sein, dass Scholaren, welche sich der einen Nation angeschlossen hatten, von der andern beansprucht wurden; es war die Zeit, in welcher fast ganz Polen von dem Böhmen-Könige Wenzel IL in Besitz genommen war, und Massen-Einwanderungen der Deutschen in Polen stattgefunden hatten. Um ähnlichen Streitigkeiten für die Zukunft vorzubeugen, wurden deshalb im Jahre 1306 - in welchem der Streit zwischen den Deutschen und Polen sein Ende fand - von der UltramontanenUniversität feste Normen aufgestellt, wie sie für die Feststellung der Nationalität in der Zukunft einzuhalten seien.

Neue Streitigkeiten hatten die Deutschen 1340 mit den Ungarn, welche die Polen, Böhmen und Burgunder unterstützten ; dieselben wurden wiederum durch den Einfluss von Johannes Andreae beendigt.

Ein ganzes Jahrhundert hindurch scheinen die Streitigkeiten der Deutschen mit den andern Nationen geruht zu haben. Erst in den Jahren nach der Abreise des Coppernicus aus Bologna beginnen sie wiederum : 1505 mit den Ungarn, 1507 mit den Engländern, 1513 mit den Sicilianem und 1517 mit den Lombarden. Dazwischen waren freilich nach Malagola stete Reibungen mit den Polen, welche er als „die ewigen Feinde“ der Deutschen zu

^70 DIK UNIVERSITÄT BOLOGNA.

and Gelage bekunden, dass die Weltlast anter den ScholaFen zu Bologna sich nicht bloss hin and wieder regte. Das Zosammenleben mit der lockern Jagend des reichen deatschen Adels zog gerade hier die Kleriker anmittelbar in den Stradel der Vergnttgangen."^ Sie nahmen ebenso thätigen Äntheil an den Kämpfen, welche die natio Germanica für ihre and der Universität StandesEhre darchzufechten hatte.**

Bologna bezeichnet (a. a. 0. p. 557); sie wurden durch neue Privilegien der natio Oermanorum beendet.

  • Die natio Germanorum umfasste - von den dienenden Mitgliedern

abgesehen ~ überhaupt nur Scholaren, welche den wohlhabenderen CtesellSchafts -Schichten angehörten. Nur der reichere deutsche Adel zog nach Bologna; nur die bepfrtindeten Kleriker, oder diejenigen, welche noch einen ausserordentlichen Zuschuss erhielten, konnten das kostspielige Studium dort wählen. Die fremdländischen Scholaren, welche grössere Ausgaben zu scheuen ' hatten , mussten die kleinern Universitäten in Italien aufsuchen : Pisa, Peruggia, Siena, Ferrara u. A. Peruggia empfiehlt z. B. der Orden„Prokurator Busch dem Herzoge Albrecht, welcher den jungen Botho von Eulenburg im Jahre 1523 nach Italien geschickt hatte; er erachtet dort einen Jahres-Wechsel von 150 Dukaten für ausreichend.

In die natio Germanorum wurden überdies - was man nicht vergessen darf - nur die Bechts-Studenten aufgenommen. Wer den künftigen BrotErwerb ins Auge zu fassen hatte, wer später als Lehrer oder Arzt wirken wollte, gehörte nicht zu ihrer Gemeinschaft; er wurde in die Artisten-Universität aufgenommen.

    • Zu der Zeit als Coppernicus in Bologna studirte, hatte die natio Germanorum wohl den Gipfel ihres Ansehns erreicht. Vermöge ihrer privilegirten Stellung, der grossen Zahl und des weitreichenden Einflusses ihrer

Mitglieder, hatte sie die Führung in allen Angelegenheiten, welche die gesammte Universitas betrafen. Kurz vor der Ankunft des Coppernicus hatte sie eine Haupt- und Staats- Aktion im allgemeinen Interesse siegreich durchgeführt.

Im Jahre 1491 war ein deutscher Scholar, Georg von Neudoch aus Oesterreich zum Rektor der Ultramontanen erwählt worden. Dieser hatte sofort nach seiner Einsetzung die Herstellung eines alten Ehren-Rechtes durchzuführen unternommen, welches seine Vorgänger in Nachgiebigkeit gegen ihre von dem Herzoge von Mailand abhängigen Kollegen, die Rektoren der Universität der Citramontanen, hatten verletzen lassen.

Nach den Statuten der Universität war den Rektoren nämlich der Vorrang vor den geistlichen und weltlichen Würdenträgem (mit alleiniger Ausnahme des Bischofs von Bologna) eingeräumt worden. Nun hatte aber der Gesandte des Herzogs von .Mailand , gestützt auf die Abhängigkeit der

SCHOLAREN AUS PRBUSSEN. 271

m

Mit wem Coppernicus unter seinen Stndien-Genossen zu Bologna in näherer freundschaftlicher Verbindung gestanden, darüber ist uns keine Kunde aufbewahrt. Auch von spätem Beziehungen, wie sie derselbe mit einstigen Krakauer Universitäts- Freunden unterhalten hat, ist zur Zeit nichts bekannt geworden.

Von speciellen Landsleuten, welche zusammen mit Coppernicus zu Bologna studirt haben,* mit welchen dieser in jugend

Herren von Bologna, der Bentivoglio's von den Sforza's, in deren Dienste sie standen, den Vortritt für sich in Anspruch genommen. Die Einstellung dieses Missbrauchs war , auf Neudech's Veranlassung, in Mailand beantragt und durchgesetzt worden. Allein bevor ihre Abgesandten mit dem günstigen Bescheide zurückgekehrt waren, hatte der Bevollmächtigte des Herzogs beim Heraustreten aus der Kirche S. Domenico nur mit Waffengewalt Seitens der Scholaren gezwungen werden können, jenem den Vortritt zuzugestehn. Auf die Anzeige von dem Tumulte musste die StadtbehOrde dem Mailändischen Gesandten Genugthuung verschaffen und den deutschen Rektor aus Bologna verbannen. Da schwuren die in San Domenico versammelten Studenten, dass sie alle die Stadt verlassen wollten, wenn ihr Rektor nicht zurückgerufen würde. Dieser Drohung gab die Regierung nach. Begleitet von allen Studenten, unter dem Jubel der Bevölkerung und einem stattlichen Ehrengeleite, zog der stolze Rektor in Bologna wieder ein. (Annales nao. Germ. fol. 134-136.) Die Bedeutung der deutschen Nation zu Bologna hat sich lange erhalten. Auch in den Zeiten der vollständigen Ohnmacht Deutschlands, als das Reich immer mehr in Atome zerbröckelte, und kaum einige gemeinsame Institutionen sich gerettet hatten, als die Kaisergewalt ein Schattenbild geworden war - hat die deutsche Jugend im Auslande noch das Gefühl der nationalen Zusammengehörigkeit erhalten. Mittheilungen über ihre weiteren Schicksale sind an diesem Orte unzulässig. Flüchtig nur darf erwähnt werden, dass elf Jahre hindurch, von 1562 - 1573, eine deutsche Nation zu Bologna nicht bestanden hat. In Folge eines schweren nächtlichen Tumul-, tes, bei welchem einige Sicherheits-Beamte von deutschen Scholaren getödtet waren, wurden zwei derselben öffentlich hingerichtet. Nun wanderte die ganze Nation nach Padua aus, ihr Eigenthum den Vätern della caritÄ übergebend. Erst im Jahre 1573 kehrte sie zurück.

Die natio Gtormanorum bestand in Bologna bis auf die Zeiten der französischen Revolution; nach der Besitznahme Ober-Italiens durch die Franzosen wurde sie, gleich den übrigen, durch Dekret der Regierung der cisalpinischen Republik d. d. 24. Juli 1798 aufgehoben.

  • Malagola hat (a. a. 0. p. 582 - 593] die Namen sämmtlicher Scholaren

veröffentlicht, welche von 1490-1500 in die Matrikel der natio Germanorum eingetragen sind. Darunter befinden sich nur fünf, welche der Heimat von

272 DIE umvBBsrrÄT Bologna.

liebem Frohsinn die schönen Jahre des angehenden Mannesalters verlebt hat, weist die Matrikel der natio Germanomm nur den

Coppernicus entstammteo. Vier von ihnen gehörten dem ermländischen Kapitel an: der nachmalige Bischof Fabian von Lossainen, als „Fabianus Lutzingheim de Prussia“ aufgeführt, und „Albertus Bischof de G^dana ex Prassia“. Bei dem fünften ist der Heimatsort in der Matrikel nicht angegeben; er ist einfach als „Sigismundus Kruetzner de Prussia“ eingetragen. Ein sechster Scholar aus Preussen mit dem italienisch klingenden Namen Boccardi ist als „vicarius perpetuus ecclesiae GoUegiatae in Guttstadt ecclesiae Warmiensis“ in die Matrikel eingetragen.

Bischof und Kruetzner sind beide, zugleich mit Fabian von Lossainen, im Jahre 1490 immatrikulirt. Wie lange sie in Bologna studirt haben, und ob sie Coppernicus im Jahre 1496 dort noch vorgefunden, ist aus den erhaltenen Akten nicht ersichtlich. Die Promotion haben beide in Bologna nicht nachgesucht ; über Ejruetzner ist überhaupt nichts weiter bekannt. Eben, so wissen wir nichts über Boccardi. Seinen Lebens-Verhältnissen nachzuforschen konnte deshalb von Interesse sein, weil er gleichzeitig mit Copper^ nicus in Bologna studirt hat; er ist im Jahre 1497 immatrikulirt.

Albert Bischof, ein Sohn des 14S3 gestorbenen Bürgermeisters von Danzig, Philipp Bischof, war Pfarrherr der St. Katharinen-Kirche in seiner Vaterstadt und seit dem 27. Juli 1491 Mitglied des ermländischen Domstifts; er war also, gleich den Gebrüdem Koppernigk, während seines ersten Studienjahres zu Bologna, in das Frauenburger Kapitel gewählt worden. Mehr ala zwei Decennien hat er hier mit Coppernicus als Amtsgenosse gelebt; sein Tod erfolgte nach seinem Leichensteine am 20. Februar 1529. (Bischof stand mit dem langjährigen Freunde von Coppernicus, dem nachmaligen Bischöfe Tiedemann Giese, in Verwandtschaft. Nach Hirsch' s Angabe in den Script, rer. Pruss. IV, 749 heiratete seine Schwester Dorothea einen gleichnamigen Vetter desselben Tiedemann Giese.) Bei der hohen Bedeutung der natio Germanorum zu Bologna dürfte es hier wohl gestattet sein, an der Hand des durch Malagola veröffentlichten Verzeichnisses der deutschen Rechts-Studenten, welche in dem letzten Decennium des 15. Jahrhunderts in Bologna studirt haben, eine Zusammenstellung nach der Heimat der Scholaren anzuschliessen. Freilich kann dieselbe nur eine relative Zuverlässigkeit beanspruchen, weil bei nicht wenigen Namen der Scholaren die Angabe der Heimat unterlassen ist.

In den Jahren 1490-1500 sind in die Matrikel eingetragen: aus OberDeutschland 56 Scholaren, aus Nord-Deutschland 35 (damnter aus dem Bisthum Kamin 9, aus Ermland 5, aus Brandenburg 6) , aus den mittelrheinischen Landschaften und Westphalen 25, aus Sachsen 20, aus den Niederlanden 13, aus Schlesien 13, aus der Schweiz 7, aus Oesterreich 6, aus Böhmen 3, aus Tirol und Siebenbürgen je 2, aus Thüringen, Mähren, Liefland und Croatien je einer.

FABIAN VOS L08SAINEN. 273

nadünaligen ermländiBcheü Bischof Fabian von Lossainen auf.* Das Verzeichniss der gleichzeitigen Scholaren der Artisten -Uni

  • Fabian von Lossainen war einer begüterten preussischen Adelch

familie entsprossen, deren Stammgut Lossainen bei Rössel im Ermlande lag. Sein Geburtsjahr ist nicht sicher festgestellt, ebensowenig das Jahr seines Eintritts in das ermländische Domstift. Der Name seines Vorgängers in dem 9. Numerar-Kanonikate Hieronymus Waldau ist bekannt, nicht aber dessen Sterbe-Jahr. Aus der Beihenfolge, in welcher die Domherrn bei seiner ErwShlung zum Bischöfe aufgeführt werden, ergiebt sich, dass er nach Balthasar Stockfisch, welcher 1493 kooptirt wurde, und vor Coppernicus, also in den Jahren 1493 - ^96 in das ermländische Domstift eingetreten ist. Auch die Matrikel der deutschen Nation bestätigt, dass er im Jahre 1490 noch nicht Kanonikus gewesen ist.

Fabian von Lossainen hat eine lange Reihe von Jahren auf das Studium verwandt, ohne gleichwohl allen Vorbedingungen zur Promotion gerecht geworden zu sein. Er hat sich erst im 10. Jahre nach seiner Immatrikulation dem Doktor-Examen unterzogen. Malagola hat die Dokumente über seine Promotion in dem „über secretus Juris Pontificü“ und in den „Acta Collegü Juris Pontif. et Caesar.“ aufgespürt und in der Biographie des Urceus Codrus p. 531 sqq. veröffentlicht. Wegen des Interesses, das sich an die Form dieser Dokumente knttpffc, werden sie nachstehend in ihrem ganzen Wortlaute - diesmal ohne orthographische Abänderungen - mitgetheilt:

Dokument 1.

„1490.

Recepta

A domino fabiano Lutzinghem de pmsia, warmiensis diocesis, unum florenum Renensem.“ - [Archiv. Malvezzi. - Annales Cl. N. G., Blatt 130 verso.)

Dokument 2.

„Anno Domini MCCCCXC

Dominus Fabianus Lutzingheim de Prussia, Warmiensis diocesis, Florenum unum renensem.“ - (Archiv Malvezzi. - Matricula n. G. Cl., Blatt H9 recto.)

Dokument 3.

Die 20 maji (1500) dispensatum est cum Domino Fabiano de alamania super lectura, repetitione, et quod non audierit decretum et super cirotecis : et ut die sabbati proxime futura possit subire examen in iure canonico, presentatus autem mihi propter D. Florianum dulphum, D. Luduvicum de Bologninis et D. Bartolomeum de Bologninis et D. Amadasium de ghisilierüs de pixide.“ - (Staats-Archiv. Abth. Arch. dei Coli, dello Studio. Primus Lib. secret. lur. Pont. Blatt 172 v.J

I. 18

274 DIE UNIVERSITÄT BOLOGNA.

versität ist nicht erhalten ; auch in der „Matricnla doctomma, wie in dem „über secretuB Collegü Artium et Medicinae“, finden sich

Dokument 4.

„Die yigesimo maji 1500. Congregato dicto collegio In Sacristia' pan-a etc. loco consueto etc. et In qua quidem congregatione Interfuerunt infrascripti doctores, videlicet D. Ludovicus de Calcina prior, d. Joannes Gaspar de Salla suo nomine, et habens vocem a domino ludovico de Salla et a domino Antonio maria de Salla, Dominus Agamenon Marsecotus de Caluis, d. florianus dulphus, d. Luduvicus bologninuB, d. petrus aldrovandus, d. pandulphuB de Blanchia et d. Bartholomeus de Bologninis omnes doctores corporati et etiam Interfuft d. Alexander de paltronibus, unus ex supranumerarüs ipsius collegü, omnes representantes etc.

Coram eis comparuit d. fabianus filius Martini de luzianis barmiensls diocesis In alamania, scolans studens in Jure Canonico et suplicavit secum dispensari, quod admitti possit ad examen dicti Juris Canonici, non obstante quod ipse non legit nee repetüt nee audiverit decretum per Integrum annum ; Item super biretis et chirotecis etc. Et sie fuit dispensatum, cum omnes fabae fuerint albe.

Dominus Amadasius de gbisilerüs fuit extractus In promotorem ex pixide.“ - {Staats-Archiv Abth. Arch. dei Coli, dello Studio. -- Acta Collegü lur. Pont, et Caes. a die 16. Februarü 1493 ad diem 10. lanuarü 1501, Blatt 30 verso.)

Dokument 5.

Die sabbati que fuit 23 (maji 1500] doctoratus est antedictus d. fabianus, nemine discrepante; recepit insignia a D. Bartholomeo de bologninis; praedictus dominus iacobus de Bove vicarius archidiaconi illum doctoravit et luculenta oratione insignivit postea iuravit in forma etc.“ - [Staats-Archiv Abth. Arch. dei Coli, dello Studio. - Primus Liber secretus lur. Pont., Blatt 172 verso.)

Dokument 6.

„Die Sabbati XX tertio Maij MCCCC. Congregato dicto collegio Jn Sacristia parva etc. loco consueto etc. et in qua congregatione interfuerunt d. Luduvicus de Calcina prior, d. Luduvicus de Salla, d. loannes gaspar de Salla, d. florianus dulphus de gonzagha, d. hyronymus de sancto petro, d. petrus de aldrovandis, d. luduvicus de Bologninis, d. pandulphus de Blanchis, d. Antoniusmaria de Salla, d. Bartholomeus de bologninis omnes doctores corporati etc. et etiam Interfuit d. Alexander paltronus, unus ex suprannmerarijs etc. Et assistente In ipso collegio Egregio legum doctore d. lacobo a bove, vicario, et ut et tamquam vicario Reverendissimi in christo patris et domini d. Antonü galeatü de

COLLEGIUM ARTIUM ET MEDICIKAE. 275

keine Namen, welche mit Coppernicus in Beziehung gebracht werden können/

Bentiyolüs prothonotarü apostolici ac Bononie archidiaconi dignissimi , fuit in dicto collegio presentatus per prefatos d. florianum dulphum, d. Ludovicam bologninum et d. Bartholomeum bologninum eomm nominibus et meo et nomine d. Amadasü compromotoris etc. saprascriptos dominus fabianuB de alamania, et examinatus ita et taliter, quod ab omnibus, nemine discrepante, fuit in Jure Canonico approbatüs et Ita relatum ipso domino vicario {Uit , qui d. yicarius, audita Relatione , ad Ländern Individue trinitatis et gloriose Yirginis matris marie, amen, ipsum dominum fabianum presentem constitnit, ordinavit, prei^nntiavit, declaravit, et decoravit doctorem in Jure Canonico, et cui d. fabiano prefatns d. Bartholomeus Bologninus suo et aliorum suorum compromotorum nomine dedit iusigpüa, etc. et postea ipse dominus Fabianus ad delationem prefati d. prioris ad Sacra Sancta dei evangelia, manu tactis scripturis, Jurauit non esse contra collegium prefatnm vel doctores ipsius collegü, nisi snam vel suorum injuriam prosequendo.“ (Staats-Archiv. Abth. Arch. dei Coli, dello Studio. - Acta Coli. Iuris Pont, et Caes. etc. Blatt 31 recto.)

Welchen hohen Werth die Funde Malagola's fttr die Einzelforschung auf den verschiedensten Gebieten haben, ergiebt sich auch in vorliegendem Falle. Aus preussisch-ermländischen Quellen ist uns über das Vorleben Fabian's von Lossainen, eines für die Geschichte seiner Heimat nicht unwichtigen Mannes, weiter nichts bekannt, als dass er bereits vor seiner £rwtthlung zum Bischöfe doctor decretorum gewesen ist.

Ueber die spätem Schicksale Fabian's und die Beziehungen zu seinem einstigen Studien-<j^enossen Coppernicus wird in den folgenden Abschnitten berichtet werden.

  • Von den Universitäts-Akten haben sich zu Bologna nur Trümmer erhalten. Auch die Haupt-Matrikel, sowohl der Juristen- wie der ArtisteihUniversität, ist bis jetzt nicht aufgefunden. Der Einblick in das Verzeichnisa

der Scholaren der Artisten-Universität würde fttr die Lebens- Verhältnisfle von Coppernicus ein grösseres Interesse bieten, als die Matrikel der natio Germanoram. Officiell war Coppernicus nämlich in Bologna zwar Rechtsstudent ; allein wir wissen, dass er sich daselbst mehr mit der Astronomie und der griechischen Sprache, als mit dem Dekretum und den Klementinen beschäftigt hat. Wirkliche Studien -Genossen von ihm würden sonach nur in der Artisten-Universität zu suchen sein.

Malagola hat das Verdienst, den - gegenwärtig in dem Archive des Ersbischofs zu Bologna aufbewahrtet^ - „über secretns collegü Artium et Medicinae“ durchgesehen zu haben, in welchem die Promotionen in den Artes und der Medioin verzeichnet sind. Er hat zunächst konstatirt, dass

18„

276 DIE ukiversitIt Bologna.

Der Aufenthalt des Coppernicus zu Bologna hat fast Wer Jahre gewährt, von 1496 bis 1500. Seine dortige Stadienzeit itt

der Name von Coppernicus sich nicht darunter befindet. Durch die Elrmittelungen in den Frauenburger Archiven war freilich bereits festgestellt, dass Coppernicus vor dem Jahre 1501 nicht Medicin studirt haben kOnne. Allein dies Ergebniss ward nicht allgemein anerkannt, namentlich seitdem in der officiellen Festschrift der Universität Bologna zur Coppernicus-Feier im Jahre 1873 auf anscheinend aktenmässiger Grundlage die Behauptung aufgestellt war, dass Coppernicus daselbst im Jahre 1496 zum Doktor der Medicin promovirt sei. Diese Behauptung gründete sich auf einen Vermerk in dem oben erwähnten „Über secretus coli. Art et Med.“, wonach „die 8 Martü 1496 adprobatus fuit in medicina nemine discrepante Magister Nicolaus de Alemania“ (Commemorazione di Nicolo Copernico nella R. UniversitJi di Bolog^na p. 26). Da nun die Zeit ungefähr stimmte, in welcher nach dem damaligen Stande der Forschung Coppernicus in Bologna studirt haben konnte, da man femer damals annahm, dass er Doktor der Medicin gewesen war: so wurde der bez. „Nicolau„“, ohne dass irgend weitere Kennzeichen vorlagen, durch den Entdecker jener Notiz, Professor Pelagi, sofort als Coppernicas gestempelt, weil derselbe ja zufällig diesen Vornamen geführt hat.

Eine Widerlegung der übereilten Proklamation ist überflüssig. Sie würde überhaupt keine Erwähnung gefunden haben, wenn es nicht die Festschrift der Universität gewesen wäre, in welcher die irrige Angabe veröffentlicht worden ist. Dieser Umstand hat Unkundige zur Nachfolge verleitet. Deshalb haben auch Berti (im 2. Anhange seiner Schrift Copernico e le vicende del Sistema Copernicano p. 171 sqq.) und später Malagola (a. a. O. p. 3 IS) die kritische Sonde an die gewagte Hypothese anzulegen für nöthi^ erachtet. Die übrigen Namen deutscher Scholaren aus der Artisten -Universität, welche Malagola unter den in den Jahren 1496 - 1500 in Artibus et Medicina Promovirten im liber secretus aufgefunden und a. a. 0. p. 578 - 582 veröffentlicht hat, bieten keinerlei Anhalt für die Entscheidung der Frage, ob sie während ihrer Studienzeit, oder in späteren Jahren, mit Coppernicus in Beziehung gestanden haben. Sie sind nämlich, gleichwie der Eingangs erwähnte „Nicolaus“, lediglich mit ihren Taufnamen und dem Zusätze „de Alemannia“ aufgeführt. In demselben Exkurse, in welchem Malagola die vorstehend benutzten Mittheilungen veröffentlicht, führt er aus Dedikations -Vorreden einzelner Schriften des altem Beroaldus mehrere Böhmen auf, welche als seine Schüler Mitglieder der Artisten -Universität gewesen sind: Christoph Vaitmill, Ulricus Rosensis, Johannes Wartenberg, Martin Cmnnow. Etwaige Beziehungen derselben zu Coppernicus kennen wir nicht. Malagola's Mittheilung bietet aber Interesse aus einem andern Gmnde. Es scheint daraus hervorzugehn, dass die Artisten-Universität zu Bologna in der Zeit des Coppernicus gleichfalls recht blühend gewesen sein muss. Während in dem letzten De

DER WEQOAKG. 277

nicht, wie man bisher angenommen hat, durch eine Reise in die Heimat unterbrochen.* Ueber Ausflüge, welche Coppernicus nach Rom, dem nahegelegenen Ferrara, oder Padua und Florenz, unternommen, ist keine urkundliche Nachricht auf uns gekommen.

Dagegen lässt sich die Zeit ziemlich genau bestimmen, wann Coppernicus Bologna dauernd verlassen hat. In den ersten Tagen des März hat er sich daselbst noch aufgehalten; wir wissen dies durch ihn selbst."^* Kurze Zeit darauf, jedenfalls im Anfange

cenniam des 1 5. Jahrhunderts nur ein böhmischer Scholar unten den RechtsStudenten nachzuweisen ist, sind zu jener Zeit vier Böhmen als hervortretende Mitglieder der Artisten-Universität genannt.

  • Bis vor Kurzem hatte man mehrfach angenommen, Coppernicus habe

nach der Aufnahme in das ermlftndische Domstift im Jahre 1498 “eine Studien zu Bologna unterbrochen, um der statutenmässigen Besidenz-Pflicht zu genttgen. Ich selbst hatte diese Ansicht in frühem Schriften vertreten. Sie gründete sich vomämlich auf das S. 176 abgedrackte Protokoll des Kapitels d. d. 7. Februar 1499, in welchem unter den Optanten bei einer AllodienVertheilung auch Coppernicus aufgeführt wird, ohne dass der Name eines „procurator“ beigefügt wäre, der für den Abwesenden die neue Wohnung optirt hätte. Eine spätere Vergleichung anderer Protokolle hat jedoch dar* gethan, dass dergleichen Auslassungen und Nachlässigkeiten sich nicht selten vorfinden.

Durch einen Prokurator aber durfte nach dem kanonischen Rechte der abwesende Geistliche ein jedes beneficium antreten. Dies bestimmten die Dekretalen in dem 24. Kapitel „de praebendis“. Die Statuten des ermländischen Domstifts gestatteten demgemäss ausdrücklich die Option eines Allodium oder einer Kurie durch einen „procurator“. § 29 lautet : „Statuimus quod Canonicus, de Licentia domini Episcopi et consensu Capituli, Studü, peregrinationis . . . causa absens . . . , licet residenciam apud ecclesiam non fecerit personalem, dummodo tamen praebendam suam pacifice per annum possederit, pro tempore huiusmodi absentiae suae Curiam Canonicalem et allodium aut altemm illorum, per procuratorem suum dumtaxat apud acclesiam, a die notitiae vacacionis infra viginti dies continuos, possit optare.“

Nach diesen klaren Gesetzes -Bestimmungen kann es keinem Zweifel unterliegen, dass Coppernicus seine Studien nicht unterbrochen haben wird, um einer Formalität zu genügen, welche von ihm gar nicht verlangt wurde. Dazu rechne man noch die Kosten und Beschwerden der weiten winterlichen Reise!

    • Coppernicus hat in das ihm gehörende Exemplar der „Tabulae Astronomicae Alfonsi Regis“ (welches gegenwärtig zu Upsala aufbewahrt wird)

278 DER WEGGANG VON BOLOGNA.

April, wird er nach Rom gereist sein, um dort die Charwoche zu verleben.

Vermerke Über zwei astronomiflche Beobachtangen eingezeichnet, von denen er die erste am 9. Januar, die zweite am 4. März 1500 angestellt hat. Ein Facsimile der nachfolgenden Einzeichnungen habe ich in meinen „Mittheilnngen aus schwed. Archiven und Bibl.“ gegeben. Sie lauten:

1500 die nona Januarü hora noctis fere secunda fuit cT D "^ in 15.42 H

hoc modo *D bononie.

Quarta Martü hora fere prima noctis fuit cT D "^ in 16.2S ^ fuitque tunc D in altitudine visa 33 et altius visa * que est in ore y 21 gradus *D bononie.

Auf demselben Blatte, welchem die vorstehenden astrenomiachen NodsEen entnommen sind, findet sich noch eine andere Einzeichnung, welche „1500 Anno completo“ niedergeschrieben ist. Es fehlt hier jedoch Jede OrtsAngabe. Auch der Inhalt ist schwer zu entziffern. Es erscheint daher überflüssig, diese Einzeichnung hier abzudrucken. Man findet sie bei Cnrtie, Reliquiae Copernicanae p. 30.

Dritter Abschnitt.[recensere]

In Rom. 1500.

Als Coppernicus in die ewige Stadt einzog, ward das grosse Jnbe\jahr gefeiert, zn welchem Alexander VI. die Christenheit nach Rom entboten hatte. Während sein schrecklicher Sohn Cesare die Kriegsfhrie in der Romagna entfesselt hielt, hatte der Statthalter Christi die' Jubelbulle erlassen und das grosse Friedensfest eingeleitet ; am Weihnachts- Abende 1 499 eröffnete Alexander Borgia mit dem silbernen Hammer die Eingangs-Pforte zu St. Peter.

Zahlreich kamen um die Zeit des Frühlings auch aus dem fernen Norden die gläubigen Pilger herbei, welche das Gnadenfest angezogen hatte. Mit ganz besonderem Glanz-Gepränge wurde die grosse Festzeit der Charwoche in diesem Jahre gefeiert: am Oster - Sonntage sollen 200,000 Menschen vor St. Peter auf den Knien gelegen haben, den Segen des Papstes zu empfangen.

Bei der hohen Bedeutung, welche die Kirche der Osterzeit stets beigelegt hat, ist die Annahme wohlbegrttndet , dass das ermländische Domstift die Gegenwart der beiden jungen Confrartres, die in dem nahegelegenen Bologna studirten, bei dem AblassJubiläum verlangt haben wird. Ueberdies lief im Sommer des Jahres 1500 der dreijährige Urlaub ab, welchen Coppernicus bei seinem Eintritte in das Kapitel erhalten hatte. Es mochte ihm deshalb nicht unlieb sein, einen legitimen Grund für die Verlängerung seines Aufenthaltes in Italien zu gewinnen, wenngleich

2S0 ROM 1500.

sonst jeder sittenreine Mensch wünschen musste, sich fem halten zu dürfen von dem Schaugepränge eines Hohepriesters wie Alexanders VI.

So zogen denn die Gebrüder Koppernigk in dem denkwürdigen Jahre 1500 in Rom ein, wo der Taumel der dttmonisd^ bestrickenden Stadt die Jubelpilger betäubt hielt, „wo die bacchantische Lnst zugleich vom Schmerze berauscht und vei^iftet war“. Die Verweltlichung der Kirche hatte damals den höchsten Grad erreicht. Aber noch stand dem Anscheine nach fest, unerschüttert, und in sich abgeschlossen, das hierarchische Gebäude. Bei aller Versunkenheit des Papstthums blieb ja jederzeit, namentlich in den ferneren Landen, der Zauber wirksam, welcher den Kultus der katholischen Kirche umgiebt. Ich erinnere daran, wie noch in unsem Tagen kalte Nordländer, in denen die protestantische Erbsünde lebte, von diesem Zauber ergriffen wurden, - wie selbst ein Goethe zu dem Wunsche geführt wurde, „es möge das Oberhaupt der Kirche den goldenen Mund auftüun und von dem unaussprechlichen Heile der seligen Seelen reden“.

Und eine andere Reminiscenz liegt noch näher. Zehn Jahre später als Coppernicus kam der nachmalige Reformator der abendländischen Kirche in die ewige Weltstadt. Aus Luther's eig^ener Erzählung wissen wir, wie er von dem Glänze der Autoritilt geblendet ward. Der thüringische Bauerssohn, aus der einsamen Mönchszelle kommend, klomm gläubig die Stufen der Peterskirche hinan, in tief mystische Gedanken verhüllt.

Wenn wir von ähnlichen GefUhls- Eindrücken nichts hören, die den nachmaligen Reformator unserer Welt-Anschauung überkommen hätten, so dürfen wir nicht vergessen, wie ganz anders geartet die Anschauungen und das Vorleben der beiden grossen Männer gewesen, die in demselben blühenden Lebensalter dem Stuhle Petri nahten. In grossen Verhältnissen auferzogen, hatte Coppernicus, der jugendliche Domherr, schon vieler Menschen Städte und Länder gesehen, kannte er schon das kleine Räder

DAS JUBELJAHB. ALEXANDER VI. 281

Getriebe, das die Kirche, die aaseinanderfallende, noch zusammenhielt.

Allein wenngleich Coppernicas keine Illusionen einzubttssen hatte, so muss seinen reinen Sinn doch Entsetzen erfasst haben ob der Oräuel, die durch und um den Nachfolger Christi geschahen. 'Auf dem Stuhle Petri sass damals jener fluchbeladene Alexander VI, den eifrig katholischer Mund als „jeder schlimmen That fähig“ bezeichnet, „der die höchste Wttrde mit Gold, wie auf einer Versteigerung, erkauft hatte, der mit dem eigenen Besitze nicht zufrieden den gierigen Blick auf Anderer Gut richtete, dem jedes Mittel genehm war, wofern er sich und seine vielen Angehörigen bereicherte, indem er die häusliche Unehre durch die massloseste Begierde nach Macht erhöhte“.*

Coppernicus lebte zu Rom, als im Sommer 1500 auf dem Petersplatze - mit Reumont zu sprechen - sich „ein tragischer Vorfall“ ereignete, d. i. ein Meuchelmord, „verübt von dem Sohne des Papstes an dem eigenen Schwester -Manne, und nach den Thätem scheint man nicht geforscht zu haben“.**

Wahrlich wäre Coppernicus nicht trotz seiner jugendlichen Jahre schon durch manche Lebens -Erfahrung gewappnet nach Rom gekommen, - seine fernere Stellung in der entheiligten Kirche, deren Oberhaupt gegen Gott und die Menschen frevelte, würde doch einen schweren Stoss erlitten haben! Wäre er nicht innerlich gefestigt in der Ueberzeugung von den Grundwahrheiten des Christenthums gewesen, die furchtbar profane Natur des damaligen PapstthumS; der Anblick der Gräuel-Scenen , welche in

  • Alfr. V. Reumont, Geschichte der Stadt Rom. ÜI, 201.

•• Reumont a. a. 0. ÜI. 233. Wie die Grossen, so war auch das Volk zu Rom in Zügellosigkeit versanken. „Keine Nacht verging ohne vier, fünf Mordthaten; Bischöfe und PrXlaten waren unter den Opfern. Am Morgen des 27. Mai 1500 sahen die Römer auf der Engelsbrttcke achtzehn am Galgen hängen, unter ihnen Arzt und Wundarzt des lat^ranischen Spitals, die sich in der Morgenfrühe aus Raub und Mord ein Geschäft machten.“ Reumont ÜI, 232.

282 BOH 1500.

dem Jube][jahre 1500 geschahen, hätte ihn zur Verzweiflimg bringen müssen!

Ausserdem vergesse man nicht, wie eine Welt der schroffsten unvermittelten Gegensätze in jener Zeit zu Rom sich entrollte. Nicht bloss den plötzlichen Losbruch furienhafter Leidensehaften, nicht bloss das Verwerfliche und Schamlose sah Coppernicus, sondern auch die zartesten BiUten, die reinsten Schöpfungen der Kunst erstanden vor seinen Augen. „Derselbe Trieb, welcher die titanischen Verbrechen erzeugte, erschuf auch die titanischen Werke, der Renaissance. In grossem Stile trat hier das Gute wie das Böse auf.“ Man erinnere sich, dass zu Rom neben Alexander VI. und Cesare Borgia damals Michel Angelo und Bramante lebten, dass in dem Jahre vorher, ehe Coppernicus nach Rom kam, jene herrliche Gruppe der Pietä geschaffen ward, welche auf dem Hintergrunde der Borgia sieh erst in ihrer ganzen idealen Bedeutung hervorhebt und „in dieser moralischen Finstepniss wie eine reine Opferflamme erscheint, welche ein grosser und ernster Geist im geschändeten Heiligthume der Kirche angezündet hat“."**

Gern mögen wir uns dem Glauben hingeben, dass die beiden jungen Männer, welche gleichaltrig damals zusammen in Rom lebten, auch in persönliche Berührung gekommen sein werden: Michel Angelo, dessen geniale Kraft damals bereits jenes edle Gebilde der Kunst geschaffen, welches nach Jahrhunderten noch uns tief ergreift - und Coppernicus, in dessen Seele bereits jene grossen Gedanken reiften, welche ihn zum Reformator unserer gesammten Weltanschauung gemacht haben. Gern erinnert man sich des Berichtes von Gassendi, wenn er uns gelegentlich mittheilt, Coppernicus selbst habe die Kunst des Pinsels geübt

  • Ferd. Gregorovius, aus dessen trefflicher Monographie über Lukrezi„

Borgia die bezeichneten Anführungen des Textes entnommen sind, hat bereits auf das Zusammenleben der gewaltigen Persönlichkeiten hingewiesen, welche das Jahr 1500 in Rom vereinte.

MICHEL AN6EL0. 283

schon zu der Zeit, da er in Krakau lebte und sich zur Fahrt nach Italien rüstete."^ Aber mehr noch wird der poetische Hauch, von dem Coppernicus durchzogen war, ihn zu jenem Wunder der Kunst geftihrt haben und zu dem grossen Meister, der freilich in seinem eigenartigen Starrsinne sich zurückhielt von dem Umgange mit andern Erdgebomen.

Das Zusammenfinden gleichgesinnter Menschen war dort in jenen Zeiten sehr erleichtert. Denn verhältnissmässig klein war das damalige Rom, und das geistige Leben pulsirte nur in einigen Gentren.*"^ Die Einwohner-Zahl kam der einer heuligen Mittelstadt gleich, sie umfasste etwa 70,000 Seelen.***

An Grösse und Schönheit seiner modernen Bauwerke stand Rom damals vielen Städten nach. Erst das 17. Jahrhundert sah die Vollendung der Peterskirche ; erst um diese Zeit erhielt Rom seinen Charakter als Hauptstadt der triumphirenden Kirche und

  • Die Belegstelle aus Gassendi vita Cop. p. 5 ist bereits oben (S. 143)

mitgetheilt. Die Schlusssätze sind hier zu wiederholen. „Copernicus Cra coriae pieturam tum addidicit, tum eo usque calluit,

ut perhibeatur etiam se ad speculum eximie pinxisse. Consilium autem pingendi ex eo cepit, quod peregrinationem ac potissimum in Italiam cogitans in animo haberet, non modo adumbrare, sed graphice etiam, quantum posset, exprimere quidquid occurreret observatu dignum.“

    • Einen bekannten Vereinigongspankt fand die gebildete Welt zu Rom

damals in dem Hause eines wohlhabenden Deutschen, Groritz aus Luxemburg, welcher eine Stellung in der päpstlichen Kanzlei innehatte. Er versammelte römische und auswärtige Gelehrte, Dichter und Künstler zu akademischen Unterhaltungen. Alle Deutschen suchten die gastlichen Räume auf. Reuchlin und Erasmus haben hier verkehrt; ebenso gedenkt Ulrich von Hütten in einer Reihe von Epigrammen dankbar der Aufnahme, die er bei Goritz gefunden. Hier werden sich auch Coppernicus und Michel Angelo getroffen haben.

In gleicher Weise scheint die Annahme gerechtfertigt, dass der vielseitig gebildete Michel Angelo, der Verehrer Dante's, der Meister dreier Künste, wenn er im Winter 150(J noch zu Rom gewesen ist, die Vorlesungen aufgesucht haben wird, welche Coppernicus damals gehalten hat.

"*** Erst zur ^it Leo X. war die Einwohnerzahl von Rom bis auf 85,000 Seelen gestiegen. Vgl. die Geschichte der Stadt Rom von Reumont ÜI, 462 und Gregorovius VÜ, 686.

284 ROM 1500.

füllte sich mit jener stolzen Reihe von Gotteshäusern und Palästen. Auch die herrlichen antiken Statuen waren damals noch nicht unter ihrer Schuttdecke hervorgezogen. Ebenso existirten noch nicht die Kunstwerke der Malerei, welche heute eine so grosse Anziehungskraft üben ; Michel Angelo hatte erst angefangen zu schaflfen, Rafael war ein Jüngling von 17 Jahren.

Und doch war die Stadt Rom auch zu jener Zeit bereits eine Welt voll bezaubernder Magie für jede feiner organisirte Natnr. „Ihre feierliche Versunkenheit in ihr grosses Verhängniss, ihre Majestät und weihevolle Stille .... und der Geistes-Odem der Renaissance, welcher über diesen Trümmern wehte“ - sie mnssten wohl tiefer angelegte Gemttther zu sinniger Betrachtung anziehn und festhalten. Coppernicus hat sich während eines vollen Jahres zu Rom aufgehalten. Um Ostern 1500 ist er in die ewige Stadt eingezogen, in den Frühlings-Monaten des nächsten Jahres hat er sie wieder verlassen.

Während die Zeitgrenzen seines römischen Aufenthaltes ans archivalischen Quellen erst seit Kurzem bekannt geworden sind, war über die wissenschaftliche Thätigkeit, welcher Coppernicos dort obgelegen. Näheres durch ihn selbst längst allgemein bekannt. Sein Schüler Rheticus hatte uns berichtet, es habe Coppernicus zu Rom als Lehrer der Mathematik („professor mathematum“) Vorträge gehalten, bei denen eine grosse Zahl von Studenten zugegen gewesen wäre: es hätten aber auch hochangesehene Männer, selbst bereits Meister in der Wissenschaft, diesen Vorlesungen beigewohnt.*

  • „Cum Dominus doctor meus .... Romae circa annum

Domini MD, natus annos plus minus vigenti Septem, Professor mathematum in magna scholasticorum frequentia et Corona magnorum virorum, et Artificum in hoc doctrinae genere, deinde hie Varmiae. suis vacans studüs, summa cura observationes annotasset, ex observationibus stellarum fixarum elegit eam. quam anno Domini MDXXV de spica Virginis habuit“. Rheticus narratio prima etc. ed saec. Thorim p. 448.

ÖFFENTLICHE VORTRÄGE. 285

Des Rheticus Bericht, wie er nur gelegentlich gegeben ist,* hat bei der Gedrängtheit des Ausdrucks zu der irrthümlichen Interpretation Veranlassung gegeben, es habe Coppernicus als Lehrer der Mathematik an der Universität zu Rom gewirkt.*"* Allein diese Aui^assung, obwohl bisher allgemein verbreitet, ist durch kein urkundliches Zeugniss bestätigt; keine dßr römischen hohem Lehranstalten ftthrt in dem Verzeichnisse ihrer Lehrer Coppernicus auf.*** Ueberdies wissen wir gegenwärtig,

  • Die in der vorBtehenden Aomerkung abgedruckte Mittheilung des

Rheticns über den Aufenthalt von Coppernicus zu Rom findet sich in dem

Berichte, welchen er unter dem Titel: „De libris Revolutionnm

Nicolai Copernici Narratio prima“ im Jahre 1540 veröffentlicht hat

Die thatsächlichen Angaben über die Lebens-Verhältnisse seines Lehrers, welche Rheticus gelegentlich einstreut, sind ganz authentisch; sie sind ihm von Coppernicus selbst überliefert, bei welchem sich Rheticns aufhielt, als er seine Schrift veröffentlichte. Dagegen ist die Form der Darstellung ganz des Rheticus Eigenthum ; die Wahl der einzelnen Ausdrücke hat Coppernicus nicht überwacht. Die Narratio prima ist eine begeisterte Lobschrift auf den geliebten Lehrer; selbstverstlindlich hat sie Coppernicus vor dem Dracke nicht gesehen.

    • Rheticus hat in seinem Berichte keineswegs mit bestimmten Worten

gesagt, es sei Coppernicus Lehrer an der römischen Universität gewesen. Er nennt letztere gar nicht, sondern gebraucht nur den allgemeinen Ausdmck, Coppernicus sei zu Rom „professor mathematum“ gewesen. Er fügt freilich hinzu : „in magna scholasUcorum frequentia ; allein der unmittelbar darauf folgende Zusatz „et Corona magnomm viromm“ schliesst die Interpretation aus, dass Rheticus gemeint habe, es hätte Coppernicus Vorlesungen an der Universität gehalten.

Dennoch ist sein Bericht meistens in dieser unzulässigen Weise interpretirt worden. Mit mehr oder weniger bestimmten Worten lassen die Geschichtschreiber der Astronomie, wie die Biographen des Coppernicus, diesen ein öffentliches Lehramt zu Rom bekleiden ; ausschmückend fügen die Einen hinzu, Coppernicus sei von Alexander VI. selbst bemfen, die Andem berichten einfach, er habe an der Universität als Lehrer gewirkt. Es ist müssig, die verschiedenen Variationen in der Auffassung des Berichtes von Rheticus hier aufzuzählen. Letzterer ist der einzige Gewährsmann Über die wissenschaftliche Thätigkeit, welcher Coppernicus zu Rom obgelegen; urkundliche Belege stehen ihm nicht zur Seite.

"*** Gleich andern Archiven ist auch das der römischen Universität arg geplündert worden; die wichtigsten Dokumente sind von unberufener Hand entführt und liegen vielleicht gegenwärtig versteckt in den Sammlungen von

286 ROM 1500.

<la88 Coppernicus bis zum Jahre 1503 keinen akademiBchen Grad besessen hat; er hätte sonach an der Universität höchetens all lector ihm zugewiesene Abschnitte der eingeftlhrten Lehrbttehw erklärend vorlesen dürfen.

Die Vorträge, welche Coppernicus zu Rom gehalten, werden von derselben Art gewesen sein, wie die des Conrad Celtes 211 Krakau, welcher, in gleichem Alter wie Coppernicus in Rom, ob* gleich einfacher Scholar der Jagellonica, dennoch ein zahlreiches Auditorium um sich versammelt hatte (vgl. oben S. 127). Aehnlieh wie bei den Gast -Vorträgen der Gelehrten unserer Tage, werden auch die wandemden Humanisten jener Zeit, den Anfordemngen eines gemischten Zuhörer-Kreises zu genügen, allgemein interessante Abschnitte ihrer Wissenschaft ausgewählt haben.*

So können wir wohl mit Sicherheit annehmen, dass Coppernicus nicht aus dem Gebiete der Mathematik den Stoff zu seinen

Privaten. In keinem der erhaltenen amtlichen Schriftstücke findet sieb der Name von Coppernicus. Jos. Caraffa, der um die Mitte des vorigen Jahrhunderts sein Buch „de professoribus gymnasü Romani“ geschrieben hat, führt Coppernicus zwar unter den Lehrern der Universität auf; allein Belege dafür hat er nicht beigebracht. Auch dem kundigen Forscher auf diesem Gebiete, Hipler, ist es bei seinem längeren Aufenthalte in Rom nicht gelungen, irgend einen urkundlichen Vermerk aufzufinden.

Nur die allgemeine Annahme der traditionellen Ausschmückung den Berichtes von Rheticus kann es verschuldet haben, dass GregoroviuB in seiner Monographie über Lukrezia Borgia (S. 119) mit zu grosser Bestimmtheit berichtet : „Alexander VI. pflegte die römische Universität, wo zu seiner Zeit bedeutende Männer lehrten, wie Petrus Sabinus und Johann Argyropalos. Selbst eins der grössten Genies, von dem die ganze Menschheit Licht empfangen hat, schmückte ein Jahr lang diese Universität (!) und die Regierung dieses Papstes. Es war im Jubeljahre 1500, wo Copernicus aus dem femen Preussenlande nach Rom kam und hier Vorlesungen über Mathematik und Astronomie hielt.“ - Das berechtigte Ansehn, welches Gregorovius geniesst, machte es erforderlich, den kleinen Irrthum des hochverdienten Forschers an dieser Stelle ausdrücklich hervorzuheben.

  • Im Zeitalter der Renaissance ist bekanntlich an vielen Orten nicht

sowohl durch die Professoren an den Universitäten als durch Privat -Vorlesungen das geistige Leben vorzugsweise gefördert worden; ich erinnere nur an die „privatae lectiones“ von Caesarius, Crocus und Aesticampianos zu KOIn.

DER WEGGANG. 287

römischen Vorlesungen entnommen haben werde, sondern aus der Astronomie; er dürfte sich über die kosmischen Anschauungen des Alterthums und seiner unmittelbaren Vorgänger verbreitet haben. Dass gerade astronomische Vorlesungen damals Beifall fanden, beweist der Vorgang von Peurbach, der zu Ferrara, und von Regiomontanus , der zu Padua öffentliche Vorträge aus der Astronomie, gehalten hatte.

Ueber die sonstigen Verhältnisse, unter denen Coppernicus zu Rom gelebt hat, ist, wie bereits angedeutet, keine Kunde auf uns gekommen. Durch ihn selbst erhalten wir nur die Notiz, dass er am 6. November dort eine Mondfinstemiss beobachtet hat.* Ausserdem wissen wir, dass neben dem Bruder Andreas der Dekan des ermländischen Domstifts, der oben S. 266 erwähnte Bernhard Sculteti, während des Sommers 1 500 in seiner unmittelbaren Umgebung gelebt hat.**

Die Dauer des Aufenthaltes von Coppernicus zu Rom ist auf ein Jahr zu bemessen. Die von ihm daselbst gehaltenen Vorlesungen können schwerlich zu einer andem Zeit als in den WinterMonaten 1500 - 1501 stattgefunden haben; sein Eintreffen bei der Kathedrale ist in den Hochsommer 150t zu setzen.""**

  • „ . . . Alteram (lunae eclipsiD) magna diligentia observavimus Romae

anno Christi millesimo quingentesimo post Nonas Novembris duabus horis a media nocte, quae lucescebat in oetavam diem ante Idus Novembris.“ (De revol. orb. cael. IV, 14.)

    • Bernhard Sculteti war im Anfange Oktober 1500 noch nicht in Frauenburg ; er ist erst im Anfange des Winters bei der Kathedrale eingetroffen.

Im Anfange des Jahres 1501 fungirt er bereits als ennlSndischer Abgeordneter bei den Verhandlungen, welche damals zu Tapiau mit dem deutschen Orden stattfanden. Vgl. Erml. Ztschft. I, 418, ÜI, 357.

      • Der Name der Gebrüder Koppernigk erscheint in keinem Frauenburger Schriftstücke vor der Mitte des Jahres 1501. Der Eingang des (im

nächstfolgenden Abschnitte abgedruckten) Protokolls der Kapitel-Sitzung vom 27. Juli 1501, in welcher die jungen Domherrn zum ersten Male in der Mitte ihrer Confratres erschienen, setzt wohl die Annahme ausser Zweifel, dass sie kurz vorher in Frauenburg eingetroffen sind.

288

Anhang.

Ausser dem urkundlich beglaubigten Aufenthalte des Coppernicus im Jahre 1500 - 1501 ist ihm neuerdings noch eine zweite Anwesenheit zu Rom im Jahre 1502 zugeschrieben worden."* Diese Annahme beruht lediglich auf einer Konjektur, auf der Snbstitnirung des Namens von Coppernicus statt eines andern in einem Frauenburger Schriftstücke aus dem Jahre 1502.**

"^ Die Annahme eines zweiten Aufenthaltes von Coppernicus sn Rom während des Jahres 1502 ist von Hiplor Spicileg. Copernic. p. 268 Anm. 1 aufgestellt ; sie hat bei der Autorität, welche Hipler mit Recht beanspruchen kann, auch bei andern Schriftstellern Aufnahme gefunden. So hat n. a; Favaro in seiner Abhandlung „Lo Studio di Padova al tempo di Niool6 Coppernico“ (p. 60) Hipler's Ansicht adoptirt; dieselbe ist dann auch durch die Uebersetzung von Favaro's Schrift in den Mittheilungen des CoppernicusVereins ÜI p. 49 weiter verbreitet worden.

    • Zur Zeit da Coppernicus in Italien weilte, wurden vor der rihniachen

Kurie langdauemde Verhandlungen zwischen dem deutschen Orden und dem ermländischen Bisthum geführt. Neben den dortigen Sachwaltem waren Vertreter des Bischofs und Kapitels aus der Heimat deputirt, um mit ihrer Lokal- und anderweiten Sachkenntniss die technischen Rechtsbeistände su unterstützen. Die Kosten des lang\^'ierigen Processes zu ermässigen, wurden dem direkt aus der Heimat entsandten Abgeordneten die in Italien anwesenden ermländischen Domherrn beigegeben. Der bezügliche Kapitel-Schlnss, d. d. 16. August 1502, findet sich in den Acta Capit. Warm. Ü, fol. 1 :

„Anno quo supra (1502) XVI Augusti dominis de Capitulo congregatis in loco Capitulari Venit ReverendissimuB dominus An tistes Lucas ad Capitnlum: Coram quo ea quae subsequuntur tractabantur :

.... 4to. In causis pendentibus inter d. Reverendissimum Capitulum Et ordinem visum est dominis de Capitulo, Quod impetrandus sit in urbe iudex commissariuB in patria: ubi et testes et iura facilius produci possunt quam in urbe. In hac re per Episcopum et Capitulares maturius deliberatum fuit et tandem concorditer conclusum , quod sint constituendi procuratores in urbe, ad quos debent mitti copiae literarum et iurium, ut consulant, quomodo causae instituendae sint in patria, formen tque libellum, in quo stabit et dependebit totüs litis Processus. Constituti sunt et tunc coram notario et testibus procuratores in urbe nunc existentes Bernardus

Sculteti decanus Warmiensis, Nicholans Soolteti

et Andreas Kopperaick Canonici Varmienses. Conclusum etiam fuit, quod sint transmittendi in urbem XXX. aut L. Rhenenses floreni pro advocatis, qui habent consulere in causis et libellum formare ....

ANHANG. 289

Die Konjektur ist nicht zwingend. Allein selbst wenn man ihr beipflichten könnte, so bleibt dennoch eine dauernde Anwesenheit des Coppernicus zu Rom während des Jahres 1502 ausgeschlossen. Derselbe kann sich in den Jahren 1501 - 1503 höchstens zeitweilig zu Rom aufgehalten haben. "^

Der vorstehende Kapitel-Scblusa war bereits seit längerer Zeit bekannt, er findet sieh in meiner Schrift „Zur Biographie von CopernieuB“ S. 33. Sodann hatte Watterich in der Abhandlung „de Lncae Watzelrode episcopi Warm, in Nicolaum Gopernicum meritis“ p. 30 einen vollständigeren Abdruck gegeben. Erst zwei Decennien später machte Hipler darauf aufmerksam, dass in dem Dokumente eine irrige Angabe enthalten sei; es hat nämliok damals keinen Nicolaus Sculteti im ermländischen Kapitel gegeben. Da nun auch kein anderer Domherr im Jahre 1502 den Vornamen Nicolaus geführt, der zweite Sculteti aber, welcher ausser Bernhard Mitglied des Kapitels gewesen, Johannes Sculteti, sich nachweislich im Juli jenes Jahres nicht zu Rom aufgehalten hat - so substituirte Hipler flir Sculteti den Namen Koppernick.

Hipler selbst hat seine Konjektur als zweifelhaft bezeichnet. Es wäre in%der That auch sehr auffallend, wenn die Mitglieder des Domstifts nicht gewusst hätten, dass Nicolaus Coppernicus im Jahre 1502 zu Padua gelebt hat. Ebenso ist die Annahme ausgeschlossen, dass Coppernicus sich zu der Zeit, als das ber. Protokoll niedergeschrieben wurde, d. i. gerade in den heissen Sommer-Monaten, in Rom aufgehalten haben würde. Endlich ist noch hervorzuheben, dass die Namen „Nicolaus Sculteti“ und „Andreas Koppernick“ nicht unmittelbar auf einander folgen, sondern - wie es in dem obigen Abdrucke auch angedeutet ist - sich eine Lücke für etwa zwei bis drei Namen vorfindet. Die Stelle für den ersten Namen ist vollständig rein. Dagegen war der Platz ftir den 2. und 3. Namen beschrieben und ist später ausradirt ; es scheint hier „Hinricus Nidderhof“ gestanden zu haben, welcher im Jahre 1501 nach Rom gegangen war, dort zu studiren (vgl. S. 291).

Bei all diesen Unsicherheiten und Nachlässigkeiten scheint es gewagt, den Namen von Coppernicus ohne Weiteres zu substituiren. Oder man mttsste annehmen, es sei die Vollmacht für alle Fälle ausgestellt, indem am Kapitel überzeugt war, Coppernicus werde in Rom erscheinen, wenn die Angelegenheit vor der Kurie verhandelt würde. Dieselbe scheint übrigens gütlich beigelegt zu sein ; des Coppernicus Anwesenheit in Rom war sonach gar nicht erforderlich. Wenigstens schreibt der Hochmeister d. d. 28. November 1502 an seinen Prokurator, dass „er sich mit dem Bischöfe von Ermland auf beider Lebzeit vertragen“ (Erml. Ztschft. I, 422).

  • Die Begründung ergiebt der nachfolgende 5. Abschnitt: Coppernicua

hat in den Jahren 1501 - 1503 zu Padna seinen Studien obgelegen.

I. lö

Vierter Abschnitt.[recensere]

Ein Besuch in der Heimat. Die Verlängerung des Urlaubs.

Gegen die Mitte des Jahres 1501 kehrte Coppernicus nach Frauenburg zurück, um Urlaub für eine weitere Abwesenheit von der Kathedrale nachzusuchen. Die Reise in die Heimat hatte er zugleich mit seinem Bruder Andreas angetreten, welcher ebenfalls noch in Italien zu bleiben wünschte. Letzterer war zwar schon seit 1499 Mitglied des ermländischen Domstifts, hatte sich aber noch nicht in aller Form die Erlaubnis„ erwirkt, seiner Studien wegen von der Kathedrale entfernt bleiben zu dürfen.

Am 27. Juli 1501 erschienen die beiden Brüder in der KapitelSitzung, ihre Gesuche zu begründen. „Nach reiflicher Berathunga einigte man sich schliesslich, dem altem Bruder den erbetenen Urlaub zu gewähren. Der Beschluss lautete in der amtlichen Formulirung, Andreas Koppernigk sei als „geeignet erachtet worden, den Studien obzuliegen.“

Leichter wurde der Urlaub seinem Bruder Kicolaus zugestanden. Dieser hatte seinen juristischen Kursus noch nicht formell abgeschlossen. Allein die Motive seines Gesuches waren nicht hieraus entnommen. Er gewann die Confratres vielmehr dadurch, dass er Medicin zu studiren versprach ; er konnte sonach - diese Erwägung war massgebend - „dem hochwürdigen Diöcesan

DIE YERLÄNOERUNQ DES URLAUBS. 291

Vorstände, wie den Herren vom Kapitel „selbst dermaleinst als Arzt nützlich werden“.*

Auf den ersten Anblick dürfte es auffallend scheinen, dass Coppernicus sich für die ärztliche Praxis vorbereiten wollte. Zunächst weil der Umfang seiner bisherigen Studien ohnehin schon gross genug war. Allein im Zeitalter der Renaissance war das Gebiet der einzelnen Wissenschaften noch keineswegs so ausge* dehnt und in sich abgeschlossen; dieselben standen vielmehr in engerer Verbindung untereinander, so dass eine Vereinigung von Studien, die uns gegenwärtig heterogen erscheinen, damals fast als Regel galt.'

  • ~w
  • Der BeachluBB des Frauenburger Domstifts, durch welchen Coppernicus

im Jahre 1501 die Erlaubniss erhielt, sich auf fernere zwei Jahre von der Kathedrale entfernen zu dürfen, um Hedicin zu studiren, ist in dem „über actorum Capituli Warmiensis“ (1499 - 1599] erhalten. Derselbe lautet:

„Anno HCCCCI. In die Panthaleonis martyris comparuerunt coram capitulo domini Canonici Nicholaus et Andreas Coppernick fratres; desideravit ille ulteriorem studendi terminum videlicet ad biennium, qui iam tres annos ex licentia capituli peregit in studio. Alter Andreas petüt favorem Studium suum incipiendi et iuxta teuerem statutorum continuandi : quodque utrique darentur studentibus dari consueta. Post maturam deliberationem Capitulum votis utriusque condescendit, maxime ut Nicholaus medicinis studere promisit Consulturus olim Antistiti nostro Reverendissimo ac etiam dominis de capitulo medicus salutaris, Et Andreas pro literis capescendis habilis videbatur.“

Gelegentlich darf hier Erwähnung finden, dass ausser den beiden Koppernigk in demselben Jahre 1501 noch ein dritter Domherr des ermländischen Kapitels, Heinrich Nidderhof, die Erlaubniss erhielt, die Kathedral-Kirche auf 2 Jahre verlassen zu dUrfen: „Anno quo supra (1501) XXÜI. Septembr. henricus NidderhofT Canonicus Warm, desideravit licentiam studendi in romana curia per biennium. Cumque domini de capitulo ei statutum quinquagesimum in ordine tanquam petitioni suae contrarium et obstans legissent, et ipse henricus instantius desiderasset, licentiamAndreaeCoppernick pridem concessam sibi non denegari: Capitulum post multam deliberationem eius tandem petitioni condescendit.

    • Eine engere Verbindung der medicinischen und mathematisch-astronomischen Studien ward in jener Zeit schon durch den Einfluss bedingt,

welchen man der Konstellation der Gestirne auf das Leben der Menschen zuschrieb. Die Anwendung der Heilmittel beruhte ja zumeist auf astrolo 19„

292 ÄBZTB ÜI ERKLÄNDISCHEN DOHSTIFT.

Auch ein Widersprach gegen dag Kirehen-Becht konnte nidit darin gefunden werden, dass ein Mitglied des hohem KleroB sidi den medicinischen Wissenschaften zuwendete. Die Kirche des Mittelalters hat allerdings die Ausübung der ärztlichen Praxig vob Seiten ihrer Diener nicht gewünscht, geschweige begünstigt ; dem Regulär - Klerus war das medicinische Studium lange untersagt. Allein diese Verbote, welche namentlich die Koncile des 12. Jahrhunderts ausgesprochen hatten, waren wohl kaum in der nächsten Zeit genau beachtet worden. So finden wir schon im Ausgange des 13. Jahrhunderts unter den Frauenburger Domherrn einen promovirten Arzt, „magister Amoldus phisicuö peregrinns“ ; ein Jahrhundert später begegnen wir einem „magister in medicinis“ unter den Prälaten der ermländischen Kirche, Bartholomaeus von Burschow."^ Nur das Verbot des Brennens und Schneidens scheint streng festgehalten zu sein, und diejenigen Aerzte, welche sich mit chirurgischen Operationen befassten, wurden wegen des Defekts der Herzensmilde durch die kanonischen Bestimmungen als

gischer Grundlage. So waren denn alle, welche dereinst ihren Lebens-Unterhalt durch ärztliche Thätigkeit gewinnen wollten, genöthigt, mathematischastronomische Collegia zu hören. Im 15. und 16. Jahrhunderte war das Auditorium in den genannten Kollegien zu Padua vorzugsweise durch Studirende der Medicin gebildet.

Aus demselben Grunde wird es erklärlich . dass viele Professoren der Mathematik und Astronomie uns zugleich als Doctores medicinae genannt werden ; einige hatten sich diesen akademischen Grad erst in spätem Lebensjahren zuertheilen lassen. Es scheint daraus hervorzugehn , dass derselbe lediglich erstrebt wurde, um die ärztliche Praxis betreiben zu können und den Lebens-Unterhalt dadurch sicherer zu stellen.

  • Der im Texte erwähnte „magister Amoldus phisicus“ wird in einer

Urkunde aus dem Jahre 1280 als canonicus ecclesiae Warmiensis aufgeführt. Er war höchst wahrscheinlich aus Italien nach dem Ermlande gekommen, und man nimmt nicht ohne Grund an, dass er gerade wegen seiner ärztlichen Kunst eine Domhermstelle erhalten habe. Ein Jahrhundert später begegnen wir sogar unter den Prälaten der ermländischen Kirche einem „magister in medicinis“, dem Domdechanten Bartholomaeus de Burschow (1404 - 1426}. Zu der Zeit endlich, als Copperaicus lebte, wurde dem Bischöfe Lucas Watzelrode für die im Jahre 1495 erledigte Dom-Cantorie durch den Breslauer Bischof Johannes dessen Leibarzt Michael Jode empfohlen.

KLERIKER ALS ÄRZTE. 293

unfähig zum Empfange der Priesterweihe erklärt. Dagegen ward die innere Medicin freigegeben, und gegen Ausgang des Hittelalters fiel die höhere Praxis fast ganz den Klerikern zu* Ueberdies war das kanonische Hindemiss bei Coppernicus kaum vorhanden; bei seinem Eintritte in das Kapitel hatte er nur, gleich den meisten seiner Amtsgenossen, die vier niedem Weihen erhalten und auch später die hohem Weihen nicht empfangen. Dass Coppernicus während seiner langen akademischen Lehrzeit medicinischen Studien obgelegen habe, war im Allgemeinen bekannt. Es konnte dies jedoch nur aus seiner spätem ärztlichen Thätigkeit geschlossen werden ; dazu kam noch die Tradition, die sich im Ermlande erhalten hatte, dass Coppernicus bereitwilligst den Leidenden seine ärztliche Beihülfe habe zu Theil werden lassen. "^"^ Erst die neusten archivalischen Forschungen haben, so


  • Unter der höheren Praxis war nur die innere Medicin begriffen. Die

Trennung Yon der Chirurgie ward streng innegehalten; an manchen Universitäten wurde sogar von dem Kandidaten der innern Medicin ein Eid verlangt, dass er sich mit der Chirurgie nie befassen werde.

Die Aerzte geistlichen Standes findet man sowohl unter dem hohem als dem niedem Klems. Es darf nur an ein hervorragendes Beispiel aus dem Anfange des 14. Jahrhunderts erinnert werden: Peter Aichspalter erhielt wegen seiner an Papst Clemens V. bewiesenen Geschicklichkeit das Erzbisthnm Mainz.

Im 15. Jahrhunderte war das früher genährte Vorartheil gegen das Studium der Heilkunde schon ganz allgemein verschwunden. So bestimmen die in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts durch Bischof Nicolans von TUngen revidirten Statuten der ermländischen Kirche ausdrücklich, dass Niemand in das Domstift eintreten dürfte, „nisi in sacra pagina Magister vel Baccalaurius formatus, aut in Decretis vel in Jure Civili, aut in medicina seu phisica Doctor aut Licentiatus exstiterit“. Wenn der Eintretende noch nicht graduirt 6ein sollte, dann müsse er gehalten sein, „ad triennium ad minus in aliquo studio privilegiato (h una dictarum facultatum studere“.

    • Schon die ersten Biographen hatten das Wort eines Freundes überliefert, dass Coppernicus wie ein zweiter Aeskulap verehrt worden sei.

Starowolski sagt in seiner „vita Copernici“: „In medicina velut alter Aesculapius celebrabatur“. Diese Bemerkung ist nicht als rhetorische Phrase anzusehen; sie erhält dadurch ein besonderes Gewicht, dass sie auf dem Zeugnisse des bewährten Freundes von Coppernicus , Tiedemann Giese, zu beruhen scheint. Es geht dies aus dem Zusammenhange hervor. Die citirte

294 DIE ZWEITE SEI8E KACH ITAUEX.

wohl über eeine spätere ärztliche Thätigkeit, wie über die Zeit und den Ort seiner medicinischen Vorbildung, einiges Liebt Terbreitet. Ans dem vorerwähnten Kapitels ' Schlüsse erseben wir, dass Coppernicus erst nach dem Jahre 1501, bei dem zweiten Aufenthalte in Italien, seine ärztliche Yorbildnng genossen bat.

Die Bestimmung des Monats, in dem Coppernicus die Heimat wieder verliess, lässt sich aus dem Anfange der akademischen Jahres-Kurse mit Sicherheit bestimmen.* Noch vor Ausgang des Sommers mussten die Brüder Koppernigk die Rückreise nach Italien antreten, um bei dem Wiederbeginne der Vorlesungen an ihrem Bestimmungs-Orte zu sein. Nach Ueberschreitnng der Alpen trennten sich ihre Wege: Andreas begab sich nach Rom, Nicolaus ging nach Padna.

Stelle Starowolskrs lautet nämlich vollständig : „In medicina velut alter Aesculapius celebrabatur, etsi animo proreus philosophico ostentatiooem apud vulgum nunquam a£fectaret. Nam ut alibi de illo ecribit Tidemanaa Gisius, episcopuB Culmensis, erat ad omnia, quae non essent philosophica, minus attentus, quod cum paucis commune habuit.“ Nun sind die letzten Worte ein wörtliches Gitat aus einem Briefe des Giese an Rheticus. Et scheint sonach aus dem „alibi“ der Schluss gerechtfertigt, dass auch die Bezeichnung des Coppernicus als eines „zweiten Aesculap“ von Giese herrühre.

Gassendi hat Starowolski's Worte gleichfalls in dem angegebenen Sinne aufgefasst. Er schreibt geradezu (vita Copernici p. 59): „addit vero Gysius eum fuisse quasi alterum Aesculapium in medicina habitum“, indem er eine weitergehende Interpretation hinzufügt : „id interpretari sie decet, quod singularia quaedam remedia et probe calleret et ipse pararet et feliciter adhiberet ea erogando in pauperes, qui ipsum idcirco ut numen quoddam venerarentur ; nam publice quidem alioquin medicinam facere id praeter ipsius institutum fuit.“ Diese ausschmückende Interpretation Gassendi^s ist die Quelle für alle spätem Berichte über die ärztliche Wirksamkeit des Coppernicus geworden. Es ist jedoch unbekannt, ob Gassendi neben dem dürftigen Berichte Starowolskis noch andere Gewährsmänner fUr seine Deutung gehabt hat. Vielleicht hatte sich eine Tradition hierüber in Frauenburg erhalten, deren Kunde zu ihm gedrungen sein kann.

  • Die Vorlesungen an der Universität zu Padua begannen, wie zu Bologna, am Tage nach St. Lucae, am 19. Oktober.

Fünfter Abschnitt.[recensere]

Der Abschluss der juristischen, die Weiterführung

der philosophischen Studien.

Padua 1501-1503.

Der Aufenthalt des Coppernieus zu Padua ist lange Zeit hindurch angezweifelt worden; auch bis heute sind archivalische Belege daselbst nicht aufzufinden gewesen.^

  • Zu Padna hatte sich nicht die geringste mündliche Ueberlieferung

darüber erhalten, dass Coppernieus dieser Universität einen grossen Thefl seiner akademischen Bildung verdankt. Noch weniger ist irgend eine auf Coppernieus besügliche Notiz in den Universitäts-Akten aufzufinden gewesen. Direkte Nachforschungen sind in den Archiven daselbst von verschiedenen Gelehrten mit besonderem Eifer angestellt worden, als 'die Universität Padua ihr Anrecht auf Coppernieus bei Gelegenheit der 4. Säkular -Feier der Geburt desselben urkundlich darzulegen suchte. Allein diese Bemühungen waren erfolglos; der gewünschte Nachweis konnte damals nicht geführt werden. Professor Andr. Gloria berichtete: „Alle meine - sehr sorgÜUtig angestellten - archivalischen Nachforschungen sind vergeblich gewesen. Unser Archiv ist zu sehr geplündert worden. Ich kann mit Sicherheit behaupten, dass in demselben sich keine handschriftliche Notiz, nicht die geringste Einzeichnung vorfindet, welche sich auf Coppernieus bezöge.“ (Berti : Coperaico e le vicende del sistema Copernicano in Italia p. 194.)

Einige Jahre später nahm Professor Ant. Favaro die Nachforschungen von Neuem auf und erstreckte dieselben auch auf femer liegende Archivalien der Jahre 1496 - 1504. Mit besonderer Sorgfalt untersuchte er namentlich die Dokumente der „natio Germanorum“ zu Padua, seitdem durch Malagola nachgewiesen war, dass Coppernieus in Bologna dieser natio angehört hatte (und nicht der natio Polonoram). Ueber den ungünstigen Erfolg seiner Mühen berichtete Favaro in einem o£fenen Briefe an den Fürsten Bald.

296 DER AUFENTHALT ZU PADUA.

In dem Heimatslande von Coppernicus Bcheint sich dangen eine dunkle Ueberliefenmg erhalten zu haben, dass derselbe in Padua Medicin studirt habe. Und man mochte sich von der Tradition ungern trennen. Denn Padua galt damals als die tüchtigste Schule der Medicin."* Coppernicus selbst aber war späterhin als Arzt hochangesehen; auch seine sonstigen Verhältnisse schlössen die Annahme aus, dass er auf einer geringeren Akademie seine Vorbildung gesucht haben werde.

In Italien hatte jene Tradition lange Zeit keinen Eingang gefunden. Wenn sie im 17. Jahrhunderte dort vorhanden gewesen wäre, hätte Galilei, welcher bekanntlich 18 Jahre hindurch an

Boncompagni , den er in dessen Bulletino di Bibliografia e di storla matematiche 1877 X, p. 303 - 312 abdrucken Hess. Das Resultat seiner dortigen Auseinandersetzung fasste Favaro dann in einer spätem Schrift „Lo studio di Padova al tempo di Niccolö Copernico“ (p. 16) in die Sätze zusammen:

I. Aus den Archivalien der Universität zu Padua lässt sich nicht erweisen, dass Coppernicus unter die Scholaren daselbst aufgenommen ist.

Ü. Selbst wenn Coppernicus in den drei oder vier Jahren, welche Yor und nach 1500 liegen, Scholar auf der Hochschule zu Padua gewesen sein acute, 80 erlaubt der gegenwärtige Zustand des dortigen Archivs nicht, dies urkundlich zu belegen.

ÜI. Die Angabe, Coppernicus habe auf der Universität Padua den Grad eines Doktors der Philosophie und Medicin erworben, scheint durchaus irrthümlich zu sein. Während so die Zweifel immer bestimmter ausgesprochen wurden, dass Coppernicus jemals zu Padua studirt habe, war bereits das Dokument aufgefunden, durch welches der sichere Nachweis geführt wird, dass derselbe sich in den Jahren 1501 - 1503 auf der Hochschule zu Padua aufgehalten hat (vgl. S. 313 ff.).

  • Die Rechts-Schule zu Padua war bekanntlich durch Auswanderung

von Lehrem und Scholaren aus Bologna im Anfange des 13. Jahrhunderts (1222) gegründet. Da dieselbe schnell erblühte, fanden sich auch bald Artisten, Scholaren und Lehrer, in grosser Zahl ein. Dennoch bildeten dieselben lange keine besondere Universität; erst im Jahre 1360 wurde ihnen ein eigener Rektor gestattet„ der jedoch von den Juristen abhängig war. Diese Abhängigkeit ward erst im Jahre 1399 aufgehoben.

In der Artisten - Universität waren die Mediciner früh vorherrschend; aus mehreren Stellen ihrer Statuten erhellt, dass der Rektor stets ein Mediciner sein sollte. Die Belegstellen hat Saviguy, Gesch. des Rom. Rechts ÜI, 258 angeführt.

PAPü>0P0U*8 F&L8CHUKGEN. 297

der Universität zu Padiut als Lehrer gewirkt hat , sieherlieh in einer seiner Schriften * eine Andeutimg davon gegeben. Erst im 18. Jahrhunderte taudite sie plötzlieh anf; sie fand dann allge* meinste Verbreitong, als ein anscheinend wohl nnterrichteter heimischer Schriftsteller sie aufgenommen und durch - untei^scho* bene - Beweissttteke gestützt hatte ."^

Der leichtfertige Papadopoli hatte, nachdem er entweder falsche Dokumente sieh selbst geschmiedet oder, durch Andere getäuscht, leichtgläubig übemommen hatte, in seiner 1726 erschienenen Geschichte der Universität Padua berichtet, es habe Coppernicus vier Jahre hindurch in Padua Philosophie und Medicin studirt und im Jahre 1499 in beiden Wissenschaften sich den

  • Die Tradition ist zuerst Bcfariftlich fizirt durch Nicolaus Comnenus

Papadopoli. In dem 2. Bande seiner im Jahre 1726 erschienenen „historia Gjmnasü Patayini“ findet sich ein Kapitel „de claris alumnis artium in gymnasio Patavino“; in diesem Verzeichnisse erscheint auch Coppernicus (p. 151).

Bei der Bestimmtheit, mit welcher Papadopoli seinen Angaben QuellenGitate beifUgte, hat er Femstehende zu täuschen vermocht. Er hat für sein weit angelegtes Werk (es umfasst zwei Folio -Bände) allerdings ein reiches urkundliches Material und tüchtige Vorarbeiten benutzen können. Allein es fehlte ihm ausser der erforderlichen Quellenkunde der kritische Blick und vor Allem - Wahrheitssinn. Es dürfte kaum ein zweites literargeschichtliches Werk gefunden werden, über welches das Verdikt so einstimmig lautet. Von seinem Neffen Zeno an bis auf unsere Tage herab haben alle kompetenten Kritiker, Foscarini und Facciolati, Morelli und Gennari, die unglaubliche Leichtfertigkeit Papadopoli's scharf getadelt. Es genüge hier, eines dieser harten aber gerechten Urtheile anzuführen: „Papadopoli (sagt Jac. Morelli, Operette ÜI, 219) ist ein Fälscher erster Klasse. Er citirt Werke, welche gar nicht vorhanden sind; er entnimmt ihnen Belegstellen, die rein erfunden sind. Er geht sogar 80 weit, Ausgaben von Büchern zu erwähnen, welche niemals erschienen sind. So darf es uns nicht Wunder nehmen, dass er viele Schriftsteller in fernen Landen getäuscht hat.“ - In derselben Weise lautet das Urtheil des sehr kompetenten Giuseppe Gennari : „Ich wage zu behaupten, dass seit Erfindung der Buchdrucker -Kunst bis auf unsere Tage es wenig Bücher giebt, die so nachlässig geschrieben sind als die Geschichte der Universität Padua von Papadopoli. Irrthümer zu Tausenden, Auslassungen ohne Zahl, AnfUhmng von Büchem, welche niemals existirten, Ungenauigkeiten jeder Art entstellen und verunstalten das ganze Werk “ (Dissertazione sopra gli storici dello Studio di Padova p. 7.)

298 PAPADOPOLl'S FÄLSCHUNGEN.

Doktor-Grad erworben."^ Die Fälschung kann ihm sehr bestimnit nachgewiesen werden, weil Papadopoli, um den Anschein wissenschaftlicher Strenge zu erwecken, die angeblichen Quellen genau angeführt und Namen wie Zahlen seiner Mitiheilung beigefügt .hat.

Eine kurze Zusammenstellung der Belege für die Fälschung Papadopoirs darf an dieser Stelle nicht unterlassen werden, weil sein Bericht in alle seitherigen Biographien von Coppernicus übergegangen,'^'^ und als besonderes Beweismittel für dessen angeblidi polnische Nationalität benutzt worden ist. Die einzelnen FäK schungen und Irrthümer, welche die Kritik dem leichtfertigen Manne nachgewiesen hat, sollen unter dem Texte ihre Beleuchtang finden. Hier genüge der Hinweis auf die im ersten Abschnitte mitgetheilten Ergebnisse urkundlicher Forschung, durch welche sicher belegt ist, dass Coppernicus, welchen Papadopoli bereits im Jahre 1499 zum Doktor der Medicin promovireu lässt, erst zwei Jahre später dieses Studium begonnen hat, und dass der^ selbe während des Quadrienniums, welches er in Padua zugebracht haben soll, theils in der Heimat, theils zu Bologna gelebt hat.

  • Nicolaum Gopernicum Patavü philosophiae ac medicinae

operam dedisse per annos quatuor constat exPolonorum albis, ubi discipulus dicitur Nicolai Passarae a Genua et Nicolai Verniae Theatini, aquo ad utriusque scientiae lauream provectum asserunt acta collegü Medicorum ad annum MCDXCIX.n (Bist. Gjonn. Patav. etc. Ü, 195.)

    • Noch im Jahre 1876 hat ein so angesehenes Werk, wie die „Allgemeine deutsche Biographie“ (ÜI, 463), Papadopoli's Fälschungen ganz unbefangen aufgenommen und weiter verbreitet. Der Bericht, welchen Bruhns

dort über des Coppernicus Aufenthalt zu Padua giebt, stimmt mit der historischen Wahrheit etwa Uberein, wenn man ihn in das volle Gegentheil umkehrt. Coppernicus war nicht „nach Paduaner Archiven 1499 in Padua“, er hat sich nicht „in das Album der natio Polona“ eingetragen und sich dort nachweislich nicht „den Grad eines Doctor medicinae erworben“.

      • Papadopoli hat auch in dem vorliegenden Falle Dokumente auf

richtiger Grundlage sehr geschickt erfunden. Seine Angaben hat man deshalb) trotz seiner notorischen Unzuverlässigkeit, bis vor Kurzem nicht unbedingt verwerfen mögen. Erst seitdem durch die Bemühungen mehrerer

PAPADOPOU'S FÄLSCHUNGEN. 299

Während die rege arcfaivalische Forschung stets neue Beweise für die Fälschungen Papadopoli's beibrachte, und man auf Grund

itaÜenischer Gelehrten (Jac. Morelli, Andr. Gloria, Dom. Berti und Ant. Favaro) die Archive zu Padua und Venedig durchforscht sind, ist erwiesen, dasB Papadopoli auch in Betreff seiner Mittheilungen über Coppernicus sich grober Fälschungen schuldig gemacht hat. Das ganze Beweis-Material, wie es in den Schriften der genannten Forscher niedergelegt ist, hier nochmals vorzuführen, erscheint kaum zulässig, nachdem durch anderweite urkundliche Belege fllr die Jahre, welche Papadopoli dem Coppernicus in Padua zuertheilt, der Alibi -Beweis erbracht ist. Es wird genügen, die Hauptpunkte hervorzuheben :

1) Die eine Quelle, aus welcher der Fälscher seine Notizen geschöpft haben will, das Album Polonorum hat im 15. Jahrhunderte noch gar nicht existirt.

Bis zum Jahre 1594 - d. i. ein volles Jahrhundert nach dem Aufenthalte des Coppernicus in Italien - gehörten die polnischen Artisten-Studenten zur natio Germanorum; erst seit dem Jahre 1605 bildeten sie eine getrennte Nation.

(Papadopoli führt an einer andem Stelle seines Werkes [Ü, 232] eine Notiz an, durch welche er den Schein erweckt, er habe die Einzeichnuof des Coppernicus in dem Album Polonomm selbst gelesen. Jedenfalls haben die polnischen Schriftsteller diese Unterstellung gemacht. Jene Notiz lautet: „Certum est ex albo Polonorum, quod habemus prae manibua, traditum a quodam Athanasio Rutheno, qui Polonam bibliothecam Patavü nostra aetate diripuit venditisque codicibus fugit, Stanislaum Lubienski nobilem Polonum, qui deinde Plocensis Episcopus fuit, Patavü eloquentiae ac Jurisprudentiae studuisse.“)

2) Gesetzt, es hätte 1494 eine gesonderte natio Polona zu Padua existirt, so würde Coppernicus aus denselben Gründen, aus denen er zu Bologna der natio Germanoram angehüren musste, auch zu Padua sich keiner andem Vereinigung haben anschliessen dürfen.

3] Die von Papadopoli als Quelle angeführten Acta collegü Medicorum werden noch gegenwärtig zu Padua aufbewahrt. Dieselben sind nicht etwa auf lose Blätter geschrieben, wie man, um Papadopoli's Ehre zu retten, anzunehmen versucht hat, sie werden vielmehr in festen Bänden asservirt. Gloria und Favaro haben das Volumen, welches die Acta der Jahre 1496 - 1503 enthält, einer genauen Durchforschung unterzogen; es ist in ihnen jedoch kein Name aufgefunden, welcher an Coppernicus erinnert und von Papadopoli mit diesem hätte verwechselt werden k($nnen.

Wunderlich ist auch die Verbindung der Promotion in der Philosophie und Medicin. Was hatten wohl die Acta collegü Medicorum über die Promotion in der Philosophie zu berichten? Ueberdies bildeten die Artisten und Mediciner nur eine Universität.

4) Von den beiden Promotoren, welche Papadopoli dem Coppernieua

300 DIE UNIVERSITÄT PADÜA.

derselben sehon der Ansieht zuneigte, dass Coppernicus gar nicht in Padna stndirt haben dürfte - zn derselben Zeit wurde durch ein merkwürdiges Spiel des Zufalls die Richtigkeit der bisherigen Tradition anderweitig sichergestellt. Der Universität Padna gebührt wirklich die Ehre, Coppernicus unter ihre Schüler zu zählen: sie hat seine juristischen Studien zum Abschluss geführt und ihn in der medicinischen Wissenschaft ausgebildet. Der vollgültige Beweis hieftlr ist durch ein werth volles Dokument erbracht, durch das neuerdings zu Ferrara aufgefundene Doktor -Diplom des Coppernicus aus dem Jahre 1 503, in welchem mit ausdrücklichen Worten gesagt wird, es habe derselbe in Bologna und Padua stndirt.

„Nicolaus Gopernich de Prusia, qui studuit

Bononie et Padue“.

Durch diese urkundliche Beglaubigung ist dem Biographen die Verpflichtung auferlegt, die damaligen Zustände der Universität Padua in ähnlicher Weise zu analysiren, wie es mit Krakau und Bologna geschehen ist."*

Buertheilt, hatte der eine, Nicolaus Passara, seine öffentlichen Funktionen bereits seit dem Jahre 1494 eingestellt. Dies bezeugt Tomasini (Gymn. Patavin. p. 280): „Nicolaus Passara . . . anuo 1494 ... ad senium vergens dimisso legendi munere ad practicam se contulit“. Papadopoli selbst berichtet a. a. 0. I, 291, der zweite der angeblichen Promotoren Nicolaus Vemia Theatinus sei der Nachfolger gewesen „Passarae de Genuat qui publicis praelectionibus sponte sua valedixerat“.

5) Am überzeugendsten sind Papadopoli's Fälschungen durch die zu Frauenburg, Bologna und Ferrara neuerdings aufgefundenen Archivalien nachgewiesen. Durch dieselben ist sicher belegt, dass Coppernicus nicht im Jahre 1494 nach Italien gekommen ist, sondern erst zwei Jahre später, im Herbste 1496; Coppernicus hat ferner in den Jahren 1496 - 1499 nicht die Universität zu Padua, sondern die zu Bologna besucht; er hat endlich in den bezeichneten Jahren nicht Medicin, sondern Rechts-Wissenschaft studirt.

  • Die Geschichte der Universität Padna hat bekanntlich schon in den

voraufgegangenen Jahrhunderten eine Reihe werthvoller Bearbeitungen gefunden. Die Werke von Riccoboni (1598), Tomasini (1654), Papadopoli (1726) und Facciolati (1752 und 1757) bieten ein reiches Material, wie es von keiner andern Universität veröffentlicht worden ist. In diesen allge

ZWEITE BLÜTEZEIT. 301

Das „Gymnasium Patavinum“ hatte im Anfange des 1 6. Jahrhunderts wieder eine seiner BIttte- Perioden erreicht."^ Die hervorragende Stellung, welche die dortige medicinische Fakultät unter den Schwester-Anstalten einnahm, dürfte wohl der Hauptgrund gewesen sein, dass Coppernicus bei seiner Rückkehr nach Italien die Universität Padua aufsuchte. Da das medicinische Studium jedoch keineswegs im Mittelpunkte seiner wissenschaftlichen Thätigkeit stand, so werden auch andere Gründe mitgewirkt haben, dass Coppernicus nicht nach Bologna zurückging, woselbst die medicinische Fakultät gleichfalls nicht unansehnliche Vertreter zählte.

meinen Greschichts -Werken ist jedoch für den vorliegenden Zweck weniger Anhalt zu finden. Die Schwierigkeiten einer monographischen Darstellung der akademischen Verhältnisse zu Padua flir eine enger begrenzte Periode wachsen vomämlich dadurch, dass sich nicht, wie in Ejrakau und Bologna„ die Lektions-Verzeichnisse daselbst erhalten haben.

Allerdings mnssten auch zu Padua, gleichwie zu Bologna, die Botoli vor ihrer Bekanntmachung der Staats-Behürde vorgelegt werden; nachdem sie dann eine gewisse Zeit öffentlich ausgehangen hatten, wurden sie im Archive aufbewahrt. Bis jetzt hat sich aber, weder zu Padua noch im Staats-Archive zu Venedig, ein einziger Rotulus auffinden lassen.

Dagegen besitzen wir Über die Zustände der Universität Padua zur Zeit von Coppernicus gegenwärtig eine dankenswerthe Monographie von einem bewährten und sachkundigen Forscher - es ist die Abhandlung von Antonio Favaro: „Lo Studio di Padoya al tempo di Niccol6 Coppel^ nico“ (Venezia 1880), von welcher das 3. Heft der Mittheilungen des Coppernicus -Vereins eine deutsche Uebersetzung gebracht hat. Die mangelnden Angaben der Botuli hat Favaro durch geschickte Zusammenstellung der Notizen zu ersetzen gewusst,. welche er in andern amtlichen Schriftstücken aufgefunden hat; es sind dies namentlich die Protokolle über die Wahlen der Rektoren, die Einführung der Docenten und die Beglaubigung ihrer Anwesenheit bei öffentlichen Festen und den akademischen Versammlungen.

  • Schon in der ersten Blütezeit, im 13. und 14. Jahrhunderte, wurde

das Studium generale zu Padua von Scholaren aus dem fernen Nordosten Europa's aufgesucht. So berichtet Tomasini (Gymn. Patav. IV, 539) es sei „Nioolaus archidiaconus Gracoviensis“ im Jahre 1271 Rektor zu Padua gewesen. Nach Faeciolati (fasti Gymn. Patav. I, 17) bekleidete dasselbe Amt „Fridericus Polonus“ im Jahre 1350. - Zehn Jahre später studirte nach Frauenburger Archivalien zu Padua der ermländische Kanonikus Petras Martini.

302 DIE ÜNIV£B8ITÄT PADCA.

Vielleicht mochte zunächst der Wunsch vorwalten, neue Vefr^ hältnisse kennen zu lernen ; oder es mochten die Brüder Kopperni;gk - denn auch Andreas kehrte nicht nach Bologna zotttck im Hinblick auf den bevorstehenden Abschluss ihrer Studienzeit es für nothwendig erachten, aus den gewohnten Umgebungen und den mannigfachen Zerstreuungen des Bologneser Lebens herauszutreten."^ Höchst wahrscheinlich ist ein Zusammenwirken verschiedener gewichtigster Gründe anzunehmen, indem Coppernicufl sich zu einem Wechsel der Universität entschloss, den Umgang mit Dominicus Novara aufgebend, der ihm nicht leicht ersetzt werden konnte.

Im Allgemeinen trat das der mächtigen Republik Venedig damalszugehörende Padua wohl kaum hinter Bologna zurück.**

  • Zu Bologna waren die Scholaren, ausser den Zerstreuungen, welche

S. 268 und 270 angeführt sind, überdies mannigfachen Störungen durch die vielen Reisenden ausgesetzt, welche aus dem Norden durchzogen. Die grosse Strasse nach Rom führte über Bologna. So warnte der OrdensProkurator Georg Pusch im Jahre 1523 den Hochmeister seinen Stipendiaten, den jungen Grafen Botho von Eulenburg, nicht nach Bologna zu schicken. „ . . . . Wer Studiren will, - so schreibt derselbe - muss ein geruhig Gemüth haben . . . Will Ew. FUrstl. Gnaden, dass er studiren und zu der Lehre angehalten werden soll, so muss er an Oerter geschickt werden, da er keinen Irrthum hat . . . . Siena und Bologna ziehen täglich Leute durch, wird dadurch verhindert, wenn er sie besucht.“

    • Die Republik Venedig hatte nach der Eroberung Padua's (1405) der

dortigen Universität, welche während der voraufgegangenen Kriege sehr gelitten hatte, die grösstmOglichste Sorgfalt zugewandt. Die benachbarten Hochschulen zu Vicenza und Treviso wurden geschlossen, und den Angehörigen der Republik ward verboten, an andern Akademien als in Padua zu studiren, welches also förmlich zur Landes -Universität erhoben wurde. Nun erstand das alte Athenaeum daselbst zu neuem Leben. Wir erstaunen über die grosse Zahl von Docenten, welche die Universität Padua zählte. Und darimter befanden sich die besten Lehrkräfte, welche der venetianische Senat herangezogen hatte. Niemand ward überdies zu einer Lehrkanzel zugelassen, der nicht promovirt hatte. Es ist hier nicht der Ort, die mannigfachen Verordnungen hervorzuheben, welche im Interesse der Universität vom Senate erlassen waren. Der Kuriosität wegen darf aber vielleicht jenes wunderliche Dekret vom Jahre 1489 kurz berührt werden, welches die Docenten mit zehn Lire für jede Vorlesung bestrafte, der weniger als sechs Zuhörer anwohnten.

DIE reghts-univsbsitIt. 303

Blühend war zunttchst die ReohtB-UniverBität. Die bertthmtesten ProfeBsoren wechselten zwischen Bologna und Padoa; ich nenne u. A. den „subtilitatam pater et prinoeps“ Bartholomaeus Socinus aus Siena, welcher 1498 - 1501 zu Padna lehrte and dann nach Bologna übersiedelte. Zu den grossen Sternen der JuristenUniversität zählten femer Giovanni Campeggi, Filippo Decio, Bertucci Bagarotto, Giasone Maine, Christoforo degli Alberici,. Carlo Ruino - Männer, welche der venetianische Senat, um sie an Padua zu fesseln, mit Prärogativen und Auszeichnungen überhäufte. Um diese schaarte sich eine grosse Zahl anderer vortrefflicher Docenten, welche den Ruhm der Hochschule durch Eifer und Geschick erhöhten, wenngleich ihre Namen nicht in der Geschichte der Wissenschaft glänzen."^

Ein näheres Eingehn scheint nicht einmal auf die hervorragenden Professoren hier erforderlich zu sein. Coppernicus kann möglicherweise bei einem oder dem andern der Koryphäen eine Vorlesung gehört haben. Sonst aber dürften von ihm nur noch repetitorische Kurse benutzt worden sein; er hatte ja nicht die Absicht zu Padua einen akademischen Grad zu erwerben, und unter den dortigen Professoren sich den Promotor zu wählen.**

Gegen Ende des 15. Jahrhunderts wurden auch die Auditorien der Hochschule, welche bis dahin an verschiedenen Punkten der Stadt zerstreut gewesen waren, in dem Grebäude vereinigt, welches noch gegenwärtig von der Universität benutzt wird. 1493 waren die Juristen eingezogen, 1501 folgten die Artisten. Bald nach dem Weggange des Coppernicus von Padua begann der länger andauernde Verfall der Universität. Die schweren Gefahren, welche dem Bestände Venedigs von den Grossmächten drohten, nöthigten damals den Senat, alle bereiten Geldmittel auf die Vermehrung des Heeres und der Flotte zu verwenden. Coppernicus hatte Italien schon verlassen, als die Lehrstühle zu Padua im Jahre 1506 um die Hälfte vermindert wurden. Von 1509-1517 war die Universität ganz geschlossen.

  • Die Namen der Docenten des geistlichen und weltlichen Bechts,

welche zur Zeit des Coppernicus in Padua lehrten, findet man bei Favaro a. a. 0. p. 33.

    • Da der Urlaub, welchen Coppernicus am 27. Juli 1501 vom Domstifte

erhalten hatte, ausdrücklich für das Studium der Med i ein bestimmt war,

304 DIE UHIVBR8ITÄT PADÜA.

Auch von den theologischen Vorlesungen ist kaum anzunehmen, dass sie Coppernicus benutzt haben wird; wir hOren nicht, dass zu irgend einer Zeit seine besonderen Neigungen dteser Wissenschaft zugewandt gewesen sind"^.

Anders war es mit den philosophischen Vorträgen und den Vorlesungen über griechische Sprache. Hier fand Coppernicus reichste Befriedigung : vielseitige Anregung und Vervollsttndigung seiner Kenntniss des Alterthums.

Die Inhaber der scholastischen Lehrstühle fttr aristoteliBche Philosophie freilich absolvirten wohl zumeist ihr Jahres-Pensnm in hergebrachter Weise."^* Allein neben ihnen waren jflngeie frische Kräfte thätig, welche dem Meister nicht sklavisch folgten, sondern ihn mit Freiheit und eigenem Urtheile den Scholaren

so scheint derselbe dadurch die Verpflichtung übernommen zn haben, in die Artisten- Universität einzutreten. Jedenfalls ist anzunehmen, dass er die juristischen Vorlesungen nur nebenbei, mit alleiniger Rttcksicht auf seine Promotion, werde besucht haben.

  • Im Hinblick auf seine Stellung in der Kirche dürfte es nicht gana

unwahrscheinlich sein, dass Coppernicus eine und die andere theologische Vorlesung gehört habe.

In Padua waren damals zwei Hauptr-LehrstÜhle der Theologie errichtet, um welche sich, wie überall , die beiden rivalisirenden^ Orden der Dominikaner und Franziskaner gruppirt hatten. Jene hatten die Professur „ex schola Thornistica“ inne, diese besetzten den Lehrstuhl „ex schola Scotistica^.

'** Zu Padua bestanden zur Zeit des Coppernicus ausser dem Lehrstuhle fttr die Logik „ad librum primum et secundum i>osteriorum Analyticoram Aristotelis“ zunächst zwei Professuren der Metaphysik; diese waren nach den grossen Häuptern der Schule geschieden, Thornas von Aquino und Dun„ Scotus. Die „lectura in primo looo“ wurde auch „Metaphysica in via D. Thornae“ genannt ; von ihr musste das erste, siebente und zwölfte Buch der aristotelischen Metaphysik erklärt werden. Die „lectura in secundo loco“ wurde „Scotistica“ genannt; sie hatte zur Zeit des Coppernicus der Klosterbrader Antonio Trombetta inne, welcher der Fürst der Scotisten seines Zeitalters genannt wurde.

Sodann war ein Lehrstuhl für Naturphilosophie angesetzt: „ad librum primum, secundum et octavum Physioorum Aristotelis, duos de generatione et corruptione, tres de anima, quatuor de caelo et mundo“; endlich bestand ein Lehrstuhl für die Moral -Flülosophie „ad decem Aristotelis Ethicoram libros“.

PETBC8 POMPONATTUS. 305

interpretirten. Unter diesen ist zunächst Fietro Pomponazzi hervorzuheben, der durch seine eigenen Schriften eine Philosophie inangnrirte, welche die Geister von den Fesseln des Glaubens befreite. * In gleicher Weise wirkte Niccolö Leonico Tomes. Zu Venedig geboren, war er, mit der Kenntniss des Griechischen ausgerüstet, nach Padua gekommen und eröffnete hier eine neue Aera des philosophischen Unterrichts, indem er auf Grund des OriginalTextes Aristoteles und Plato erklärte und die Uebersetzungen und Kommentare des Mittelalters in Vergessenheit brachte."^

"^ Pomponatius war, kaum 26 Jahre alt, 1488 für die Professor der Philosophie in secundo loco berufen, neben Alessandro Achillini, dessen Ruhm damals schon allgemein verbreitet war. Zwischen 1492 und 1495 wurde er zu der ersten Professur befördert, welche er bis zur Schliessung der UniversitiU im Jahre 1509 inne hatte.

Von seinen Schriften ist am bekanntesten das Buch „de immortalitate animac", welches ihn in schwere Händel verwickelte. Er ISugnete die Unsterblichkeit der Seele nicht ; er behauptete nur, dass sie aus den Schriften des Aristoteles, wie überhaupt durch Vernunft -Gründe, nicht bewiesen werden könne. Auch seine Schrift „de incantationibus seu de effectuum naturalium causis“ hat ihm, besonders, wegen seiner Bemerkungen über die Reliquien- Verehrung, viele Anfeindungen zugezogen. Denselben freien Geist athmet sein Buch „de fato, libero arbtrio, praedestinatione et Providentia dei,“ worin er das Recht vertheidigte , die kirchlichen Dogmen selbständiger Prüfung zu unterziehn.

Pomponatius lehrte bereits 13 Jahre an der Hochschule, als Coppernicus nach Padua kam ; er hatte , wenngleich sein Weltruf erst durch seine spätem wissenschaftlichen Kämpfe begründet wurde, die erste Professur der Philosophie schon seit sechs Jahren inne. Die Tradition von seinen berühmten Disputationen mit Achillini hatte ihm einen solchen Zulauf der Scholaren bewirkt, dass sie lange Zeit vor der Anfangszeit der Vorlesungen die Bänke des Auditoriums besetzten, um nur einen Platz sicher zu erhalten.

Mit Recht ist schon von anderer Seite darauf hingewiesen worden, dass Coppernicus den Umgang des geistvollen und kühnen Mannes gesucht haben wird, welcher auf den verschiedensten Gebieten den Vorartheilen seiner Zeitgenossen muthig entgegentrat (Favaro a. a. 0. p. 39).

^"^ Unter den übrigen Docenten der Philosophie, welche in den Jahren 1501 - 1506 zu Padua, dem Bollwerke des Aristotelismus; lehrten, ist hier kaum noch ein anderer Name hervorzuheben. Man findet eine Reihe derselben bei Favaro (p. 37 sqq.) aufgezählt; allein es sind für uns kaum literarische Namen, und dabei sind noch alle übergangen, welche nur als Promotoren bei den Doktor-Emennungen figurirt zu haben scheinen. I. 20

306 HIEB0NYMU8 FRA0ASTORIUS.

Neben diesen altem Dooenten ist noch ein jnnger Mmm xq nennen, der berühmte Girolamo Fracastoro, welcher dermaleimit helfen sollte das Ptolemäische System zu erschüttern. In gleudiem Alter mit Coppernicus stehend, hatte er sich denselben Wissenschaften, wie dieser, zugewandt. Fracastoro war Philosoph, Aixt and Astronom; er bekleidete bereits eine Professor der Logik and war gleichzeitig „Consiliarius anatomicus“ zu der Zeit, da Coppernicus in Padna stndirte. Es ist deshalb mit Sicherheit anzunehmen, dass die beiden jungen Männer in nähere Beruhrung getreten sind. Dieser Umgang, verbunden mit den Anregungen, welche die Vorträge Pomponazzi's boten, werden viel dazu beigetragen haben, die Gedanken eines „novus ordo“ in Coppernicus zu festigen.

Eine derartige Förderung konnte Coppernicus bei den officiellen Vertretern der Mathematik und Astronomie nicht finden; diese bewegten sich in dem hergebrachten Geleise.*

Dagegen wurde ihm durch Marcus Musurus die erwünschte Gelegenheit geboten, in die Kenntniss der griechischen Sprache und Literatur tiefer einzudringen.** Dieser hatte im Jahre 1503

  • Der Mathematik und Astronomie war im Anfange des 16. Jahrhunderts zu Padua nur eine geringe Bedeutung beigemessen. FUr beide Lehrstühle, welche in früherer Zeit getrennt gehalten wurden, war damals nur

ein einziger Docent, noch dazu mit einem geringen Gehalte, bestellt.

    • Bei der Nachbarschaft Venedigs, das mit dem Morgenlande in steten

Handels -Beziehungen gestanden hat, wird die Kenntniss der griechischen Sprache zu Padua wohl schon im 13. Jahrhunderte vermittelt worden sein. Später mögen sich hier, seitdem die Stadt unter Venedigs Oberhoheit gekommen war (1405), flüchtige Griechen häufiger niedergelassen haben. Aber erst zehn Jahre nach dem Falle von Konstantinopel (1463) wurde eine ordentliche Professur der griechischen Sprache eingerichtet. Im Anfange des 16. Jahrhunderts - bis zum Sommer 1503 - hatte sie Lorenzo da Camerino inne, welcher unter dem Namen Creticus bekannter ist.

Als Creticus 1503 im Auftrage des venetianischen Senats nach Lissabon geschickt wurde, scheint der Lehrstuhl einige Zeit unbesetzt geblieben zu sein. Bis zum Februar 1506 hatte ihn Marcus Musurus als Supplent inne; seine Anstellung „ad primum locum“ erfolgte nach dem Tode von Creticus, welcher zu jener Zeit gestorben ist.

MARCUS MÜSÜBÜS. 307

ein öffentliches Lehramt an der Universität erhalten - in demselben Jahre, in welchem Coppernicus seine juristischen Studien dem Abschlüsse zuführte und nunmehr, befreit von den Rücksichten auf das Examen, seinen wissenschaftlichen Neigungen sich ungestörter hingeben konnte.

Welche Vorlesungen MoBurus in den Jahren 1503-1506 gehalten hat, ist noch nicht ermittelt; auch über die allerdings wahrscheinliche Verbindung, in welche Co];^emicaB zu ihm getreten ist, hat sich nicht die geringste Andeutung erhalten.

20^

Sechster Abschnitt.[recensere]

Die Promotion im kanonischen Rechte.

Ferrara 1503.

Die Universität zu Ferrara war es, von welcher Coppernieus sieh den Doktor-Grad im kanonischen Rechte ertheilen liess. Die Gründe liegen nicht klar zu Tage, weshalb derselbe diese kleine Universität auserkoren hatte.* Die Ansicht Malagola's, dass es aus pekuniären Rücksichten geschehen sei, hat Beifall gefunden. Sie stützt sich vomämlich auf den (S. 265 ff.) mitgetheilten Berieht über die Geldnoth, in welcher sich die Gebrüder Koppernigk zu Bologna im Jahre 1499 befunden hatten. Diese vereinzelte Angabe über eine vorübergehende Geldverlegenheit ist jedoch nicht ausreichend, den Schluss zu begründen, dass Coppernieus nicht im Stande gewesen sein würde, die freilich hohen Kosten der Promotion in Bologna zu tragen.** Der Oheim, der in schwie

  • Schon im 13. Jahrhunderte bestand zu Ferrara eine höhere Lehranstalt. Im Jahre 1391 ertheilte ihr Papst Bonifacius IX. das Recht eines

Stadium generale. Bis gegen die Mitte des 15. Jahrhunderts bestand die Mehrzahl der Professoren jedoch aus Einheimischen ohne besondem Ruf. Im Jahre 1450 waren nur 9 Juristen und 13 Artisten angestellt. Im Geburtsjahre von Coppernieus finden wir bereits 23 Juristen und 29 Artisten, zum Theil freilich wohl Nominal-Professoren.

    • Nach Savigny (Gesch. d. Rom. Rechts ÜI, 203) betrugen allein die

Promotions-Gebühren zu Bologna 140 Lire. In Padua waren dieselben noch höher. Savigny (a. a. 0. ÜI, 268) giebt an, dass nach den Statuten von 1550 die Taxe für die einfache Promotion (im römischen oder kanonischen Rechte) über 200 Lire betrug.

DIE ÜNIVERSrrÄT FEBRARA. 309

rigerer Geldlage sich der Promotion in Bologna unterzogen hatte, brauchte das Geld nicht zu scheuen, wenn er die Promoyirung der Neffen zu Bologna wünschte. Es müssen sonach andere 'Gründe gewesen sein, welche Coppernicus bestimmt haben, sich an einer fremden Universität zum Doctor decretorum ernennen zu lassen.

Von den deutschen Studenten Bologna's wurde Ferrara öfter aufgesucht, um sich die Doktor-Insignien zu holen."^ Dort waren also jedenfalls wesentliche Erleichterungen geboten, nicht blos in Betreff der Kosten, sondern auch in der Form der Prüfung.'*^ Coppernicus nun war durch keinerlei Rücksichten behin

AuB einem Beschlüsse der deutschen Nation zu Bologna d. d. 8. Juli 1516 erhellt, dass damals für die Ertheilung der Würde des Doctor iuris utriusque 50, für die einfache Promotion 30 Gold-Dukaten zu zahlen waren (vgl. Malagola vita di Urceo p. 326). - Viel mehr, die Gebühren mitunter um das Dreifache übersteigend, kostete der übrige Aufwand, besonders bei den feierlichen Aufzügen vor und nach der Promotion, wobei nach dem Herkommen an viele Personen neue Kleider gegeben werden mussten (vgl. Savigny a. a. 0. S. 204).

Wie hoch sich die Kosten für die Promotion zu Ferrara beliefen, ist zur Zeit nicht ermittelt.

  • Malagola hebt ausdrücklich hervor, die Akten der deutschen Nation

zu Bologna ergeben, dass ein nicht geringer Theil der dortigen RechtsStudenten die Promotion zu Ferrara nachgesucht hätte. Sie mussten in diesem Falle an die deutsche Nation eine kleine Summe zahlen, welche im Anhange der matricula verzeichnet wurde. Dort findet sich ein besonderes Verzeichniss der „doctores Ferrarienses“ aus der deutschen Nation von 1497-1544. Unter ihnen konnte des Coppernicus Name freilich nicht auf gefuhrt sein, weil derselbe, als er promovirte, schon seit vier Jahren der Universität Bologna nicht mehr angehörte.

    • Der Kanonist hatte in Bologna, wie in Padua, vor der Promotion einen

Eid zu leisten, dass er 6 Jahre lang kanonisches Recht studirt habe. Ausserdem musste er nachweisen, dass er die vorgeschriebenen „repetitiones“ oder „disputationes“ abgehalten habe.

Ueber die Vorbedingungen der Promotion zu Ferrara ist uns nichts bekannt.

Die Prüfung selbst zerfiel in Bologna und Padua in zwei Akte. Bei der „privata examinatio“ scheint der präsentirende Doktor allein ezaminirt zu haben; die andern Doctores durften nur über die von dem Kandidaten bearbeiteten Texte Fragen und Einwürfe vorbringen. Wenn der Kandidat

310 DIB UNIVERSITÄT FEBSABA.

dert, von diesen Erleichterungen Gebrauch zn machen. Zu Bologna, wo Mathematik und Astronomie neben der grieohischen Sprache ihn vorzugsweise beschäftigt hielten, hatte er sich woU kaum an einen juristischen Professor in der Weise angeschloflNieü, dasB er ihn den seinen nennen konnte,"^ den er zum Promolor zu wählen verpflichtet gewesen wäre. Noch weniger war dies zu Padua der Fall.

Im Frühlinge des Jahres 1503 finden wir Coppernicus in Ferrara. Dort wurden ihm am 31. Mai in Gegenwart des Rektors der Juristen-Universität, Johannes Andreas de Lazaris,** in dem Palaste des Erzbischofs '^'** durch dessen Vikar Georgins

für würdig befanden wurde, hiess er „licentiatus“. Die „publica examinatioc oder der „conventus“, durch welchen die Würde des “„doctor decretomm“ erlangt wurde, geschah in der Domkirche, woselbst der Lioentiat ausser einer Promotions-Rede eine juristische Vorlesung zu halten hatte.

  • Savigny (a. a. 0. ÜI, S. 242 und 502) hat bereits hervorgehoben, dasB

auf den Rechts-Universitäten Italiens während des Mittelalters die Professoren sich nicht auf einen Theil ihrer Wissenschaft beschränkten, sondern alle für den Kursus der Rechts -Schule bestimmten Vorlesungen nach einander hielten. Unter dieser Voraussetzung allein ist es zu erklären, dass sich jeder Scholar aussch liessend , oder doch vorzugsweise, an einen Lehrer hielt, den er deshalb auch mit grosserem Rechte als gegenwärtig seinen Lehrer nennen konnte.

    • Ueber Joh. Andreas de Lazaris ist uns nichts weiter bekannt, als was

Borsetti in seiner Historia Ferrariae Gymnasü I, 140 und Ü, 101 mittheilt. Danach war er auch im Jahre 1501 Rektor (der ArtiSTen-[I] Universität). Aus seiner Amtsführung als Rektor der Juristen-Universität im Jahre 1503 ftihrt Borsetti an, dass er dem Herzoge eine Bittschrift eingereicht habe, um die beabsichtigte Herabsetzung der Professoren-Gehälter abzuwehren.

      • Um eine grössere Garantie zu gewinnen, dass nicht Unwürdigen die

akademischen Grade zuerkannt würden, hatte bereits im Jahre 1219 Papst Honorius ÜI. eine Verfügung erlassen, wonach zu Bologna keine Promotion anders als mit Genehmigung des Archidiakonns ertheilt werden solle. Dieser stand ausserhalb des Promotions-Kollegiums; er führte überdies die Aufsicht über die Domschule. Der Archidiakonns prüfte nicht selbst, sondern war nur bei dem Akte gegenwärtig; er überreichte auch nicht die Insignien, sondern ertheilte nur die Erlaubniss dazu.

Nach solchem Vorgange übertrugen, um die Mitte des 13. Jahrhunderts, die Doktoren zu Padua aus freiem Entschlüsse dem dortigen Bischöfe das Recht, welches der Archidiakonns zu Bologna ausübte. Aehnlich ist es

DAS DOKTOB-DIPLOM. 311

Priscianns'^ vor Notar und Zeugen"^ die Insignien des Doktors im kanonischen Rechte feierlich überreicht.***

wohl auch zu Ferrara geschehen, woselbet der £rzbiBchof, bez. dessen General-Vikar, die Aufsicht bei den Promotions-Akten fOhrte.

Der damalige Erzbischof von Ferrara war ein Schwester-Sohn Alexander's VI., welcher, wenige Tage nach seinem KrOnungs- Feste, am 31. August 1492, diesen Neffen, den damaligen Bischof von Monreale, Jobann Borgia, in das Kardinals-Kollegium aufnahm („titul. Sanctae Susannae presbyter“).

  • Georgius Priscianus war viele Jahre hindurch General- Vikar des Erzbischofs von Ferrara; nachweislich war er es noch im Jahre 1519 (Boncompagni a. a. 0. p. 361). Er bekleidete zugleich eine Professur an der

dortigen Universität und hat, wie die Geschichtschreiber derselben melden, eine Reihe von Hechts -Gutachten hinterlassen, welche noch um die Mitte des 18. Jahrhunderts zu Ferrara aufbewahrt waren.

^ Bartholomaeus de Silvestris war, wie er sich selbst in mehreren Dokumenten nennt, welche sich zu Ferrara erhalten haben, „notarius CoUegü Juristarum Ferrariensis“ (vgl. Boncompagni a. a. 0. p. 356 und 360].

      • lieber die äussern Gebräuche bei den Promotions-Akten zu Ferrara

ist zur Zeit nichts Näheres bekannt. Dieselben werden jedoch, gleichwie die Prüfungen es waren, denen an den andern italischen Universitäten ganz analog gewesen sein. Jedenfalls scheint es einem allgemeineren, kulturhistorischen Interesse zu entsprechen, wenn aus Favaro's mehrfach erwähnter Schrift das im Anhange V p. 67 mitgetheilte Dokument nachfolgend abgedruckt wird, in welchem das an der Artisten-Universität zu Padua im Jahre 1503 gebräuchliche Ceremoniell bei Ertheilung der Doktor -Insignien beschrieben wird. Dasselbe ist einem Manuskript -Bande des UniversitätsArchivs zu Padua entnommen, welcher die Aufschrift trägt : „Memorie sopra lo Studio e Collegio Sacro di Medici e Filosofi, 1 150^-1591:“

„Formularia in tradendis insignibus.“

„Suadens ei L ihr um in primis clausum, ut ex hoc sciret, quod didicerat, tenaciter retinendum, et mox apertum, ut nedum conservari, quod studuerat, sed per exercitium augeri debere intelligeret. Biretum pro Corona eins capiti imponens, quia promeruerat se ipsum superando et pro florentissima Academia sua strenue dimicando, cui commode consuluerit, et in nulle penitus defecerat. Annulo aureo illum subarans, ut sciret sie praecepta Justitiae divina quidem fideliter adimplenda, sicut coniugem viro adhaerere necesse

est, quod \ ^ ... afficere debebat, quoniam Viro Justo nil sanctius, nil

pulchrius, nil denique Deo et mortalibus amabilius. Hunc enim colunt et amant boni. Huno etiam nolentes venerantur et diligunt mali et ut, quemadmodum purissimo desponsabatnr metallo, sie quicquid peragendum immineret puro ao sincero corde perageret : nee rapinis indulgeret, si suum optabat lucrum esse perpetuum, et animae non pati detrimentum. Osculum

812 DAS DOKTO£-DIPLOM.

Als Promotoren fongirten : Dr. Philippns Bardella und Dr. Antonius Leutus.'^

Das über den feierlichen Akt ausgestellte Diplom ist im Archiyio Notarile zu Ferrara aufgefunden** und durch den Fürsten Dr. Baidassar Boncompagni in den Atti delF Accademia Pontificia dei nuovi Lincei 1877 (p. 341-397) mit ausfUirlichen Erläuterungen und beigegebenem Facsimile veröffentlicht.***

pacis ei praebens, nt pacem merere possit, si pacem seminaverit, nee diaaidü auctor fuerit, sed pacis et concordiae : quam nos Episcopus einsdem promotoris precibuB annuentes Benedictionem supradicto in Domino firmavirnos.“

  • Von dem ersten der beiden Promotoren des Coppernicus ist wenig

bekannt. Dr. Philippus Bardella wird in zwei zu Ferrara erhaltenen ManiH Skripten unter den „Adiuncti“ aufgeführt, welche im Jahre 1473 dem „Collegium duodecim sapientum civitatis Ferrariensis“ beigegeben waren. Ausaerdem findet sich sein Name unter den „doctores numerarü“ in der auf dem Universitäts- Archiv zu Ferrara aufbewahrten „Conscriptio . . . Doctorum Almi Collegü Juristarum Ferrariensis“, welche der oben erwähnte Notar Bartholomaeus de Silvestris im Jahre 1501 aufgezeichnet hat. Bardella gehörte damals bereits zu den älteren Professoren, er ist an sechster Stelle unter einundzwanzig aufgeführt. Als sein Todesjahr ist 1510 angegeben.

Einen berühmteren Namen hat sich der eigentliche Promotor des Coppernicus erworben, der an zweiter Stelle genannte Antonius de Lentis, welcher ihm die Doktor-Insignien überreicht hat. Er war der nächst jüngere Amtegenösse Bardella's, Professor an der Rechts-Universität in den Jahren 1473 1510 (fl516). Von seinen Zeitgenossen wurde er als einer der bedeutendsten Juristen gerühmt. In den Atti dell' Accad. Pontific. 1877 p. 364 - 387 hat Boncompagni über Leutus und seine consilia eine nicht weniger als 22 Quart-Seiten umfassende Ausführung gegeben, die er freilich nach seiner Art mit allen möglichen Bücher-Titeln und Citaten reich gespickt hat.

    • Das Verdienst, das Doktor -Diplom des Coppernicus aufgefunden zu

haben, gebührt dem Direktor der Stadt-Bibliothek zu Ferrara, L. Cittadella, einem Gelehrten, der sich durch eigene lokalhistorische Forschungen, wie durch die eifrige Unterstützung fremder Studien bekannt gemacht hat. Das werthvolle Dokument wird im Notariats-Archive Ferrara's aufbewahrt, und zwar unter den „Rogiti“ des Notars Toniaso Meleghini, welcher den Akt über die Ertheilung der Doktor-Insignien an Coppernicus aufgenommen hatte. Es findet sich dort in Mazzo V auf Blatt 447 recto Zeile 12-23.

    • ♦ Das im Herbste 1876 aufgefundene Dokument hatte Cittadella an

Boncompagni übermittelt. Dieser gab davon zuerst Kunde in der Gratulations-Schrift, welche die päpstlichen Akademien zu dem Jubiläum Pius' IX. veröjffontlichten : „Triplice omaggio alla Santitä di papa Pio IX nel suo Giubileo episcopale oflferto dalle tre romane Accademie : Pontificia di Archeo

DAS DOKTOR-DIPLOM. 313

Das werthvoUe Dokument lautet:

„1503 Die ultimo mensis Maji Ferrarie in episcopali palatiO; sub lodia horti, presentibus testibus uocatis et rogatis Spectabili uiro domino Joanne Andrea de Lazaris siculo panormitano almi Juristarum gymnasü Ferrariensis Magnifico rectore, Ser. Bartholomeo de Siluestris, ciue et notario Ferrariensi, Ludouico quondam Baldasaris de Regio ciue ferrariensi et bidello Vniuersitatis Juristarum ciuitatis Ferrarie et alüs.

mf (0 Venerabilis ac doctissimus uir dominus Nicolaus Copernieh de Prusia Canonicus Varmensis et Scholasticus ecclesie S. crucis Vratislauiensis*: qui

logia, Insigne delle belle arti denominata di S. Luca, Pontificia de' nnovi Lincei.“ Roma 1877 (p. 291). Dod Wortlaut des Diploms und ein Facshnile veröffentlichte Boncompagni dann, wie im Texte bereits angeführt isti noch in demselben Jahre in den „Atti dell' Accad. Pontif.“ mit einer langem Abhandlung „Intomo ad un documento inedito relativo a Niccolö Copernico“.

Ein zweites Facsimile des werthvollen Dokumentes findet sich in den „Antografi di Niccolo Copernico raccoltl ed ordinati da Arturo Wolynski“ (Firenze 1879). Die Auffindung des Doktor-Diploms hat für die Copperaicanische Forschung eine grosse Bedeutung. Vor Allem ist durch diese Urkunde der Studien -Aufenthalt von Copperaicus zu^Padua sicher beglaubigt. Sodann ist auch nunmehr ausser Zweifel gestellt, dass Coppernicus seine juristischen Studien in Italien zu vollem Abschlüsse gebracht hat. Nur schüchtern wagte bis dahin die Annahme aufzutreten, dass' derselbe mit dem DoktorGrade im kanonischen Rechte in die Heimat zurückgekehrt sei. Hipler war der erste, welcher vor einem Decennium in seiner Abhandlung „Koperaikus und Luther“ S. 20 auf einige Dokumente hinwies, in denen Copperaicus als „Doctor decretorum^ bezeichnet wird. Diese Annahme hatte dann allerdings ^ durch einige später aufgefundene Urkunden, in welchen Coppernicus sich selbst Doctor decretorum nennt, bereits Bestätigung gefunden. Vgl. Hipler Spicil. Copern. p. 274 und 275.

  • Bis zur Auffindung seines Doktor -Diploms war es ganz unbekannt,

dass Coppernicus eine Pfründe in Breslau besessen. Selbstverständlich ist die Angabe ganz authentisch, da sie von Coppernicus allein herrührt.

Die Stellung des „Scholasticus“ war an den einzelnen Orten verschieden.

314 DAS DOKTOB-^DIPLQlf.

studuit Bononie et Padne, fuit approbatns in Jare Canonico nemine penitus discrepante et doctoratas

In Ermland gehörte er, wie bereits S. 193 angegeben ist, zu den Prälaten des Domstifts; er stand der Domschule vor and hatte das gesammte Unterrichtswesen zu leiten. Diese Würde bestand aber nur sehr kurze Zeit, um die Wende des 13. Jahrhunderts. Urkundlich sind überhaupt nur zwei Scholastiker in Frauenburg nachweisbar; der erste wird im Jahre 1297 anfgeführt, der zweite begegnet uns in einer Reihe von Dokumenten der Jahre 1308-1317.

Welches die Rechte und Befugnisse des Scholastikers an der EoUegiatKirche zum heiligen Kreuze in Breslau gewesen, ist unbekannt. Da Coppernicus in seinem Doktor-Diplome sich nur als „canonicns Warmiensis“ (und nicht zugleich als „canonicus Wratislaviensis“) hat aufführen lassen, ist es ersichtlich, dass der Scholasticus jedenfalls nicht Mitglied des dortigen DomStifts gewesen ist.

Aus einem Briefe des Breslauer Dom-Kustos Dr. Tresler, eines geborenen Danzigers, an seinen Landsmann, den ermländischen Bischof Dan tiscus d. d. 16. Mai 1538, ersehen wir, dass Copperuicus die Breslauer Pfründe bis in seine letzten Lebensjahre besessen hat. Dieses Schreiben ist erst seit Kurzem 'bekannt geworden. Es findet sich in der Briefsammlung des Dantisoos, welche die Universitäts- Bibliothek zu Upsala aufbewahrt; die auf Coppernicus bezüglichen Stellen sind von Hipler (Kopernikus und Luther S. 45) und Boncompagni (a. a. 0. p. 354) mitgetheilt.

Gleich im Eingange des Schreibens geschieht des Coppernicus Erwähnung. Tresler berichtet über eine ärztliche Konsultation, die er mit Coppernicus gehabt; dann verbreitet er sich über andere Angelegenheiten. Am Schlüsse findet sich die hieher gehörige Hauptstelle. Tresler bittet den Bischof Dantiscus um seine Verwendung zur Erlangung eines ermländischen Kanonikats; Dantiscus solle sein Schreiben in ähnlicher Weise einrichten, wie das Schreiben in Betreff der Resignation des Coppernicus auf seine Scholastrie in Breslau abgefasst gewesen sei.

Die betreffenden Stellen des Tresler' sehen Briefes lauten:

„Dum nuper essem in Warmia, contuli cum V. D. D. Nicoiao Coppernico de causa istius subiti morbi etc

Ceterum Rev. Domine tentavi nuper, an possem a quodam Romanensi canonicatum Warmiensem obtinere; ad eam veni transigendam , opus erit consensu Serenissimi Romani et Bohemiae Regis. Scripsi ad Cancellarium Reverendissimi Wratislaviensis D. Vinrichum Hortensium, ut opera sua expediretur. Si imperatns non sit, quod facile in Cancellaria explorabitur, facillime nunc gratia Rev. Dom. V. eundem obtinebimus. In quo graciam suam mihi impertiri Rev. Dom. V. non gravabitur. Necesse autem esset eundem impetrare simili clausula: Consentimus utpote ins patronatus obtinentes in ecclesia coUegiata Sanctae Crucis Wratislaviensis, ut D. Doctor Nicolaus Coppernic possessor Scolastriae in eadem ecclesia

DAS DOKTOB-DIPLOM. 315

per prefatnm dominum G^orgiam Yicarium ante dictum etc.

promotores fnernnt

D. Philippns Bardella et . _-^ cives Ferra D. Antonius Leutus, qui ei dedit insignia rienses etc.“

Coppernicus wird nach Erreichung des Hauptzweckes, welcher ihn hingeführt hatte, noch längere Zeit zu Ferrara geblieben sein.

eam in manibus Sanctissimi Domini nosiri Papae vel Episcopi WratislaviensiB resignare possit in favorem D. Doctoris Joannis Rapoldi Canonici Wratislaviensis etc. Ita tarnen quod super eadem scolastria nnlla pensio reservetur nee qnoyis alio gravamine oneretor etc.

Als Hipler die vorstehende Stelle yerö£fentlichte , erachtete er die „clausula“ Hlr „eine Formel, deren Namen und Verhältuisse hier nur fingirt zu sein schienen, und die höchstens auf eine nähere Bekanntschaft des Dr. Tresler mit Kopernicus schliessen lasse.“ In den Frauenburger Akten hatte sich nSmlich nicht die geringste Andeutung über die Breslauer Pfründe des Coppernicus auffinden lassen. Auch gegenwärtig ist noch Nichts in den Archiven daselbst aufgefunden.

Die Einsicht in das Doktor-Diplom des Coppernicus ergiebt, dass die Auffassung Hipler's eine irrthttmliche war. Coppernicus ist wirklich „Inhaber der Scholastrie“ an der Kollegiat- Kirche zu Breslau gewesen. Auffallend bleibt es freilich, dass weder er selbst noch ein Anderer ihm diese Bezeichnung späterhin beigelegt hat. Ganz vereinzelt wird Coppernicus in einem um die Mitte des 16. Jahrhunderts erschienenen Buch als „Vratislaviensis“ bezeichnet. Zenocaras a Schauenburg berichtet in seinem Werke „de repu blica, vita Imperatoris Quinti Caroli“ (p. 193) über den Kometen des

Jahres 1533 und sagt dabei: „Hinc magna inter Vratislaviensem Coper nicum et Ingolstadiensem Appianum et Hieronymum Scalam fuit

decertatio“.

Die frühe Erlangung der Breslauer Pfründe mag bei Coppernicus vielleicht durch die alten Geschäfts-Verbindungen des Vaters und Grossvaters mit Schlesien vermittelt sein, wenn nicht der Einfluss des Bischofs Lucas allein ihm auch hier das Beneficium verschafft hat.

Beziehungen zwischen dem ermländischen und breslauer Dom -Kapitel sind im 15. und 16. Jahrhunderte mehrfach nachzuweisen. Im Anfange des 15. Jahrhunderts ist bei zwei Scholaren der Universität Prag bemerkt, dass sie in beiden Domstiften ein Kanonikat besessen hätten: Friedrich von Salendorf , welcher im Jahre 1402 immatrikulirt wurde und Konrad Weter-

316 FERRARA. STADT UND HOF.

Wenngleich die Stadt und die Mensehen ihm nicht in dem romantischen Glänze erscheinen mochten, welchen die Dichtongr ^un den Mnsenhof und das Geschlecht der Este verbreitet hat, so war des Anziehenden und Fesselnden doch genug daselbst.

Ferrara war durch seine Fürsten gross bereits, als Coppernicus dort einzog. Wetteifernd mit den andern Dynasten und den Republiken Italiens hatten die Este monumentale Bauwerke errichtet : Kirchen und Klöster, Paläste und Kastelle. Ein reicher Adel wohnte in der Stadt. Von ihren Landburgen nach Ferrara gezogen, hatten die niedergeworfenen Barone hier neben den fürstlichen Palästen ihre Stadtschlösser erbaut, welche noch jetzt die öde Stadt zieren. Die Bürgerschaft war betriebsam, durch Gewerbfleiss und Handel wohlhabend. In ihrer Blütezeit - es war dies eben am Anfange des 16. Jahrhunderts - soll die Stadt volkreicher als Rom gewesen sein.

Neben dem höfischen Glänze hatte sich schon früh ein reges geistiges Leben zu Ferrara entfaltet. Die Wissenschaft ward auf der Hochschule eifrigst gepflegt*, die bildenden Künste wurden nicht vernachlässigt. Vorzugsweise aber war es die Dichtkunst, welche Ferrara und die Este mit jenem Glorienscheine umgeben

heim. Letzterer ist im „Album canonistarum studü Pragensis“ zum Jahre 1408 als „Canonicus Warmiensisn eingetragen, zum Jahre 1413 dagegen als „Warmiensis ac S. Crucis Wratislaviensis ecclesiarum Canonicus“ (er war damals rector canonistarum studü Pragensis).

Im Jahre 1447 femer wird Andreas Lampe, Domherr zu Breslau, Mitglied des Frauenburger Domstifts. Im 16. Jahrhunderte erhalt umgekehrt Eustach von Knobeisdorf, welcher seit 1546 Canonicus Warmiensis war, eine Domherrn-PrSbende in Breslau.

  • Von grossen Humanisten hatten Guarino der ältere und Joh. Aurispa

zu Ferrara gelehrt, dann der Mathematiker Bianchini, in dessen Ilause der Kardinal Bessarion, gleichwie Pourbach und Regiomontanus, gastliche Aufnahme gesucht und gefunden hatten. Als Coppernicus sein Examen ablegte, lebte noch Nicolaus Leonicenus, über ein halbes Jahrhundert lang der Stolz Ferrara's. Aus der Hochschule waren u. a. hervorgegangen: Savonarola, Dominicus Novara und Uroeus Codrus, die Lehrer von Coppernicus zu Bologna, in jüngerer Zeit Cello Calcagnini.

LUKREZIA BOBGIA. CBLIO CALCAGNINI. 317

hat, dasB die bald yer(ydete Stadt fttr die spätesten Geschlechter Wallfahrtsort geblieben ist.

Zu der Zeit, da Coppernicus in Ferrara lebte^ hielt dort ihren glänzenden Hof Lnkrezia Borgia, seit einem Jahre die Gemahlin des Erbprinzen Alfonso. Noch lebten ihr Vater und der entsetzliche Bmder Cesar; diese führten ihr frevelhaftes Leben in alter Weise fort. Sie selbst aber hatte ihren Wandel zn Ferrara vollständig geändert. Das Brandmal, welches ihr ob nnglanbUcher Verbrechen zu Rom aufgedrückt war, schien hier yoUsföndig verschwunden. Alles lag der schönen, jungen Frau zu Fttssen. Sie bezauberte durch ihre Anmuth Jeden, der ihr nahte, sie war damals 23 Jahre alt. Unter den huldigenden Poeten, welche ausser der Schönheit auch ihre Tugend in höfischer Schmeichelei wetteifernd priesen, befand sich Ariosto, welcher ihr ein anmuthiges Epithalamium geweiht hat; der Dichter preist darin das Glttck der Stadt Ferrara, welche fortan Alle um den Besitz eines unvergleichlichen Juwels beneiden werden, der Dpulcherrima virgo“.

Auch der geniale Celio Calcagnini hatte bei dem Einzüge der Herzogin ein Hochzeits-Gedicht überreicht; er war zu Ferrara geboren und gebildet, sechs Jahre jünger als Coppernicus. Er zählt zu den Vorläufern der heliocentrischen Weltanschauung. Wie leicht ist es möglich, dass die beiden gleichgesinnten jungen Männer damals in nähere Verbindung getreten sind!* Auch in die wissenschaftlichen Kreise älterer Gelehrten, die ihn dauernd zu fesseln vermochten, ist Coppernicus damals eingetreten. Denn

  • Coppernicus und Celio Calcagnini hatten in dem Gange ihrer Bildung,

ihren wissenschaftlichen Neigungen und Grundanschauungen so viele Berührungspunkte, dass man schon hieraus die Berechtigung zu dem Schlüsse entnehmen müsste, die beiden jungen Männer seien sich zu Ferrara persönlich näher getreten. Hierzu kommt noch ein besonderer Umstand. Antonius Leutus, welcher dem Coppernicus die Doktor -Insignien überreichte, war der Pathe von Calcagnini. Vgl. des Letztem Opera p. 566 ; die betr. Belegstelle aus Calcagnini's Dialog „Equitatio“ findet man vollständig abgedrackt bei Boncompagni a. a. 0. p. 3S5.

318 DER WEGGANG VON FERRARA. •

Dominicns Maria Novara und Urceas Codras, seine Lehrer zu Bologna, hatten ihre Bildung auf der Hochschule zu Femum empfangen, welcher sie ein pietätsvoUes Andenken bewahrten ; noch lebten ihnen dort Freunde und Studien-Genossen.

Alle diese Umstände erheben die Annahme zur höchsten Wahrscheinlichkeit, dass Coppernicus in der Stadt einen etwas längeren Aufenthalt genommen haben wird, in welcher ihm die höchsten akademischen Ehren zuertheilt worden waren. Seine Studien machten ohnehin die Rückkehr nach Padua für die nächsten vier Monate nicht erforderlich. Der Kursus war dort ganz wie in Bologna eingerichtet. Die Vorlesungen begannen erst wieder mit dem Tage nach St. Lucae, am 19. Oktober.

So hat Coppernicus noch die letzten sonnigen Tage der schönen Lukrezia gesehen. Im August 1503 starb Alexander VI. Der ^od des Papstes musste wohl früher, als es sonst geschehen wäre, seine Tochter, die einst verführerische Sirene, zur büsseurden Magdalena umwandeln helfen.

Siebenter Abschnitt.[recensere]

Das medicinische Studium. Padua 1503-1506.

Coppenücns nahm seine Studien zu Padua wieder auf, als sich ein grosser Umschwung aller Verhältnisse in Italien angekündigt hatte. Nach dem kurzen Pontifikate Pins' TL., des Nachfolgers Alexander's VI., war am 1. November 1503 der kriegerische Priester-König Julius n. erwählt worden. In eben denselben Herbsttagen war in Unter-Italien der Kampf der Grossmächte um die Hegemonie in Europa von Neuem entbrannt. Allein das östliche Ober-Italien blieb damals noch von unmittelbarer Kriegsbedrängniss verschont. Erst als Coppernicus Italien verlassen hatte, entluden sich die schweren Gewitter-Wolken, welche sich über Venedig, die Herrin von Padua, zusammengezogen hatten. Coppernicus konnte seine Studien zu Padua noch ungestört weiterführen. Diese waren jetzt vorzugsweise dem Gebiete der Medicin zugewandt.

Seitdem durch das zu Ferrara dem Coppernicus zuertheilte Doktor-Diplom sein Aufenthalt zu Padua sicher beglaubigt ist, hat sich die Forschung eifrigst gemüht, aus urkundlichen Quellen die Bildungsmomente zu ermitteln, welche das medicinische Studium zu Padua dem jungen Domherm bieten konnte, den die Confratres eben deshalb nach Italien entsandt hatten, dass er sich für die ärztliche Praxis vorbereite.

320 DAS MEDICINISCHE STUDIUM ZU PADUA.

Den Stndiengang des medicinischen Scholaren zn Pädua im Anfange des J6. Jahrhunderts lasse^n uns die damals geltenden Statuten erkennen ; auch sind uns die Lehrstühle bekannt, welche in jener Zeit für die Medicin zu Padua eingesetzt waren.*

Das medicinische Studium zu Padua in der Zeit von Coppernicus war nach vier Hauptfächern eingetheilt, fttr welche besondere Lehrkanzeln (lecturae) vom Staate errichtet und besoldet waren.

Die Inhaber der ordentlichen Professuren im Anfange des 16. Jahrhunderts waren bestimmt fttr die Vorlesungen:

I. De medicina theorica ad primum Fen Avicennae, Apho rismos Hippocrätis et artem parvam Galeni. 11. Ad tertium Avicennae. ni. De Medicina practica, de febribus, de morbis particula ribus a capite ad cor, de morbis a corde et infra. IV. De chirurgia.

Fttr jedes Hauptfach waren statutenmässig zwei Professoren angestellt. In der theoretischen Medicin kam noch ein dritter hinzu ; ja zur Zeit des Coppernicus lehrten vier Professoren „medicinam theoricam“. Ausserdem gab es noch ausserordentliche Professoren und Lektoren, die etwa den Privat-Docenten auf deutschen Universitäten gleichzustellen sind.

Die Professoren der theoretischen Medicin hatten im ersten Studienjahre den ganzen ersten Theil des Kanon von Avicenna vorzutragen, im zweiten Jahre die „Aphorismen“ mit dem Kommentare von Galenus, eventuell auch noch die „Prognostica“ des Hippokrates, im dritten Jahre den „Mikrotegmus“ des Galenus mit der Erklärung von Trusianus oder Jacobus.**

  • Die alten Statuten der Artisten-Universität zu Padua wurden im Jahre

1495 von Neuem bestätigt. Einzelne Auszüge aus denselben findet man bei Favaro a. a. 0. p. 69 ff.; sie sind dem Original -Manuskripte entnommen, welches die Universitäta-Bibliothek aufbewahrt.

    • Die im Texte angeführten Bestimmungen sind im 16. Kapitel des

DIE ANATOMISCHEN ÜBUNGEN. 321

Ein besonderer Lehrstuhl für Anatomie war in jener Zeit zu Padua noch nicht errichtet ; diese Wissenschaft war ja überhaupt erst in ihren Anfängen.* Man zergliederte, wie überall, so auch zu Padua damals nur, um Galen's Schriften und Mondinfs Lehrbuch zu erklären.

Alljährlich einmal wurden Demonstrationen am menschlichen Leichnam unternommen. Nach den reformirten Statuten der Uni

zwei ten Buches der Universitäts - Statuten vom Jahre 1495 enthalten. Der Wortlaut ist:

„Ordinarü Theorici primo anno legere teneantur totum primum canonis. Seoundo anno libmm aphorismonim Hippocratis , cum commento Galeni : quem si compleverint ante finem anni, continuare debent librum pronosticorum Hippocratis. Tertio anno legant librum Microtegmi Galeni cum expositione Trusiani, seu expositione Jacobi cum quaestionibus ad libitum audire volentium, quem si compleverint ante finem anni, continuent 4 phen primi canonis.

Extraordinarü Theoricae similiter altematim legant, ut quod ordinarü in praecedenti anno legerunt, ipsi in sequenti legant, nisi fuerit concurrens eins, legere audeat ullo modo sub poena periurü et libr. 50, nee rectori et consiliarüs hoc alicui concedero liceat. Si quis vero doctor aliquam lectionem ultra sibi deputatam legere voluerit, nunquam legere possit materiam ab alio doctore inceptam, vel publicatam, vel ut supra alten deputatam.“

Zur Uebemahme einer ordentlichen Professur (der theoretischen, wie praktischen Medicin) wurde nur derjenige zugelassen, der wenigstens drei Jahre hindurch eine ausserordentliche Professur bekleidet hatte. Die Bestimmung der Statuten hierüber lautete: „Ad lecturam ordinariam theoricae nullus proponatur, nisi in isto vel in alio studio eandem sedem tenuerit, vel saltem in studio generali ad minus per 3 annos aliquam de extraordinarüs medicinae cum publico salario legerit. Similiter ad ordinariam practicae medicinae nullns admittatur, nisi eandem ordinariam, vel saltem extraordinariam aliquam medicinae ad minus per triennium in studio generali legerit. H

"^ Die Anatomie wurde in Padua seit den ältesten Zeiten am Kadaver gelehrt, doch erscheint sie selbstständig erst im Rotulo von 1540. Für die anatomischen üebungen war, wie wir einer Handschrift aus dem 16. Jahrhunderte entnehmen, ein besonderes Gebäude errichtet. Jeder Eintretende musste 3 Marcelli erlegen (etwa 25 Centimes), welche fUr die Unterhaltung des Gebäudes, die Beerdigung der Leichen etc. verwandt wurden. Als Hausverwalter fungirten zwei arme Studenten, welche die Instrumente aufbewahrten und überhaupt alles sonst Erforderliche in Stand zu halten hatten. Favaro a. a. 0. p. 68.

I. 21

322 DIE UNIVERSITÄT PADÜA.

versität vom Jahre 1495 war der 'Rektor unter Androhnng von Strafen gehalten, beim Beginne eines jeden JahreBkursus, spätestens bis Ende Februar, zwei Kadaver hingerichteter Verbrecher, einen männlichen und einen weiblichen, zu besorgen. Bei den anatomischen Demonstrationen assistirten dem Professor zwei Studenten, welche im dritten Studienjahre stehen und schon der Zergliederung menschlicher Leichname beigewohnt haben mussten. Zugelassen wurden ausser den Professoren nur diejenigen Studenten, welche bereits einen Jahreskursus absolvirt hatten.

Einer der ausserordentlichen Professoren war verpflichtet, den Text der Anatomie von Mondinus vorzulesen; ein anderer, der aus der Mitte der ordentlichen Professoren gewählt wurde, musste zunächst den Text des Lehrbuches erklären und dann die Demonstrationen am Kadaver machen. Die Lehrer der Chirurgie hatten die Zergliederung im Einzelnen vorzunehmen. Erst wenn ein bestimmter Abschnitt des Lehrbuchs von dem dazu berufenen Professor genau erklärt und durch die Demonstration den Studenten zum vollen Verständniss gebracht war, durften die übrigen Professoren das Wort nehmen, falls sie noch etwas vorzutragen hatten, was ihnen zum Nutzen der Scholaren erforderlich schien.*

  • Die Anordnungen über die anatomischen Demonstrationen enthält das

XÜI. Kapitel der Universitäts-Statuten vom Jahre 1495. Dasselbe lautet:

„Adhaerentes non solum antiquis statutis nostris, sed Universität! omnium Italicarum laudatissimae consuetudini, non modo ad nostrorum Bcholarium utilitatem, sed etiam totius humani generis salutem, statuimus, quod post principium studü, et ante finem Februarü, quilibet rcctor sub poena perjurü et lib. 50, et quilibet consiliarius sub poena lib. 20 efficaciter procuraro teneatur, ut habeatur aliquod cadaver cuiuspiam delinquentis , de quo ab ipsis praetoribus supplicium sumptum est. Videlicet unius maris et unius foeminae, vel saltem unius ipsorum. Ut autem communi utilitati cousulatur, confirmari petimus, specialiter, et de gratia special! , quod vigore praesentis Statut! teneantur ips! praetores, nis! tales deliquentes fuerint de territorio Patavino, aut civis Venetus sub poena lib. 1000 tale cadaver D. rector! et scholaribus ad eorum requisitionem assignar! facere. Et si infra praedictum tempus aliquis delinquens non occurat, Si Citadellac, aut alio quovis loco territorü accidat de aliquo supplicium capitis esse sumendum, Teneantur

DIE MKDICINISCHEN VORLESUNGEN. 323

Die Lektionen-Verzeichnisse der Artisten- Universität Padua aus der Zeit, als Co])peroieas daselbst studirte, haben sich nicht erhalten. Wir sind daher nicht im Stande, ganz genau anzugeben, welchen Vorlesungen der einzelnen Lehrer Coppernicus hat beiwohnen können. Allein den Forschungen Favaro's verdanken wir wenigstens die Kenntniss der Namen mehrerer Professoren, welche damals die medicinisch-chirurgischen Lehrstilhle inne hatten.

praetores dictorum locorum non obstante decreto aliquo, aut conBuetudine, vel alüs quibuscunqüe ordinibus sub poena praedicta tale cadaver pro praedicta causa, ut supra, rectoribus et scholaribuB assignare. Ut antem res Ordinate et cum omnimoda utilitate procedat, rector cum sapiente et consiliarüs, cum talis anatomia facienda est, eligant duos scholares idoneos, qui ad minus in hoc studio per biennium in medicina studuerint, et si haberi possint, qui viderint alias anatomias, vocenturque massari anatomiae. Eorum Sit officium de loco, de instrumentis , et de omnibus neeessarüs providere, et taxare quantum quisque volens videre solvere debeatur, taxetur autem pro quantitate expensarum faciendarum. Ad eam autem videndam nullus scholaris nisi matriculatus , et qui medicinae ad ^inus per annum studuerit, admitti possit, D. rector cum uno socio, omnes doctores legentes“ et omnes doctores de collegio, et ipsi duo massarü : ac etiam duo alü scholares pauperes, de quorum paupertate saltem per eorum juramentum constet, 81 fuerint per rectorcm et consiliarios electi , admittantur sine ulla solutione. Reliqui omnes repellantur. Nee rector aut consiliarü, aut ipsi mas* sarü habeant potestatem aliquem admittendi non matriculatum, et qui non studuerit in medicina per annum, et qui non solvent. Si quis autem de praedictis ingressus esset etiam tantum semel, teneantur ipsi massarü solvere pro ipso. Per rectorem et consiliarios deputetur unus ex doctoribus extraordinarüs, qui recitet et legat textum anatomiae Mondini, et unus alter ex doctoribus ordinarüs sive practicae, sive theoricae, qui declaret sententialiter dictum textum, et quod declaraverit iuxta textum et literam oculata fide monstret et verificet in ipso cadavere. Nee ad aliam unquam particulam legendam vel monstrandam procedatur, nisi prior fuerit declarata et monstrata, legentes chirurgiam ad incidendum et secandum teneantur. Quod si ad hoc habiles et periti rectori et consiliarüs non videantur, alium expensis eorum idoneum ad tale officium conducant, Statuentes, quod nullus doctor quicquam dicere audeat, nisi postquam scholares particulam viderint“ Dum vero altera inciditur, super praecidenti iam visa quilibet doctor dicere et proponerc possit ad scholarium utilitatem, quod sibi videbitur. Si vero neque hie neque in Paduano districtu cadaver pro anatomia occurrat, teneatur rector cum consiliarüs procurare, ut ex Venetüs vel alio loco habeatur.“

21*

324 DIE UNIVERSITÄT PADUA.

Das Hauptfach der theoretischen Medicin war durch vier Professoren vertreten, welche durch ihre Schriften wohlbekannt sind. Es war zunächst der wegen seiner Verbindung mit Leonardo da Vinci in weiten Kreisen genannte Marcus Antonius della Torre, welcher in den Jahren 1 50 J- 1506 zu Padua lehrte. Durch eifriges Studium der Alten, namentlich des Galenus, vorgebildet, hatte er zuerst an Pferde-Kadavern, dann an MenschenLeichen, gemeinsam mit Leonardo da Vinci, anatomische Studien getrieben, für welche letzterer ihm die Zeichnungen geliefert hat.*

Als ordentliche Professoren der theoretischen Medicin werden für die bezüglichen Jahre femer aufgeführt : Bartholomaeus de Montagnona d. j., Andreas Alpagus und Gabriel Zerbi (auf den letztem folgte im Jahre 1505 Antonio Cittadini) .** - Als ausserordentliche Professoren wirkten in den Jahren 1503 - 1505 Girolamo da Urbino, Filippo Pomodoro und Girolamo Pindemonte.

Einen scharfen Gegensatz zu diesem Reichthum an Lehrkräften ftlr die theoretische Medicin bildete die Vereinsamung des

  • lieber die Verbindung Antonio's della Torre mit Leonardo da Vinci

berichtet Vasari in der Lebens -Beschreibung des Letztem. (Vite de' piu eccelenti pittori etc. p. 8.)

    • Der älteste unter den Professoren der theoretischen Medicin war

Bartholomaeus de Montagnona (d. j.), welcher bis 1509 Vorlesungen hielt. Er hat eine Reihe von Schriften veröffentlicht, welche theils einzeln, theils gesammelt mehrere Auflagen erlebt haben: „De praeservatione corporum debilium in aere subtili“, „de balneis Patavinis““, „Antidotarium“, „Consilia medica“ u. A.

Im Jahre 1504 lehrte gleichfalls theoretische Medicin der gelehrte Kenner der orientalischen Sprachen Andreas Alpagus (auch Balgayus oder Mongayus genannt). Wir verdanken ihm die Uebersetzung des medicinischen Handbuchs eines alten arabischen Arztes , „Serapionis breviarium“, welches mehrmals aufgelegt ist. Er hatte ferner Verbesserungen zu dem lateinischen Avicenna des Gerhard von Carmona geschrieben, auch dessen Schrift „de syropo acetoso“ selbstständig übertragen.

Als vierter Lehrer der theoretischen Medicin wird Gabriel Zerbi aufgeführt, der durch seine zahlreichen anatomischen Schriften (“anatomia infantis„, „de cautelis medicorum“, „gerontocomia“, „anatomia corporis humani“ u. A), wie durch seinen unglilcklicben Tod bekannt ist.

DIE PROFESSOREN DER THEORETISCHEN ü. PRAKTISCHEN MEDICIN. 325

Lehrstuhls „ad tertiam Avicennae“; er wurde durch zwei junge Doeenten provisorisch verwaltet, welche noch keinen akademischen Grad erlangt hatten.*

Die Lehrkanzel der praktischen Medicin wurde lange Jahre durch Giovanni d'Aquila eingenommen, dessen Coadjutor im Jahre 1503 Beruh, Speroni wurde. Neben ihnen unterrichtete Girolamo von Verona, dessen Professur im Jahre 1505 Francesco de Cavalli erhielt. - Zur Zeit von Coppernicus lehrte ausserdem praktische Medicin der von den Geschichtschreibern Padua's als Lehrer der Mathematik sehr gerühmte Petrus Trapolinus, zu dessen Füssen Scholaren aus den fernsten Ländern Europas gesessen haben sollen.**

Die wenigen Notizen, welche sich Über den Lehrstuhl der Chirurgie erhalten haben, sind für den vorliegenden Zweck gleich

  • Nach den Univorsitäts-Statuten war der Lehrkanzel „„ad tertium Avicennae„ nur eine geringere Bedeutung beigelegt. Die betr. Bestimmung lautet :

„Tertü Avicennae duo eligantur in concurrentia lecturi, quibus aequa-

litor cius locturao salarium dctur. Nullus autem in ea proponatur aut admittatur, nisi Bit scholaris forcnsis et matriculatus , qui studuerit ad minus in lioc studio in medicina per duos annos cum dinüdio, et hie vel alibi in artibus tempore debito studuerit, neque ultra annum eam lecturam quis legere possit.n

Auch die Besoldung der Doeenten „ad tertium Avicennae“ war eine sehr geringe; sie erhielten ein Jahrgchalt von 10 Florenen, während z. B. der ausserordentliche Professor der theoretischen Medicin 50 Florenen jährlich erhielt.

    • Ein jüngerer Zeitgenosse Scardeone berichtet in seinem Werke „de

antiquitatc urbis Patavü“ über Trapolinus: „Talis tantusque mathematicus fuit, ut sine controvcrsia profecto primas in ea facultate, quatenus in vita pormanserat, semper haberet, neque exinde unquam defuere, qui Patavium ex ultima Britannia, Ilispania et Gallia ad eum audiendum cupivisse convenirent.“ - Trapolin hatte im Jahre 1499 den Lehrstuhl der Philosophie mit der ordentlichen Professur der praktischen Medicin vertauscht. Die von ilim hinterlassenen Manuskripte sind leider bald nach seinem Tode verloren gegangen; ein Einblick in seine philosophischen Anschauungen wUrde für uns von grossem Interesse sein, da wir wohl annehmen können, dass Coppernicus gesucht haben wird , gerade mit diesem Manne in nähere Veiv bindung zu treten, der diejenigen wissenschaftlichen Fächer lehrend vertrat, welchen er selbst seine Studien zugewandt hatte.

326 DIB UNIVERSITÄT PADUA.

, gttltig, weil nicht anzunehmen ist, dass Coppernicus diesen Vorlesungen regelmässig beigewohnt haben wird.*

Ob Coppernicus zu Padua die medicinische Doktorwürde erlangt hat, wissen wir nicht, da die Acta collegü Medicorum gerade für die Jahre 1503 - 1507 fehlen. Die Bezeichnung „Doctor Nicolaus“, mit welcher Coppernicus in den Frauenburger Akten fast durchweg erscheint, giebt uns zur Zeit kein Recht zu der Annahme, dass sie sich auf den höchsten akademischen Grad in der Medicin bezieht.** Es ist im Gegentheil sehr unwahrschein

  • Favaro (a. a. 0. p. 43) nennt fünf Namen von Docenten, welche in den

Jahren 1503 - 1506 den Lehrstuhl der Chirurgie inne hatten. Weitere Notizen über dieses Lehrfach bieten die erhaltenen Schriftstücke nicht. Aus dem im Anhange IV der Schrift von Favaro mitgctheilten Dekrete d. d. 27. Juni 1506 ersehen wir, dass der „secunda lectura chirurgiae“ ein Jahresgehalt von 40 Florenen zugebilligt war.

♦* Die Bezeichnung „Doctor“, welche dem Namen von Coppernicus in den Frauenburger Archivalien hinzugefügt wird, ist bisher allgemein auf den höchsten akademischen Grad in der Medicin bezogen worden. Die Biographen des Coppernicus hatten sich zu dieser Interpretation jedoch nur deshalb genöthigt gesehn, weil uns bis vor Kurzem nicht bekannt war, dass er Doctor decretorum gewesen ist. Eine urkundliche Berechtigung stand ihnen nicht zur Seite. In gleichzeitigen Schriftstücken - mit einer einzigen Ausnahme, worauf gar kein Gewicht zu legen ist - wird Coppernicus niemals als „doctor medicinae“ aufgeführt. (Letzteres geschieht durch einen Irrthum des herzoglichen Sekretärs in einem Dankschreiben, welches, als „Gommissio principis ex relatione Cancell.“, vom Herzoge Albrecht an das Frauenburger Kapitel d. d. 13. April 1541 eingesandt ist.)

Allein jene irrige Interpretation wurde allerdings durch eine sehr gewichtige Autorität unterstützt. In der Inschrift auf der Gedenktafel, welche im Jahre 1581 ein jüngerer Zeitgenosse, der gelehrte Historiker und Bischof von Ermland Martin Cromer, im Dome zu Frauenburg setzen Hess, wird Coppernicus „artium et medicinae doctor“ genannt. Die Inschrift war bereits seit Gassendi (vita Copernici p. 43) in weiteren Kreisen bekannt. Es ist deshalb nicht auffällig, dass die Annahme allgemeinste Verbreitung gefunden hatte, es sei Coppernicus doctor medicinae gewesen, zumal seine ärztliche Thätigkeit durch Ueberlieferung und urkundliche Dokumente beglaubigt war. Die Inschrift auf der Gedenktafel hatte Cromer übrigens durch Verhandlungen mit dem. Kapitel festgestellt; auch den damaligen

DER ABSCHLÜSS DER MEDICIN ISCHEN STUDIEN. 327

lieh, dasB ein Manila welcher bereits mit den höchsten Ehren im geistlichen Rechte geschmückt war, sich um die Doktor -Wttrde in der Medicin beworben haben sollte, welche sich eben erst die Gleichberechtigung neben den Schwester-Fakultäten errungen hatte.* Wenn ihm nun durch die Kumulation akademischer Grade kein Zuwachs an Ehre wurde, so bedurfte Coppernicus auch aus andern äussern Gründen nicht der Graduirung in der Medicin. Seine Lebensstellung war mehr als hinreichend gesichert; die ärztliche Thätigkeit sollte nur eine Nebenbeschäftigung sein, nicht Lebenszweck, sie sollte nur den nächsten Kreisen seiner Umgebung gelegentlich zu Gute kommen.

Wann Coppernicus seine medicinischen Studien abgeschlossen hat, ist nicht mit Sicherheit zu bestimmen. Nach allgemeinen Normen ist die Dauer derselben nicht zu bemessen, weil individuell und aussergewöhnlich die Umstände und Verhältnisse waren, welche ihn dieser Wissenschaft zugeführt hatten.** Wir wissen

Domherrn war also, - ein Menschenalter nach dem Tode von Coppernicus, - nicht mehr bekannt, dass ihr berühmter einstiger Amtsgenosse doctor decretorum gewesen ist.

  • In der Renaissance - 2^it haben sich zwar^ wie bereits gelegentlich

bemerkt ist, oftmals Professoren der Philosophie oder Mathematik noch in späterem Alter den Grad eines doctor medicinae ertheilen lassen, um durch Betreibung der ärztlichen Praxis ihre Existenz sicherer zu stellen. Allein bei bepfründeten Klerikern wird der Fall wohl kaum jemals vorgekommen sein. Selbst niedere Kleriker mögen nur vereinzelt, wenn sie etwa als fürstliche Leibärzte fungiren wollten, eine Graduining in der Medicin nachgesucht haben.

    • Die zur Zeit von Coppernicus geltenden Statuten der ArtistenUniversität bestimmen im 23. Abschnitte : „Quantum promovendus in medicina

stnduisse debeat et disputassen. „ ... In medicina promovendus studuerit ad minus per annos tres et lectiones omnes ordinarias audicrit, et cum allquo famoso doctore per annum ad minus practicasse et infirmos visitasse constet, et si dubitatnr de hoc, stetur ejus iuramento, et nisi secum ex causa dispensatum fuerit, et publice sub allquo doctore disputaverit , et responderit in facultate in qua promovendus est, et legerit ad minus in scholis nostris publice lectiones“.

Das Triennium, welches die Statuten fUr die Promotion verlangen, hatte Coppernicus reichlich absolvirt. Wie weit er den andem Vorbedingungen genügt hat, darilber ist uns nichts bekannt. Aus seiner spätem ärztlichen

328 DIE DAUER DES AUFENTHALTS IN ITALIEN.

nicht, wann er seinen medicinischen Kursus wirklich begonnen, ob und welchen der medicinischen Vorlesungen er bereits neben seinen kanonistischen Studien beigewohnt hat.

Auch aus den Frauenburger Akten ist nicht mit einiger Sicherheit zu bestimmen, wie lange der Aufeüthalt des Coppernicus in Italien gewährt hat, in welchem Jahre er in die Heimat zurückgekehrt ist. Durch den Beschluss des Kapitels d. d. 27. Juli 1501 (vgl. S. 291) hatte Coppernicus einen zweijährigen Urlaub erhalten. Ein weiterer Beschluss über die Verlängerung des Urlaubs ist nicht aufgefunden ; vielleicht ist dieselbe stillschweigend zugestanden. Jedenfalls ist die ursprünglich bewilligte Frist von zwei Jahren mit Erlaubniss des Kapitels mindestens verdoppelt worden. Wir werden nicht irre gehn, wenn wir den Aufenthalt des Coppernicus in Italien auf ein volles Decennium ausdehnen.*

Thätigkoit ist Jedoch mit Sicherheit zu entnehmen, dass er die praktischen Vorübungen , die Auskultationen am Krankenbette, unter Anleitung seiner Lehrer eifrigst wahrgenommen haben wird.

  • Die Bestimmung des Jahres, in welchem Coppernicus aus Italien in

die Heimat zurückkehrte, unterlag seither den grössten Schwankungen. Den ältesten Biographen war keine sichere Ueberlicferung zugekommen; sie hatten sich daher mit ganz allgemein gehaltenen Angaben abgefunden. Nie. Mulerius sagt, nachdem er den Aufenthalt des Coppernicus in Rom erwähnt hat : „Finitis deinde peregrinationibus in patriam reversus“ etc. Ihm folgten Starowolski in noch einfacherer Formulirung: „lüde reversus“ und (iassendi : „Aliquot post annos reversus in patriam“. Die Späteren mussten sich in ähnlicher Weise, mit Umgehung aller chronologischen Angaben, zu helfen suchen.

Erst nachdem man in den letzten Decennien begonnen hatte, die Archive zu durchforschen, liess sich die Zeit annähernd bestimmen, in welcher Coppernicus in die Heimat zurückgekehrt sein könnte. Zuerst wurde der S. 337 abgedruckte Kapitels-Schluss d. d. 7. Januar 1507 aufgefunden, aus welchem hervorgeht, dass Coppernicus mindestens bereits in den letzten Monaten des Jahres 1506 in Frauenburg anwesend war. Diese GrenzBestimmung musste enger gezogen werden, seit die Protokolle der preussischon Landtags- Verhandlungen aus dem Jahre 150G zu Danzig aufgefunden sind. Aus dem Protokolle der August -Tagefahrt des Jahres 1506, über welche im nächsten Abschnitte berichtet wird, ergiebt sich nämlich, dass Coppernicus zu jener Zeit, im Hochsommer 1506, bereits in amtlicher Stellung an der ermländischen Kathedrale fungirte.

DIE KOCKKEHR in die HEIMAT. 329

Spätestens im Anfange des Jahres 1506 - vielleicht schon im Laufe des Jahres 1505 - erfolgte der Abschluss der Lehr- und Wanderjahre von Coppernicus.

Noch weiter wird der Termin der Heimkehr von Coppernicus zurückverlegt werden rnttsson, falls die Landtags-Recesse. des Jahres 1505, welche wahrscheinlich noch im Staube irgend eines preussischen Archivs verborgen liegen, ermittelt werden und die Richtigkeit eines Excerptos ergeben sollten, welches ein Sammelband der Thorner Gymnasial -Bibliothek enthält. Derselbe ist um das Jahr 1720 von dem damaligen Senior des Ministeriums Ephr. Praetorius zusammengetragen und enthält u. a. (auf Seite 148 ff.) „Excerpta ex recessibus Terrarum Prussiae scilicet iuxta Archivum Thoninense ex Mscp. Dr. Jac. Ilenr. Zernecke ^f. Darunter findet sich zum Jahre 1505 die merkwürdige Notiz : „Dr. Joh. Schultz et Nicolaus Copcrnicus Canonici Varmienses ante Palatinos in Conventu sedent“.

Die Glaubwürdigkeit der beiden Gewährsmänner ist unangefochten. Ebenso scheint ein Irrthum in Betreff der Jahres- Angabe ausgeschlossen; es sind vorher Excerptc aus dem Jahre 1504 mitgetheilt, und aus dem Jahre 1 505 ist noch eine zweite Notiz eingetragen : „Civitates cum inter so contenderent, episcopus Vladislaviensis üs dixit non in tabemis eo„ csso".

Säuimtliche Vermerke sind ebenso kurz gehalten, wie die mitgethcilten ; sie geben ftuch nie den Ort an, woselbst die Tagefahrt stattgefunden. Es sind ihrer überhaupt nur wenige; aus dem 10. Jahrhunderte finden sich im Ganzen nur 15 Einzeichnungen.

Gottfried Schütz hat in seiner „historia renun Prussicarum“ keiner allgemeinen preussischen Tügfahrt aus dem Jahre 1505 Erwähnung gethan. Er berichtet nur über eine Special -Versammlung , welche König Alexander (der sich damals selbst in Preussen aufhielt) im Juli zu Konitz anberaumt hatte; dorthin waren nur einige seintT Räthe und zwei Danziger Abgeordnete entboten, um mit dem Herzoge von Pommern in Verhandlung zu treten.

^ I 1

Sechstes Buch.[recensere]

Auf dem Schlosse zu Heilsberg. 1 506 - 1 5 1 2.

Sechstes Buch.

Auf dem Schlosse zu Heilsberg. 1506 - 1512.

Erster Abschnitt.[recensere]

Das Zusammenleben mit dem Oheime Lucas Watzelrode in

der bischöflichen Residenz zu Heilsberg. Die Theilnahme

an dessen politischer und administrativer Thätigkeit.

Coppernicus stand in der Blüte des Mannesalters, als er, auch innerlich gereift und mit einer vielseitigen Bildung ausgerüstet, wie sie zu seiner Zeit nur Wenige besessen haben, an die heimatlichen Gestade zurückkehrte. Neben seinen tiefen Kenntnissen in der Mathematik und Astronomie war er eingeweiht in die gesammten Studien des Humanismus, ein Kenner der klassischen Sprachen und ihrer Literatur. Den Pflichten seines Berufs in hervorragender Weise zu genügen, hatte er ausserdem theologische und juristische Studien getrieben und namentlich die Gebiete durchforscht, wo beide Wissenschaften sich berühren, war er Doktor des kanonischen Hechts geworden. Endlich hatte er noch eine Wissenschaft aufgesucht, die ganz verschieden war von den bisher genannten, und die nach der Meinung der Zeitgenossen mit seiner kirchlichen Stellung kaum vereinbar schien - hatte er sich in der Heilkunde umfassende Kenntnisse und praktische Hebung erworben.

334 AUF DEM SCHLOSSE ZU HEILSBERG.

Eine solche Fülle menschlichen Wissens, wie sie Coppernicus von seiner langausgedehnten Wander- und Lehrzeit der Heimat zuführte, lag nicht aufgespeichert in seinem Gedächtniss, wie die todteu Kenntnisse bei den gewöhnlichen Polyhistoren. Ernste philosophische Studien hatten seinen Geist gestählt, dass sein Wissen nicht erstarrt war, sondern stets in lebendiger Bewegung erhalten ihm zu Gebote stand , wo er dessen bedurfte. Bei der eifrigsten Beobachtung der besondern Erscheinung, bei der emsigsten Forschung im Einzelnen, hielt er stets den Blick fest auf das Ganze gerichtet; das Einzelne hatte für ihn nur Bedeutung in seiner Beziehung zum Ganzen. Der freie Blick des Philosophen ist es, welcher Coppernicus in seiner Wissenschaft so hoch gestellt hat. Er hat ihn gekräftigt, den verschiedensten Vorurtheilen, die von allen Seiten auf ihn eindrangen, Stand zu halten, er hat ihn vorzugsweise befähigt, der Reformator* der bisherigen Weltanschauung zu werden.

Aber Coppernicus brachte nicht nur umfassende gelehrte Kenntnisse mit , als er seinen Sitz im Kollegium einnahm , dem er schon fast ein Jahrzehnt angehörte - er war auch in anderer Weise gereift für die ausserkirchlichen Pflichten seiner amtlichen Stellung. Seine vielseitigen Studien hatten ihn zu keiner Zeit den Beziehungen des äussern Lebens entfremdet. Auf seinen Reisen hatte er mehrfach Gelegenheit gesucht und gefunden, auch den praktischen Sinn zu üben, während eines langen Aufenthaltes in fremden Ländern reiche Erfahrungen gesammelt. Diese Lebenskenntniss war gleichzeitig geläutert in dem Umgange mit jenen Gelehrten, die er in Krakau, wie in Italien, zu seinen Freunden gezählt. Durch eine solche Gunst der Verhältnisse war Coppernicus früh vor der Einseitigkeit des gewöhnlichen Gelehrten bewahrt worden, welcher, nur in seinem Gedankenkreise heimisch, keine andere Welt kennt, als die er sich bei der Lampe aufbaut.

Halten wir Alles zusammen, was über den reichen Bildungsgang, welcher dem Coppernicus zu Theil geworden, hier skizzi

DIE BERUFUNG. 335

reud wiederholt ist: so darf es uns nicht Wunder nehmen, dass derselbe bald eine sehr hervorragende Stellung unter seinen Amtsgenossen eingenommen.

Zunächst jedoch sollte die reiche Kraft des jungen Domherrn dem engern Kreise des Kapitels und dessen Interessen noch nicht zu Gute kommen. Nachdem Coppernicus, vielleicht nur in sehr beschränkter Weise, der Residenz-Pflicht bei der Kathedrale nachgekommen war, berief der Bischof Lucas Watzelrode den gelehrten Neffen zu sich nach Heilsberg - weniger wohl, dass er ihm mittragen helfe die Bürde als die Würde des Amtes, er sollte ihm mehr Genosse sein der Müsse als der Mühe.*

Um die neue Abwesenheit des kaum zur Kathedrale zurückgekehrten Domherrn formell zu begründen, wurde seine Kenntniss und Erfahrung in der Heilkunde betont und die schwankende Gesundheit des Bischofs.** So siedelte denn Coppernicus noch

  • Das Institut des „„canonicus a latere“ bestand thatsächlich, wenn vielleicht auch nicht dem Namen nach, im Ermlande. Dies ergiebt u. a. ein

Beschluss des Domkapitels aus dem Jahre 1390. In der „Ordinatio de vocatis per dominum Episcopum vel in curia sua regentibus“ wurde bestimmt, dass der für längere Zeit am Hofe des Bischofs weilende Domherr derselben Privilegien sich erfreuen solle, wie der zu Universitäts-Studien beurlaubte Canonicus: „Item anno domini MCCC nonagesimo die XÜ mensis Decembris congregatis omnibus in capitulo versum est in dubium, an canonicus iuxta statuta residenciam faciens vocatus specialitcr . . . a domino

nostro censeri debeat esse in negocüs capituli Visum est ... .

sie vocatum . . . illa debere praerogativa, cum vere residens non sit, quam habent studentes in studüs privilegiatis etc.“

Diese Bestimmung wurde, wie andere, in die revidirten Statuten des Bischofs Nicolaus von Tüngen übernommen, welche zur Zeit des Coppernicus in Kraft waren.

    • Der Kapitel-Schluss, d. d. 7. Jan. 1507, durch welchen Coppernicus

die Erlaubniss erhielt, sich von Frauenburg zu entfernen, sagt ausdrücklich : „haec gratia ei favorose concessa, potissimum cum Artem medicinao callet convalescentiae Reverendissimao dominationis suao opera et medela suis mature consulat.“

Man erinnere sich überdies, dass, als Coppernicus im Jahre 1501 von der Residenz-Pflicht entbunden wurde, das Kapitel sich vorzugsweise von der Erwägung leiten liess, ihr Confrater werde dem Bischöfe, wie den

336 DIE ANSCHAFFUNG MEDICINISCÜER WERKE IN HEILSBEBG.

im Jahre 1506 von Frauenburg nach dem benachbarten Heilsberg, dem Bischofssitze, über.* Seine Kollegen gingen von der Ueber

Herren vom Kapitel, dermaleinst als Arzt hülfreich sein künnen: „. . Capitulum votis condescendit, maxime ut Nicholaus medicinis studere promisit, Consulturus olim Antistiti nostro Reverendissimo ac etiam dominis de capitulo medicus salutaris.“

Ob und welche Erkrankungen des Oheims dem jungen Leibarzte Gelegenheit geboten haben, seine Kunst auszuüben, ist uns nicht überliefert. Dagegen sind uns - was viel werthvoller ist - zwei medicinische Werke erhalten, welche Coppernicus während seines Aufenthaltes zu Heilsberg für die bischöfliche Bibliothek angeschafft hat.

Das erste dieser damals viel gebrauchten Bücher ist die „Chirurgia magistri Petri de largelata“. Venetüs 1499. Der Verfasser Petrus de Argillata, oder de Largelata oder de la Cerlata genannt, lehrte im Anfange des 15. Jahrhunderts zu Bologna, wo er vornehmlich über Avicenna las. Sein Werk wurde zuerst 1480 in Venedig gedruckt und ist in den nächsten 20 Jahren noch dreimal aufgelegt worden. Coppernicus besass die Ausgabe, welche am Ausgange des 15. Jahrhunderts zu Venedig erschienen ist. Sie trägt auf dem letzten Blatte (fol. 131) den Druckvermerk: „Venetüs 1499 die 12 Septembris“.

Das zweite Buch ist das unter dem Namen „Opus pandectarum medicinalium“ bekannte medicinische Lexikon, ein alphabetisch geordnetes Verzeichniss der officinellen Pflanzen, welches Matthaeus Silvaticus, der als Leibarzt des Königs Robert von Sicilien in der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts lebte, nach den Arabern und arabisirten Griechen geschrieben hat. Von diesem Werke, welches zuerst im Jahre 1474 zu Bologna im Druck erschien, sind bis 1500 noch 10 Auflagen gedruckt worden. Die Ausgabe, welche Coppernicus benutzte, ist im Jahre 1499 zu Venedig gedruckt unter dem Titel: „>0pu8 pandectarum Matthei süvatici cum Simone ianuense et cum quotati<mibu8 auctoritatum Plinü, Galeni et aliorum auctorum in locis suis.„

Beide Folianten sind zusammengebunden und befinden sich gegenwärtig auf der Univorsitäts-Bibliothek zu Uj>8ala. Der Band trägt auf der ersten Seite von C()j>pernicu8' Hand den Vermerk „pro bibliotheca Episcopali in arce Heilsbergk“. Darunter ist von anderer lland die Bemerkung „Liber Bibliothecae Varmiensis“ hinzugefügt. Auf der leeren Rückseite des vorletzten Blattes von dem ersten Werke, wie auf der Rückseite des letzten Blattes des Opus pandectarum, sind eine Reihe medicinischer Bemerkungen von Coppernicus aufgezeichnet, welche an späterer Stelle Abdruck finden werden. (Sie sind von Curtze in den Mittheilungen aus dem Coppernicus-Vereine, Heft 1, S. 00, 61 veröffentlicht.)

• Aus dem in der nächstfolgenden Anmerkung abgedruckten Kapitel

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DAS SCHLOSS HEILSBERG. 337

zeugang aus, das„ seine Abwesenheit vom Sitze des Domstifts eine länger dauernde sein werde; denn es ward von ihnen beschlossen, Coppernicus sollte alljährlich, so lange er sich in der Umgebung des Bischofs befinde, neben den Einkünften seiner Präbende noch 15 Mark guter Mttnze erhalten.*

Heilsberg, welches von der Kathedrale ungefähr 10 Meilen entfernt ziemlich in der Mitte von Ermland lag, hatten die Bischöfe dieser Diöcese sich schon früh zu ihrem ständigen Aufenthalte erwählt.** Allein erst, als dieselben eine fast fürstliche

Schlosse d. d. 7. Januar 1507 (namentlich aus dem in diesem Dokumente gebrauchten Participium praeteriti „mancipatus“) scheint sicher hervorzugehn, dass Coppernicus zur Zeit der Beschlussfassung bereits nach Heilsberg übergesiedelt war.

Mit dieser Annahme steht natürlich - da Coppernicus ja nur beurlaubt gewesen - nicht im Widersprach, dass derselbe im April 1507 an einer Kapitels-Sitzung in Frauenburg Theil nahm. Es wird dies bezeugt durch eine Urkunde d. d. 7. April 1507, welche sich auf die Einführung der Antonius-Brtider in das Frauenburger Hospital bezieht. Dieselbe schliesst mit den Worten : „praesentibus venerabilibus eiusdem ecclesiae praelatis et canonici 8 Enoch de Cobelaw praeposito, Andrea de Cletz custode, Georgio de Delen cantore, Joanne Sculteti archidiacono, Zacharia de Tapiaw, Balthasare Stockfisch in spiritualibus vicario et officiali generali, Fabiano de Lusianis et Nicoiao Coppernick decretorum doctoribus capitulum repraesentantibus capitulariter congregatis.“

  • Der in den Act. Capit. Warm. fol. 13 aufbewahrte Beschluss lautet:

„Anno 1507 septima Januarü Dominus Nicolaus Kopernig Confrater noster servitio Reverendissimi Domini nostri mancipatus obtinuit ex singulari favore Capituli ultra corpus (fructus) praebendae suae marcas 15 bonae monetae ipsi annuatim assignandas, donec famulatui Episcopi renunciaverit.“ - Hieran schliesst sich die Seite 335 bereits mitgetheilte Motivirung: „haec gratia ei favorose concessa, potissimum cum artem medicinae callet“ etc.

    • Heilsberg erscheint bei den ältesten Chronisten unter dem Namen

Heisberg, Helisbergk, Heilisberg, Heylesberch, auch Heydilsberg. Die erste Anlage der Burg erfolgte durch den deutschen Orden in den Jahren 1240 und 1241 nach der Eroberung von Balga. Was damals in grosser Eile erbaut worden, wird bei der Eroberung durch die Preussen 1261 und bei der Wiedereinnahme durch die Ordensbrüder 1273 zu Grunde gegangen sein. Auch dann ist schwerlich ein fester Bau vorgenommen, als es noch zweifelhaft war, ob der Orden oder der Bischof im Besitze von Heilsberg bleiben würde. Erst als diese Frage zu Gunsten des letztem I. 22

338 DAS SCHLOSS HEILSBEBG.

Stellung erlangt hatten, ward das grossartige Schloss erbaut, welches von sachkundiger Seite den vorzüglichsten derartigen Anlagen des Mittelalters beigezählt wird. Wegen der sehr exponirten Lage des Landes war bei der ersten Erbauung des Schlosses vorzugsweise auf die Sicherheit der Bewohner und die Vertheidigung des umliegenden Gebietes Bedacht genommen. "*

entschieden war, wurde die Burg der bischöflichen Stellung gemäss wohnlicher eingerichtet.

Schon im 13. Jahrhunderte Hessen sich in der Nähe der Burg deutsche Ansiedler nieder, von denen die Stadt Heilsberg begründet wurde. Das Stadt-Privilegium erhielt Johannes von Cöln im Jahre 1308 vom Bischöfe Eberhard.

  • Um dieselbe Zeit, als nach der Verlegung des Hochmeister-Sitzes

nach Preussen sich das prächtige Ordens-Haupthaus an den Ufern der Nogat erhob, ist auch das Schloss zu Ueilsberg erbaut worden, seit dem 14. Jahrhunderte die Residenz der ermländischen Bischöfe, neben dem Marienburger Schlosse der prächtigste Profanbau auf preussischer Erde.

Als der eigentliche Gründer des Schlosses Heilsberg ist der Bischof Johannes von Meissen (f 1355) zu betrachten. Dies bezeugt der Domherr Plastwich, welcher um 1464 sein Chronicon de vitis Episcoporum Warmiensium geschrieben: „Joannes de Misna primum Castri principalis Heilsberg

muri fundamenta posuit et super terram produxit erant enim antea

fortalitia lignea argilla circumducta„. Nach derselben zuverlässigen Quelle führte Bischof Johannes Ü. Steifrock (f 1373), den von seinem Vorgänger begonnenen Bau weiter; er erhöhte die Mauern und wölbte bereits einen grossen Theil der Räume ein. („Castrum principale Heilsberg, per praedecessorcm suum inchoatum, feliciter complevit, testudines omnes sub terra et supra terram etiam pro majori parte facienda^“). Doch erst Bischof Heinrich ÜI. Sorbom ;f 1401), vollendete das Ganze, indem er die noch fehlenden Gewölbe und vor Allem den schönen Kreuzgang hinzufügte, der den Hof auf allen Seiten in zwei Geschossen umgiebt. Ausserdem versah er das Schloss mit einer Wasserleitung und umgab die Vorburg mit Mauern und Gräben, so dass das Schloss am Ende des 14. Jahrhunderts ganz vollendet dastand und seitdem der ständige Aufenthalt der Bischöfe geblieben ist.

In den bald darauf folgenden schweren Kriegszeiten hat das Schloss Heilsborg seine Festigkeit freilich nicht ruhmvoll bewährt; es wurde mehrmals von den beiden kriegführenden Parteien eingenommen.

Auch ausser den Kriegszeiten traf das Schloss mehrmals Brand-Unglück. Im Jahre 1400 brannte die Vorburg aus. Viel bedeutender war der Brand, welcher das eigentliche Schloss im Jahre 1442 betraf, wobei sogar viele Gewölbe einstürzten. Ein gleicher Brand zerstörte das Schloss im Jahre

DIE KRIEGS-AUSBÜSTUNG. 339

Ein Massenbau von trotzender Festigkeit behielt das Schloss auch in spätem Zeiten das kastellartige Aussehen, * während im Innern mit der wachsenden Opulenz der Kirchenfürsten die weiten Räumlichkeiten für die gesteigerten Ansprüche eines behaglichen Lebens und eines kleinen Hofstaats zweckmässig eingerichtet waren.

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1497, als Coppernicus zn Bologna lebte. Der Oheim Hess es in prachtvoUer Weise wieder ausbauen. („Anno 1497 Arx Heilspergensis tota conflagravit, in quam reficiendam episcopus Lucas plurimum impendit“ Treter de episc. Warm. p. 70.)

Dieser Restauration des Bischofs Watzelrode wird von sachkundiger Seite die Mehrzahl der Gewölbe des Hauptgeschosses zugeschrieben, ejbenso die Ausschmückung der kleineren Kapelle und der Bau der drei Eckthürme (v. Quast, Denkmale der Baukunst im Ermlande, S. 8).

  • Ermland war bei den vielen Kämpfen, welche im 15. und 16. Jahrhunderte zwischen Polen und dem deutschen Orden gefUhrt wurden, vorzugsweise den Kriegsstürmen ausgesetzt. Es war deshalb auch bei der

Anlage der bischöflichen Residenz ganz wesentlich auf die VertheidigungsZwecke Bedacht zu nehmen; das Schloss musste, gleich andern Kirchenburgen, kastellartig eingerichtet werden.

Ein Bild der Kriegs-Ausrttstung, wie sie im 16. Jahrhunderte im Schlosse zu Heilsberg aufbewahrt wurde, bietet ein amtliches Inventar, welches zwei Decennien nach dem Tode von Coppernicus im Jahre 1565 aufgenommen ist. Danach befand sich dort:

„1) Artlerey, so zum Teil im Gewelbe unterm neugemalten Remter^ zum Teil im Gewelbe verwaret:

50 Hecken, 20 alte Schwanrüren sind wenig werdt, 6 alte Bogen, 26 Pulverflaschen, 2 ganze Schlangen, 5 halbe Schlangen, 5 Kartaunen auf der were, 8 Tonnen Pulver zun grossem geschicz, 2 Fass Salotter, 4 Stuck geschiczes verbrandt.

2) Von Ristunge und wehren so in der Zeugkamer gefunden:

19 volkomene Spisszeuge, 30 Fusshamisch, so die fussknechte pflegen zu gebrauchen, 12 Sturmhauben, 7 Paar Blech Handsken, 10 Paar Armschienen zum Fussharnisch, 2 hinderzeuge auf kürüsser Zeug, 2 welsche Settel mit Blech beschlagen und gelbem gewande überzogen, 3 Stanger Settel beschlagen, 4 Stilenbogen, darzu 3 winden, 2 Scheffline, 18 Füt- spiesse, 12 Hellebarten, 20 Langespiesse, 3 Dreyecker, 8 Schürze, 2 Flackerstücke, 1 Fenlein, 7 Faustkolben und 2 Handstolchen.“

Die weitem Ueberschriften, welche das Visitations-Dokument enthält, sind unausgefüllt geblieben ; sie lauten : „Verzeichnung der Pferde, so itzt im Stalle vorhanden, Klepper, Settel, Ristzeug, Warne.„ (Erml. Zeitschr. VI, 202.)

    • Die Bedeutung, welche der Aufenthalt in H e i 1 s b e rg für das Leben

von Coppernicus hat, erheischt eine eingehendere Beschreibung der Räume, in welchen er sechs wichtige Jahre seines Lebens zugebracht hat. Ein

22„

340 DAS SCHLOSS HEILSBBBO.

Auch die umgebende Natur war wohl geeignet, den Aufenthalt in der bischöflichen Residenz angenehm zu machen. Das

trefflicher Führer steht uns hier zur Seite, F. von Quast, an dessen „Denkmale der Baukunst im Ermeland“ sich die nachfolgende Beschreibung möglichst genau anschliessen soll.

Der „Prachtbau“ des Heilsberger Schlosses umfasst mit der dazu gehörigen Vorburg einen Raum, welcher der halben Stadt ziemlich gleichkommen wird, die sich an den Bischofssitz anschliesst. Das Hauptschloss erhebt sich ungefähr 50 Fuss über die Erde und trägt ein ziemlich steiles Satteldach; es hat eine Längen- Ausdehnung von circa 100 Fuss, die Abmessungen von Osten nach Westen sind um einige Fuss geringer. In der Bütte befindet sich ein vierseitiger Hof, welcher in der Richtung von Norden nach Süden 71, von Osten nach Westen 65 Fuss misst.

Diesem Innern Hofe vorzugsweise verdankt das Heilsberger Schloss die ausgezeichnete Stellung, welche ihm unter allen ähnlichen Anlagen in Preussen der Fachmann zuweist. Der Hof wird von einem nach innen offenen Kreuzgange von 1072 Fuss Tiefe umgeben, welcher zwei Geschosse über einander enthält, da die Haupträume des Schlosses nicht zu ebener Erde liegen. Im untern Geschosse hat der Kreuzgang kräftige Granit-Pfeiler von viereckiger Hauptform, doch mit Verjüngung und kapitälartigen Aufsätzen versehen ; im obem Theile sind sehr zierliche achteckige Pfeiler von schwedischem Kalkstein mit Basen und Kapitalen angewendet, um die sehr weitgespannten und luftigen Spitzbogen zu tragen. Die Gewölbe des obem Geschosses sind ganz eigenthümlich konstruirt. In den dreieckigen Hauptgewölbe-Feldem werden wieder drei gleichfalls dreieckige Kappen durch ebensoviele Rippen gebildet, die von jedem der Stützpunkte auslaufen, welche sowohl an den Pfeilern, wie an den Wänden durch zierliche Konsolen getragen werden. Das Ganze beruht auf dem Principe der in Preussen so hoch ausgebildeten Stemgewölbe, welche sich von den einfachen Kreuzgewölben durch ein noch leichteres Ansehn auszeichnen. Das Mauerwerk war überall ohne Abputz mit Ausnahme der Gewülbekappen und der innern Bogenleitungen, wie solches im ganzen Gebiete des Ziegelbaues die Regel mit sich brachte. An den Wänden umher sind Bildnisse der Bischüfe in ihrer reichen geistlichen Tracht aufgehängt.

Die Hohe des untern Kreuzganges entspricht der Höhe der niedrigen Räume des Untergeschosses im Schlosse, welches mit dem äussern Terrain ziemlich in gleicher Ebene liegt. Dieses üntergeschoss war nur fUr ökonomische Zwecke und den Aufenthalt der niedem Dienerschaft bestimmt. Dennoch verläugnen sich auch in diesen untergeordneten Räumen nicht die schönen Verhältnisse, welche in den edleren Partieen des Schlosses vorherrschen. Uebrigens befinden sich unter diesem Erdgeschosse zwei Reihen Keller unter einander, deren Höhe nicht unbedeutend ist. Das Ganze bildet eine Keller-Anlage von einer Bedeutsamkeit, wie sie selten vorkommt.

Das Hauptgeschoss des Heilsberger Schlosses enthält die Wohnräume

DIE UMGEBUNG. 341

Schloss erhebt sich mitten in fruchtbarem Httgellande, in welches Flnssthäler tief einschneiden. Den Fnss des Schlosses umzieht die Alle, der bedeutendste Nebenfluss des Pregels, welcher auch die Süd- und Ostseite der Stadt in raschem Laufe umfliesst. Nicht weit davon ergiesst sich der kleine Simserfluss in die Alle ; ein teichartiges Qewässer legt sich femer zwischen Simser und

des Bischofs nebst den für seine Hofhaltung nOthigen Sälen und Gemächern. Alle diese Räume des Hauptgeschosses sind mit Stemgewölben überdeckt, deren Rippen-Profil die edelste Bildung zeigt. Ist man durch den HauptEingang in der Mitte des Schlosses in den untern Kreuzgang gelangt, so führt eine breite, massive Treppe zur linken Hand sogleich auf den obem Kreuzgang, um welchen die einzelnen Ziomier und Säle gleichmässig vertheilt umherliegen und mit ihm durch Thüren verbunden sind.

Die grossere Hälfte der Südseite wird von der Schlosskapelle eingenommen; die nach Westen gerichtete Hälfte des Flügels war für die Bibliothek bestimmt. Den ganzen östlichen Flügel nimmt, 86 Fuss lang und 28 Fuss breit, der grosse, schön gewölbte Rittersaal ein, der sich früher noch in einer Verlängerung bis zur Nordseite des Schlosses erstreckte. Hieran schloss sich innerhalb des nordöstlichen Eckthurms eine kleine HausKapelle. Alle übrigen Räume der Nord- und Westseite des Hauptgeschosses wurden von den Bischöfen zur Wohnung für sich und die höheren Beamten benutzt.

Die Haupträume des Schlosses (das obere Geschoss) steigen viel höher hinauf, als die Gewölbe des zu ihnen gehörenden Kreuzganges, indem sie auch noch die Höhe mitbenutzen, welche hinter den Pultdächern des letztem liegt. Die innem Mauern des Schlosses, an welche sich ringsum die Pultdächer des Kreuzganges anlehnen, gehen überall noch um 8 Fuss höher hinauf; sie sind unter dem Dache mit kleinen, fast quadratischen, im Stichbogen eingewölbten Oeffhungen durchbrochen. Auch die äussern Mauern haben solche Stichbogen-Oeffnungen ; sie dienten zur Vertheidigung und vertraten hier, wie an andern Ordensschlössem, die Stelle der Zinnen, welche nur seltener vorkommen.

Für die Haupü-Vertheidignug war, wie bei ähnlichen Anlagen, an der Nordost- Ecke des Schlosses ein hoher Thurm eingerichtet, welcher das Schlossdach weit überragte. Derselbe stammt aus dem 14. Jahrhunderte; die auf den übrigen Ecken aufgesetzten Thürmchen gehören dem Ende des Mittelalters an. An der vordem Seite des Schlosses erhebt sich noch ein Dachreiter, welcher als Glockenthurm diente.

Die Vorburg, welche auf der Südseite des Schlosses liegt, ist durch einen trocknen Graben von diesem getrennt. Die Architektur ist alt, bietet jedoch kein besonderes Interesse, bis auf den runden Thurm der SüdostEcke, welcher die ganze Anlage nach dieser Seite hin würdig abschliesst.

342 AUF DEM SCHLOBSE 2U HEILSBERG.

Schloss and verbindet sieh, um das Sehloss und die Vorbarg herumgehend, zweimal mit der Alle. Sehöne Httgelreihen amgeben die Thalränder des Flusses, welche, mit Eichen und Buchen bestanden, die landschaftliche Schönheit der Umgebung des Schlosses erhöhen.*

Im Schlosse zu Heilsberg hat sich Coppernicus sechs Jahre hindurch aufgehalten, von seinem 33. bis zum 39. Lebensjahre, - es war die Zeit des rüstigsten Schaffens. Hier gelangten die kosmischen Ideen, deren Keime in Erakau gelegt sich in Italien mehr und mehr entfaltet hatten, zu immer festerer Gestaltung. Hier wurden die Grundzttge zu dem unsterblichen Werke entworfen, welches Coppernicus sein

  • Vielfach ist der anmuthende Eindruck gerühmt worden, den Sehloss

und Stadt Heilsberg mit ihrer Umgebung auf den Beschauer machen. Noch in unserer Zeit hat Quast (a. a. 0. S. 4) diesen Gefühlen Ausdruck gegeben: „ Der Damm zwischen Simser und Schlossteich bildet, mit

den schönsten Bäumen besetzt, die auch sonst das Sehloss von allen Seiten umgeben, einen reizenden Spaziergang. Es ist nicht zu sagen, wie wohlthuend das tiefgefärbte Mauerwerk mit dem saftigen Grün der Umgebung

harmonirt, beides im klaren Wasserspiegel doppelt verklärt Noch

sieht man inmitten einer blühenden und ewig sich erneuernden Natur den edelsten Ausdruck eines grossartigen Organismus in dem unversehrten Prachtbau sich erheben . . . Das Sehloss steht jetzt unbenutzt da ... . die alten Mauern aber reden deutlich: es waren bessere Zeiten, die wir einst sahen!“

Um Vieles ergreifender musste die landschaftliche Schönheit der Umgebung von Heilsberg auf das GemUth des Beschauers wirken, als noch die Httgelreihen, welche im Norden, wie im Süden, das Flussthal der Alle umgeben, mit Eichen und Buchen bestanden waren. Wir dürfen daher die Humanisten nicht der Uebertreibung beschuldigen, wenn sie die Reize Heilsbergs rühmend hervorhoben. So singt Georg Sabinus in einer seiner Oden an den Bischof Johannes Dantiscus: „Ich will nun jene Stadt aufsuchen, welche gelegen ist an der rauschenden Alle schönen Ufern, jener Alle, an deren Strome Nymphen und Napäen und Oreaden reichgeschmückt auf der lieblichen Flur den Reigen führen.“

Est longo procul urbs petenda cursu,

Quae ripas iacet adfiuentis Allae,

Allae, cuius agünt choros ad amnem

Ludentes per amoena nira Nymphae

Cum pictis et Oreades Napaeis.

DIE WISSEKSCHAFTUCHE THÄTIGKEIT. 343

ganzes Leben mit sich herumgetragen und erst mit dem letzten Athemznge der Welt Übergeben.

Coppernicus selbst berichtet uns, dass er seit dem Jahre 1506 die wissenschaftliche Entwickelang und Begründung seines Systems aufzuzeichnen begonnen habe. Es geschieht dies in der Widmung an den Papst, in welcher er ausdrücklich hervorhebt, dass er sein Werk yiermal neun Jahre lang gezögert habe der Oeffentlichkeit zu übergeben."^ Auch Gassendi bezeugt, dass die schriftliche Niederlegung der Grundgedanken des Coppernicanischen Systems im Jahre 1507 erfolgt sei.*^ Wenn Gassendi's An

  • . . . „TidomannuB Gisius saepenumero me adhortatus est et

conyicüs interdnm addiÜB efflagitavit, ut librum hunc ederem et in lucem tandem prodire sinerem, qui apnd me pressus non in nonum annum solum, sed iam in quartum novennium latitasset.“ (Gopern. de rev. orb. coel. ed. saec. p. 4.) Dass der Grandgedanke des neuen Weltsystems von Coppendcns den Freunden nach dessen ItUckkehr aus Italien bekannt gewesen ist, kann man auch aus dem Einleitungs-Gedichte entnehmen, welches Laurentius Coryinus zu der Uebersetzung der Briefe des Theophylactns Simocatta im Jahre 1509 geschrieben. Er spricht zwar noch von dem „Gkinge“ der Sonne, es g^ schiebt dies aber ähnlich, wie wir von Sonnen-Aufgang und Untergang sprechen; denn er setzt sofort hinzu, Coppernicus wisse die verborgenen Ursachen der Dinge nach wunderbaren Principien zu erforschen:

Qui celerem lunae cursum altemosque meatus

Fratris cum profugis tractat et astra globis, Mirandum Omnipotentis opus, rerumque latentes

Causas seit miris quaerere principüs.

^* . . . „Atque haec quidem excogitare conscribereque ab anno usque circiter septimo supra millesimum quingentesimum coepit.“ Gkissendi vita Copernici p. 11.

Aus vorstehender Notiz Gassendi's, welche nur besagt, dass Coppernicus im Jahre 1507 begonnen habe, seine Gedanken systematisch zusammenzustellen, sind ganz irrige Schlüsse gezogen. So hat nach dem Vor^ gange anderer Schriftsteller Schlosser in seine weitverbreitete „Weltgeschichte für das deutsche Volk“ die ganz falsche Angabe aufgenommen, es habe Coppernicus seit dem Jahre 1507 seine Beobachtungen und Rechnungen bekannt gemacht. Coppernicus hat vor dem Erscheinen seines grossen Werkes von seinen Beobachtungen und Rechnungen Nichts verüffentlicht !

Die mathematische Begründung seiner Ideen, wie überhaupt die Aus

344 AUF DEM SCHLOSSE ZU HEILSBERG.

gäbe sich nicht blos auf die erwähnten eigenen Worte des Coppernicus stützt, dann ist sein Zengniss nm so gewichtiger^ als er nichts von dem Anfenthalte des Coppernicus in Heilsberg weiss, und von diesem bedeutsamen Lebensabschnitte desselben. "*"

Wir haben Grund zu der Annahme, dass der Bischof Watzelrode seinen Neffen zunächst deshalb zu sich entboten habe, um denselben vorläufig noch vor dem erschlaffenden Eäierlei des kapitularen Lebens zu bewahren, und ihm andererseits wieder eine grössere Müsse zu gewähren, als die immerhin noch mit einigen Verpflichtungen versehene Dömherm-Pf runde geben konnte.** Hatte er doch bereits in früherer Zeit, als der Neffe noch in weiter Feme weilte, über seine Studien gewacht, und ihn vor Störungen gehütet, soweit dies in seinen Kräften gestanden!

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arbeitang der Grundzüge seines Werkes, hatte Coppernicus in Heilsberg yoUständig in Ansprach genommen; astronomische Beobachtungen scheint er dort nicht angestellt zu haben. Nur zwei Beobachtungen von Mondfinsternissen aus den Jahren 1509 und 1511 erwähnt er in seinem Werke (ly, 13 und IV, 5); die erste derselben hat er vielleicht zu Krakau angestellt, wenn er nicht zu beiden Beobachtungen Frauenburg aufgesucht hat.

  • SSmmtliche spätem Biographen des Coppernicus gedenken gleichfalls nicht eines längeren Aufenthaltes desselben in Heilsberg, da sie ja

lediglich auf den Bericht Gassendi's angewiesen waren. Allein selbst nach der Veröffentlichung des Kapitel -Schlusses vom Jahre 1501, durch welchen Coppernicus zum Aufenthalte in Heilsberg beurlaubt wird, hat Niemand die Verhältnisse, unter denen er sechs bedeutsame Jahre verlebte, eingehender zu erforschen gesucht. Hipler, welcher die Zeit und Verhältnisse genau kennt, giebt in der Abhandlung „Kopernikus und Luther“ einige Andeutungen ; dem Zwecke seiner Schrift gemäss konnte er jedoch nicht Veranlassung nehmen, die Umgebung des Coppernicus in Heilsberg zu schildern und den £influss des dortigen Aufenthalts ausführlicher zu behandeln.

    • So gering auch im Ganzen - wie im vorigen Abschnitte ausgeführt

ist - der Kreis der Pflichten war, welche dem Domherrn oblagen, so waren doch, auch ganz abgesehen von den täglichen rituellen Andachts-Uebungen, mit der kirchlichen und weltlichen Administration eine Reihe kleiner Geschäfte verbunden, mit denen natürlich die jüngsten Mitglieder des Kapitels betraut wurden. Die Ueberwachung der Beamten, die Einziehung und Vertheilung der Gefälle und dergleichen nahmen Zeit und Kraft in Anspruch, ohne innere Befriedigimg oder geistige Anregung zu gewähren.

      • In der Zeit, da Coppernicus in Italien weilte, harrten manche ver

DBB UMGANG BOT DEM OHEIMB. 345

So suchte er anch jetzt, da Coppendcus in die stille Heimat ein:gekehrt war, die Zurttckgezogenheit des Lieblings vor störenden Geschäften möglichst zu bewahren.*

Allein sicher verlangte es den gelehrten Bischof ebenso nach dem täglichen Umgange des Neffen. Waren gleich des Oheims Studien dereinst andern Zielen zugewandt gewesen, so darf man doch nicht übersehen, dass in dem Zeitalter des Humanismus, wie bereits öfter hervorgehoben ist, die einzelnen Wissenschaften noch wenig ausgebildet und durch ein engeres Band verkntlpft waren; dem Jünger des klassischen Alterthums durften die mathematischen Studien damals nicht fem bleiben. Nun hatte aber Bischof Lucas, bevor er sich in Bologna den kanonischen Studien

wickelte Angelegenheiten, welche die kirchlichen and äuBsern Verhältnisse der ermländischen Diöcese betrafen, ihrer Lösung bei der römischen Knrie. Allein wir hören nicht, dass Bischof Lncas die Hülfe seines rechtskundigen Neffen damals in Anspruch genommen habe. In gleicher Weise hat auch das Kapitel gerechte Scheu getragen, die Studien des gelehrten Confrater zu unterbrechen. In einem Falle soll dies allerdings nach der unsichero Vermuthung eines ermländischen Forschers geschehen sein; durch eine Konjektur sucht Hipler den Namen des Coppernicus in das Protokoll der Kapitel-Sitzung d. d. 16. August 1502 hineinzubringen (vgl. oben S. 288). Die Gründe, aus denen diese Konjektur unzulässig erscheint, sind bereits a. a. 0. ausgeführt. Allein selbst Wenn der Name von Coppernicus jenem Dokumente wirklich hatte eingefügt werden sollen, so war doch seine aktive Betheiligung schliesslich gar nicht erforderlich (vgl. S. 289).

Gelegentlich muss hier noch Erwähnung finden, dass auch ein anderer verdienter Forscher auf dem Gebiete der ermländischen Geschichte„ A. Thiel, in einem Aufsatze der Ermländischen Zeitschrift I, 422 den Irrthum verbreitet hat, es sei im Jahre 1502 Nicolaus Coppernicus neben Bernhard und Nicolaus Sculteti als Prokurator des Kapitels zu Rom bevollmächtigt worden. In dem von ihm citirten Aktenstücke ist nicht Nicolaus, sondem sein Bmder Andreas Kopperaick genannt.

  • Coppernicus ward während seines Heilsberger Aufenthaltes allerdings

- wie später ausgeführt werden wird - zu wichtigeren Verhandlungen von tlem Oheime zugezogen und auf einzelnen wichtigen Reisen als Begleiter mitgenommen. Aber jene Berathungen tragen doch einen ganz andern Charakter, als d'er kleine Alltags-Dienst bei der Kathedrale ; ebenso brachten die Reisen, zu denen die Repräsentations-Pflicht in der Umgebung des Bischofs nöthigte, erwünschte Abwechselung und Erholung.

846 AUF DEM SCHLOSSE ZU HEILSBERG.

zuwandte, schon in der Heimat den höchsten akademischen Grad in der Artisten-Faknltät erworben ; er mnsste sonach, als Mag^ister der freien Künste, mit den Wissenschaften des Qnadriyinm genauer bekannt sein.*

Der Bischof Lucas brachte also nicht nur ein persönliches Interesse, sondern auch sachliches Verständniss mit für die Forschungen des Neffen. Er verstand ihn, wenn er ihm berichtete Ton seinen Entdeckungen am Himmel, wenn er ihn bekannt machte mit den grossartigen Ideen, die in ihm gährten und mit der neuen Weltanschauung, die immer klarer in ihm Leben gewonnen hatte. Mit welcher Befriedigung musste Watzelrode dann seinen Entschluss preisen, dass er des vaterlosen Kindes seiner Schwester sich mit solchem Eifer angenommen und seine Erziehung gerade in diese Bahnen geleitet hatte ! Und wenn Coppernicus mit dem poetischen Sinne, der ihn auszeichnete, dankbaren

  • Lucas Watzelrode hatte, bevor er nach Italien ging, sich auf einer

der deutschen Universitäten die Magister-Würde erworben (vgl. S. 76).

Bei der sehr beschränkten Ausbildung der Wissenschaften während des Mittelalters im Abendlande wurden allerdings nur die grundlegenden, rein elementaren Kenntnisse in Mathematik und Astronomie bei der Promotion zum Magister verlangt. Die reformirten Statuten der Universität Paris vom Jahre 1356, welche in allen wissenschaftlichen Fragen damals ein entscheidendes Ansehn genoss, enthalten nur die Bestimmung, dass Niemand ad licentiam in der Fakultät zugelassen werden solle, der nicht „aliquos libros mathematicosn geh(5rt habe. Ebenso war noch im 16. Jahrhunderte fUr Erlangung der Magisterwürde nicht eine Prüfung verlangt, sondern nur der Eid des Bewerbers „sese primos Euclidis libros audivisse“. Wenn ein Examen verlangt wurde, ging dasselbe, wie Hankel in seiner Geschichte der Mathematik anführt, nicht über das erste Buch des Euklid hinaus.

Aehnliche Forderungen, die nur in Prag etwas geschärft waren, galten bei den Universitäten in Italien und Deutschland. Immer aber musste, wie gering die Ansprüche auch waren, der Nachweis einer Beschäftigung mit der Mathematik bei Erlangung eines Grades in der Artisten- Fakultät beigebracht werden. So ward nach dem Statute der Wittenberger Fakultät vom Jahre 1514 Niemand zum Magister-Examen zugelassen, der nicht bestimmte mathematische CoUegia gehört hatte, „quia mathematica teste Apollonio prima et certissima scientia est, sine qua Aristoteles, illud omnium robur et fundamentum, minime intelligi potest“.

THEILKAHME AN DBB BKItHUHS-VEB WALTUNG. 347

Herzens der Schönheit des südlichen Himmels gedachte, unter welchem durch des Oheims Gunst ihm so lange zu leben gestattet war, oder wenn er ihm erzählte von den gelehrten Männern in der ewigen Weltstadt und auf den Universitäten Italiens - wie mmssten da nicht Bilder der Erinnerung in dem Oheime geweckt werden, wenn die Zeiten seiner Jugend ihm wieder vor die Seele traten, wo auch er einst die Sitze der Wissenschaft aufgesucht hatte ! Wie musste sich da nicht immer inniger das Band gestalten, das die beiden Männer umschlang, welche nicht blos die Verwandtschaft des Blutes und die gleiche Lebensstellung an einander kettete!*

Doch nicht rein idyllisch dürfen wir uns das Lieben des Coppernicus in Heilsberg ausmalen. Von lästigen Geschäften des Tages sollte er durch des Oheims Fürsorge fem gehalten werden. Allein wie wäre es denkbar, dass nicht auch der Neffe wiederum in dankbarer Wiedervergeltung Theil genommen hätte an den geschäftlichen Sorgen und den wissenschaftlichen Plänen des Oheims I Wurde doch Coppernicus von beiden gleichfalls mittelbar berührt. Vielleicht ist sogar ein und der andere Gedanke durch des Coppernicus Anregung erst in Watzelrode geweckt oder wenigstens durch seine beifällige Zustimmung gekräftigt worden. So hat Coppernicus sicherlich den fördemdsten Antheil an einem Plane

  • Das VerhSltniBs der beiden gelehrten Männer wurde bald ein so in^

niges, dass ein dem Coppernicus sehr nahe stehender Freund dasselbe recht geeignet mit dem des „treuen Achates“ zu Aeneas bezeichnet. Es ist Laurentins Coryinns, welcher im Jahre 1509 das einleitende Gedicht zu der Coppernicanischen Uebersetznng des Theophylactus Simocatta geschrieben (vgl. Band Ü, S. 43 ff.). .Derselbe sagt:

Attamen aetemum mihi decantabere Thorun,

perlepidos quod paris alma viros.

Quos inter Lucas magna graritate verendus

Praesul et antistes religione nitet,

Warmia cui seryit Prutenae portio terrae

Magna sub imperio rite beata suo.

Huic vir doctus adest Aeneae ut fides Achates,

Hoc opus ex Graeco in verba Latina trahens.

348 AUF DEM SCHLÖSSE ZV HSILSBEBO^

des Bischofs Watzelrode genommen, welcher von dem weiten Gesichtskreise desselben und seiner Liebe fttr die Wissenschaften beredtes Zengniss ablegt."^

Mehr denn drei Decennien früher, als an den Ufern des Pregel eine Universität durch Herzog Albrecht von Preossen erstand, gedachte Watzelrode den Mnsen in dem fttr sie bis dahin unwirthlich erachteten Norden eine gesicherte Stätte zu bereiten.**

  • Es ist nicht mttssig daran zu erinnern, dass in demselben Jahre, in

welchem Bischof Lucas den Plan fasste, eine Universität in seiner Di(k)ese itt begründen, Coppernicos gerade damit beschäftigt war, die letzte Feile an sein erstes specimen emditionis in den klassischen Sprachen anzulegen: im Jahre 1509 erschien zu Krakau die Uebersetzung der „epistolae moimles nirales et amatoriae“ des Theophylactus Scholasticus Simocatta, über welche in dem nächsten Abschnitte Weiteres berichtet wird.

    • Der allgemeine Wetteifer, welcher nach dem Wiederaufleben der

klassischen Studien während des 13. und 14. Jahrhunderts an den kleinen Fürstenhüfen, wie in den reichen Handelsstildten Italiens eine Reihe höherer Bildungs- Anstalten erstehen Hess, hatte im Ausgange des 14. Jahrhunderts auch den Norden und Osten Europa's ergriffen. Um dieselbe Zeit, da König Kasimir der Grosse nach dem Muster der italienischen Hochschulen eine Uniyersität in der Hauptstadt seines Reiches zu errichten gedachte, hatte auch der deutsche Orden eine Pflanzschule gelehrter Kenntnisse im untern Weichsellande begründen wollen. Im Jahre 1386 erliess auf Ansuchen des Hochmeisters Konrad Zölhier yon Rothenstein Papst Urban VI. (d. d. Y. Id„ Febr.) eine Bulle, in welcher er die nähern Bestimmungen über die Verfassung der gelehrten Anstalt gab., welche zu Kulm, der alten Hauptstadt des Landes, vom deutschen Orden errichtet werden sollte. Er stellte ihr darin ein grosses Muster zur Nacheiferung, indem er die innere Einrichtung der Universität zu Bologna ais Grundlage ihrer Gestaltung bestimmte.

Allein der Plan fttr die geistige Hebung des Ordenslandes gelangte nicht zur Ausführung. Ausser dem päpstlichen Privilegium ist uns keine sichere Nachricht über das „Studium generale“ zu Kulm erhalten.

Die Bedrängnisse, denen der Orden in den nächstfolgenden Jahrzehnten ausgesetzt war, Hessen die Werke des Friedens ganz zurücktreten; bald hatte derselbe ja um seine Existenz zu kämpfen. In demselben Jahre, in welchem das päpstliche Privilegium zur Errichtung einer Landes-Universität dem Orden ertheilt worden war, hatte Jagiello von Littauen die Erbin Polens geheiratet und nach der Vereinigung der beiden grossen SlavenReiche es sich zur Hauptaufgabe gemacht, den deutschen Ordensstaat an der Ostsee zu vernichten.

Während der unruhvollen ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts, in welchem innere und äussere Feinde zusammentraten, den Or de n a at a a t zu untergraben.

VERSUCHTE GRÜNDUNG EINER UNIVERSITÄT IN ELBING. 349

Im Jahre 1509 verhandelte der Bischof mit dem Rathe zn Elbing, wie mit den preossischen Landesräthen, am eine prenssische Hochschule, ein „Studium universale a in Elbing zu begründen. Mit grossem Eifer betrieb Watzelrode die Verhandlungen, welche Anfangs ein günstiges Resultat zu haben schienen, später sich jedoch gänzlich zerschlugen.*

konnte in Preussen von keiner Seite daran gedacht werden, die Pflege höherer Bildung zu fördern. Man behalf sich auch weiterhin mit den bisherigen, freilich unzureichenden Lehranstalten; wer höher hinausstrebte^ musste die auswärtigen Hochschulen aufsuchen.

Erst nachdem durch den 2. Tliomer Frieden länger dauernde Buhe im Lande hergestellt zu sein schien, wurde von Neuem der Versuch gemacht, eine Bildungs-Anstalt in Preussen zu errichten, welche etwas höheren Foi^ derungen als die Kathedral- und Pfarrschulen der grösseren Städte Genüge leisten könnte. An demselben Orte, an welchem der Orden ein „Studium generale“ zu gründen gedachte, erstand in dem Geburtsjahre von Coppernicus ein „Studium particulare“ unter Leitung der Brüder vom gemeinsamen Leben (vgl. oben S. 114).

Auch im Ermlande beabsichtigte der Oheim von Coppernicus eine ähnliche höhere Lehranstalt zu errichten. In dem Jahre 1501, als die Gebrüder Koppernigk aus Italien nach der Heimat gekommen waren, hatte der Bischof Lucas einige Hieronymianer aus Kulm nach Heilsberg kommen lassen, um mit ihnen die Vorverhandlungen einzuleiten. Die Sache unterblieb jedoch, weil das ermländische Kapitel sich nur bereit finden liess, den Platz für das Studium particulare herzugeben, im Uebrigen aber sich ausser Stande erklärte, bestimmte Verpflichtungen für den Unterhalt der Schule zu übernehmen.

  • Das Studium particulare, welches die Brüder vom gemeinsamen Leben

zu Kulm eröffnet hatten, hat sicherlich nur eine vorübergehende Blüte gehabt. Jedenfalls konnte durch diese Anstalt, deren Begründern vielleicht die Absicht vorgeschwebt hat, sie zu einer Art philosophischer Fakultät im Sinne des Mittelalters zu erheben, ein Studium universale nicht ersetzt werden. Dies vermochte Bischof Lucas sehr wohl zu beurtheilen, da er selbst in Krakau und Bologna sich eine höhere Bildung erworben hatte un4 den Werth derselben kannte. Auch hatte er nicht nur an sich, sondern auch an dem Unterhalte zweier Neffen auf italischen Universitäten erfahren, mit welchen Kosten das Studium daselbst verknüpft sei, die der Unbemittelte gar nicht zu erschwingen vermochte. Deshalb nahm er den Plan wieder auf, den der Orden einst erstrebt hatte. Er wurde um so stärker angetrieben denselben durchzuführen, nachdem die Kurfürsten von Sachsen und Brandenburg in ihren Landen eigene Hochschulen errichtet hatten.

Elbing war zur Universitäts-Stadt auserse^en. Nicht nur die Nähe der

360 AUF DEM 8CHL068B ZV HBILSBSBa.

Auch an der omfasBenden amtlichea Thidgkeit des Bischofs Watzehrode hat Coppernicas, des Oheims „treuer Achntesc, wie

ermländiBchen Kathedrale mochte die Wahl bestimmt haben, auch die £i^ wSgnng, dasB diese Stadt, hart an der Grenze des Ordenslandes, Stndirende von dorther leichter anlocken konnte. Vor Allem aber war wohl Ton £üi* fluss die Bedeutung der, überdies gesund und schön gelegenen, Hansestadt, welche in engster politischer Verbindung mit den beiden andern grossem Städten des westlichen Preussens stand und einen regen Verkehr mit den Handels-Plätzen der Ostsee unterhielt.

Die materielle Grundlage für die Landes-UniversitSt zu beschaffen, ging Bischof Lucas mit Opferwilligkeit voran. Zur ersten Fundation bestimmte er zunächst die Einkünfte von drei Ortschaften: Neukirch, Karschau und Krebsdorf, welche der polnische König der ermländischen Kirche überwiesen hatte. Sodann versprach er seinen Einfluss dafür einzusetzen, dass das treffliche Unternehmen durch königliche Freigebigkeit sicherer gestellt werde. Auch wünschte er eine Kollegiat-Kirche in Elbing zu errichten, offenbar zu dem Zwecke, wie Hipler (Erml. Lit.-Gtosch. S. 82) richtig hervorhebt, um die dabei zu gründenden* Collegiaturen als Pfründen an die ersten Professoren der neuen Universität zu vergeben, wie das damals an allen Hochschulen ohne Ausnahme der Fall war.

Anfangs schien der Elbinger Rath auf des Bischofs Vorschiäge- eingehn zu wollen, da dieselben der damals heruntergekommenen Stadt augenscheinlieh zu grossem Vortheile gereichen mussten. Bald aber gewannen persönliche Interessen die Oberhand und vereitelten den schönen Plan. Vielleicht mochte ausser der Kurzsichtigkeit und allerlei egoistischen Motiven bei dem ablehnenden Verhalten des Elbinger Raths auch Misstranen in die Absichten des unruhigen und nicht günstig gesinnten Bischofs mitgewirkt haben. Die Stellung desselben zu den preussisoben Ständen, die Anfangs eine so freundliche gewesen, war schon seit längerer Zeit sehr erschüttert ; ganz besonders waren im Jahre 1509, wie wir aus Schütz erfahren, die drei grossen Städte gegen ihn aufgebracht „als welche ihm nicht allewege in den Rathschlagen beipflichten und ihn seines gefallens machen und schliessen lassen wollten“.

Es muss befremden, dass Bischof Lucas auf die Willfährigkeit und Beihülfe der Elbinger rechnete zu einer Zeit, wo sein Verhältniss zu ihnen gerade ein sehr gespanntes war. Wir erfahren auch dies aus dem eben angezogenen Berichte von Schütz zum Jahre 1509 (hist. rer. Pruss. p. 4186) ... „Zu welchem kam auch eine andere versehr ung, das die Dantzker an die Kön. Maj. für die Elbinger unlängst fürbittlich geschrieben, in einer Sachen, so die Elbinger mit dem Bischoffe aussstendig betten. De88ell>en Brieffes Copien der Bischoff zur banden bekommen. Welches in zum hefftigsten verdross, darumb er auch mit diesen Worten gesprochen: Nu wolan, ich las es geschehen, die von Elbing und Dantzig haben es wider mich, ich will es ihnen nicht vergessen, sondern wol wider gedenken, und was ich ihnen widerumb, es sey un^ter

THEILNAHME AK DEB TAGFAHRT ZU MARIEKBURG 1506. 35 t

ihn gein Freund Laurentias Corvinus Behr bezeichnend nennt, auf dem Schlosse zu Heilsberg als einsichtiger Beratiber und treuer Mithelfer regen Antheil genommen. Noch bevor er dauernd seinen Wohnsitz in Heilsberg aufgeschlagen hatte, war Coppernicus zu den wichtigeren Geschäften hinzugezogen worden. So liess ihn der Bischof bald nach seiner Rückkehr aus Italien im August 1506 zu der Tagfahrt deputiren, die zu Marienburg anberaumt war, auf welcher ausser Anderm über den Fortbesitz eines der ermländischen Kirche von dem polnischen Könige geschenkten Gebietes verüandelt wurde.*

äugen oder hinterrücks, arges zutreiben kann, das will ich nicht lassen.“

„Er hat es auch redlich und wol gehalten - so sohliesst Schütz seinen Bericht - und war aber ein stücke der dankbarkeit dafür, das ihme im anfang seines Bisthumbs die Städte so getrewlich waren beygestanden, vnd wann sie fümemlich nicht gethan hetten , so wer der König gar wol genaiget ihn aus dem Bisthumb auszuheben, so gut als er sich selbst, gegen des Königs willen, hette darein gesetzet.“

Zum Schlüsse sei noch erwähnt, dass uns die Verhandlungen selbst nicht vorliegen, die zwischen dem Bischöfe Lucas und den preussischen Ständen bez. der Stadt Elbing über die Errichtung einer Landes-Universität gepflogen sind. Die einzige Quelle hiefUr bietet uns ein Manuskript des bischöflichen Archivs zu Frauenburg, welches als „Memoriale episcopi Lucae“ bezeichnet ist. Bei dem einschlägigen Berichte findet sich die ausdrückliche Bandbemerkung „ad mandatum domini Episcopi Lucae insertum“. Einen vollständigen Abdruck desselben giebt der Index lect. lyc Hos. 1861 ; die wichtigsten Stellen hat Hipler in d. Erml. Lit.-Gesch. S. 82 mitgetheilt

"^ Die Landtags -Recesse des Jahres 1506 sind kürzlich im Danzigei Archive aufgefunden worden. Durch dieselben wird die Betheiligung des Domherrn Coppernicus an der August -Tagfahrt zu Marienburg bezeugt; hierauf ist in der Zeitschrift des westpreussischen Geschichts-Vereins Ü, 37 durch Dr. Kestner zuerst hingewiesen. Der Zusammenhang, in welchem Coppernicus in dem Protokolle erscheint, ist kurz folgender:

Der Bischof Lucas hatte sich auf dem Reichstage zu Radom 1505 von dem Könige Alexander von Polen den Distrikt Scharfau abtreten lassen, welchen die Danziger bisher in YerpfUndung gehabt hatten. Letztere weigerten sich denselben auszuliefern, wenn ihnen nicht der Bischof vorher die Ablösungs- Summe voll bezahlte. Um den Streit zu schlichten, entsandte der König Bevollmächtigte auf die Marienburger Tagfahrt. Der Vorsitzende der Kommission, der Erzbischof von Gnesen, verlangte nun zunächst die Vorlegung des Verleihungs-Briefea :

352 AUF DEM SCHLOSBB EU HEILWEBia.

Selbstverständlich mnsste Coppernioas tohon ab Mitglied des Domkapitels fttr die administrativen Angelegenheiten des Bistüiuüs ein specielles Interesse haben. Die vom Bischöfe ftir seinen Landestibeil angeordneten organischen Gesetze und Landesordnnngen - wie zu ihrer EinfUhrong die Einwilligang des Kapitels erforderlich war - hatten ja Geltang fttr das ganze geistliehe Fttrstentham, also aach für die kapitalarischen Besitzangen.*

Die Sorge für die Yerwaltong seines Kleinfttrstentibnms nahm jedoch nar in geringerem Masse die Thätigkeit des ermUndischen Bischofs in Ansprach. Derselbe konnte nicht ein Stillleben führen,

„Dieweil ward der houptbrieff auf befel des Herrn Ertzbischoffs gebracht, und wurden die Danziger durch den hischof von Heilsherg wieder vorgerufen. Da sprach der Ertzbischoff: alhyr ist der houptbrieff, lasst euren Secretarium auff eingehen vnd last in balde tulken. Dem also geschach im beywesen der achtbaren vnd wirdigen herm Joannis Schulteti, Fabianua von Lnsian, Nicolai Gopernici, Paulus Dusterwald cancellarü des hem byschoffs von heilsberg etc.“

  • Die administrative Ordnung des Bisthums wurde auf den ermländlsehen Partikular -Landtagen berathen. Dieselben pflegten unter dem Vorsitze des Bischofs, bez. der Kapitel-Abgeordneten, in Heilsbergabgehalten

zu werden. Berufen dazu wurden der Adel, die Städte und die Freileute. Auf diesen Versammlungen wurden auch die organischen Besämmungen für die Verwaltung des Bisthums beschlossen.

Aus der Zeit, da Coppernicus in Heilsberg lebte, ist keine „LandesOrdnung“ bisher aufgefunden worden. Es mOgen daher als Belege für das gemeinsame Vorgehn von Bischof und Kapitel in dem Erlass dieser organischen Landes- Gesetze zwei spätere Edtkte dienen, bei deren Emanation Coppernicus direkt betheiligt war. Es ist zunächst die „Landsordnung des Herzogthumbs und Bischoftumbs Ermland im Jare MDXXVÜI Montags nach Visitationis Mariae zcu Bartenstein beschlossen:

„Wir Mauricius von gots gnath bischoff, Johan Ferber dechan, Tidemannus gise custos, Albertus Bischoff, Nicolaus Coppernic Dhumherren vnd ganz Capitel etc.

Aehnlich beginnen die - gleichzeitig aufgefundenen - „Artikel in gemejmer Tagfart zu Heilsberg am XXIL tage Septembris Im jar 1526 berotscUagt, bewilliget vnd 7m gantzen Bischoffthum Ermland ynhelliglich vnd veste zcu halten beschlossen:“

„Nachdem wir Mauritius von Qotts gnaden Bischof, Johannes Ferber Dechan, Tidemannus Gise Custos, Johannes Sculteti Archidiacon, Albertus Bischoff, Nicolaus Coppernic Thumhern vnd gfanz Capitel der kirchen zcuErmland vormerkt“ etc. (Cnrtze, Inedita Coppernicana S. 68 ).

DIE PREUSSISCH-POLNISCHEN WIRREN. 353

wie es an den kleinen Hufen der meisten geistlichen Fürsten stattfand; seine Stellung war weit über die Grenzen seiner Diöcese hinaus einflussreich.

Die verwirrten Angelegenheiten der Lande Preussen, wie sie namentlich seit dem zweiten Thorner Frieden nach verschiedenen Seiten unfertig waren, führten den Bischof von Ermland auf einen weiten {„olitisehen Kampfplatz. Das Verhältniss des „königlichen“ Preussen zum Ordenslande, wie zu Polen, verlangte staatsmänniscbe Eigenschaften. Der Bischof von Ermland war Präses der Stände in dem westlichen Preussen und in demselben das Alter ego des Kimigs von Polen. Diese Stellung nun war im höchsten Grade schwierig und verantwortlich. Es waren viele und zum Theil entgegengesetzte Interessen zu berücksichtigen, und dieser Konflikt verschiedenartiger x\nsprüche erforderte Besonnenheit und Scharfblick, wie Gewandtheit und Energie. Auf der einen Seite wollten die preussischen Stände ihre deutsche Nationalität und Sonderstellung wahren; sie beharrten mit dem ganzen Eifer des Partikularismus auf ihren Prinlegien und verbrieften SonderRechten. Der König von Polen dagegen und seine Käthe mussten im Interesse ihres Gesammtreiches die Personal- in eine RealUuion zu verwandeln und Preussen zu einer polnischen Provinz

herabzudrücken bestrebt sein.""

. . *

  • Die schoD oft berührten preussisch-polDischen Wirren hatten unter

den Königen Johann Albert und Alexander geruht; beide hatten die verbrieften Rechte der Preussen bestätigt. Sie begannen jedoch von Neuem unter Sigismund 1. Preussische Abgeordnete wurden im Jahre 1509 auf den polnischen Reichstag nach Petrikau berufen, dass sie an den Verhandlungen Theil nehmen sollten. Allein die Gesandten weigerten sich beharrlich. Ihr Wortführer Georg von Baysen erklärte: . . . „Wir vermögen nicht allhier in der Krone, sondern in den Landen Preussen mit Euer Künigl. Mayestet zu rathen. Und nachdem Ew. KOnigl. Mayestet gnediglich hat zu vennerken, tlass die Lande Preussen sonderliche Grenzen, Gewohnheiten, Sprache, (^Gerechtigkeiten und Privilegien gebrauchen , so wil sichs anders nicht bequemen.“

Ein weiterer Eingriff in die Rechte des Landes wurde dadurch veranlasst, dasB von dem Könige ein Pole zum „General-Richter“ des Landes I. 23

354 AUF DEM SCHLOSSE ZU HBILSBERG.

Noch schwieriger war die Stellung Eirmlands und seines Bischofs wegen der Nachbarschaft des deutschen Ordens. Dieser stand nicht etwa im Stillen grollend dein polnischen Könige gegenüber in seinem Lehn-Fttrstenthume, sondern er trug seine feindselige Gesinnung ganz offen zur Schau. Die aufgezwungene Lehns-Abhängigkeit abzuschtttteln , weigerten die neu erwählten Hochmeister dem Könige den Huldigungseid, traten sogar in offenen Kriegsdtand zu Polen. Ermland nun war - ganz abgesehen von der politischen Stellung seines Bischofs - durch seine geographische Lage dem ersten Anprall der Kriegswogen preisgegeben.

Dies waren die offenen Gefahren, denen das kleine geistliche FUrstenthum als Mittelland zwischen Polen und dem Orden ausgesetzt war. Aber noch in anderer Hinsicht ward das Bisthnm Ermland von den beiden streitenden Parteien bedroht.

Zunächst war die Stellung des Bischofs gegenüber dem neuen Landesherm, dem Könige von Polen, eine unsichere und gefährdete.

Lucas Watzelrode, der zweiterwählte ermländische Bischof unter Polens Hoheit, hatte sich - wie oben S. 163 ff. berichtet ist - erst nach harten Kämpfen gegen den Willen des Schirmvogts und Oberlehnsherrn der Diöcese den ungestörten Besitz der Kathedra errungen. Allerdings war nach dem Tode des Königs Kasimir seine Stellung zu Polen eine vollständig andere geworden ; die spätem Könige erforderten gern den Beirath des einsichtigen und einflussreichen Mannes, er galt mm als der Vertrauensmann der Krone.* Allein die eigentliche Streitfrage in Betreff der Ausernannt wurde, an den die Appellationen in letzter Instanz gehen sollten. Auch hiegegen legten die preussischen Stände feierlichen Protest ein, „da solches ihrer aller Privilegien und Gerechtigkeiten viel zu nahe gegangen were“.

  • Die ermtändischen Archive bewahren eine Reihe von königlichen

Schreiben an den Bischof Lucas, in welchen dieser an den Hof oder zu den Reichstagen in ehrenvollster Weise entboten wurde. Auch die polnischen Würdenträger erholten sich bei ihm Raths; namentlich wendeten sie sich

DAS GESPANNTE VEBHÄLTNISS ZUM ORDEN. 355

dehnuDg der Schinnyogtei - Rechte des polnischen Königs Über Ermland blieb unerledigt ; erst nach seinem Tode kam es zn einer Vereinbarung.

Während der ganzen Zeit, dass Coppernicus auf dem Schlosse zu Heilsberg weilte, bestand dies gute Verhältniss des Bischofs Watzelrode zu Polen. Derselbe scheute sogar davor nicht zurttck^ sich von seinen bisherigen Mitstreitern, den preussischen Ständen, offen loszusagen. Seine Politik wurde durch andere weitgehende Pläne bestimmt. Er lehnte sich eng an den König von Polen, um sich dessen BeihUlfe gegen den deutschen Orden zu sichern.

Das Verhältniss mit seinem östlichen Nachbar war nämlich immer gespannter geworden. Schon damals, als der Orden in ganz Preussen allein gebot, war derselbe mit der bischöflichen Gewalt vielfach in Kollision gekommen, da ihm, als einer geistlichen Korporation, gewisse Exemtionen und Privilegien von dem römischen Stuhle zuerkannt waren. Ueberdies hatte der Orden, eifersüchtig auf die Macht der Geistlichkeit, die Territorial-Hoheit der preussischen Bischöfe stets zu beschränken gesucht. Bei den übrigen Bisthümem war die Absicht des Ordens erreicht, Ermland jedoch hatte sich seine Unabhängigkeit zu wahren gewusst (vgl. Seite 183 flf.).

Allein auch nach dem Thorner Frieden hatte der Orden die Versuche nicht aufgegeben, grösseren Einfluss in Ermland zu gewinnen, welches, wenngleich seit 1466 von dem Orden politisch getrennt, doch dem Erzbischofe von Riga, dem Metropolitan in den Ordenslandeu, kirchlich unterthan geblieben war.* Ein fester liechtsboden für die veränderten Verhältnisse war noch nicht gefunden; beide Parteien suchten hievon Vortheil zu ziehen und

in den preusBischen Angelegenheiten an ihn „tanquam hanim terranim unicnra patriae parentem ac Regiac Majestatis altum consilium„.

  • Die Metropolitan-Verbindung Riga's mit seinen fernen Bisthümem war

stets eine lose. Es waren dem Erzbischofe von Riga unterstellt die Bisthümer Oesel, Dorpat, Kurland, Wierland, Kulm, Pomesanien. Ermland, Samland, Russland und Wersovion.

23*

f

356 AUF DEM SCHLOSSE ZU HEILSBSBG. •

das schwache Band, das sie noch zusammenhielt, ganz zu lösen. Anlässe zum Zwiste boten sich bei der unmittelbaren NachbarSchaft leicht dar.

Den steten Irrungen glaubte nun Bischof Lucas nicht länger mit Palliativ - Mitteln begegnen zu dürfen; hier konnte seiner Meinung nach nur eine Radikal-Kur Abhülfe bringen. Die Aufgabe, die er sich stellte, zeugt von dem Vertrauen auf die Kraft, die ihm innewohnte. Er versuchte nichts Geringeres als den Orden, der sich in Preussen überlebt habe, aus diesen Gegenden ganz zu entfernen; hier könne er seilen Zweck als geistlicher Ritterverein nicht mehr erfüllen. Er schlug vor, den Orden nach Podolien zu versetzen, wo er im Kampfe gegen die wachsende Uebermacht der Türken seinen ursprünglichen Beruf zum Heile der ganzen Christenheit fortzuführen im Stande sei."^

Dieser Plan erschütterte die Staatsgewalt des Ordens, der wieder ein heimatloser Ritterverein werden sollte, in ihren Grundfesten und rief deshalb seine ganze Widerstandskraft hervor. Er verletzte ausserdem tief die materiellen Interessen des ganzen deutschen Adels, der in ihm seine „Zuflucht und Behältniss“, „das Hospital der ganzen deutschen Nation“ erblickte.

Der König von Polen, welcher den Orden gern aus Preussen entfernt hätte, fühlte sich auch nicht stark genug, den Plan des Bischofs Watzelrode durchzuführen. Der Plan scheiterte vollständig. Aber der Orden hatte die Kühnheit des zu gering geachteten Gegners kennen gelernt und trat nun dem ermläudischen

  • Gelegentlich darf hier daran erinnert werden, dass fast hundert Jahre

später, nachdem Preussen längst verloren gegangen war, der Plan einer Translation des Ordens an die türkische Grenze wieder aufgenommen wurde. Im Herbste 1576 übergab Kaiser Max Ü. den Reichsständen ein „Räthl. Bedenken, wie der Teutsch-Orden in Huugaru wider den Türken zu gebrauchen und dahin transferirt werden m{>chte<'.

Das Gross-Kapitel des degenerirten Ordens lehnte damals den Vorschlag des Kaisers rundweg ab, mit der Motiviruug , „es werde sich die deutsche Jugend nicht auf die Schlachtbank führen lassen“.

DAS GESPANNTE VERHÄLTNISS ZUM ORDEN. 357

Bischöfe gegenüber mit grösserer Behutsamkeit auf. Auch Watzel- rode mässigte seine zu hoch gespannten Ansprüche, äo ward wiederum ein freundnachbarliches Yerhältniss angebahnt; der Bischof Lucas wurde sogar Vermittler zwischen dem Orden und seinem Oberlehnsherm, dem Könige von Polen.

Als Coppernicus von Italien zurückkehrte, war gerade diese Zeit der äussern Ruhe eingetreten; die hauptsächlichsten Streitpunkte zwischen Ermland und dem Orden schienen ausgeglichen, die Gegensätze einigermassen neutralisirt. Allein kaum weilte Coppernicus bei dem Oheime in Heilsberg, da bereiteten sich wiederum schwere Irrungen vor. Durch einen neuen hochstrebenden Plan hatte Bischof Lucas die volle Eifersucht des Ordens wieder wachgerufen. Er beabsichtigte nämlich die Kirche Preussens jeder Abhängigkeit vom Orden zu entziehen, welcher vorzugsweise dadurch Anlass zu Verwickelungen finden konnte, dass die Bisthttmer Kulm und Ermland auch nach dem Thorner Frieden immer noch dem Erzbischof von Riga untergeben waren. Bischof Lucas gedachte aber nicht nur die eigene Diöcese der Superiorität des traditionellen Metropoliten zu entziehen, sondern er erstrebte für sich selbst die erzbischöfliche Mitra und wollte dann neben Kulm auch die dem Orden gebliebenen Bisthümer Samland und Pomesanien seiner kirchlichen Oberhoheit unterordnen.

Es ist begreiflich, dass der Orden diesen neuen Plänen des Bischofs mit aller Macht widerstrebte. Es gelang ihm, die römische Kurie für sich zu gewinnen. So musste auch dieser neue Plan Watzelrodes aufgegeben werden. Das Verhältniss des klugen und ehrgeizigen Bischofs von Ertnland war aber jetzt natürlich noch gespannter als vorher, wenngleich die allgemeinen politischen Verhältnisse die glimmende Feindschaft nicht zu offenem Kampfe gelangen Hessen.*

'* Ueber die StreitigkeitOD des Bischofs Lucas mit dem deutschen Orden und seine Reform -Pläne giebt eingehende Auskunft Thiel's Abhandlung:

358 AUF DEM SCHLOSSE Zu HEILSBBB6.

Dieses Bild von den verwickelten Verhältnissen Ermlands und der kühnen weitblickenden Politik seines Bischöfe Watzelrode musste in weiteren Zügen ausgeführt werden, um zu zeigen, in welche reiche Schule staatsinännischer Wirksamkeit Coppernicns zu Heilsberg eingeführt wurde. Hier hat er Einblick gewonnen in die Gefahren, welche dem Preussenlande, wie dem geistlichen Fürstenthume drohten, welches auch ihm zu schützen und zu stützen oblag. Hier ward er von dem staatsklugen Oheime mit den Gebrechen des Landes bekannt gemacht, und wie dieselben zu wandeln seien. Hier legte er den Grund zu seiner Geschäftskenntniss, hier gewann er das eingehende Interesse für die öffentlichen Angelegenheiten seines Heimatlandes, das er später in so reichem Masse bekundete, als er berufen ward, selbstthätig mitzuwirken. Gern lieh der begeisterte Jünger der strengen Wissenschaft sein Ohr den weltlichen Dingen, wenn er, ermüdet von seiner anstrengenden Geistesthätigkeit, ausruhend Erholung suchte, im Wechsel der Arbeit.

An den Hof des Bischofs kamen häufig Abgesandte des polnischen Königs, wie des deutschen Hochmeisters. Hier erschienen zu Vorberathungen die einflussreicheren Mitglieder des preussischen Landtags, die Bürgermeister der grossen Städte, wie die Woiwoden und Kastellane der preussischen Lande. So entfaltete sich ein reges Leben auf dem Schlosse zu Heilsberg, und Coppernicus trat in persönliche Beziehungen zu den bedeutendsten Männern seines Heimatlandes.

Vielleicht hatte Bischof Lucas, als er den gelehrten Neffen zu sich entbot, die stille Hoffnung genährt, es würde derselbe sich für die einstige Nachfolge auf der Kathedra der ermländischen Kirche geeignet machen. In der wissenschaftlichen Riclitung des Coppernicus lag an sich kein Hindemiss. Trugen doch, zumal in dem Zeitalter des Humanismus, hochgelehrte Männer

„Das Verhältniss des Bischofs Lucas Watzelrode zu dem deutschen Orden„. Erml. Zeitschrift I, 244-268 und 409-459.

DBB HOFSTAAT DES BISCHOFS. 35^

die Mitra, hatten dieselbe geradezu als Lohn für ihre wissenschaftlichen Verdienste erhalten - ich erinnere nur an Regiomontanus. Coppernicus selbst aber scheint kaum zu irgend einer Zeit sich mit den Gedanken an die Erlangung der Bischofwürde getragen zu haben. Er hatte sich schon damals ein höheres Ziel gesteckt und stets vor Augen behalten.

Zur Erreichung dieses Zieles hat der Aufenthalt in Heilsberg wesentlich mitgewirkt. In den entgegengesetzten Strömungen des öffentlichen Lebens, welche an dem Hofe des Oheims sich berührten, in dem Widerspruch der Interessen, die hier zu vereinigen waren, ist viel geistige Kraft geweckt worden. Durch die mannigfaltige Anregung, welche das vielgestaltete Leben auf dem Schlosse zu Heilsberg gewährte, musste der Gesichtskreis von Coppernicus noch erweitert, die harmonische Ausbildung ungemein gefördert werden. Auch die Freudigkeit zur Arbeit ward hier sicherlich mehr als in Frauenburg bewahrt. Das behagliche Stillleben, in dem sich die Tage des Domherrn hinschleppten, konnte leicht erschlaffend wirken. Hier umgab ihn stets das bunte Treiben des kleinen Hofes,* welcher eine gewisse Geselligkeit pflegte und

  • Eine Handschrift im Archive dos Domkapitels zu Frauenbiu'g giebt

uns dankenswerthe Aufschlüsse über den Hofstaat des ermländischen Bischofs in dem 15. Jahrhunderte. Sie führt den Titel „Ordinancia castri Heilsbergk“ und ist nicht lange vor dem Episkopate des Bischofs Watzelrode abgefasst (zwischen 1460 bis 1480). Der Verfasser, jedenfalls der damalige Burggraf, giebt uns in echtem Soldaten- Latein eine drastische Schilderung dos bischöflichen Ilufhalts in Heilsberg und berichtet uns eingehend über die Bestimmung der einzelnen Räume des weiten Schlosses.

Don Hofstaat des ermländischen Bischofs bildete eine Zahl ständiger Beamten, von denen die höhorn im Schlosse selbst ihre Wohnung hatten, andere in der Vorburg und in den Gebäuden wohnten, die sich an das Schloss, wie an die Wirthschafts-Gobäude anlehnten.

Den ersten Rang unter den Beamten in der unmittelbaren Umgebung des Bischofs hatte der Genoral-Vikar inno („Vicarius ecclosiae“'), welcher den Bischof in der Vorwaltung der Diöcese vortrat, „senex venerabilis, qui fuit roligiosus aut theologus aut iurisporitus pro vicario ecclesiae“. ihm zunächst standen der Judex in spiritualibus (der spätere General-Official) und der „Judex saecularis“ (der oberste unter den

360 AUF D£M SCHLOSSB ZU HEILSBERG.

des Lebens Freuden nicht yerschmähte. Zur Mittagszeit verBammelten sich die Bewohner des Heilsberger Schlosses in dem grossen Rittersaale, welcher fast den ganzen Ostflttgel des stattlichen Gebäudes einnahm. Acht Tafeln waren hier aufgestellt, an denen je nach Rang und Stand die Plätze eingenommen wurden.""

bischöflichen Landvögten), „cuius officium est ire ad bellicidia cum populo ecclesiae et mensurare agros, arduas causas saeculares diffinire, discutere, iuxta quod suum officium expetit, habens iudicium super omnes saeoularoB tam castri quam districti“. Die wirthschaftliche Sorge flir die bischöfliche Residenz war dem „Procurator“ übertragen (dem Schäffer oder ministerialis xax' d£ox'V]v an andern Hufen entsprechend). Die fünfte Stelle nahm der Poenitencionarius linguao Prutenicae ein, die sechste der Schlosshauptmann von Heilsberg („Burggrabius“). Als siebenter Hof beamter fungirte der Ober-Kammorherr („Camerarius“) , welcher zum Theil an den heutigen Ceremonien-Meister erinnert. Derselbe hatte aber auch eine gewisse Sitten-Aufsicht, in Betreff deren die Schlussbestimmung seiner Instruktion in der Ordinancia castri sich naiv-offen ausdrückt : „Item camerarius inhibeat unicuique sub certa poena, ne quis ducat scortum per noctom in commodum suum ; alias dominus officialis et dominus advocatus ipsum austere arguant et corripient, burggrabius autem scortum deputabit carceribus etc.“ Auf den „Camerarius“ folgte der „Mars caleus„, welcher für die Zurichtung des Tisches und die Aufnahme der Fremden, ebenso für die Beförderung von Personen und Briefen zu sorgen hatte und die Ober-Aufsicht über Pferde und Wagen führte. Der neunte Hofbeamte, der Magister coquinae, entsprach dem Truchsess oder dapifer anderer Fürstenhöfe. An ihn schlössen sich die beiden Mundschenke „pincerna altiop' und „bassior“, der Fischmeister und Forstmeister. Als die letzten Beamten werden aufgeführt der Hofglöckner, der Aufseher über den Speicher, ein Ober- und Unter-Schlosswart.

Neben diesen hohem und niedem Beamten lebten am Hofe des ermländischen Bischofs eine Reihe von jungen Adligen als Kammerjunker („domicelli“) und jüngere Geistliche, welche vorübergehend als iJotare, Kapläne und Vikare der Schlosskapelle fungirten. Ausserdem war eine zahlreiche Dienerschaft für die niedern Kirchenämter und für die gewöhnlichen Dienstleistungen angestellt. Die „Ordinancia castri“ verzeichnet bei den höchsten Hofbeamten die Zahl der Diener, an denen sie sich für ihre Person genügen lassen mussten.

  • Der Verfasser der S. 359 erwähnten „Ordinancia castri Heylsbergk“

berichtet in seiner Schilderung der Gebräuche und Observanzen an dem Hofe des erraländischen Bischofs auch über das Ceremoniell und die Ordnung bei Tische.

Wenn auf den Schall der Mitiagsglocke der Bischof sich anschickt zur Tafel zu gehen, müssen sich alle Tischgenossen an die ThÜren ihrer

DIB TISCH-OBDNUNG. 361

Eine weitere Abweehselnng gewann Coppernicas während seines Aufenthaltes zu Heilsberg durch die Keisen, welche er im

WohnuDg begebon und' dort warten, bis der Bischof aus dem Schlossthore tritt. Dies wird durch das Gebell der Schloss-Doggen angezeigt, welche vor dem Bischöfe herausgelassen werden. Sobald dieser, angethan mit dem Chorrocke und dem bischöflichen Hute, sichtbar wird, stellt sich der Zug in bestimmter Ordnung auf und geleitet den Gebieter zum Rittersaale. Beim Eintritte reichen die Diener Handtuch und Wasser, die Hände zu waschen ; hierauf wird das Tischgebet gesprochen. Dann nimmt der Bischof an ei^ bOhter Stelle an der Uaupttafel Platz („dominus dignitate sua indntus rokitto et berefro ascendit ad maiestatem mensae“).

In gemessener Entfernung von Seiner Herrlichkeit weist der Harschall dem General -Vikar seinen Platz an, „quatuor cubitos a maiestate in eadem mensa“. Neben ihm sitzt der General-Official, dann der Ober-Richter und der erste Kaplan, welcher der Kanzlei vorsteht. An der bischöflichen Tafel erhalten auch noch Platz die anwesenden Domherrn, Aebtc, Guardiane, die Ordensbrüder und Kriegs-Hauptleuto, und wen sonst der Bischof bestimmt, auch die Bürgermeister der grössern Städte, soweit eben der Platz reicht.

Am zweiten (dem sogenannten Convents-Tische) sitzt immer obenan der Hausmarschall, neben ihm der Bisthums-Pönitentiar proussischer Zunge, die K^pläne, die ihnen im Range gleichstehenden Gäste, der Ober-Kämmerer und die übrigen hohem Haus -Beamten des Bischofs nach dem Dienstalter, der bischöfliche Notar und der Burggraf von Braunsberg. An demselben Tische erhalten femer Platz alle Bürgermeister der ermländischen Städte und die „pheodalesn.

Am dritten (dem Notar-Tische) hat den ersten Sitz stets inne der Notar des General -Official, dann der Notar des Oberrichters, der Fischmeister, der Waldmeister, die Burggrafen, Schulzen, Schöffen, der Küchenmeister, der Dolmetsch, die Begleitung der Domherrn und die Oberaufseher in der Schlosswirthschaft.

Am vierten (dem Diener- Tische) sitzt oben der Speicher-Wächter, „vulgo eyn koraknecht“, der bischöfliche Leib -Kutscher und die übrigen „rosknechte“ des Bischofs, die Dienerschaft der bischöflichen Leibdiener, „die junkher knechte“, die Schlossdiener, der Thurm Wächter u. s. w.

Am fünften Tische werden drei oder vier Arme nach Bestimmung des Bischofs gespeist.

Am sechsten Tische nimmt nach aufgehobener Tafel die Dienerschaft Platz, welche an dem Bischofs -Tische aufgewartet hatte: der Unter -Marschall, der Vorschneider, der Unter -Truchsess und der Unterschenk („der letztere ist der Vornehmste unter ihnen„). Sie erhalten Speise und Getränk, wie sie am Convents-Tische gereicht worden war.

Am siebenten und achten Tische nimmt die niedere Dienerschaft

362 AUF DEM SCHLOBSE ZU HEILSBERG.

Gefolge des Oheims maehte, wenn dieser in Ausübung seines hohen Amtes Tagfahrten der preussischen Stände berufen hatte, oder wenn er auf die polnischen Reichstage entboten ward.*

Auf den preussischen Landtagen dieser Jahre kamen die gewöhnlichen Gegenstände zur Berathung ; dieselben hatten jedoch für Coppernicus ein vielfaches Interesse.** Die Theilnahme an

ihr Essen ein, nachdem die Uebrigen abgespeist haben, zu deren Aufwartung sie vorher bestimmt gewesen.

Ausser diesen Tafeln war noch ein Tisch aufgestellt „pro ioculatoribus, proprie vor dy herolt, vor dy kokeler“. Dieser Tisch stand „in medio coenaculin; es war also bei Tafel für Unterhaltung gesorgt.

Schon Voigt hat (Preuss. Gesch. , VI, 402) berichtet, dass Hofnarren des Bischofs von Ermland mehrfach in den Urkunden Erwähnung finden. Auch fremde „gehrende Leute“, als Bärenführer, Seiltänzer, „Gaukeier“ erschienen am bischöflichen Hofe, durch allerlei KUnste und Possenspiele die Musse-Stunden auszufüllen.

"* Die Begleitung des Oheims auf seinen Geschäfts- und parlamentarischen Reisen war selbstverständliche Konsequenz der Stellung, welche Coppernicus an seinem Hofe einnahm. Eine besondere urkundliche Beglaubigung für die einzelnen Fälle dürfen wir in den Akten nicht erwarten. Die Einladungen zu den polnischen Reichstagen ergingen an den Bischof allein, nicht an seine Begleitung; ebenso finden in den Protokollen der preussischen Tagfahrten nur die an den Vorhandlungen selbst betheiligten Personen Erwähnung. Dennoch ist der Name des Coppernicus an drei Stellen der preussischen Land tags- Akten zufällig erhalten. Die eine ist oben S. 3.52 bereits mitgetheilt worden, die beiden andern sind S. 363 und 374 abgedruckt.

    • Unter den Gegenständen, welche auf den preussischen Landtagen

der Jahre 1500' 1512 zur Berathung kamen, musston neben den Kämpfen für die Erhaltung der Reservat-Rechte vornämlich die Verhandlungen über das Thorner Niedorlags-Recht und über die Aufbesserung der preussischen Münze für Coppernicus Interesse haben. Auch die Klagen der Städte über die Bedrängniss des Kaufmanns durch lYeibeuter hatten allgemeinere Bedeutung wegen der Unterstützung, welche der Orden ihnen gewährte. Dasselbe gilt von den Verhandlungen über die Kaiserliche Acht und die Berufung zu den deutschon Reichstagen, welche Kaiser Max an die grossen Städte wiederum erlassen hatte.

In einzelnen Jahren sind die Tagfahrten besonders zahlreich gewesen; im Jahre 1509 z. B. waren die preussischen Stände nicht weniger als sechsmal zusammenberufen. Auch in dem ersten Jahre des Aufenthaltes von Coppernicus zu Heilsberg sind allein in Elbing zwei Tagfahrten gewesen. Über welche seither Nichts aus den Landtags-Akten verö£fentlicht worden

DIE TAGPAHRT ZU ELBINO 1507. 36S

den Verhandlungen selbst mag freilich ftlr ihn keine besonders erquickliche gewesen sein; der Oheim war bei der steigenden Hinneigung zu Polen in immer schroffere Stellung zu seinen Mitständen gekommen.*

Wichtiger und bildender noch war fttr Coppernicus die Begleitung zu den polnischen Reichs-Versammlungen. Auf diesen Reisen konnte Coppernicus auch noch andern Interessen genügen.

ist. Das Protokoll der Herbst-Sitzung des Jahres 1507 hat für uns dadurch eine besondere Bedeutung gewonnen, dass Coppernicus in dem Eingange als Begleiter seines Oheims ausdrücklich aufgeführt wird:

„Anno domini 1507 am tage Aegidü ist eyne gemeine tagefart durch den herm Colmeschen Woywoden von anrege des Herrn Ambrosius Pampofifsky zcum Eibinge verschrieben. Doselbinst seyn erschienen bemeltor her pampofßki hauptmann vff Marienburg etc. Ansagende die verschreibunge der Tagefart, Doneben der Erwirdige In Got Vater vnd her Her Lucas Bischoff zcu Ermland myt seinen Capitel herm den wyrdigen Cletcz vnd Nicoiao Koppernikil doctor, die grossgünstigen gestrengen Edlen vnd wolgebornen herren Hans von der Damerow Colmischer Woywod n. s. w. (Eine ähnliche Anführung der Begleiter des Bischofs finden wir in den Landtags-Protokollen nur sehr selten. So wird in dem Protokolle der gleichfalls zu Elbing „Anno 1507 post festum nativitatis Christi feria ipsa quarta„ anberaumten „gemeinen tagefart“ nur „Lucas Bischof zcu Ermland", ohne irgend eine weitere Begleitung, aufgeführt.)

  • Die Anlehnung des Bischofs Lucas an Polen hatte, wie mehrfach

bereits hervorgehoben ist, zunächst den Grund zur Entfremdung von seinen Mitständen gelegt. Dazu kamen aber noch besondere Irrungen mit den grossem Städten, welche durch recht weltliche Interessen hervorgerufen waren. Es handelte sich um den Besitz von Ortschaften in der Umgegend von Danzig wie Elbing, welche beide Theile für sich beanspruchten. Schliesslich war bei der Opposition , welche Bischof Lucas überall wachgerufen hatte„ der eigenwillige Mann doch mürbe geworden. Er fand sich fast ganz isolirt. Auch in seinem Kapitel hatte der Wechsel seiner Politik keine Billigung gefunden; dies bezeugt das Verhalten desselben bei der neuen Bischofs wähl, worüber in spätem Abschnitten berichtet werden wird.

So darf es uns nicht Wunder nehmen , dass Bischof Luca^ auf einer Tagfahrt des Jahres 1509 erklärte, er wolle die Landes-Versammlungen gar nicht mehr besuchen. Ein andermal , als man ihn aufforderte , die preussisehen Sonder-Rechte bei dem Polen-Könige energisch zu vertreten, gab er die Erklärung ab, er wolle beantragen, von der Theilnahme an den preussisehen Tagfahrten, wie von dem Besuche der polnischen Reichstage, gänzlich entbunden zu werden.

364 AUF DEM SCHLOSSE ZU HEILSBEBO.

Dieselben führten ja über Thorn, die gemeinsame Vaterstadt, wo längere Rast gehalten und die alten Familien-Beziehungen wieder aufgefrischt wurden. Aehnliche Gründe Hessen Coppernicus gern nach Krakau ziehn, woselbst ihm ausser der verheirateten Schwester Studien-Genossen und Jugendfreunde lebten, mit denen ihn die Pflege der Wissenschaft verbunden hielt.

Unter den Reisen, welche Bischof Lucas in der Zeit, da Coppernicus in seiner Umgebung lebte, an den polnischen Hof unternommen, hat die erste im Anfange des Jahres 1507 stattgefunden; er war zur Krönungsfeier des Königs Sigismund I. entboten (24. Januar). Da nun der unbestimmte Urlaub, welchen Coppernicus am 7. Januar 1507 von dem Kapitel erhielt, ausdrücklich durch die Dienste, welche er dem Bischöfe zu leisten habe, motivirt ward, so unterliegt es wohl kaum einem Zweifel, dass dieser Beschluss durch die Reise des Bischofs hervorgerufen ist, und dass Coppernicus den Oheim nach Krakau begleitet hat."^

Im nächsten Jahre 1508 war um dieselbe Winterszeit ein Reichstag zu Krakau angesetzt, welchen Bischof Lucas ermländischen Nachrichten zufolge ebenfalls besucht hat. Näheres ist hierüber nicht bekannt geworden.**

  • Die Anwesenheit des Bischofs Lucas bei der Krönungsfeicr des Königs Sigismund ist durch die Acta Tomiciana (I, p. 14) beglaubigt, in denen

derselbe unter den anwesenden Prälaten namentlich aufgeführt wird.

Bei dieser sichern Beglaubigung ist das Schweigen der ermländlBchen Quellen über die Theilnahmc des Bischofs Lucas an der KrOnungsfeier kein Beweis gegen dieselbe; noch weniger ist nach den oben gegebenen Ausführungen Polkowski's Schluss (1. 1. p. 170) gerechtfertigt, dass Coppernicus den Oheim auf seiner Reise nach Krakau nicht begleitet habe.

    • Watterich hatte in der Abhandlung „>de Lucae Watzelrode episcopi

Warmiensis in Nicolaum Copernicum meritis“ (1856) unter Angabe seiner Quellen (Acta capit. Warm fol. 2 und Cod. Gutstadt fol. 200) mitgetheilt, dass Bischof Lucas den Krakauer Reichstag im Jahre 150S besucht hat. Mit Unrecht hat Polkowski (1. 1. p. 171) Watterich's Angabe bestritten, indem er dieselbe ganz unrichtig aufgefasst hat. Watterich hat nicht angegeben, dass der Reichstag zu Petrikau stattgefunden habe, er hat denselben auch nicht in die Frühlingsmonate verlegt. Die weitere Argumentation Polkowski's ist hienach hinfällig.

DER REICHSTAG ZU PETTRIKAU 1509. 365

Dagegen sind uns genaue chronologische Angaben über die Ausfahrt des Bischofs zu dem Reichstage des folgenden Jahres aufbewahrt. König Sigismund hatte die Grossen seines Reichs zum 1 2. März nach Petrikau berufen, um die Zeit, da der König selbst aus Littauen dahin abreiste, schickte sich auch Bischof Lucas an, mit seinem Gefolge die Heimat zu verlassen. Am 22. Februar 1509 reiste er von Heilsberg ab, wohin er erst am 4. Mai wieder zurückkehrte.

Die diesmalige längere Dauer des Reichstages kam für Coppernicus sehr gelegen. Er benutzte seine Anwesenheit in Krakau, uni eine Frucht seiner hellenistischen Studien, welche er auf dem Schlosse zu Heilsberg vollendet hatte, dem Drucke zu übergeben. Es ist die lateinische üebersetzung der Ei)isteln des Theophylactus Simocatta, über welche in dem nächsten Abschnitte eingehender berichtet wird. Polens Hauptstadt besass seit Kurzem eine Druckerei - die erste im Weichsellande - welche Johann Haller gegen Ende des 15. Jahrhunderts errichtet hatte. Ihr Übergab Coppernicus sein Manuskript, das Schriftchen trägt das Druckjahr 1509.

Coppernicus blieb noch nach der Abreise des Oheims in Krakau. Es war nicht die Ueberwachung des Druckes, die ihn

AllerdingH war König Sigismund während des Frühlings in Littauen, um den Aufstand Glinski's niederzuschlagen. Aber im Anfange des Jahres 1508 befand er sich in Krakau. Die Acta Tomiciana (1, p. 21) berichten, dass Sigismund am Jahrestage seiner Krönung (24. Januar) nach Krakau gekommen ist und dort einen Reichstag abgehalten hat („Exacto ex Litthuania Mosco Sigismundus Rex XXIV Januarü Cracoviam venit comitia Regni acturus. Quibus ex sententia peractis“ etc.) Im Jahre 1510 scheint Bischof Lucas den polnischen Reichstag nicht besucht zu haben. Das Einladungs-Schreiben des Königs, welches die Acta Tomiciana (I, 122) veröffentlichen, hatte ihm die Ablehnung erleichtert (. . . „Non ignorat Vestra Patemitas nos conventum regni nostri generalem ad diem Sanctorum triam Regum Piotrkoviae esse celebraturos. Cui quidem conventui tametsi cupiamus Fat. Vestram Interesse, tarnen quia in animo habemus illam ad sedem Apostolicam mittere, non audemus eam ad hunc conventum fatigare consulentes in hoc Ptis. vre commodo.“)

366 AUF DEM SCHLOSSE ZU HEILSBEBG.

dort zurückhielt, * sondern das nahe bevorstehende Eintreten einer Mondfinstemiss (am 2. Juni) hatte ihn bestimmt, länger in Krakau zn verweilen.**

Auf den polnischen Reichstagen, zu denen Bisehof Lucas entboten ward in der Zeit, da Coppernicus sich bei ihm auf dem Schlosse zu Heilsberg aufhielt, nahmen neben den andern wichtigen Reichs -Angelegenheiten die Wirren im Preussenlande die polnischen Staatsmänner ganz besonders in Anspruch.

Die Spannung zwischen Polen und dem deutschen Orden hatte in jener Zeit einen immer ernsteren Charakter angenommen. Der Hochmeister Herzog Friedrich zu Sachsen, bereits im Jahre 1498 an die Spitze des Ordens gestellt, hatte noch immer niclit dem Könige von Polen den Huldigungseid geleistet. Die schweren Fehden im Innern des Reiches, die äussern Kriege und die mehrfachen Thronwechsel hatten die Polen gehindert Gewaltmittel anzuwenden. Als König Sigismund den Thron bestiegen, Hess er nachdrücklichere Forderungen an den Hochmeister ergehen, seinen Pflichten Genüge zu leisten. Der Hochmeister, zu schwach selbst den Kampf mit Polen aufzunehmen, wandte sich Hülfe erbittend nach Deutschland. Kaiser Maximilian, besorgt über die wachsende

  • Coppernicus kann in Krakau nur den Druck seines Schriftchens eingeleitet, nicht aber überwacht haben. Die grosse Zahl sinnentstellender

und verwirrender Druckfehler, wie die oft gedankenlose Interpunktion, schliessen die letztere Annahme unbedingt aus.

♦* Mit voller Sicherheit kann nicht behauptet werden, dass Coppernicus die Mondfinstemiss des Jahres 1509 wirklich zu Krakau beobachtet hat, da der von ihm gewählte Ausdruck „sub eodem Cracoviensi meridiano“ auch auf Frauenburg bezogen werden kann; er war nämlich der Ansicht , dass Frauenburg genau unter dem Meridiane von Krakau gelegen sei. Uebrigens ist es auffällig, dass Coppernicus die Orts-Bestimmung weggelassen hat. die er sonst stets hinzufügt, wenn es, wie in vorliegendem Falle, auf die genaue Angabe des Beobachtungs-Ortes ankam.

Vorzugsweise sind es innere Gründe, welche die Annahme stützen, dass Coppernicus sich noch in den ersten Tagen des Juni in Krakau aufgehalten habe. £s ist nicht wahrscheinlich, dass er die Gelegenheit unbenutzt gelassen haben wird, die Mondfinstemiss zugleich mit seinen wisseuBchaftliehen Freunden zu beobachten.

DER VEBUANDLUN6S-TAG ZU POSEN 1510. 367

Macht der Jagellonen, hatte den Verhältnissen des Ordens schon seit längerer Zeit grössere Aufmerksamkeit zugewandt; er suchte die verlorene Oberhoheit des Reiches im Nordosten wieder aufzurichten. Bereits im Jahre 1504 hatte er dem Hochmeister geboten, „als einem der vordem Stände des heiligen Reiches i|nd bei der Pflicht , womit er ihm als römischem Könige verwandt sei“ in eigener Person auf den Reichstagen zu erscheinen/ Auch die deutsche Ritterschaft hatte dem Hochmeister kräftigen Beistand versprochen, um „den Aufbau im Ordenslande, den ihre Väter einst hatten errichten helfen, durch ihr Schwert aufrecht zu erhalten“.

Durch solche Versprechungen bestimmt, verweigerte der Hochmeister noch entschiedener den verlangten Huldigungseid ; er begab sich im Frlihlinge des Jahres 1507 selbst nach Deutschland, die Hulfeleistung für den Orden zu beschleunigen. Die „LandesRegenten“, welche der Hochmeister bestellt hatte, setzten während des nächsten Jahres die Ordenshäuser in Vertheidigungs-Zustand. Unter offenen Kriegsanstalten begann das Jahr 1509. Allein es kam noch nicht zum entscheidenden Waflfengange. Die innem Fehden in Polen und der Krieg mit den Tartaren, wie andererseits die Nichterfüllung der Hoffnungen des Hochmeisters auf Reichshülfe, drängten beide Parteien wieder auf den Weg der Verhandlung. Unter des Kaisers Vermittelung ward ein Tag zu Posen anberaumt, auf welchem der Versuch erneuert werden sollte, die Streitfrage friedlich zu lösen.

Dort erschienen um Johannis 1510 Gesandte des Kaisers und

  • Um diese Zeit, als die Gefnhr des Unterganges dem Orden immer

näher zu kommen schien , begann man überhaupt in' Deutschland die Zugeh(„rigkeit Prenssens zum Reiche zu betonen. Preussen wurde ofüciell zu Deutschland gerechnet; man beabsichtigte, es zu einem Kreise des Reichs zu erklären. Die Städte Danzig und Elbing, auch Thorn, wurden als freie Reichs-Städte angcsehn; sie wunlen zum obersächsischen Kreise gerechnet und erhielten wiederholt Einladungen zu den Reichstagen, sowie Mandate zum Kammergerichte.

368 AUF DEM SCHLOSSE 2U HBtLSBEitG.

der KnrfilrBten, wie des Königs von Ungarn, und neben den Bevollmächtigten der beiden streitenden Parteien viele geistliche und weltliche Grosse aus Polen und Preussen. Unter den polnischen Abgesandten befand sich anch der Bischof Lucas ron Ermland) welcher bereits ganz in das polnische Lager übergegangen war.* Ihm wird für das Misslingen der Verhandlung^en in Posen, sogar von den ermländischen Geschichtschreibem, die Hauptschuld beigemessen. Er habe - so berichten dieselben die polnischen Mitgesandten zum Widerstände gegen die Ordens Anträge aufgestachelt.** Jedenfalls war seit dem Posener Tage 1

  • An mehreren Stellen ist bereits hervi>rgehoben , wie die Söhne

Kasimirs IV., die Könige Johann Albert und Alexander, dem Bischöfe Watzelrode ihr besonderes Wohlwollen zuwandten. Am meisten aber hat der dritte der Brüder auf dem Throne, König Sigismund, ihn bei jeder Gelegenheit ausgezeichnet und mit Gunstbczeugungeu reich bedacht (vgl. Treter de episc. occl. Warm. p. (59 (112) und Erml. Zeitschrift I, 175).

Auch die Acta Tomiciana enthalten mehrere Schreibon des Königs Sigismund, worin dieser dem Bischöfe Lucas sein volles Vertrauen ausspricht. So schreibt derselbe z. B. im Jahre 1509: . . . „Interea tarnen Paternitas Vestra pro affectu fideli, quem in Nos Nostrasquo res gerit, det operam, ut Status terr^rum Prussiue, quantum fieri potest, recte administretur et sensim reparetur“ (1. 1. Ü, 33). Ebenso bezeugt das oben S. 365 mitgetheilte Schreiben, die theilnehmende Sorge des Königs für das Wohlergehn des Bischofs Lucas. In ähnlichem Tone ist das Einladungsschreiben zu dem Posener Verhandlungs-Tage gehalten.

Je grösser die Vertraulichkeit zwischen dem Bischöfe Lucas und König Sigismund wurde, desto mehr wuchs die Erbitterung der Ordens-Ritter.

Auch den Bischof wiederum hatte der Hass gegen den Orden schliesslich so weit getrieben, dass er - wie sein Nachfolger, Fabian von Lossainen, selbst erzählt - im Testamente seinem Kapitel den Rath gegeben haben soll, einen Polen zum Nachfolger zu wählen (vgl. Erml. Zeitschrift I, 280).

    • Ueber die agitatorische Thätigkeit des Bischofs Lucas zu Posen berichten im Wesentlichen übereinstimmend Treter de episc. Warm. p. 70 und

der ihm folgende Leo bist. Pniss. p. 346 : „Cum Ordine Teutonico in Prussia parum illi conveniebat, et nisi Fredericus Saxo Ordinis Magister probus vir et quietus fuisset. magnas procul dubio a Fratribus molestias pertulisset episcopus, qui non minus iUis, quam illi ipsi erant infensi, quod eorum progrcssus multis in rebus valde impediret, praesertim in generalibus Kegni Poloniae comitüs Posnaniae habitis; ubi milites Mariani congregati ingeniöse supplantare conabantur Regem. Instabant enim mirum in modum apud Regem, ut illis administra

DAS ORDENS-LIBELL GEGEN BISCHOF LUCAS. 369

der gegenseitige Hass zwischen dem Bischöfe Lucas und dem Orden immer schärfer hervorgetreten. Die Ordensritter namentlich führten mit steigender Erbitterung den Kampf gegen den grossen Abtrünnigen. Der Ordens-Marschall Wilhelm von Eisenberg verfasste im folgenden Jahre ein heftiges Libell, welches er überallhin verbreitete ; er liess sogar dem Bischöfe selbst dies öffentliche Sendschreiben durch den Kath von Thorn zustellen/

Ob Coppernicus den Oheim zu der Posener Tagfahrt begleitet, ob und wieweit er sich bei dem heftigen Kampfe desselben

•

tionem totius Prussiae conccderet, pro annua quinquaginta millium flgreDOruni pensione. £t multi credebant, rem cffectum habituram. Cetorum Lucas EpiscopuB, subornatis Senatoribus, negotium impedie bat, et palam profitebatur, si Ecclcsiarum bona et res Cleri in Prussia, in bono et securo statu constituere vellent, caverent diligonter, ue avari et inquieti homines, denuo potentia et viribus augeantur.“ '

Wenn von befreundeter Seite die agitatorische Thätigkeit des Bischofs Lucas auf dem Verhandlungs-Tage zu Posen in so scharfer Weise charakterisirt wird, so muss sie doch sehr bestimmt hervorgetreten sein. Dieselbe ist allein durch seine persönlich schroffe Stellung zum Orden und durch die voraufgegangenen Anreizungen einiger Ileisssporne zu erklären. Denn die Entwickelung eines besondem agitatorischen Eifers war zu Posen gar nicht erforderlich. Die Ablehnung der hochgespannten Vergleichs- Vorschläge des Ordens war unbedenklich zu erwarten. Die Ordens-Gesandten, bauend auf die erneuten Versprechungen von Kaiser und Reich, hatten nämlich nichts weniger verlangt, als die Rückgabe des im Thorner Frieden abgenommenen westlichen Preussen!

  • Welchen Eifer der Ordens -Marschall bei der Verbreitung des Libells

gegen Bischof Lucas entwickelt hat, ergeben die im Staats-Archive zu Königsberg aufbewahrten Cirkular-Schreiben (vgl. Voigt, Pr. Gesch. IX, 415). Dort ist auch eine Uebersicht des Inhalts mit einigen Auszügen gegeben. Eine der bezeichnendsten Stellen lautet : „Um unsere Ehre gegen dos Bischofs ungegründete Bezüchtigung zu handhaben, müssen wir freilich seine bischöfliche Würde schonen, woran Gott leider zu viel Chrisam verloren hat

Aus Allem ist klar zu merken, weil der Bischof kein Recht und keinen Frieden liebt, dass er Alles nur darum thut, damit er, wenn irgend Schaden durch Raub oder Mord geschieht, sagen möge: sehet Ihr, diesen Jammer haben wir alle vom Orden ; wir werden nimmer zum Frieden kommen, so lange der im Lande ist. Es würde ihm gar nicht sonderlich zu Herzen gehn, wenn Danz.igs und Elbings Vorstädte sammt allen Iläusern seiner Domherrn in Flammen aufgingen, um damit das Kriegsfeuer anzuschüren.“ J. '24

37(1 AUF DEM 8CHLOS8E ZU HEILSBERG.

mit dem deutschen Orden aktiv betheiligt hat, ist aus urkundlichen Zeugnissen nicht zu entnehmen. Allein da die Ursache des Streites nicht rein persönlichen Motiven entsprungen war, ist um so mehr anzunehmen, dass Coppernicus dem Oheime auch hier treu zur Seite gestanden hat. Er selbst hatte ja als Mitglied des Domstifts, die Pflicht, die Rechte der ermländischen Kirche gegenüber dem aggressiven Vorgehn des deutschen Ordens zu vertreten.*

  • Coppernicus hat, als er berufen ward, die Rechte der ermländischen

Kirche gegen den Orden zu verfechten, seiner Pflicht in unerschrockener Weise Genüge geleistet. Vgl. Bd. Ü S. 15 ff.

Zu Posen jedoch konnte Coppernicus, da er selbst nicht Mitglied des Kongresses war, schwerlich eine besondere Thätigkeit entfalten. Die polnischen Schriftsteller haben dies freilich gern angenommen, weil sie in dem so frühen - und unberufenen ^- Eingreifen des Coppernicus in die Orden„Händel eine hervortretende Kundgebung deutschfeindlicher Gesinnung erblicken mochten. An anderer Stelle wird eingehender nachgewiesen werden, wie irrig diese tendenziöse Auffassung ist, die geflissentlich festgehalten und weiter verbreitet wird. Bei den Streitigkeiten zwischen dem deutschen Orden und dem Stifte Ermland handelte es sich um nichts weniger, als um den Gegensatz von Nationalitäten; es traten vielmehr nur zwei geistliche Korporationen, beide deutschen Stammes, mit einander in Kampf um irdische Guter. Ermland war ein deutsches Land. Eifrigst hat das ermländische Kapitel gegen die polnischen Oberhirten Protest eingelegt, welche ihn^ von den polnischen Königen aufgedrungen wurden. Und die ersten Polen wurden erst nach dem Tode von Coppernicus auf den ermländischen Bischofs-Stuhl erhoben! Uebrigens haben auch deutsche Schriftsteller sich durch den sehr unklar gehaltenen Bericht Gassendi's (vita Copernici p. 7) verleiten lassen,, dem jungen Domherrn Coppernicus eine hervorragende Betheiligung auf dem Posener Verhandlungs-Tage beizumessen.

An Gassendi war die Kunde von jener Schmähschrift^ des Ordens gelangt, welche die Posener Verhandlungen hervorgerufen hatten. Er läset dieselbe aber - wenigstens können seine Worte so gedeutet werden nicht gegen den Bischof Watzelrode allein, sondern vorzugsweise gegen Coppernicus gerichtet sein. Er berichtet femer in demselben Satze, es seien Versuche gemacht worden, Coppernicus in dem Besitze seines Kanonikats zu stören. Wie Letzteres durch den Orden hätte geschehen können, ist unerfindlich. Ueberdies lässt Gassendi diese versuchte Besitzstörung gleich nach der Erlangung des Kanonikats eintreten, während der Posener Verhandlungstag erst 13 Jahre später stattgefunden hat!

DIE WAHL DES HOCHMEISTERS ALBRBCHT VON BRANDENBURG. 371

Die Verhandlongen zu Posen führten übrigens nur zu wortreichjsn „Reden und Widerreden, Dupliken, Tripliken und Quadrupliken“. In der Hauptsache ist' „weiter nichts fttrgenommen, viel weniger zu ir keiner Einigkeit geschlossen“.*

Der drohende Ausbruch des Krieges erhielt jedoch einen neuen Aufschub. Der Hochmeister Friedrich von Sachsen war im Ausgange des Jahres 1510 gestorben und zu seinem Nachfolger Albrecht von Brandenburg gewählt worden, welcher dem Könige von Polen nahe verwandt war - Albrecht's Mutter war eine Schwester des Letzteren. Allein die Stellung Polens zu dem Orden blieb eine feindliche. König Sigismund verlangte von seinem Neffen, dass er, der Verpflichtung des Thorner Friedens nachkommend, sofort den Huldigungseid leiste. Die drohende Sprache des Königs veranlasste den jungen Hochmeister, welcher sich noch in Deutschland aufhielt, an die Regenten in Preussen den Befehl zu schicken, dass sie Alles zum Kriege vorbereiteten.

Die Lage des Ordens ward noch gefahrvoller durch die

Gassendi's Bericht lautet: „Non possedit tarnen initio (sc. Copernicus) pacifice satls eum canonicatum. ut non semel conquestus est literis conBcriptis ad avunculum in aula praesertim morantem, ut publicae rei causam tueretur adversus Cruciferos Teutonicosve Equites, qui idcirco illi infensi per Posnaniensia comitia libello famoso ipsum impetierunt.“

Die Verwirrung Gassendi's ist durch die Verbindung zweier ganz heterogener Sachen entstanden: die Agitationen gegen die erste Bewerbung des Coppernicus um ein ermländisches Kanonikat (vgl. oben S. 172 fif.) und die Schmähschrift gegen den Oheim in Folge der Posener Händel. Den ersten Theil des Berichtes hatte er von Starowolski Überkommen; woher ihm die Kunde von dem Ordens-Libell zugegangen ist„ lässt sich nicht nachweisen. Er selbst sagt, dass er nur gedruckte Quellen habe benutzen können; bei keinem älteren Schriftsteller hat sich aber bisher eine Nachricht über jenes Libell auffinden lassen.

  • lieber den Verlauf des Verhandlungs-Tages zu Posen besitzt das StaatsArchiv zu Königsberg eine Reihe von Schriftstücken, welche Schütz (a. a. 0.

p. 432 - 440) zu seiner eingehenden Darstellung benutzt zu haben scheint. Darunter findet sich auch die Abschrift eines an den Kaiser gesandten Berichtes über den Verlauf der Verhandlungen. Die weitläufigen Reden und Gegenreden der beiderseitigen Bevollmächtigten findet man vollständig in der OrdenSrCbronik p. 119-137 und 347-365.

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372 AUF DEM BCHL088E Zu HEIL8BESO.

immer feindseligere Stellung, welche der nächste Nachbar, der Bischof von Ermland, eingenommen hatte; es war mit Bestimmtheit zu erwarten , dass er im Falle eines Angriffs gegen den Orden ganz auf des Königs Seite stehen werde. Noch aber beschäftigten den Letztem während des Jahres 1511 der Krieg gegen die Tartaren, so dass er keine ernsten Schritte gegen den Orden unternehmen konnte. Auch hatte Kaiser Maximilian sich beeilt, die benachbarten deutschen Fürsten, die Herzöge yon Sachsen, Mecklenburg und Pommern, wie den Kurfürsten yon Brandenburg, aufzufordern, dass sie mit ihrer ganzen Heere„macht dem Orden zu Hülfe ziehen und ihn, „den Aufenthalt des Adels des heiligen Reiches und deutscher Nation“, in S<dinlz nehmen, weil es seine kaiserliche Pflicht verlange, ihn bei Kaiser und Reich und deutscher Nation zu erhalten.

Unter solchen Umständen liess sich König Sigismund bereit finden, nochmals den Weg friedlicher Ausgleichung zu eröffnen. Er setzte im December 1511 eine Tagfahrt zu Thorn an, wohin er - neben zwei weltlichen Grossen - den Primas des Reiches, den Bischof von Plock und den Bischof Lucas von Ermland entsandte.

Die polnischen Bevollmächtigten machten zu Thorn deli wunderlichen Vorschlag, es solle Albrecht von Brandenburg seinem Amte entsagen, der König von Polen selbst den Orden annehmen und zum Hoclimeister ernannt werden, „also dass das Königreich und der Orden ein ewig unzertrennlicher Körper werden solle“^ Diese unreifen und seltsamen Vorschläge waren schwerlich ernst gemeint, es sollte wohl nur Zeit gewonnen werden. Zu einem Abschlüsse der Verhandlungen konnte es ohnehin nicht kommen, weil die preussischen Abgesandten nur von den „Landes-Regenten“, nicht von dem Hochmeister selbst bevollmächtigt waren.*

  • Der Hochmeister hatte sich in seiner Httlfiosiglteit wiederum nach

Deutschland gewandt Nachdem er mit dem Kaiser zu Nürnberg persönlich zusammengekommen war, erneute Max seine Beföhle an die KHrfürsteB von

IN BEULEITUNO DES OHBIBCS 7jV STUHM 1512. 373

Kaum war Bischof Lucas von dem unfrnchtbaren Thorner Friedensgeschäfte in seine Diöcese zurückgekehrt, als er sich zu einer nenen Reise anschicken musste. König Sigismund hatte die Grossen seines Reiches nach Krakau entboten, um der Feier seiner Hochzeit und der Krönung der jungen Königin beizuwohnen. An diese Festlichkeiten schloss sich ein allgemeiner Reichstag, auf welchem vorzugsweise die preussischen Angelegenheiten verhandelt werden sollten. Deshalb durfte der Bischof Lucas sich dem Rufe des Königs nicht entziehen. Er verliess am 15. Januar 1512 Heilsberg, das er lebend nicht wieder sehen sollte.

In voller Gesundheit hatte Bischof Lucas die Reise angetreten ; in seiner Begleitung befanden sich die Domherrn Georg von Delau und sein Neffe Nicolaus Coppernicus. Aus einem dankenswerthen Berichte, welchen das Danziger Manuskript der preussischen Landtags-Akten enthält, ersehen wir, dass der Bischof mit seinem Gefolge den Weg zur Weichsel über Stuhm genommen, woselbst die Starostei ihm zugehörte. ^ Auf dem Schlosse daselbst ertheilte er am 19. Januar eine Audienz den „Ersamen Herren Matthias Tymmermann Burgemeister vund Lucas Reding Rathmann“, welche von dem Rathe zu Danzig an ihn abgeordnet

Brandenburg und Sachsen, wie an den Herzog von Pommern, den Orden zu unterstützen, falls der König von Polen es wagen sollte, den Hochmeister zur Beschwörung des Thorner Friedens zu zwingen, welcher „in allen StUcken dem Kaiser und Reiche und der ganzen deutschen Nation an seiner Oberherrlichkeit durchaus nachtheilig, unleidlich und überhaupt nicht zu dulden sei„.

  • Für seine Anhänglichkeit an die polnischen Interessen war Bischof

Lucas, wie bereits mehrmals erwähnt ist, reich belohnt worden; Sigismund hatte ihm eine ganze Reihe königlicher Lehngtiter in Preussen Überweisen lassen. Ausser dem Tolkemitter und Schar fauer Distrikte hatte der Bischgf - wie polnische Quellen berichten - drei Starostei en , Stargard, Christburg und Stuhm erhalten (vgl. Bartuszewicz vita Copernici p. lvüi und Polkowski a. a. 0. p. 109). lieber die Stuhmer Schenkung sind wir auch durch ermländische (leschichtschreiber unterrichtet ; des Bischofs dortige Besitzungen wurden durch Freibeuter verheert, als er im Herbste 1509 auf dem Schlosse übernachtete (vgl. Erml. Zeitschr. I, 452).

â– n^

374 AUF DEM SCHLOSSE ZU HSniSBERG.

waren, Fürsprache beim Könige nachzusachen. An der SchlossTreppe wurden die Abgesandten von den „achtparen vund hochgelarten Herrn Her Jarge von der Dele vund Her Nicolaus Coppernicus Thumherrntt begrUsst und dann in den Empfangs-Saal des Bischofs gefUhrt, bei welchem sie den Tag Ober blieben.*

Ueber den weitem Verlauf der Reise nach Erakau ist uns nichts bekannt. Aus den allgemeinen Geschichtsquellen wissen wir, dass Bischof Lucas bei der kirchlichen Trauung und der Krönungsfeier der jungen Königin, welche am 8. Februar 1512 stattfand, zugegen gewesen ist.** Während der Krakauer Festlichkeiten, wie bei den nachfolgenden Reichstags -Verhandlungen, fühlte sich Bischof Lucas ganz wohl. Auf der Rückreise begann er jedoch zu klagen; die l?^sche, die ihm bei der eingetretenen

  • Das iu mehrfacher Beziehung interessante Dokument, auf welchem

(He im Texte gegebene Darstellung beruht, ist seither unbekannt gewesen. Deshalb wird nachstehend der Eingang des Berichtes seinem ganzen Wortlaute nach mitgetheilt:

„Anno 1512 den Montagk nach Prisce Kamen die Ersamen Namhafftigen vund weysen Herrn Her Mathis Zymmerman Burgemeyster vnd Lucas Reding liathman kegen dy stnme vntwent myttagk vnd lissen sich alsbaldt des H. Byschofs gnaden vom ermland ansagen vnd seine Vtrl. gn. begerte daz tzur stundt bey seiner vt. gn. wolle komen. Da aber dy hern auf daz Bchlos kamen, stunden an der treppen dy achtbarn wirdigen vnd hochgelarten Herrn her Jerge von der dele vnüd her Nicolaus Coppernicus thumhern tzur frawenburgk vnd empfingen dy hern gehende mit in in ein gemach; daselbest mith yrcMi herlikeythen eine czeitlangk sytzende kam der Bürgrafe vnd bath <ly hern von des Herrn Byschofs wegen tzu gaste, dorein dy hern vorwilligten vnd der H. Burgemeyster sagte tzu Hern Jorge von der Dele, wye daz sie iu der “leynunge komen weren, daz sie verhoftt hetten, seine V. (1. solide in voressens gencdigo audientie gegeben haben, darauf der gemellte Her Jörgen vonn der Dele anttwort, es kan auch woll geschehen“.

Vnlangst dornoch kam des hern Byschofs gn. vnd behild bey sich die gemellten thumhern, Da denne d. E. Mattis Czimmennan von wegen eines E. Rats von Dantzick den geburlichen grus vnd erbyttunge vorbrachte vnd nach kurzer danksagunge etc. etc.“

  • ^ Die Acta Tomiciana (Ü, p. 2) führen den Bischof Lucas als achten

in der Reihe der Prälaten auf, welche der Krönnngsfeier assistirten.

DER TOD DES BISCHOPS LUCAS. 375

Fastenzeit vorgesetzt wurden, wollten ihm wider seine Gewohnheit nicht behagen. In L^czyc - einem Städtchen, welches zwei Tagereisen von der preussischen Grenze entfernt liegt - steigerte sich das Unwohlsein. Der Bischof liess sich jedoch weiter fahren, ungeachtet das Fieber seine Kräfte merklich verzehrte; er kam, ein schon Sterbender, am 26. März in seiner Vaterstadt an, nur um dort die Augen zu schliessen. Er starb am 29. März."^

So war durch einen jähen Tod der Mann aus dem Leben gefordert worden, welcher den grössten Einfluss auf die Geschicke von Coppernicus ausgeübt hat. Mehr als sechs Jahre hindurch hatte Letzterer in der unmittelbaren Umgebung des Oheims gelebt.

Die Zeitgenossen rühmen an Lucas Watzelrode seine hervorragenden geistigen Gaben und feine Bildung, ebenso die Unbescholtenheit des Wandels, seine feste Anhänglichkeit an die Kirche, seinen Gerechtigkeitssinn. Aber diese Tugenden wurden durch grosse Fehler aufgewogen. Es ist ja nicht Einem Alles gegeben, bemerkt sein Kanzler, indem er in der trefflichen Charakteristik, die er von Bischof Lucas uns hinterlassen hat, die Schwächen desselben aufzählt.

Lucas Watzelrode war ein herber, finsterer Mann. Niemand will ihn lachen gesehen haben , er gehörte zu jener Klasse von

  • Die Einzelheiten über die letzten Lebenstage des Bischofs Lucas

Watzelrode verdanken wir dem Berichte seines Kanzlers Paul Deusterwald, welcher im bischöflichen Archive zu Frauenburg aufbewahrt wird. Man findet ihn vollständig abgedruckt in Hipler's Spicil. Cop. p. .*J1(„ - 319.

V<m allgemeinerem Interesse sind die Schlüssbemerkungen, welche sich Über den Charakter des Verstorbenen verbreiten. Deusterwald knüpft dieselben an die Vermuthungen, welche Über die Todes-Ursache damals im Schwange waren. Da der Tod den bis dahin kerngesunden und kräf- tigen Mann so plUtzlich ereilte, hatte man mehrfach die Ansicht ausgesprochen, es sei ihm Gift von einem seiner vielen Feinde beigebracht worden. Andere wieder meinten jedoch richtiger, es hätten die steten Gemüths-Aufregungen seine Gresundheit unmerklich untergraben. In den letzten Tagen seines Lebens war ihm u. a. die heftige Schmähschrift zugekommen, welche der Ordens-Marschall Graf Wilhelm von Eisenberg gegen ihn hatte erscheinen lassen (vgl. S. 369).

376 AUF DEM SCHLOSSE ZU HBIL3BEBG.

Menschen, welche frühere Jahrhunderte mit dem Namen der ay^XaGTot bezeichnet haben. Stok auf seine Kenntnisse, Scharfblick und Geschäfts - Gewandtheit , noch mehr auf seine Stellung als Kirchenfürst, mochte er von Wenigen Einwendungen anhören, achtete er auf Niemandes Urtheil. Starr beharrte er auf seiner Meinung, die durch keine Gegengründe erschüttert werden konnte. Mit einem Worte zu schliessen - Lucas Watzelrode ermangelte aller Eigenschaften, durch welche wir der Menschen Liebe und Gunst erwerben können.*

Mit seiner Eigenwilligkeit verband sich ein bis an Eigennutz scharf heranreichender Eifer, die Gerechtsame seiner Kirche und den äussern Besitz zu mehren. Hiedurch namentlich war es gekommen, dass ihm Feinde ringsum erstanden. Das Ungestüm seines Wesens zeigte sich zunächst in dem erbitterten Kampfe gegen den deutschen Orden, den er mit allen Kräften bemüht war, aus seinem letzten Besitzthume herauszutreiben. In öffentlicher Reichs-Versammlung hatte er den Ausspruch gethan, wenn die Polen Frieden in ihrem Preussen haben wollten, dann müsse dafür gesorgt werden, dass dieses ruhelose und habgierige Geschlecht all seiner Macht beraubt werde. Deshalb verfolgten ihn auch die Ordensritter auf das Aeusserste. Einer der Grossgebietiger nannte ihn einen Teufel in Menschengestalt : eine OrdeusChronik berichtet, es hätten die Ritter tagtäglich gebetet, Gott möchte diesen leibhaftigen Teufel baldmöglichst aus der Welt nehmen.'*

♦ Die im Texte gegebene Charakteristik schliesst sich zum Theil en^: an die von dem Kanzler l'aül Deusterwald gebrauchten Worte an : „ . . . Alü effutiant passim-eins vitia, üt übet. Kgo in tantis virtutibus hoc praecipuum in eo esse vitium animadverti, qüod sententiae suae nimis perseveranter inhaerebat, ex qua vix potuit fortissimis etiam argumentis expu (pari Defectus etiam in eo admudum ma^us füit, quod conciliare

sibi amorem et benevolentiam hominum non potuit .... sed non omnia possumns omnes.“

    • Die Ordens-Chronik, auf welche der Text Bezug nimmt, ist im Anfangs des 10. Jahrhunderts - noch vor dem Tode des Bischofs Lucas

CHARAKTERISTIK DES BISCHOFS LUCAS. 377

In starrer Verfolgung seiner politischen Piäine hatte es Watzelrode zu Wege gebracht, dass seine früheren Freunde und Mitstreiter, die preussischen Stände, ihm offene Widersacher geworden waren. Unter diesen standen voran die drei grossen Städte, welche er durch Eingriffe in ihr Besitzthum und ihre Gerechtsame arg geschädigt hatte. Die Mitglieder seines Kapitels, die Blutsverwandten der von ihm bekämpften preussischen Land- und StadtAristokratie, waren ihm schon aus diesem Grunde mehr und mehr entfremdet. Auch sonst fanden sich zwischen ihnen manche Differenz-Punkte, und der Bischof Hess die Domherrn seinen Unwillen fühlen, wenn sie ihre Prärogative vertheidigten und sich ihm nicht unbedingt fUgen wollten.

Nach vorstehenden Ausfuhrungen ist es wohl ersichtlich, dass der Aufenthalt des Coppernicus auf dem Schlosse zu Heilsberg, so viele Vortheile er ihm auch geboten hat, nicht frei von manchen Schatten geblieben ist. Der tägliche Umgang mit einem eigenwilligen, starren Charakter erheischte ein Zurücktreten der eigenen Ansichten, eine Fügsamkeit in Anschauungen, die oft nicht die seinigen waren. Aus der langen Dauer des Aufenthaltes bei dem Oheime dürfen wir schliesseu, dass Coppernicus der Pflichten stets eingedenk gewesen ist, welche ihm die Pietät gegen den Wohlthäter seiner Jugend auferlegte. Aber es wird dem in der Mitte der Dreissiger stehenden, gereiften Manne doch oftmals hart angekommen sein, . sich in die Wünsche und Launen des Oheims zu fügen, zumal wenn dieser noch die Stellung des Bischofs gegen den jüngeren Domherrn hervorkehrte.*

KOBchrieben. Hartknoch hat znerst (Dissertat. histor. p. 7) die bez. Worte abf^edruckt: „vellet deüB, nt hie carneüs diabolns, quod in dies a Deo postülainns, e medio snblatüs esset, ne, si dintius viveret, plura mala adinveniret“.

  • Die beiden Nepoten, welche Lncas Watzelrode in das Domstift hatte

aufnehmen lassen, scheint derselbe in ^sserer Abhün^f^keit von sich er^ halten zn haben. Einen charakteristischen Belef^ hieflir bieten nns die Acta capitülaria in dem Protokolle der Sitzung vom 16. August 1502; in diesem Dokumente tritt uns der herrische, eigenwillige Charakter des Bischofs

378 AUF DBM SCHLOSSE ZU HEIL8BER0.

Vielleicht kann man zur Ehre des Bischofs annehmen , dass er gegen den getreuen Mitberather seiner Pläne die herbe Schroffheit seines Wesens gemildert haben wird, wenn er gesehen, wie dieser Btets bemüht war^ manche Schärfen auszugleichen, manche schwere Stunde ihm zu erleichtem. Als seinen Oheim die letzte schwere Krankheit überfiel, ist Coppernicus nicht um ihn gewesen. Wir wissen dies^ durch den Bericht seines Kanzlers, welcher ihn auf der Krakauer Reise begleitet hatte. Derselbe hebt ausdrücklich hervor, dass kein kundiger Arzt dem sterbenden Bischöfe in Thorn zur Seite gestanden habe.* Nur unsichere Vermuihungen sind uns darüber gestattet,

Lucas 8o recht deutlich entgegen. Das Domkapitel hatte sich einer rituellen Anordnung des Bischofs nicht fUgen wollen. Da wurde derselbe unwillig und sprach die Drohung aus, er werde seine Neffen Nicolaus und Andreas schon zwingen, dies zu thun: „Anno MCCGCGÜ. xvj. Augusti dominis de Capitulo capitulariter congregatis in loco capitulari venit Rev. D. Antistes

Lucas ad Capitulum, coram quo ea, quae sequuntur, tractabantur

Sexto de baculo pastorali per Canonicos non portato mentio facta est: eo quod nee hie neque in alüs ecclesüs cathedralibus visum sit, quod Canonicus deferat Episcopo baculum, et visum fuit Dominis de Capitulo, quod baculus ille pastoralis per Vicarios domini Episcopi portandus sit, aut per alium ex Vicarüs. Quod Episcopus indigne ferens dixit: se velle nepotes suos Nicolaum et Andream ad hoc cogere, ut baiulent sibi baculum aut egrediantur ecclesiam.“

(Die ältesten Statuten des Domkapitels von 13S4 bestimmten nur, dass, wenn der Bischof in der Kathedral-Kirche das Poutifikal-Amt halte [„divina celebrare“], die beiden jüngsten Domherrn ihm in heiligen Kleidern ministriren sollten. Diese Bestimmungen wurden später, in den Statuten der Bischöfe Nicolaus von TUngen und Mauritius Ferber, dahin erweitert, dass sie als Diakon und Subdiakon zu fnngiren hätten.)

  • „In hac tanta valetudine et morte deductus est in Thoroniam ....

homini defuncto haud dissimilis Neque aderat medicus pari tus, qui naturae laboranti suppetias contulisset. Accersiti tarnen fuere ex aliunde medici, sed dum venirent mortuum ipsum invenerunt.“

In dem vorstehenden Berichte Deusterwald's ist Vieles auffallend, vor Allem, dass des Neffen und Hausgenossen von Lucas Watzelrode, welcher ihm zugleich Arzt gewesen, in keiner Weise gedacht wird, die Gründe seiner Abwesenheit auch nicht einmal angedeutet werden. Wenn es in Thorn noch Zeit war, andere Aerzte aus entfernten Orten (denn in der Nähe gab es keine) herbeizuholen, dann musste doch auch Zeit sein, von

DER WEGGANG VOK HEILSBBS6. • 379

ans welchen zwingenden Gründen Coppernicus in Prenssen znrttckgehalten sein konnte.

Die Leiche von Lncas Watzelrode ward sofort nach dessen Hinscheiden znr Kathedrale hinübergeftthrt ^ woselbst sie am 2. April beigesetzt ward.*

Bald darauf wird Coppernicna das Heilsberger Schloss verlassen haben, welches ihn sechs Jahre lang in seinen Mauern beherbergt hatte. Eine besondere Eile war nicht erforderlich. Zwar wurde die Wahl des Nachfolgers von Lucas Watzelrode bereits am dritten Tage nach dessen Beisetzung vorgenommen. Allein die Bestätigung erfolgte erst gegen Ende des Jahres, und

L^czyc aus (welches etwa auf dem halben Wege von Krakau nach Heilsberg liegt) Coppernicus von der Erkrankung des Oheims zu benachrichtigen. Von dem Eintreffen des Letztem in Thorn berichtet Deusterwald Nichts; auch der dortigen Bluts-Verwandten geschieht keine Erwähnung.

Auffallend ist endlich, dass Deusterwald ausdrücklich hervorhebt, es sei kein kundiger Arzt in den letzten Tagen um Lucas Watzelrode gewesen. Allerdings waren damals die Aerzte nur dünn gesäet. Aber die grüssern Städte besassen deren schon früh. In Thorn war seit anderthalb Jahrhunderten ein Stadtarzt angestellt; im Jahre 1400 wird sein JahresGehalt neu normirt. In den Verhandlungen des SchOppenbuchs erscheint im Jahre 1370 ein „meister Johannes der arczt“, im Jahre 1376 wird er als nmeistir Jo. von Megdeborg“ aufgeführt und im Jahre 1407 „meister Johannes der Stad Arczt“ genannt

Ein Decennium vor dem Tode des Bischofs Lucas, im Jahre 1502, war der „Würdige Johann von Bell, Medicinae Doctor, zum Artzte der Stadt angenommen“. In der Bestallung wird ihm zur Pflicht gemacht, „ohne Willen des Herrn Bürgermeisters niemals aus der Stadt zu ziehn, in den Apotheken fleissig zuzusehn“ u. s. w. „Auch will E. £. Rath“ - heisst es am Schlüsse - „keinen andern Artzt, der nicht Doctor ist, alhier zu practiciren vergünstigen, als allein dem Stadt-Artzte und andem bewehrten Doctoribns“. BeH's Nachfolger wurde 1515 der durch einige philosophische Schriften bekannte Hieronymus Wildenberg, welcher eine Zeit lang auch die Schule in Kulm geleitet hat.

^ Der 2. April wird in dem oben angeführten Berichte Deusterwald's als der Begräbnisstag von Lucas Watzelrode ausdrücklich angegeben, ebenso in dem Wahldekrete seines Nachfolgers, -t- Ein irriges Datum (den 28. März) hat Treter de episc. Warm. p. 70. Auch Kretzmer in der Fortsetzung der Plastwig'schen Chronik (Monum. Warm. ÜI, 133) hat gleichfalls irrig den 28. März wieder als den Todestag verzeichnet.

380 DER WEOGANO VON HBILSBBRG.

Bchwerlich wird CoppernicaB durch seinen Confrater, den Domherrn Balthasar Stockfisch, welcher die Verwaltung der Diüceae während des Interregnums Übernommen hatte, besonders gedrängt sein, die bisherigen Wohnräume zu verlassen. Im eigenen Interesse aber wird derselbe seine Uebersiedelung nach Frauenburg sofort beim Eintreten der schöneren Jahreszeit bewerkstelligt haben. Jedenfalls finden wir Coppernicus im Anfange des Juni in Frauenbürg anwesend. Er betheiligt sich dort an einer allgemeinen Option der AUodien , welche in den ersten Tagen des Monats stattfand (mi quatuor temporibus Pentecostes“ d. i. zwischen dem 3. - 6. Joni 1512); am 5. Juni beobachtet er eine Opposition des Mars mit der Sonne (de revol. orb. cael. V, 16).

Einen Theil seiner kapitulariscben Thätigkeit scheint Coppernicus auch während seiner Abwesenheit von der Kathedrale ausgeübt zu haben.

Die erste Urkunde, aus welcher dies zu schliessen ist, gehört dem Jahre 1507 an; sie ist ausgestellt gerade ein Vierteljahr nach dem Kapitels-Schlusse, durch welchen Coppernicus an den BischofsSitz delegirt ward, am 7. April 1507.*

Während der nächstfolgenden vier Jahre findet sich der Name von Coppernicus in keinem Schriftstücke des Fraueuburger Domstifts;** er ist in keiner Kapitels-Sitzung anwesend, er hat keine

  • Durch die im Texte erwähnte Urkunde d. d. 7. April 1507 wurde

den Antonius-Brüdern, welche Biscliof Lucas aus Tempzin in Mecklenburg benifen hatte, das Hospital zu Frauenbur^ überwiesen. Sie ist ausgestellt „praesentibus Venerabilibus praelatis et canonicis Enoch de Cobelaw prae posito Fabiano de Lusianis et Nicoiao Coppernick deere tornm doctoribus, capitulum repraesentantibus capitulariter congregatis“.

  • ♦ Die Acta capituli 1499-1593 enthalten zwar (fol. 14) unter der Uebersohrift „Tenentur infrascripti domini pro fabrica“ eine Notiz zum Jahre 1508,

in welcher auch „Nicola us Kopperni^a vorkommt. Es ist dort aber nur ein Verzeicbniss der Kapitularen aufgestellt, welche ihren Statuten

DIE BETHEILIGUNO AN DER STIFTS-VEBWALTCNG. 381

der kapitalarischen Funktionell übernommen. Erst im letzten Jahre seines Heilsberger Anfenthalts begegnen wir dem Namen in einem Rechnnngsbuche des Domstifts. In einer Kotiz znm Jahre 15tt wird „Nicolaus Copperniga neben Fabian von LoBsainen als Visitator in Allenstein aufgeführt/ Die beiden Abgeordneten des Kapitels übernehmen dort eine Summe von 238 Mark, welche sie nach ihrer Rückkehr in Frauenburg an ihren Amtsgenossen Balthasar Stockfisch abliefern.** In einer zwei

mässigen Beitrag zur „fabrica“, d. i. zur Kirchen-Baukasse damals noch nicht entrichtet hatten. Ein später hinzugefügter Vermerk besagt, dass Coppernicus seinen Beitrag erst im Jahre 152S gezahlt hat „Doctor dedit marcas X.“

  • Der Uebernahme von kapitularischen Funktionen Seitens des am Hofe

des Bischofs lebenden Kanonikus stand an sich Nichts im Wege. Derselbe war ja nicht aus dem Kapitel geschieden; er behielt alle seine Bechte, konnte sich in der Sitzung durch einen Andern vertreten lassen, durch ihn tnitstimmen und auch weiter zu kapitularischen Kommissionen, besonders wenn sie in der Nähe seines Aufenthalts waren, verwandt werden.

Es ist daher möglich, dass Coppernicus in den Jahren seiner Abwesenheit von dem Sitze des Domstifts sich auch andere, leichtere Kommissionen hat übertragen lassen. Die Acta capitnlaria sind zeitweise in hohem Grade dürftig; so findet sich z. B. aus dem Jahre 1510 keine einzige Einzeichnung. Auch der Beschluss über die Ernennung des Coppernicus zum Visitator in Allenstein im Jahre 1511 ist in den Sitzungs-Protokollen nicht enthalten.

  • ^ Das Staats-Archiv zu Königsberg bewahrt ein Bechnungsbuch des

Frauenburger Kapitels, welches Verhandlungen aus der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts enthält. Dieselben sind jedoch nicht in chronologischer Folge niedergeschrieben. So beginnt das Volumen mit einem SitzungsProtokolle d. d. 28. Juli 1510, und fol. 4 ff. finden sich Einzeichnungen aus den Jahren 1511 und 1512, trotzdem sie von derselben Hand, von dem Domherrn Balthasar Stockfisch herrühren. Es sind also auch in diesem Manuskripte, wie es in den Actis capitular. nicht selten geschieht, amtliche Vermerke erst später nachgetragen.

Die im Texte erwähnte erste Einzeichnung steht auf S. 4. Sie lautet :

„Anno domini MCCCCCXI ad mandatum Venerabilis Capituli Nos Fabianus de Lussigein et Nicolaus Koppernig Visitatores per Ven. Capitulum deputati in Allenstein pro festo Circumcisiouis Domini. Recepimus restantora pecuniam pro vicarüs V. D. Zachariae in Castro repositam vid. Mrc. OCXXXVÜI, fert. ÜI.

Et hanc pecuniam de mandato Capituli praesontavimus Venerabili Domino B. Stockfyss in reditu nostro ad ecclesiam.“

382 DIE BETHEILIOÜNG AN DER STIFTS-YEBWALTUNG.

ten Notiz aus demselben Jahre wird Coppernicus als Anwesender aufgeführt in der Sitzung, in welcher Balthasar Stockfisch das ihm von den Allensteiner Visitatoren übergebene Geld dem Kapitel überbringt.*

  • Der m Texte angeführte zweite Vermerk findet sich auf Seite 5 des

erwähnten Rechnungsbuches. Dort hat „ego Balthasar Stockfisch“ eingetragen, dass er „praesentibus V. D. Enoch praeposito, Andrea de Cletze custodo, fabiano de Luaianis, Nicoiao Copp ernick et hinrico Snellonberg„' das ihm von Fabian de Lusianis und Nicolaus Coppernicus übergebene Geld abgeliefert habe.

Zweiter Abschnitt.[recensere]

Die Uebersetzung der Episteln des Theophylactus Simocatta.

Als Coppernicas auf dem Schlosse zu Heilsberg lebte ^ liess er zu Krakau eine kleine Schrift erscheinen, die einzige, welche er bei Lebzeiten aus eigenem Antriebe der OeflFentlichkeit übergeben hat. Es ist die lateinische Uebersetzung der Episteln des Theophylactus Simocatta. welche im Jahre 1509 in der Officin von Johann Haller zu Krakau "^ der Presse

  • Johann Haller ist ein Mann, welcher sich um die Verbreitung der

Literatur in Polen hohe Verdienste erworben hat. Er war gegen Ende des 15. Jahrhunderts aus Nürnberg in Polen eingewandert und hatte in der Hauptstadt des Kelches, zu Krakau, die erste Buchdruckerei errichtet. Durch Betriebsamkeit und Umsicht gelangte er in der neuen Heimat bald zu Vermögen und Ansehn; er ward von seinen Mitbürgern in den Rath der Stadt gekoren und bekleidete auch die Würde eines Bürgermeisters zu Krakau.

Von der literarischen Bedeutung Haller's zeugen die Lobsprüche, welche ihm von den angesehensten polnischen Gelehrten, als einem “fautor excellentissimus omnium virorum doctorum et generaliter spiritualüun personarum“ ertheilt werden; einige haben ihm ihre Schriften zugeeignet, wie die Krakauer Canonici Michael von Breslau und Matthias von Mniechow.

Die technische Leitung seiner Officin hatte Haller eine Zeit lang seinem „concivis Nurmbergensis“ Georg Stuchs von Sulzbach übergeben; nachher leitete sie der in der Geschichte der Buchdrucker-Kunst noch mehr bekannte Caspar Hochfeder, welcher, wie Haller und Stuchs, gleichfalls aus Nürnberg eingewandert war.

Wie gross die Zahl der von Haller besorgten Dtucke gewesen ist, kann man daraus ersehen, dass nach Verlauf von mehr als zwei Jahrhunderten in

384 piE UEBERSETZUNG DER EPISTELN DES THEOPHYLACTüS.

übergeben wurde (ein Abdruck derselben findet sich in Band Ü S. 48-123).*

einer einzigen polnischen Bibliothek noch zweiundsechzig Schriften aufgefunden werden konnten, welche in den Jahren 1500 - 1527 durch Haller's Vermittelung veröffentlicht sind. Man findet dieselben näher beschrieben in Janozki's „Nachricht von denen in der Hochgräflich -Zaluskischen Bibliothek sich befindenden raren Polnischen Büchern“ (Dresden 1747 - 1753;. Theil I, 32 ff., 44, 45. U, 81-85. IV, 99-184.

Es ist daher lediglich der weitverbreiteten Unkenntniss zuzuschreiben, welche über die £ntwickelung der Literatur in den östlichen Ländern Europa's herrscht, dass Haller's Bedeutung von dem Abendlande so w^enig gewürdigt worden ist. In dem so ausführlichen Werke von Maittaire „Annalcs typographici“ findet sich auch nicht die geringste Spur einer Kenntniss von Haller'schen Drucken. Marchand nennt in seiner „histoire de l'origine et des Premiers progr^s de Timprimerie“ allerdings den Namen Haller s, kennt aber kein einziges der von Jauozki aufgeführten Bücher. Selbst Hofmann in seiner fleissigen Abhandlung „de typographüs eorumque initüs et incrementis in regno Poloniae et magno ducatu Lithuaniae“ hat nur unsichere und unvollständige Mittheilungen über die Haller'schen Drucke.

  • Der im zweiten Bande (S. 48 - 123) gebotene Abdruck der Coppernicanischen Uebersetzung der Briefe des Theophylactus Simocatta ist nach

andern Grundsätzen gearbeitet, als die beiden vorher erschienenen.

Hipler in seinem Spicilegium Copernicanum giebt das Original diplomatisch getreu wieder. Neben den Versehen und Irrthümem des Verfassers und den Willkürlichkeiten in der Behandlung der Orthographie und Interpunktion sind alle, selbst düe handgreiflichsten, sinnentstellenden und verwirrenden Druckfehler in den Text aufgenommen. Man kann aus diesem Abzüge allerdings ersehen, welche grossen Hindemisse und Schwierigkeiten die ältesten Drucke ^em Verständnisse des Lesers entgegenstellten. Der Text, wie ihn das Spicilegium Copernicanum bietet, wird nur dadurch losbarer, daSd die Varianten der Warschauer Ausgabe sämmtlich (auch die blosse Verbesserung der Druckfehler) hinzugefügt sind.

Den ersten Abdruck der in Rede stehenden Schrift brachte - zugleich mit einer polnischen Uebersetzung - die Warschauer Ausgabe der Werke von Coppernicus. Diese geht von ganz entgegengesetzten Principien aus als Hipler. Es sind nicht nur die offenbaren Versehen des Verfassers und Setzers verbessert, sondern die Warschauer Herausgeber haben, neben sehr annehmbaren Konjekturen, sich weitgehende Umgestaltungen dos Textes gestattet, ohne aifch nur mit einem Worte die Abweichung vom Originale anzudeuten. Dies ist freilich zum Theil geschehen, um die Coppernicanische Uebersetzung verstHudlich zu mdlshen; an nicht wenigen Stellen aber hat man den Verfasser in. unnöthiger Weise korrigirt.

Zum Belege gebe ich nachstehend die wichtigsten Textes-Aendeningen der Warschauer Ausgabe. Dieselbe verändert ocitu (ep. 18) in oüiu9, ofti

DIE BE8CHREIBUKG DES DRUCKES. 385

Die Kenntniss dieser kleinen Schrift"^ war schon den nächstfolgenden Generationen ganz abhanden gekommen; Starowolbki

lahimus (ep. 21) in ohturahimus, quod (ep. 22j in quae, scientiae (ep. 22) in conacientia, opiniones (ep. 57) in conditiones^ alterationem (ep. 70) in recreationem, polliat ep. 65) in parat ^ admoneto (ep. 65) in ad modum, abeunüum ep. 67) in dentiunif avaram erimnim (ep. 73) in avarüiae crimen, lacerna â– ep. 77; in lanceola, pedicis (ep. 77; choenicis.

Andererseits ist in der Warschauer Ausgabe sententiam (ep. 35)“ verändert in Bentinam; femer ist (ep. 35) inquit beibehalten - ein augenscheinlicher Druckfehler - was gar keinen Sinn giebt, während (ep. 81) neque iu ohne allen Grund weggelassen ist.

An zwei Stellen haben die Warschauer Herausgeber den Text der Coppernicanischen Uebersetzung ganz willkürlich geändert. Sie haben in ep. 46 die Worte fremitum et correptus videbatur verändert in correptus videhatur und einen ganzen Satz et fidere fuit temperantem intetnperanteni ohne zureichenden Grund hinzugefügt. Ebenso ist ep. 53 eine Beihe von Worten alienis enim donis liberalitatem praeferre im Anschluss an den Text von Boissonade und die von ihm gegebene Uebersetzung ohne Weiteres eingeschoben.

  • Die Coppernicanische Uebersetzung der Episteln des Theophylactus

Simocatta ist mit neugothischer Schrift in klein Quarto gedruckt. Der Band enthält 21 Blatt, ohne Blatt- noch Seiten-Zahlen; es tragen jedoch Blatt 2, 3; 9, 10, 11, 12; 15, 16, 17; 19, 20 die Signaturen aij, aüj, b, bij, büj, büij; c, cij, cüj; d, dij.

Die erste Seite des Titelblattes - die 2. ist leer - wird fast ganz von einem guten Holzschnitte eingenommen, mit .welchem Haller die meisten seiner Drucke zu schmücken pflegte. Der obere Theil enthält in dem Hauptschilde den polnischen Adler, welcher von zwei Wappenthieren (rechts Einhorn, links Löwe) gehalten wird. Die untere Hälfte zeigt rechts das Wappen des Grossfürstonthums Litthauon (einen Reiter, de/ auf dem Schilde das Jagelionische Doppelkreuz tragend mit geschwungenem Schwerte einherstürmt) links das Wappen der Stadt Krakau (eine Burg mit 3 Thürmen und weit geöffneten ThorflUgeln). Zwischen diesen beiden Wappen befindet sich in einem länglichen Schilde die Marke von Johann Haller.

Ueber dem Holzschnitte steht der Titel: „Theophilacti scolasti || ci Simocati ep(isto)le morales-rurales || et amatorie interpretatione latina.“ - Der Druckvermerk findet sich am Ende des Buches Blatt 21a Zeile 22 und 23 : „Impressum Craeouio in domo donüni Johannis hal || 1er Anno salutis nostre MCCCCCIX.“

Blatt 2 a - la Zeile lo enthält das „Canuen Laurentü cor || uini. regü vrbis wratislavie no || tarü : quo valedicit prutenos : d^M^cribitque qijantum sibi voluptatis attulerint sequentes Theophilacti || epistole : et quam dnlcis Sit a natali solo extorri in patriam reditus“ Blatt 2a Zeile 1-6).

Auf 31att 4 a Zeile 11 - 33 steht der Brief des Coppernicus mit der I. 25

386 DIE ÜBEBSETZUNO DER EPISTELN DBS THEOPHYLACTUS.

kennt sie ebensowenig als Gassendi/ Erst nm die Mitte des vorigen Jahrhunderts ward sie auf der königl. Bibliothek zu Dresden entdeckt;** ein zweites Exemplar besitzt die UniversitätsBibliothek zu Breslau, ein drittes befand sich im 18. Jahrhunderte auf der Zaluski'schen Bibliothek zu Warschau.***

Ueberschrift : „Ad reuerendissimum dominum Lucam episcopum war || miensem Nicolai coppernici epistola“ (Blatt 4 a Zeile 11 - 12).

Die Uebersetzung der Episteln des Theophylactus Simocatta ist abgedruckt auf Blatt 4b- Blatt 21a Zeile 21 mit der wiederholten Aufschrift: „Theophilacti Scola || stici Simocati epistole morales y rurales et amatorie interpretati Ü one latina“ (Blatt 4 b Zeile 1 - 5).

  • Gassendi berichtet zwar, dass Coppernicus die griechische Sprache

erlernt habe, aber mit der unrichtigen Angabe, dass dies auf der Schule zu Thorn geschehen sei (vgl. oben S. 132). Von der vorliegenden hellenistisehen Studie des Coppernicus weiss Gassendi Nichts.

    • Die Coppernicanische Uebersetzung der Briefe des Theophylactus

Simocatta ist noch gegenwärtig auf der königl. Bibliothek zu Dresden aufbewahrt mit der Bibliothek-Nummer £piSTol. 228.

Das Verdienst, dieses Schriftchen aus dem Staube der Bibliotheken gezogen und dem Coppernicus vindicirt zu haben, gebührt dem um die Mitte des 18. Jahrhunderts lebenden Bibliophilen Joh. Ghristian Götze, welcher in seinen „Merkwürdigkeiten der königl. Bibliothek zu Dresden“ Band Ü, 1. Sammlung S. 6 zugleich eine eingehende Boschreibung gegeben hat. £r sagt darin u. a.

„Weder Fabricio noch sonst jemand anders ist diese lateinische Uebersetzung und Edition bekannt gewesen In der Zuschrift an Lucam

Bischof von Ermland bekennt sich Nicolaus Gopernicus vor den Uebersetzer Vorher gehet ein „Carmen Laurentü Gorvini etc.“ ....

Den schlosischen Bibliographen war der bei Haller erschienene Abdruck einer lateinischen Uebersetzung des Theophylactus nicht unbekannt. Sie gedenken ihrer wegen des Gedichtes von Gorvinus. Aber sie v^nissten nicht, oder sahen für sich keine Veranlassung es hervorzuheben, dass die Uebersetzung von Coppernicus herrühre. So erwähnt u. a. Füldener in seiner Bio- und Bibliographia Silesiaca I, 359 (Breslau 1731) bei der Lebensbeschreibung des Gorvinus die „Theophylacti Simocattae epistolae morales rurales et amatoriae so zu Gracau Ao 1509 durch Joh. Hallerum publiciret worden“.

♦** Janozki berichtet dies in seiner „Nachricht von denen in d. H. G. Zaluski'schen Bibliothek sich befindenden raren polnischen Büchern“ Thl. Ü S. 85. Vgl. auch Janociana I, 45 und Panzer Annal. Typograph. VI, 452. Ob sich dieses Exemplar des zu den grüssten Seltenheiten gehörenden Schriftchens noch irgendwo erhalten hat, ist unbekannt.

DIB SELTENHEIT DER ERHALTENEN EXEMPLARE. 387

Dass dieses Schriftchen des Coppernicos den Bibliographen und Literar-Historikem'^ so lange Zeit hat entgehen können, ist vorzugsweise durch ihre Unbekanntschaft mit den in Polen erschienenen Bttchem, wie durch die Seltenheit der Haller sehen Drucke zu erklären, zum Theil vielleicht auch daraus, dass Copper* nicus sieh auf dem Titelblatte nicht genannt hat : sein Name findet sieh ganz versteckt in dem Widmungsbriefe an den Oheim, welchem noch dazu ein zwei Seiten langes Einflihrungs-Gedicht vorangeht.

Die Erstlingsfrucht seiner humanistischen Studien hat Coppernicus nämlich nach Sitte der Humanisten durch ein Gedicht eines

â–

seiner frühem Krakauer Lehrer, Laurentius Corvinus, einführen lassen/"* Dieser hatte nach mannigfach wechselnden Schicksalen

In den Krakauer Bibliotheken hat sich bis jetzt kein Exemplar des seltenen Buches auffinden lassen, ebensowenig - was noch auffallender ist in den Bibliotheken des Ermlands. Schon am Ende des 16. Jahrhunderts besass es die Frauenburger Dom-Bibliothek nicht mehr, welcher Coppernicus seine eigene Bibliothek testamentarisch vermacht hatte; in dem uns erhaltenen Kataloge von 1598 ist das Buch nicht aufgeführt. Dass die veränderten Zeit -Anschauungen diese Reliquie des grossen Mannes aus den Öffentlichen Bibliotheken haben verschwinden lassen, ist nicht anzunehmen, da am Ende des 16. Jahrhunderts demselben eine Gedenktafel in der Domkirche gestiftet wurde.

  • Dass Schon in seiner Geschichte der griechischen Literatur der Coppernicanischen Uebersetzung der Briefe des Theophylactus Simocatta nicht

Erwähnung thut, ist aus der Anlage des Buches erklärlich; SchOU hat eine Vollständigkeit der literarischen Angaben nicht erstrebt. Noch weniger ist dies der Fall bei seinen Nachfolgern Bernhardy und Nicolai. Aber auch Fabricius, der in seiner Bibliotheca Graeca (Vol. VI p. 280 ff.) die Ausgaben und Uebersetzungen des Theophylactus Simocatta eingehender behandelt, kennt die Schrift von Coppernicus nicht, wie dies bereits Götze (vgl. die voranstehende Anmerkung) hervorgehoben hat.

Ebensowenig hat der neuste Herausgeber des Theophylactus Boissounde (Paris 1835) Kenntniss von der Coppernicanischen Uebersetzung. Aber auch in Deutschland ist GOtze's Bericht über dieselbe von den Philologen ganz unbeachtet geblieben. Erst durch den Artikel, welchen Ersch und Grube's „Allgemeine Encyklopädie der Wissenschaften und Ettnste“ über â‚opperni(;us brachte, hat man den hellenistischen Studien desselben einige Aufmerksamkeit zugewandt.

    • Ueber die Lebensverhältnisse von Laurentius Corvinus ist bereits S. 135 das Wesentlichste mitgetheilt.

25„

388 DIE ÜBERSETZUNG DER EPISTELN DES THEOPHYLACTUS.

seine Lehrthätigkeit ganz aufgegeben und sieh einem andern LebensBerufe zugewandt. Er war Stadtsekretär in Breslau, dann in Thorn geworden, kehrte im Jahre 1509 jedoch wieder nach Breslau zurttck. Als Corvinus seinen Umzug nach Breslau vorbereitete, hatte ihm Coppernicus gerade seine Uebersetzung des Theophylactus zugeschickt, wie Ersterer selbst in dem Einftihrungs- Gedichte andeutet. Dieses steht übrigens nur in sehr geringer Beziehung zu den Episteln des Theophylactus und der Coppernicanischen

Corvinus nahm unter den zeitgenössischen lateinischen Dichtem eine hervorragendere Stelle ein. Von seinen Landslouten ward er besonders gerühmt, weil er sich gern vaterländische Stoffe ftir seine poetischen Ergüsse auswählte. Die bekanntesten unter seinen Gedichten sind: Ode Sapphica endecasyllaba .... de Polonia et Cracovia (1502); Carmen de Apolline et novem Musis (Vratisl. 1503); Pindaricura Anapaesticum in natale solum quod Noviforum perhibetur (1509); Carmen Hexaraetrum de Silesia (1509).

Sehr zahlreiche Auflagen erlebten seine Lehrbücher: Idioma Latinum i. e. Puerilium Colloquiorum Über; Hortulus Elegantiarum pro Latinae linguae studiosis ; Libellus de carminum structura. - Unter seinen anderweiten Schriften sind noch zu nennen : Cosmographia dans manuductionem in tabulas Ptolemaei (s. 1. et a.) und die Abhandlung: de mentis saluberrima persuasione Lips. 1506).

Eine vollständige Aufzählung der vielen Schriften von Corvinus findet man bei Hancke de Siles. Indigen. Erud. cap. LXVIL

  • Um sich einen häuslichen Heerd zu begründen, hatte Corvinus die Stelle

des 3. Stadtschreibers zu Breslau angenommen (nach dem Breslauer über Trad. „ij die Scti Galli“ im Jahre 1503 neben Georg Morenberg und B. Schellenschmitt). Er vertauschte diese Stellung jedoch im Jahre 1507 mit dem einträglicheren Amte eines Stadtschreibers zu Thorn, welches ihm durch den weitreichenden Einfluss der mit Coppernicus verwandten Familien zu Theil geworden war. Auch in anderer Beziehung schien die Thorner Stellung annehmbar. Die Thorner Stadtschreiber galten damals als die angesehensten im Preussenlande. sie führten u. a. das Protokoll auf den Landtagen; auch war das Aufsteigen in den Rath nicht selten. Corvinus selbst bezeugt in seinem Gedichte, dass die Stellung in Thorn ihm sehr zugesagt habe. Trotzdem gab er dieselbe auf, als durch den Tod des ersten Stadtschreibers Mohrenberg eine Vakanz zu Breslau eintrat. Zur Rückkehr in das Vaterland bestimmte ihn nämlich - wie aus dem erwähnten Gedichte des Corvinus zu entnehmen ist - , der dringende Wunsch der jungen Gattin, welche das Heimweh nicht überwinden konnte.

Ueber den Aufenthalt des Laur. Corvinus in Thorn ist übrigens aus Thorner Quellen zur Zeit nichts bekannt.

DAS EINLEITUN08-GEDICHT DES LAURENTIUS COR^^INUS. 389

Uebersetzung. Es enthält in seinem ersten Theile einen poetischen Abschiedsgruss an das Preussenland und die Stadt Thorn: in dem zweiten Theile giebt Corvinus der Freude Ausdruck über die Rückkehr in das geliebte schlesische Vaterland.

Neben den Segenswünschen, mit denen Corvinus dankerfüllt von der Stadt Abschied nimmt, welche ihm zwei Jahre hindurch eine ehrenvolle Stellung geboten, preist der Dichter in seinen Lobsprüchen Thorn, „weil es treffliche Männer erzeuget, unter denen der Bischof Lucas an Frömmigkeit, Ernst und Würde hervorragt, er, dem ein grosser Theil Preussens unterthänig ist - das unter seiner Herrschaft glückliche Ermland. Ihm steht treulich zur Seite, wie dem Aeneas einst der treue Achates, der gelehrte Mann, welcher dieses Werk aus der griechischen in die lateinische Sprache übertragen hat. E r erkundet den schnellen Lauf des Mondes und die wechselnden Bewegungen des Brudergestims und das ganze Firmament mit den Wandelstemen, die wunderbare Schöpfung des Allvaters: er weiss, von staunenswerthen Principien ausgehend, die verborgenen Ursachen der Dinge zu erforschen.“ ^

Ausser dieser in mehrfacher Beziehung merkwürdigen Stelle des Gedichtes, welche deshalb in freier Uebersetzung vollständig wiedergegeben ist, gedenkt Corvinus der Coppernicanischen Uebersetzung nur mit wenigen Worten bei dem Uebergange zum zweiten Theile, indem er sagt, dass er durch ihre Lektüre sich die Einförmigkeit der langen Reise verkürzt habe (v. 43 und 44).** Sonst

  • Die wichtigsten Verse des Gedichtes, deren Uebersetzung der Text

' giebt, lauten (v. 25-30).

Huic vir doctus adest, Aeneae ut fidus Achates, Hoc opus ex Graeco in verba Latina trahens, Qui celerem Lunae cursum altemosque meatus Fratris cum profugis tractat et astra globis, Mirandum Omnipotentis opus, rerumque latentes Gausas seit miris quaerere principüs.

    • Ista molesta licet via sit; sed lectio Graji

Sola Siniocati perbreve fecit iter.

390 DIE CbEBSETZUNQ DBB EPISTELN DES THEOPHTLACTU8.

haben nur noch die Schlussverse des Gedichts (v. 111 - 116) eine Beziehung zu den Episteln des Theophylactos. In poetiseher Umschreibung weist Corvinus, den Gedankengang der Coppernicanischen Vorrede aufnehmend, darauf hin, dass Theophylactos seine Dichtungen Vornehmlich durch die reiche Abwechselung des Stoffe„

anziehend gemacht habe. Auf das Einführungs-Gedicht des Corvinus folgt, die Stelle einer Vorrede vertretend, die Widmung der Schrift in Form eine„ Briefes des Uebersetzers an seinen Oheim:

„Dem hochwürdigsten Bischöfe Lucas von Ermland

dargebracht von Nicolaus Coppernicus.“*

„Hochwürdigster Herr und Vater des Vaterlandes.“

„Ganz vortrefflich hat meiner Ansicht nach Theophylactus, „der Scholastiker, moralische, ländliche und Liebes-Episteln „zusammengestellt. Sicherlich hat ihn hierbei die Erwägung „geleitet, dass Abwechselung vorzugsweise zu gefallen pflegt. „Sehr verschieden sind die Neigungen der Menschen, sehr Ver“schiedenes ergötzt sie. Dem Einen gefällt, was gedanken„schwer ist, dem Andern, was durch Leichtigkeit anspricht; „Ernstes liebt der Eine, während einen Andern das Spiel der „Phantasie anzieht. Weil die Menge so sich an ganz Ver„schiedenem erfreut, hat Theophylactus Leichtes mit Schwerem. „Leichtfertiges mit Ernstem abwechseln lassen, so dass der „Leser, gleichsam wie in einem Garten, aus der reichen Menge

  • Die üeberschrift des Widmungs- Briefes ist diplomatisch getreu von

Hipler (Spie. Cop. p. 77) wiedergegeben. Sie lautet: „Ad reuerendissimum d""^ Lucam episcopum warmiensem Nicolai coppernici epistola“.

Die Bearbeiter der Warschauer Ausgabe der Werke von Coppernicus haben die Namensform , welche der Autor selbst gewählt hatte, tendenziös verändert und, ebenso wie in andern Schriftstücken, statt des doppelten nur ein einfaches p gesetzt.

DIB WlDMCNQS-VeRREDE DES C0PPEBNICU8. 391

„von Blumen aussuchen kann, was ihm am besten gefällt. „Alles aber, was er bietet, gewährt einen so grossen Nutzen, „dass seine Gedichte nicht sowohl Episteln zu sein scheinen, „als vielmehr Regeln und Vorschriften für zweckmässige Einrichtung des menschlichen Lebens. Bel^ dafür ist ihre in„haltreiche Kürze. Theophylactus hat seinen Stoff aus verschiedenen Schriftstellern entnommen und in gedrängter Kürze „sehr lehrreich zusammengestellt. Den moralischen und länd„lichen Gedichten wird kaum Jemand ihren innern Werth ab„sprechen. Anders dürfte man vielleicht über die Liebes„Episteln urtheilen, die nach ihrem Titel leichtfertig und aus„gelassen erscheinen können. Aber gleichwie der Arzt die „bittere Medicin durch Beimischung von süssen Mitteln zu „mildem pflegt, um sie dem Kranken annehmlicher zu machen : „also sind auch die leichtfertigeren Gedichte beigegeben; sie „sind übrigens so rein gehalten, dass sie ebenso gut den „Namen moralischer Episteln führen könnten. Unter solchen “Umständen erachtete ich es für unbillig, dass die Episteln des „Theophylactus nur in griechischer Sprache zu lesen seien. „Um sie allgemeiner zugänglich zu machen, habe ich, soweit „meine Kräfte reichten, sie in das Lateinische zu übersetzen „versucht.

„Dir, hochwürdigster Herr, widme ich nun diese kleine „Gabe, die freilich in keinem Verhältniss steht zu den Wohl„thaten, welche ich von Dir empfangen habe. Alles, was ich „durch mein geistiges Vermögen erschafife und nutze, das erwachte ich mit vollem Rechte als Dir gehörig; unzweifelhaft „wahr ist ja, was Ovid einst an Caesar Germanicus geschrieben :

„Nach deinem Blicke fällt und steigt mein Geist empor.“

Die kleine Schrift, welche Coppernicus den der griechischen Sprache unkundigen Zeitgenossen durch seine lateinische Uebersetzung zuführte, trägt den ihren Inhalt angebenden Titel: 'EttiTToXal i^&ixal, i'^pof.pixai, iraipixaC. Es sind 85 rhetorisirte Episteln - geschrieben unter fingirten Namen von Briefstellern aus dem Alterthume - von denen abwechselnd je eine den Stoff allge

392 DIE ÜBEBSETZUNO DER EPISTELN DES THEOPUTLACTÜS.

meinen Lebensverhältnissen entnimmt, nm darauf eine sittliche Lehre zu begründen, eine zweite ihren Inhalt den Beziehungen des Landlebens entlehnt, die dritte endlich dem erotischen Gebiete angehört. Der Verfasser dieser Epistel-Sammlung lebte in der spätem byzantinischen Zeit.

Theophylactus Simocatta" blühte um das Jahr 630. Sein Hauptwerk ist die „Geschichte der Regierung des Kaisers Mauritius“, später „Allgemeine Geschichte“ (loropia o{xoi>^vtxü]i genannt, welche in acht Büchern die Geschichte der Jahre 5S2 602 umfasst. Dieses Buch ist im Mittelalter viel gelesen und benutzt worden. Werthlos dagegen ist seine naturwissenschaftliche Schrift otaXo^o; irepl Stacpopa^ cpuaixÄv a7ropT^|JLaTü>v xal iTüXuascov.

•)„“

♦ lieber die Lebens-Verhältnisse von Theophylactus Simocatta ist uns nur Weniges bekannt. Photius (Bibl. cod. 65) und Theodosius in dem Prooemium zu dem Werke des Constantinos Porphyrogennetos „ixko-^aX izepl TTpeoßeiwv“ sagen, er sei „dr.b ^Tiapyojv“ und „dvriYpatpeuc“ gewesen; er gehörte also zu den höhern Beamten des byzantinischen Reiches. Beide Schriftsteller nennen ihn übrigens nur einfach ösocpuXaxTo; ohne weitere Nebenbezeichnung. Erst bei Suidas erscheint er als oo^iot^“, welches Spätere, denen auch Coppernicus gefolgt ist - in SxoXaorixö; umgewandelt haben, (üeber die verschiedenen Bedeutungen der Bezeichnung cyoXa<;ix6“ vgl. Boissonade in seiner Ausgabe des Theophylactus p. 166.) - Die Angabe, dass Theophylactus den Beinamen SifAoxa-nrj; geführt habe, rührt gleichfalls von Suidas her („Beocp'jXaxxo; oo^pioxi^j;, qÜ ^TKjbvufjiov ^Liftoxöt-n);).

In Betreff der Heimat des Theophylactus Simocatta berichtet Photius, dass er aus Aegyi)ten lierstamme (TiOTi oe ouxo; o Beo^uXaxxo; xtjj -^i^^i AiY67r:io;j . Es kann sich diese Angabe aber nur auf die Vorfahren beziehen ; denn Theophylactus selbst bezeugt in der Vorrede zu seinem AiaXo^o;, dass er in Griechenland geboren sei.

    • Ob Coppernicus das Geschichtswerk des Theophylactus gekannt hat,

wissen wir nicht. Gedruckt ist dasselbe erst lange nach seinem Tode; die ed. princ. erschien im Jahre 1604 (die naturwissenschaftliche Abhandlung war bereits im Jahre 1597 dem Drucke übergeben).

Von der taxopla des Theophylactus ist besonders bekannt die Beschreibung von der grausamen Hinrichtung des Kaisers Mauritius und seiner Kinder. Diese Stelle wurde, wie Theophylactus selbst erzählt, nach dem Tode des Usurpators Phokas in öffentlicher Versammlung vorgelesen und rührte die Zuhörer zu Thränen. - Dem Geschichtswerke voraufgeschickt ist ein Dialog zwischen der Philosophie und der Geschichte, worin sie sich über

URTHEILE ÜBBK THBOPHTLACTUS SIMOCATTA. 393

Das Urtheil über die literarische Bedeatang des Theophylaetns ist wesentlich durch Photius beeinflnsst, welcher dessen Darstellung im Allgemeinen lobt, indem er sagt, sie entbehre der Anmuth nicht, dann aber eine ganze Reihe von Ausstellungen macht. Diese tadelnden Bemerkungen haben die neuern LiterarHistoriker ihrem Urtheile so vollständig zu Grunde gelegt, dass sie von ihnen fast wörtlich abgeschrieben sind. Einige sprechen zwar, gleich Photius, neben dem Lobe noch massvolleren Tadel aus, Andere dagegen haben die Ausstellungen Jenes noch viel schärfer aufgeputzt.*

die Vernachlässigung beklagen, welche sie unter Phokas erfahren haben, und die Fürsorge des Kaisers Heraclius rühmend hervorheben, unter dem die Wissenschaften wiederum neu erblühten.

  • Die den Thyophylactus betreffende Stelle bei Photius (Bibl. cod. 65,

lautet wörtlich: „dve^vebaOt) Beo^uXdxxou diro ind^y(ois xal dvriYpa^pde„; loxopidiv Xiyoi ixrd„. "Eon oe outo; 6 0eotp6XaxTo; xij) fhci AIyu^ttio;. *H fi£vTot cppdot; auTtj) t/ei fi^v Ti ydpiTO“ rXVjv -^t hr^ tj täv xpoirixÄv X^^eouv xai tt^c dXXrjopixf^; ivvoia; xGtxaxopi?)“ XP"^^^^ ^^^ <{^'j";^poXo*]ffav xivd xal veavix'^v dTieipoxaXCav dTioTeXeuTä. 06 [Jf?;v dXXd xal •/) rf^i •pfDjj.oXoYWC oOx h xatptf) rapevOVjxt) ©i>.0Tiji{a; iaxi Trepi£pYO'j xal repiTT?);. Td V d).Xa o6 xi £; p.d)fjiov f^xot.“

An Photius sich anlehnend giebt Scholl (Gesch. der Griech. Litt. ÜI, 264) sein Urtheil über das Geschichtswerk dos Theophylactus (in Betreff der Episteln keinen Tadel aussprechend) in massvoller Weise ab, indem er sagt : „Der Stil des Theophylactus ist oratorisch, reich an Sentenzen, wo er Reden in seine Geschichte verwebt, aber an vielen Stellen frostig und taktlos.“ Sehr hart drückt sich dagegen Bemhardy aus (Grundriss der Griech. Litt. I, 583): - „Theophylactus, der flach und gebläht bis zur geschnürkelten Dunkelheit schreibt und selten den Nebel seiner heimatlichen ägyptischen Manier verlässt, gleichviel ob in Historien oder in rhetorisirten Episteln und Proben der Naturwissenschaft, entfaltet früher und vollständiger, als man ahnen sollte, die vüllige Leerheit und Schwäche seiner Zeit.“ Bemhardy's Urtheil umschreibt und überbietet noch Nicolai (Gesch. der Griech. Litt. S. 643) : „Theophylactus .... behandelt die Geschichte mit buchst mangelnder Einsicht in die Begebenheiten und deren Zusammenhang, sogar ohne Urtheil und strenge Wahrheitsliebe, in schlechter Darstellung und ohne Sinn für reinen Ausdruck und gemässigte Eleganz. Dabei macht ihn der Hang zur rhetorisch aufgeputzten geblähten und figürlichen Diction, der häufige Gebrauch von Tropen und Allexorien, bis zum Ekel des Lesers frostig und dunkel, ja geradezu kindisch. Nirgends, weder in den rhetorischen Briefen noch in den ihrem Werth nach unbedeutenden und dürftigen Proben seiner naturwissenschaftlichen Kenntnisse, weiss er Mass zu halten und, während er

394 DIB ÜBERSETZUNG PEB EPISTELN DES THEOPHYLACTUS.

Die tadelnden Bemerkungen des Photins über den Stil des Theophylactus beziehen sich natttrlich auf das Hauptwerk. Allein einige der neuem Literar-Historiker übertragen den Tadel ausdrücklich auch auf die Episteln, welche sie wohl sicherlich nicht angesehen haben, da sie die Darstellung in denselben „flach und bis zur geschnOrkelten Dunkelheit gebläht“ schelten."* Andererseits haben wiederum die Herausgeber bez. Uebersetzer der Episteln des Theophylactus dieselben mit zu weit gehenden Lobeserhebungen bedacht/"* Es dürfte deshalb, um ein selbstständiges Urtheil über den Geist des Schriftstellers zu erleichtern^ Lob und Tadel auf das richtige Mass zurückzuführen, angemessen sein, einige der Episteln, welche Coppernicus eines eingehenden Studiums gewürdigt hat, in deutschem Gewände vorzuführen.

“„“

mit der Lektüre Homers und anderer Autoren ersten Ranges renommirt, verdeckt er nirgends den Ungeschmack, die Unfähigkeit und geistige Leere seiner Zeit, noch den Nebel seiner heimatlichen ägyptischen Manier.“ (ü)

  • Bemhardy und der ihm nachschreibende und ihn überbietende Nicolai

werfen dem Theophylactus „den Nebel seiner heimatlichen ägyptischen Manier“ vor, den er nach Bemhardy nur “selten verlässt“, nach Nicolai „nirgends verdeckt“ - während Theophylactus nach seinem eigenen Zeugnisse gar nicht in Aegypten, sondern in Griechenland geboren ist! (vgl. S. 392 Anm. ♦).

    • Andr. Rivinus sagt in der praef. zu seiner Ausgabe der diropCai <pucixat

„Simocates multis egregüs viris in delicüs fuit“. Denselben Ausdruck gebraucht der erste Herausgeber Bon. Vnlcanius in seiner Widmungs-Vorrede : „Tu vero hisce Theophylacti . . . d e l i t i i s fruere“. Die Darstellung selbst aber lobt Vulcanius a. a. 0. als höchst gefällig , sie wäre von einer Feinheit, wie sie durch die lateinische Sprache nicht gut wiedergegeben werden könnte. (. . . „Quae quidem omnia ob dictionis tö ^Xa^pupöv non

ingrata tibi fore putavi Est et alioqui tanta Atticae Venoris, quae

in epistolico hoc atque adeo ipmxi%^ scribendi genere expressa est elegantia, ut Latino peuicillo difficulter vel adumbrari queat.“) - Am weitesten ist im Lobe des Theophylactus wohl Cimedoncius vorgegangen, dessen lateinische. Uebersetzung Boissonade a. a. 0. von Neuem hat abdrucken lassen: „ . . . epistolae Theophylacti, quibus tersiores aut doctiores vix esse possunt„.

    • ♦ Als Probestücke sollen der Sammlung - um die Wahl von jeder

Tendenz frei zu halten - die ersten drei Gredichte entnommen werden, dann vier Episteln aus der Mitte und endlich die letzten Gedichte, mit denen Theophylactus die Sammlung schliesst.

MITTHEILUNQ BINIGEB EPISTELN IN DEUTSCHER SPRACHE. 395

Unbefangene Prüfling wird ergeben, dass die Episteln des Theophylactus den scharfen Tadel nicht verdienen, welcher über

1. Kritia“ an Plotinns.

Die sangvolle Cikade stimmt ihr Lied an, wenn die MorgenrOthe er* scheint; aber sangreicher und geschwätziger vernimmt man sie um die Mit^ tagszeit, wenn sie gleichsam trunken ist von den Strahlen der Sonne. Es trillert nun die Sängerin, indem sie einen Baum zur Bühne, das weite Feld zum Theater macht: Alle, die vorüber wandeln, lässt sie den (besang vernehmen.

Also werden auch wir angetrieben, Dein Verdienst zu verkünden; es erwacht und lebt auf zu Deinem Lobe, was in uns ist. Dein Schreiben hat OBS, die wir schon im unreinen Leben erstorben waren, zur Tugend wieder auferwecket. So möchte ich, der ich Kritias bin, Plotinus werden: dieser ist, vom Körper befreit, auf Erden und philosophirt, oder die Philosophie hat Menschengestalt angenommen und wandelt, wie ein Mensch unter Menschen.

2. Dorkon an Moschon.

Der Führer der Heerde, mein trefflicher Widder, ist mir gefallen: der Leitung auf der Weide entbehren meine Schafe. Wir haben ein sehr grosses Unglück erfahren, und ich glaube, dass Pan mir schwer zürnet: wir haben ihm nicht die Erstlinge der Bienen -StOcke dargebracht. Deshalb will ich zur Stadt eilen und den Bürgern die Härte des Gottes verkünden ; ich werde ihnen sagen : wegen des Honigkuchens hat Pan mir den Führer meiner Heerde hin weggenommen.

3. Theano an Eurydice.

Die Schönheit, in welcher Du einst prangtest, ist dahin; es naht die würdevolle Zeit der Runzeln. Du aber versuchst die Wahrheit zu verhüllen, indem Du durch aufgetragene Schönheits- Mittel die Liebhaber täuschest. Gieb, liebe Alte, der Zeit, was ihr gebührt; im Spätherbste sind die Wiesen nicht mit Blumen geschmückt. Denke an den Tod, denn Du hast dich ihm schon sehr genähert; schicke Dich an, sittsam zu sein, weil Du der Noth gehorchen musst. Du versündigst Dich gegen das Alter und die Jugend. Denn indem Du jung zu sein vorgiebst, lügst Du, und das Alter verläugnest Du, das Dir schon zu Theil geworden ist.

39. Thetis an Anaxarchus.

Du kannst nicht zu gleicher Zeit Thetis und Galatea lieben. Denn die Leidenschaft wendet sich nicht nach zwei Seiten, die Liebes-â‚K5tter theilen sich nicht, eine gedoppelte Liebe vermagst Du nicht zu tragen. Gleichwie die Erde nicht von zwei Sonnen erwärmt werden kann, also duldet auch die Seele nicht zwei Liebesflammen.

40. Sokrates an Plato. Niemandem wird ein Leid zugefügt. Alle fügen sich selbst Leid zu, ein

396 DIB ÜBERSETZUNG DER EPISTELlf DES THEOPHYLACTCS.

sie ausgesprochen ist, obwohl sie freilich - schon ihres lehrhaften

Jeder thut sich selbst freiwillig Leid an. Wir sind ja Herren über das Gute und Böse, über Tugend und Schlechtigkeit.

Philonides hat Dir Dein Feld genommen: dies ist doch etwas, was ausser Dir ist, Deine Seele hat Nichts geschädigt. - Einen Yerlnat hat Fhilippus Dir zugefUgt, er hat einen Ring von Dir sich zugeeignet: Du selbst hast kein Leid erfahren; denn was wir erworben haben, ist doch kein Theil von uns. - Deinen Sohn haben die Barbaren geraubt: Du hast dabei nichts Schweres erlitten; denn der Sohn ist Dir nicht als ewiger Besitz zu Theil geworden. Du hattest ihn nicht von Anfang her; erst neulich ist er Dir geboren worden und jetzt wieder ist er nicht mehr, er war doch nicht, sondern er ist geworden.

Wahrlich es thun die Menschen sich selbst Leid an, nicht geschieht ihnen Leid. Den Cyklopen bei Homer habe ich bewundert, der da sagte, dass Niemand es sei, der ihm, dem Leid Erduldenden, Schaden zufüge; es war dem Hirten die Verneinung die Bekräftigung der Wahrheit.

41. Marathon an Peganon.

Um den bürgerlichen Wirren und dem unvermeidlichen Lärme der Stadt zu entfliehen, habe ich mir ein Gütchen gekauft und nun Ruhe des Gemüths zu finden geglaubt. Aber in grössere Uebel bin ich gerathen. Denn bald habe ich Mehlthau zum Feinde, bald Heuschrecken, bald Hagel. Der Reif verdirbt mir Unglücklichem die Früchte, wie ein unerbittlicher Tyrann, und was ich mit saurem Schweisso errungen, verfliegt in alle Winde. ich Aermster, was soll ich doch thun? Wenn ich au die Mühsal des Landmanus denke, dann wünsche ich mir in der Stadt zu leben; wenn ich dann wieder den Lärm in der Stadt hören muss, dann lobe ich mir das Landleben. Kurzum, was mir fehlt, ist mir immer lieber, als das was ich haben kann. Die einzige Rettung ist der Tod, komme er durch die Natur, oder durch die eigene Hand.

42. Perikles an Aspasia.

Wenn Du Geld und Geschenke verlaugst, dann liebst Du nicht. Die Liebesgötter lassen sich nicht durch Geld gewinnen und lehren die Liebenden ein Gleiches zu thun. Wenn du also wirklich liebst, dann musst Du mehr bereit sein zu geben als zu nehmen. Wenn Du aber nach Geld und Gut strebst, und der Schätze wegen Liebe erheuchelst, dann straft die Zunge das Herz Lüge, da Du um Gold die Lust dem Liebenden verkaufst.

83. Anthinus an Ampelinus.

Die Weinlese steht ganz nahe bevor, und die Traube ist voll des süssen Mostes. Bewache also sorgfältig die Landstrasse und nimm Dir als Genossen einen tüchtigen Hund aus Kreta. Denn des Wanderers Hände greifen gern zu und sind nur zu sehr bereit, den Schweiss des Landmanns zu vernichten.

DIE GRÜNDE FÜR DIE WAHL DES THEOPHYLACTUS. 397

Charakters wegen - auch nicht zu den hervorragenden Dichtungen zählen."

Coppernicus selbst hat den Theophylactus schwerlich deshalb aufgesucht, weil er seinen Episteln einen besonders hohen poetischen Werth beilegte ; äussere Gründe werden, wie bei ähnlichen Arbeiten seiner Zeitgenossen, auch bei ihm die Wahl bestimmt haben.

Die Literatur-Kenntniss war im Zeitalter des Humanismus verhältnissmässig gering. Man kann dies schon daraus ersehen, dass bei den Vorlesungen der Universitäts- Lehrer keineswegs immer die besten Klassiker zu Grunde gelegt wurden. So finden wir auch, während bedeutendere Werke des Uebersetzers lange harren mussten, unbedeutende griechische Schriftsteller bereits frtth in die lateinische Sprache übertragen. Man rufe sich femer in Erinnerung, wie wenige griechische Autoren im 15. Jahrhun b4. Chrysippa an Sosipater.

Du bist in Liebes-Netzen gefangen, Sosipater, du liebst Anthusia. Wohl zu loben sind die Augen, die sich einem schönen Mädchen in Liebe zuwenden. Klage nicht, dass Du durch die Schönheit besiegt bist: grösser ist die Erquickung, welche Du für die Liebes-Mühe haben wirst. Die Thränen der Liebe sind süss, der Lust und Freude sind sie beigemischt, die sonst dem Schmerze zugehOren. Die Liebesgötter ergötzen zu derselben Zeit, wenn sie traurig machen; mit mannigfachen Leidenschaften ist der Gürtel der Venus geschmückt.

85. Plato an Dionysius.

Willst Du Deinen Schmerz beherrschen lernen, dann wandle unter Gräbern. Dort wirst Du Heilung für Dein Leiden finden. Du wirst zugleich erkennen„ dass das grösste Glück der Menschen über das Grab hinaus nichts gilt.

  • Zwei kompetente Richter haben über die Episteln des Theophylactus

ein übereinstimmendes Urtheil ausgesprochen, dass sie nicht gering zu achten seien, wenngleich ihr Werth auch nicht besonders betont werden könne. Boissonade sagt in der Vorrede zu seiner Ausgabe des Theophylactus p. V: „Est Theophylactus scriptor non injucundus nee, ut in aetate mala, malus“. Indem Westermann sich diesem Urtheile anschliesst („De epistolarum scriptoribus Graecis commentationis“ pars octava p. 7) fügt er hinzu: „ . . . ceterum neque magni admodum hae epistolae aestimandae sunt, nee prorsus aspcrnandae.“

398 DIE ÜBERSETZUNG DER EPISTELN DES THEOFHTLACTUS.

derte gedruckt waren/ Es kam also bei den ersten Uebersetznngen der griechischen Klassiker häufig auf den Zufall an, welche Handschrift zum Kaufe angeboten wurde, oder welchen Schriftsteller der Lehrer seinem Unterrichte zu Grunde gele^ hatte. Wer endlich nicht gerade seinen Lebenszweck in die Uebersetzung von Werken der Griechen setzte, der liess sich gern an einem Buche von nicht zu grossem Umfange genügen, und das in Sprache und Inhalt nicht zu viele Schwierigkeiten bot.**

Denn man darf die Art , wie das Griechische damals erlernt wurde, auch nicht annähernd unserer Unterrichts^ und Lem^ Methode vergleichen wollen. Die Schwierigkeiten, mit denen die Erlernung der griechischen Sprache verknüpft war, kann man gar

"^ Die ersten griechischen Autoren wurden selbstverständlich in Italien gedruckt. Hier waren bereits in 55 Städten während des 15. Jahrhunderts Druckereien angelegt ; allein die Drucker beschränkten sich auf die r(5mi8che Literatur und Uebersetzungen aus dem Griechischen. Mit dem Drucke griechischer Autoren ward erst ein schwacher Anfang gemacht; nachdem 1476 das erste griechische Buch, die Grammatik des Laskaris, gedruckt war, erschien im Jahre 1488 die erste Ausgabe Homers in Florenz. Während des 15. Jahrhunderts ist weder in Bom noch in Bologna ein griechischer Klassiker gedruckt worden, ungeachtet die Drucker in beiden Städten, wie man aus den eingestreuten griechischen Worten ersieht, schon seit 1470 griechische Typen besassen. Erst durch die Bemühungen von Aldus war dem Drucke griechischer Klassiker ein glücklicher Fortgang gesichert, und nun wurden auch in den übrigen Ländern Europa s allmählich griechische Autoren gedruckt. Während des 15. Jahrhunderts ist weder in Frankreich noch in England ein griechisches Buch dem Drucke übergeben; selbst in Deutschland, dem Vaterlande der Buchdrucker-Kunst, wurde das erste griechische Buch (die Metaphysica des Aristoteles) im Jahre 1499 in Leipzig gedruckt.

    • Das zuletzt erwähnte Motiv ist in den meisten Fällen massgebend gewesen; daher ist es zu erklären, dass in der ersten Zeit des wiedererwachten

klassischen Studiums so viele kleinere griechische Schriften in lateinischer Uebersetzung erschienen sind.

Uebrigens verdankt auch die neuste Ausgabe der Episteln des Theophylactus diesem Umstände ihr Erscheinen, wie Boissonade, erinnernd an das Wort: „librum magnum magnum esse malum“, offen eingesteht: „Quum

a me redemtor flagitaret, ut sui gratia Graecum aliquem librum ederem

et propter redemtorem elegi Theophylactum, quia rarus est, et propter editorem, quia is esse videbatur, cuius facili opere ac brevi tempore Volumen possem recensere ac stipare notis.

DIE SCHWIERIOKEITEN DER ÜBESSBTZUKG. 399

nicht gross genug anschlagen für eine Zeit, in welcher eben erst ein Lexikon und einige griechische Grammatiken in lateinischer Sprache erschienen waren. "^ Schon Scaliger hat mit Recht darauf hingewiesen, dass man die ersten Uebersetzungs-Versuche aus dem Griechischen mit der äussersten Milde beurtheilen müsse, indem er schreibt : „heutigen Tages ist es leicht ein guter Grieche oder Hebräer sein, denn Alles ist zugeschnitzt“. In jener Zeit jedoch musste bei dem druckenden Mangel an Lehrmitteln die Sprache erlernt werden, wie es jetzt häufig bei einer lebenden Sprache geschieht, dass sofort durch eine Art Interlinear-Version mit der Lektüre eines leichten Schriftstellers begonnen ward. Erleichtert wurde diese Methode freilich dadurch, dass die ersten Lehrer des Griechischen Männer gewesen, denen dasselbe Muttersprache war - die aus dem byzantinischen Reiche geflüchteten Gelehrten.

So hat wohl auch Coppernicus das Griechische erlernt und - wie in einem frühem Abschnitte ausgeführt ist - den Theophylactus Simocatta als Lembuch benutzt.**

  • Die griechischen Lexikographen Suidas und das Etymologicum magnum (welche beide im Jahre 1499 gedruckt wurden), konnten natürlich für

die des Griechischen Unkundigen ebensowenig von Nutzen sein, wie die in griechischer Sprache geschriebenen Grammatiken des Constantinus Laskaris und Theodorus Gaza.

Ein einziges griechisch -lateinisches Wörterbuch war im 15. Jahrhunderte durch den Druck veröffentlicht worden, das Lexikon des Karmeliter-Mönches Chrestonius von Piacenza. Dasselbe erschien zuerst 14S0, dann 1483 und 1499; auch Aldus der Aeltere hat - ohne den Verfasser zu nennen - das Lexikon des Chrestonius im Jahre 1497 drucken lassen.

Die erste griechische Grammatik in lateinischer Spra6he verfasste der Franziskaner Valeriano Bolzani, welche der ältere Aldus im Jahre 1497 druckte ; eine (durch Chrestonius besorgte) lateinische Uebersetzung der griechischen Grammatik des Constantinus Laskaris war bereits im Jahre 1480 der zweiten Ausgabe derselben beigegeben.

    • Als Coppernicus in Bologna studirte, Hess Aldus Manutius, wie bereits

S. 2H0 erwähnt ist, den 2. Band seiner Sammlung der griechischen EpistoIpgraphen erscheinen. Derselben war ein Widmungs-Brief an Urceus Codrus vorgesetzt, in welchem der Herausgeber seinen Freund ersucht, das Buch für seine Vorlesungen zu benutzen. Derselbe scheint dieser Aufforderung

400 DIE ÜBERBETZUNQ DER EPISTELN DES THBOPHTLAOTUS.

Das Zugeständniss über den verhältnissmässig geringen literarischen Werth der Episteln des Theophylactus Simocatta nimmt der Coppernicanischen Uebersetzung Nichts von dem hohen Interesse, welches sie in vielfacher Beziehung beanspruchen darf. Sie ist - wie im Eingange bereits hervorgehoben ward - die einzige Schrift, welche Coppernicus aus eigenem Antriebe der Oeffentlichkeit übergeben hat: wir finden in ihr sodann ein beredtes Zeugniss für die vielseitige Thätigkeit und die ausgebreiteten Kenntnisse von Coppernicus ; vor Allem aber kennzeichnet sie klar die Stellung, welche Coppernicus in den geistigen Kämpfen seiner Zeit eingenommen.

Die Uebersetzung der Briefe des Theophylactus Simocatta ist das erste Buch, welches die griechische Literatur im Weichsellande sell/stständig vertritt;* sie erschien zu einer Zeit, da in Mittel-Deutschland das Griechische fast noch unbekannt war.^*

Als Coppernicus aus Italien in die Heimat zurückkehrte, hatte in Deutschland, wie in Polen, der Kampf der alten und neuen

bereitwillig nachgekommen zu sein. Einen Beleg dafür giebt die Coppernicanische Uebersetzung des Theophylactus Simocatta. dessen Episteln in der erwähnten Sammlung an 19. Stelle abgedruckt sind; sie umfassen 20 Blätter 'von Ü bis W). Coppernicus verliess bereits gegen die Mitte des Jahres 1501 Bologna. Urceus hat sonach schon in dem Jahres -Kursus 1499/1500 oder im Winter 1500/1501 den Theophylactus zur Interpretatum fUr seine Scholaren ausgewählt.

  • Vor dem Coppernicanischen Schriftchen war nur ein Abdruck der

von Laurentius de Valle gefertigten Uebersetzung der Georgica des Hesiod 1505 bei Haller in Krakau gedruckt worden.

^'^ Es ist wohl nicht überflüssig, daran zu erinnern, wie langsam sich die Kenntniss des Griechischen in den ausscritalischen Ländern Europa's verbreitete. In dem Geburtsjahre des Coppernicus wurde die griechische Sprache in Deutschland noch nicht gelehrt. Reuchlin musste 1473 nach Paris wandern, um sich im Griechischen unterrichten zulassen; 1474 wurde der erste Lehrer des Griechischen in Basel angestellt. Heeren (Gesch. des Studiums der klass. Literatur) sucht mühsam die Wiederhcrsteller der griechischen Sprache und Literatur in den Ländern Europa's auf, Über Polen findet sich in seinem Buche kein Wort.

DIE ANFEINDUNG DER GRIECHISCHEN STUDIEN. 401

Bildung, dessen Anfänge in Krakau er selbst einst erlebt hatte, eine weitere Ausdehnung gewonnen. Immer noch leisteten die scholastischen Doctores und Magistri der Einführung der lateinischen Klassiker hartnäckigen Widerstand, durch welche sie das Ansehn ihrer althergebrachten Weisheit gefährdet sahen. Allein noch viel heftiger war der Kampf entbrannt, seit die Humanisten auch die griechische Sprache und Literatur, von welcher eine tiefer gehende Umgestaltung der bisherigen Denkweise zu befürchten war, in den Kreis ihrer Studien gezogen hatten. Von den Streitern für die alte Bildung war das Feldgeschrei ausgetheilt worden, wie es einst Gregor der Grosse in scharfer Formulirung gegen die Beschäftigung mit den klassischen Schriftstellern aufgestellt hatte : ein und derselbe Mund könne nicht zugleich Jupiter und Christus preisen. („Quia in uno ore se cum Jovis laudibus Christi laudes non capiunt.“) Man schleuderte gegen die Vertreter der klassischen Studien die Beschuldigung, es werde die Wieder-Einführung des Heidenthums beabsichtigt. Ganz besonders wurde - zumal das Lateinische an sich als Kirchensprache Absolution erhalten musste - der Vorwurf der Ketzerei gegen das Griechische erhoben.*

"^ Als Belege seien hier nur zwei bezeichnende Stellen aus den Schriften des Erasmus angeführt. Die erste ist den Adagüs entnommen. Sie lautet: „Quidam non verentur privatim ac publice atque adeo in sacris etiam concionibus deblaterare, literas Graecas esse fontes omnium haere* sium non animadvertentes hanc blasphemiam cadere in Hieronymum, Ambrosium et Augustinum, aliosque complures, quibus doctoribus gloriatur ecciesia. Huiusmodi stolidissimas nugas inculcant auribns adolescentium in secretis confessionibus : Cave a Graecis, ne fias Haereticus.“ Die zweite Stelle findet sich in dem der „paraphrasis in epistolas ad Ephesios“ vorangestellten Schreiben an den Cardinal Lauren tius Campegius : „Peccant, qui odiose vociferantnr in hactenus recepta studia Graeca licet infantia; sed gravius peccant, qui conscenso suggestu, unde solet audiri tuba Evangelica Christi gloriam personans, seditiose clamitant: „Arcete iberos vestros a Graecis literis, hinc nascuntur haereses.

Ne tangite libros illius et illius (neque enim a nominibus temperant), qui corrigit precationem Dominicam, qui castigat Canticum Magnificat, qui emendat

I. 26

402 DIE ÜBERSETZUNG DER EPISTELN DES THEOPHYLACTUS.

Im Anfange des 16. Jahrhunderts spitzten sich in Deutschland, wie in Polen, die Gegensätze auf diesem Gebiete immer schärfer zn.* Es galt da, Farbe zu bekennen, wenn der Sieg der neuen Richtung zu Theil werden sollte.

Evangelium S. Johannis. Adeste praefecti! Succurrite cives! Tantarn pestem arcete rebus humanis!

Mit denselben Waffen, wie in Deutschland, wurde auch in Polen der Kampf gegen die Beschäftigung mit der griechischen Literatur geführt. Die griechische Sprache war in Krakau zuerst um das Jahr 1520 gelehrt worden. Georg Libanius hatte die ersten Vorlesungen über griechische Sprache und Literatur gehalten, welche ihm jedoch Anfangs untersagt wurden. Er selbst berichtet in dem Vorworte zu seiner Ausgabe der Gedichte der Erythraeischen Sibylla Über die schweren Anfeindungen, welchen die Freunde der griechischen Studien ausgesetzt waren. Es mag hier ein yollständigerer Auszug als S. 133 mitgetheilt werden: „Scio ego plerosque, qui linguam Graecam Latinis literis necessariam esse negant, qui in compotationibus et lautis convivüs, cum accrescit zelus domus dei, omnes Graecitatis studiosos aut haereticos aut Lutheranos appellant, aut schismaticos, et tantum proficiunt, ut ab omnibus, qui sani sunt, insani habeantur. Sed quid non audet periculosa literatorum temeritas. quae nee Graecis nee Hebraeis parcit literis, omnem nobis eruditionem suppeditantibus. Isti, si quem de virgine preculas horarias Graece dicere senserint, anathema fore clamant et inter excummunicatos habendum fore consent. Id quod etiam de his viris non possum non mirari, quorum tota professio pendet a literis Graecis. Ut quidam, cuius nomen nunc plane nie praeterit, aut si adhuc in humanis est, palam etiam in consessu omnis conventus doctorum virorum, qui tum de re literaria consulturi solenniter convenerant, cum nihil tale suspicarer: scio, qulbus me verbis excepit, mehercule stomacho plenis, adeo amarulentus, ut cum saliva dolorem devoraret, propter unum et alterum libellum, quos tum huius negotü studiosis Graece praelegeram, ceu furem aut sacrilegum me impetivit. Omnia videbantur illi, quae in gymnasio nostro tractarentur, alicuius esse momenti, literis duntaxat Graecis, quas unice oderat, exceptis, oderat inquam so Bchliesst Libanius mit feiner Ironie - ob id opinor, quod eas Apostoli tanto honore dignati sunt, ut non alia lingua scripserint.Q

  • Der zur Zeit von Coppernicus lebende Dominikaner-Mönch Simon

Grünau giebt getreulich die Anschauungen seiner Partei-Genossen wieder, wenn er in seiner Chronik (Tract. IX) diejenigen, welche Kenntniss der griechischen Sprache verriethen, für Besessene erklärt und ihre Gelehrsamkeit fUr eine Wirkung des Teufels. „Etzliche hatten ire Tage keinen Juden noch Greken geseen vnd konnten doch aus den bänden Jüdisch und Grekisch lesen . . sie waren besessen.„

DI£ BEDEUTUNO DER ÜBERSETZUNGEX AUS DEM GRIECHISCHEN. 403

Zu dieser Zeit nun; da Jeder, der Griechisch trieb, für einen Freigeist angesehen wurde, trat auch Coppernicus mit offenem Visir auf den Kampfplatz. Der junge Domherr veröffentlicht mit der Widmung an einen GrosswUrdenträger der Kirche die Früchte seiner hellenistischen Studien.

So war diese Veröffentlichung mehr als eine wissenschaftliche That. Zwar ist es ein christlicher Schriftsteller, den Coppernicus übersetzt hat. Allein, abgesehen von der verfehmten griechischen Sprache, waren die Anschauungen, auf denen die Briefe aufgebaut sind, ganz dem heidnischen Alterthume angehörig.

Und nun beachte man noch das Jahr, in welchem die kleine Schrift erschien! es war dasselbe Jahr (15091, in welchem der schwere Kampf Reuchlin's mit Pfefferkorn und den Dominikanern zu Köln begann ! Man darf die Uebersetzung des Theophylactus sonach keineswegs als ein blosses specimen eruditionis ansehn, womit Coppernicus nur etwa dem Danke an seinen Oheim einen äusserlichen Ausdruck zu geben beabsichtigt hätte. Er stellte sich mit seiner Schrift offen in die Reihen der Humanisten zu einer Zeit, als überall der Hass der Altgläubigen gegen die Vertreter der neuen Richtung aufloderte.

Die Uebersetzung griechischer Schriftsteller in das Lateinische ward damals als ein Hauptmittel der Verbreitung der griechischen Literatur betrachtet. Die Kenntniss der griechischen Sprache beschränkte sich immer noch auf kleinere Kreise. Und je unvollkommener diese Kenntniss auch bei den wenigen Auserwählten war. um so allgemeiner war das Verlangen, die der Mehrzahl noch verschlossenen Schätze der griechischen Literatur durch Uebertragungen in das Lateinische zugänglich zu machen.

Wer nun weder Müsse noch Kraft besass, die grossem Meisterwerke zu übersetzen, wählte sich eine kleinere Schrift. Er tmg dann das freudige Bewusstsein in sich, auch an seinem

26„

404 DIE ÜBERSETZUNG DER EPISTELN DES THEOPHYLACTÜS.

Theile mitgewirkt zu haben an der Vermehrung des geistigen Keichthums seines Jahrhunderts.

Diese ersten Uebertragungen waren in vieler Beziehung mangelhaft ; sie dürfen einen eigentlich wissenschaftlichen Werth nicht beanspruchen. Wiederholt muss darauf hingewiesen werden, dass die Sprachkenntniss der ersten Gräcisten im Abendlande nicht hoch anzuschlagen ist. Noch weniger darf man Textes-Kritik bei den Uebersetzern des Humanisten-Zeitalters erwarten. Sie hatten ja gar nicht die Gelegenheit, Vergleichungen anzustellen. Drucke waren erst von wenigen Schriftstellern vorhanden, und mehrere Manuskripte ein und desselben Autors zusammenzubringen, tiberschritt ebenso die Grenzen der Möglichkeit für den Einzelnen. Die gelehrte Thätigkeit der ersten Priester des Humanismus war sonach auf beschränktere Grenzen angewiesen; sie war mehr eine hingebende. Man erfreute sich an dem Besitze der gewonnenen Schätze, ohne die Aechtheit der einzelnen Steine ängstlich zu untersuchen.

Nach diesen verschiedenen Gesichtspunkten ist nun auch des Coppernicus Uebersetzung zu beurtheilen. Weit entfernt von einer kritischen Behandlung des Textes, sucht er vornämlich in den Geist des vorliegenden Schriftstücks einzudringen und dasselbe dem lateinischen Idiome anzupassen.* Dies gelingt ihm an nicht wenigen Stellen besser als seinen Nachfolgern. Mitunter freilich tritt die mangelhafte Kenntniss des Griechischen in auffälliger Weise hervor." Allein es kommt - dies muss zum Schlüsse nochmals

  • Der griechische Text ist allerdings au nicht wenigen Stellen verderbt. Aliein auch hiervon abgesehn, zeigt die Coppernicanische lieberSetzung manche Unebenheiten. Zum Theil ist sie sehr frei gehalten; zum

Theil schliesst sie sich wieder zu wortgetreu an den Text an. Dadurch sind mitunter ganz ungewöhnliche Wortbildungen und Wortverbindungen entstanden, welche uns, ohne Vergleichung mit dem Griechischen, kaum verständlich sind.

'* Die Ungleichheiten der Coppernicanischen Uebersetzung, auf welche die vorstehende Anmerkung in Betreff der lateinischen Wortfügung aufmerksam gemacht hat, finden sich noch in höherem Masse bei der Auf

DIE KENNTNISSE DES COPPERNICUS IM GRIECHISCHEN. 405

hervorgehoben werden - gar nicht darauf an, wie gross oder gering die Kenntniss des Coppernicus im Grrieehisehen gewesen ist. Die Bedeutung dieser Studien liegt ja vomämlich darin, dass sie mithalfen, die ideale Begeisterung zu unterhalten und zu selbstständiger Forschung weiterhin anzuregen, dass sie die Spannkraft des Geistes stärkten, gleichwie die Energie, Veraltetes von sich zu werfen und zu den kühnsten Gredanken emporzustreben.

Dass Coppernicus seiner Uebersetzung den Text, welchen die von Aldus Manutius besorgte Ausgabe der griechischen Epistolographen bietet, nicht durchweg zu Grunde gelegt hat, ist bereits früher (S. 260; angeführt; die ausführlichen Belege bieten die Anmerkungen, welche dem Abdrucke der Coppernicanischen Uebersetzung im 2. Bande (S. 52-127) beigegeben sind. Der Einblick in das Exemplar der Aldina, welches Coppernicus besessen, würde für manche Detailfrage von Interesse sein; dasselbe ist jedoch bis jetzt nicht aufgefunden.*

fassnng und Wiedergabe des griechischen Textes. Während Einzelnes in recht geeigneter Weise übertragen ist, finden sich wieder nicht wenige Stellen, in denen, neben leichteren Versehen und IrrthUmern, recht arge lexikalische und grammatische Verstösse hervortreten. Manches darf freilich noch immer billig Entschuldigung finden, wenn man erwägt, wie Coppernicus von kritischem Apparate ganz entblösst gewesen ist, und nur ein wenig ausreichendes Lexikon hat benutzen können. Und der Text des Theophylactus ist oft recht verderbt; er hat auch den spätem Interpreten und Uebersetzem viel zu schaffen gemacht. Mitunter hat Coppernicus sich gar nicht zu helfen gewusst und in Verzweiflung über einzelne unverständliche Sätze diese ganz weggelassen oder, ohne sich 'viel um den Sinn zu kümmern, nur Wort für Wort übersetzt.

Die Anstüsse, welche die Coppernicanische Uebersetzung bietet, sind in den Anmerkungen zu dem im 2. Bande (S. 52 - 12T) gegebenen Abdmcke sämmtlich hervorgehoben; es erscheint überflüssig, dieselben etwa klassificirend nochmals zu besprechen. Man vergleiche die Anmerkungen 1, 8, 10, 11, 12, 14, 25, 26, 27, 35, 38, 40, 41, 42, 44, 48, 50, 51, 52, 54, 57, 62, 63, 72, 74, 76, 82, S3. 85, 91, 92, 98, 99, 100, 109, 115, 117.

♦ Die Dom -Bibliothek zu Frauenburg besass ein Exemplar der von Aldus herausgegebenen Epistolographen. Wir ersehen dies aus dem Visitations-Rocess der ermländischen Kathedra vom Jahre 1598, in welchem sich ein vollständiger Katalog der Kapitular- Bibliothek findet. Dort ist

40G DIE ÜBERSETZUNG DER EPISTELN DES THEOPHYLACTÜS.

Dagegen hat sieh auf der Bibliothek zu Upsala das. Lexikon erhalten, welches Coppernicus bei seinen Studien benutzt hat: „Joh. Chrestonü lexicon graeco-latinum“. Coppernicus besass die Ausgabe, welche 1499 zu Modena erschienen ist; er hat selbst seinen Namen in griechischen Lettern mit der bezeichnenden Accent-Stellung (dem Acutus auf der viertletzten Silbe) anf dem Vorsetzblatte eingezeichnet.* Das Lexikon des Chrestonius ist in der denkbar einfachsten Form gearbeitet : es sind die Worte beider Sprachen ohne irgend welche erklärende oder entwickelnde Znsätze nebeneinander gestellt. Wir gewinnen durch dies Lexikon einen recht klaren Einblick in die Schwierigkeiten, mit denen die Erlernung der griechischen Sprache bei so dürftigen HUlfsmitteln verknttpft war. Coppernicus selbst hat in sein Exemplar eine

die Aldina unter der Bezeichnung „Epistoiae diuersorum Philosophorum* aufgefilhrt (vgl. Hipler, Analecta Wanuiensia p. Cl).

Da nun Coppernicus seine Büchersammlung der Dom-Bibliothek letztwillig vermacht hat, ist die bez. Aldina sicherlich aus seinem Besitze dorthin gekommen. Sollte dies Werk zu Upsala wieder aufgefunden werden, 80 dürfte wohl, da Coppernicus in seine Bücher allerlei Vermerke einzutragen pflegte, noch manch ein Beitrag zur Aufhellung seines Studien-Ganges und seiner Lebens-Yerhältnisse zu erhoffen sein.

  • Die erste Ausgabe des „Lexicon graeco-latinum“, welches der Karmeliter-Mönch Chrestonius (auch Crastonus genannt) bearbeitet hatte, war

14S0 zu Mailand gedruckt. Ein zweiter Abdruck erschien zu Vicenza 1483 und der dritte 1491) „Mutinae in aedibus Dion. Bertochi Bononiensis subterraneis“. Die letztere Ausgabe besass Coppernicus. Sie trägt auf Fol. 3 a den griechischen Titel „AKHIKO^N KATA XTOIXE'IQN“. Die Seitenzahlen von 2 - 256 hat der Besitzer handschriftlich folürt und auf dem Vorsetzblatte seinen Namen mit griechischen Lettern eingezeichnet (vgl. oben S. 27 •

Aus dem Besitze von Coppernicus ist das Lexikon mit dessen andern Büchern in die Dom -Bibliothek übergegangen. In dem Kataloge vom Jahre 1598 wird es unter der verstümmelten Bezeichnung „Joann. Crassito : Dictionarium“ aufgeführt. Gegenwärtig befindet sich dasselbe auf der UniversitätsBibliothek zu Upsala ;Catal. Upsal. 35, vüi. 1) und zeigt noch die Signatur „liber bibliothec. Warm.“

Hinter dem Lexikon des Chrestonius folgt ein Werk von Ambrosiua Regius: „Vocabulorum latinorum series in praecedenti libro diversa““ Regü Lepidi 1500, ein lateinisch-griechischer Index dürftiger Art.

DAS GRIECHISCH-LATEINISCHE LEXIKON DES CHRESTONIUS. 407

Reihe von lexikalischen und grammatischen Zusätzen und Verbesserungen eingeschrieben.*

  • Von relativer Wichtigkeit sind die Verbesserungen, welche Coppernicus bei den griechischen Monats -Namen im Chrestonius hinzugefügt hat.

Dieselben sind von Hipler (Anal. Warm. p. 120, 121) und von Curtze iReliq. Cup. p. 3; veröffentlicht; sie sollen in Band Ü, zugleich mit den anderweiten lexikalischen Zusätzen und Verbesserungen, Abdruck finden. Die ersteren erfordern eingehendere Behandlung, wie sie ihnen Curtze a. a. 0. hat angedcihen lassen. Nach des Letztem Untersuchungen werden auch die in Band Ü, S. 56 und 57 gegebenen Ausführungen vereinzelte Berichtigung erfordern.

An diesem Orte dürfte es genügen, die rein grammatischen Notizen aufzuführen. Man gewinnt durch dieselben einen Einblick in den Stand der grammatischen Kenntnisse von Coppernicus zu der Zeit, als er das Lexikon des Chrestonius zu gebrauchen anfing; vorzugsweise aber können sie als Belege für die Schwierigkeiten dienen, mit denen die Erlernung der griechischen Sprache, ohne jegliche Unterstützung methodischer grammatischer Zusammenstellungen, damals verknüpft war:

dvotfö„ - "J^. dsim^OL. - dfiuTU) - dlfx6a}. - •jBsi\Qo\t.'xi fiam a y^T^® „ T^T^" vT^fiai factus sum; Me;: YeT®*^“„„ „0. B. ift:s6ll.T^'^ a Ylvo|iai. - hW per, propter (gto = cum genitivo) ; propter (acto = cum accusativo). - 'eouv ingressuB sum aopOT B dr.b tou Su„. - etXr^cpa tt. \r.h tou Xafxßdtva). - eDvTjtpa rnzo toü Xafxßavo. - 'eTTU^öjüTjV ao. B di7:6 toO ruvBavofiai. - iT/(rpf.a ao. B fo^ov. HXdov aopiax. dizo tou epyofiai. - 'Hfüap"njp.a aop. b. r^fiaprov ab afiapdavo). Hada tjsdtjijiai sensi aor. B rjo8op.T^v ab atadavofxai. - lux^t.r^%a i: aito tou xa{jLvo>. - Xi^o“: X^Xrjöa ao. b eXadov a Xavdavai. - otao„, |x. diro tou cpepo. - retoofxai [x. airo tou iziT/m. - ::e:Tov&a ir. dno tou izaaym. eiTToxa it. ano tou TTCTaloo. neTTTooxa cecidi a ttittto). - ireTTjapiai ::. öItto tou 7rjvd(ivo{jiai. Tzer.wxa bibi a riviu. - -Euaojxai tt. dzh tou T:uvdavo|jLat. - riGao) bibam a rtvoi. T£6;o{jiai a rjYyavo|Jiai ao. B ivjyos. - u:rer/T,p.ai : r. diro tou Ortayvoufxai. uTTor/r^vofxai : dr.o tou u:rir/voujiai.

Anhang.[recensere]

I. Die Uebersetzung der üriGToh] yfvotdog f/vd-ayops/oi^

TTQog "InnaQxov,

Ausser der Üebersetzung der Episteln des Theophylaetus Öimocatta besitzen wir von Coppernicus nur noch eine grossere Uebertragung aus dem Griechischen. In demselben Buche, ans welchem Coppernicus die Episteln des Theophylaetus übersetzte, fand er jenen Brief, welcher uns als „AostSo; rio&aYopsioo üzi^^okr^ irpoc "'iTTTrapxov“ aus dem Alterthume Überliefert ist.* Dieser Brief 'hatte fUr Coppernicus ein besonderes Interesse, weil im Eingänge und Schlüsse des Schriftstücks das ihm sehr sympathische Gesetz der Pythagoräischen Schule hervorgehoben wird, wonach die Lehren ihres Meisters nur den Eingeweihten verkündet werden dürften.** In der Widmungs-Vorrede seines grossen Werkes an Papst Paul ÜI. bekundet Coppernicus ausdrücklich seine Uebereinstimmung mit diesem Gesetze der Pythagoräer, indem er sagt : „ . . . Lange habe ich mit mir gekämpft, ob ich meine neue Theorie von der Erd-Bewegung dem Drucke übergeben sollte, oder ob es nicht vielmehr besser sei, dem Beispiele der Pythagoräer und

  • Der dem Lysis untergeschobene Brief findet sich in den von Aldus

Manutius 1499 herausgegebenen „Epistolae diuersorum philosophorum, oratorum, rhetorum sex et viginti“ abgedruckt unter F VI und VÜ.

    • Auch Rheticus (narratio prima p. 110) berichtet, es sei seines

grossen Lehrers Meinung gewesen., dass in der Gelehrten -Republik das Gesetz der Pythagoräer streng befolgt werden müsse, wonach nur den in die Wissenschaft Eingeweihten das Heiligthum der Philosophie erschlossen werden dürfte.

DER FUND-ORT DES LYSIS-BRIEFES. 409

einiger Andern zu folgen, welche, wie der Brief des Lysis an Hipparch bezeugt, nicht schriftlich, sondern mündlich und lediglich ihren Angehörigen und Freunden die Mysterien ihrer Philosophie zu Überliefern pflegten.“

Die lateinische Uebersetzung , welche Coppernicus von dem unter dem Namen eines Briefes des Lysis an Hipparch gehenden Schriftstücke* gearbeitet hat, ist von M. Curtze in dem OriginalManuskripte des Coppernicus aufgefunden und in der SaecularAusgabe des Werkes „de revolutionibus orbium caelestium“ (p. 35, 36 veröffentlicht worden. Ein diplomatisch - treuer Abdruck des Coppernicanischen Manuskripts, mit Beibehaltung der Orthographie wie Inteq)unktion, ist Band Ü, S. 132 - 136 gegeben.

In der ursprünglichen Redaktion seines Werkes hatte Coppernicus das erste Buch mit dem Lysis-Briefe geschlossen, auch eine besondere Einleitung dazu voraufgeschickt.** Später hat er seinen ursprünglichen Plan jedoch geändert, vielleicht weil er die Einleitung und den Schluss des Schriftstückes, derentwegen die Uebersetzung hauptsächlich gearbeitet war, in der Vorrede seines Werkes verwerthet hat und den übrigen Inhalt doch als seinen dortigen fachwissenschaftlichen Untersuchungen zu femliegend betrach

"* Coppernicus hat mit seinen Zeitgenossen angenommen, dass der im Texte erwähnte Brief wirklich von Lysis herrühre. Derselbe findet sich ausser bei Aldus Manutius auch in den späteren Sammlungen der griechischen Epistolographen. Seit den Untersuchungen von Fabricius (Bibl. Gr. I, p. S5) wird das Schriftstück nicht mehr als ein Werk von Lysis angesehen; es gehört wohl offenbar einer spätem Zeit an.

  • ' Die Einleitungs- Worte, welche Coppernicus seiner Uebersetzung des

Briefes von Lysis voranfzuschicken beabsichtigte, sind im 2. Bande S. 129 abgedmckt. Dieselben haben für uns eine grossere Bedeutung dadurch gewonnen, dass Coppernicus unter den Pythagoräem, welche die Bewegung der Erde gelehrt hätten, auch Aristarchos von Samos nennt, dessen Nichterwähnung in dem Widmungs-B riefe an Paul ÜL mit Recht aufgefallen war. Coppernicus fuhrt dort weiterhin aus, es dürfe uns nicht Wunder nehmen, dass die Lehre von der Bewegung der Erde mit den Pythagoräem untergegangen sei, weil dieselben ihre Geheirolehre nur in esoterischem Kreise Uberüefert hätten.

410 DIE ÜBBRSürrZUNQ DES LYSIS-BRIEFES.

tete."*" Schwerlich dürfte ihn der Umstand davon abgehalten haben, dass er die Uebersetznng eines Vorgängers, des Kardinals Bessarion, sehr stark benutzt hat.** Denn trotz der mitunter weitgehenden Abhängigkeit von Bessarion ist die Uebertragung des Coppernicus als eine selbstständige Arbeit anzusehn, aus welcher eigenes Verständniss des Griechischen hervortritt. Mehreres ist doch wieder abweichend von Bessarion übertragen. Im Allgemeinen zeigt die Coppernicanische Uebersetzung des Lysis-Briefes dieselben charakteristischen Eigenthümlichkeiten, wie sie in der Uebersetzung der Episteln des Theophylactus hervortreten.

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  • Die Weglassung der lateinischen Uebersetzung des Briefes von Lysis

in dem Werke de revolutionibus ist nicht durch die Herausgeber der editio princeps, sondern durch Coppernicus selbst erfolgt. Letzterer hatte Dämlich sein Werk ursprünglich in acht Bücher getheilt, später jedoch , als er dasselbe in sechs Bücher zusammenfassend kürzte , auch den Lysis-Brief weg^ fallen lassen.

    • Coppernicus besass - wie bereits in der Anmerkung zu Seite 222 angeführt ist - mehrere der Schriften, welche der Kardinal Bessarion als Vorkämpfer Plato's gegen die Schmähungen des Georg von Trapezunt verfasst hat. Jener hatte in dem Werke „Bessarionis Cardinalis Niceni et Patriarchae

Constantinopolitani in calumniatorem Piatonis libri quatuor“ auch eine lateinische Uebersetzung des Lysis-Briefes veröffentlicht. Coppernicus hat diese Uebertragung seines Vorgängers in einer weitgehenden Weise benutzt. Er hat sich an dieselbe auch dann angelehnt, wenn Bessarion den griechischen Text ganz frei wiedergegeben hatte. Ebenso scheute er sich nicht, eigenthümliche lateinische Wendungen seines Vorgängers beizubehalten ; an andern Stellen hat er nur die Reihenfolge der Worte geändert, oder eine unwesentliche Vertauschung gleichbedeutender Worte vorgenommen. - Dagegen hat Coppernicus Einiges doch in anderer Weise übersetzt als Bessarion, Manches einfacher und natürlicher wiedergegeben. Auch finden sich mehrere Stellen des griechischen Textes bei Coppernicus in das Lateinische übertragen, welche Bessarion ganz ausgelassen hatte.

      • Wie in der Uebersetzung der Episteln des Theophylactus, hat Coppernicus auch bei der Uebertragung des Lysis-Briefes oft ganz frei, ohne

Anschluss an den griechischen Text übersetzt. Einzelne Stellen, die ihm unverständlich geblieben sein mochten, hat er weggelassen, dann wieder Manches hinzugefügt, wovon sich im griechischen Texte nichts vorfindet. Die Uebersetzung des doch nur kurzen Schriftstückes ist femer gleichfalls

GRIECHISCHE BüCHER-EINZEICHNUNGEN. 411

Ü. Die griechischen Ein Zeichnungen des Coppernicus in

die ihm zugehörigen Bücher.

“ Der Vollständigkeit wegen darf wohl zum Schlüsse noch erwähnt werden, dass sich einige griechisch geschriebene Notizen in den Rand-Bemerkungen vorfinden, welche Coppernicus in seine ßUcher eingezeichnet hat.* An sich zumeist werthlos, ist ein Theil

nicht frei von lexikalischen und grammatischen Anstössen. Wenn Coppernicus mitunter den Sinn ungenau und nicht recht verständlich wiedergiebt, so ist dies auch hier zum grossen Theil durch die Unzulänglichkeit seiner HüIfsmittel billig zu entschuldigen.

Die nähern Belege für das vorstehend ausgesprochene Urtheil über die Coppernicanische Uebersetzung des Lysis-Briefes enthalten die dem Abdrucke desselben (Band Ü, S. 132 - 136) beigegebenen Anmerkungen.

  • Zu den Vermerken, aus denen die Freude des Coppernicus über die

erworbene Kenntniss der griechischen Schriftzeichen hervorleuchtet, zählt zunächst die bereits erwähnte Einzeichnung seines Namens als des Eigenthümers des griechisch lateinischen Lexikons von Ghrestonius: BißXtov NtxoXdo'j tou KÖTTcpvixou. (Indem in Betreff des Acutus, welchen Coppernicus auf die viertletzte Silbe mit bestimmter Absicht gesetzt hat, auf die Ausführungen zu S. 27 verwiesen wird, muss zugleich die, auch für die folgenden griechischen Notizen gültige, Bemerkung angeknüpft werden, dass Coppernicus, wie viele seiner Zeitgenossen, die Accente und Spiritus bald setzt, bald weglässt.)

In dieselbe Kategorie, wie die vorstehende Namens -Einzeichnung welche unwillkürlich an die Freude erinnert, mit welcher die Schüler der griechischen Elementar -Klasse unserer Tage ihre Namen mit griechischen Charakteren zu schreiben lieben - ist das Rccept eines Haarfarbe -Mittels zu rechnen, welches Coppernicus in eine Reihe lateinischer Recepte auf einem leeren Blatte seines Exemplars der „Practica Valesü de Tharanta“ eingefügt hat: „MsXavoxpiyiov % Kujüvou AXotj; McXavou oivo'j“'.

Mit Uebergehung anderer griechischer Brocken, welche sich zerstreut in den Büchern von Coppernicus vorfinden, sind hier noch die Einzeichnungen anzuführen, welche die in seinem Besitze befindliche Editio princeps der tpaiv^fxcva des Aratus enthält. Coppernicus hat dies Buch sorgfältig durchgearbeitet und am Rande die von Aratus behandelten Sternbilder der bessern Uebersicht wegen sich angemerkt, z. B. rcpi ${>axovToc u. dgl. Eine grossere Notiz lautet “hiaxi tihvjXonoir^^as tou; dorepa“ ol raXoüoi“. Auf der Innern Seite des hintern Deckels hat Coppernicus sich femer die Reihenfolge der ägyptischen Monats -Namen angemerkt: TuUi, (paiAcvo^, (papfxndi, theguz TTTjvt, ETTttfl, MccoDp'., %m%, cpaocpl, A8'jp, yo^oLy„

4 1 2 GRIECHISCHE BÜCHEE-EINZEICHNUXOEN .

der Vermerke charakteristisch für jene Zeit , indem sie die freudige Genugthuung wiederspiegeln, welche diejenigen gern beknn Einige griechische Einzeichnungen enthält auch noch die Baseler Ausgabe des Euklid von 1533 (die editio princeps des griechischen Textes). Coppernicus hatte dies Buch von Rheticus geschenkt erhalten, also in seinen letzten Lebensjahren. Dennoch hat er es sehr fleissig durchgearbeitet: eine Reihe von Stellen sind unterstrichen, bez. am Rande wiederholt. Von selbständigen Zusätzen ist zu erwähnen die Notiz zu S. 30 „YP^t^f^^ eu&eia“, zu S. 64 Z. IS „itepip.£Tpo;, Efxßaoo;“. zu S. 79 Z. 12 „Icpeff^“ y®^*“- S. 80, Z. 25 ist zu den Worten „h xi twv fztoixtz^ix&s“ auf dem Rande angemerkt „Troptafxa Ti“; S. 109 steht neben Zeile 5 - 8 auf dem Rande „rapoißoXTj, orEp^oXi;, eX>.e('j/t;“. Die wichtigste Notiz findet sich S- 73; es ist eine Randbemerkang zu dem Namen des Ni^ojAifjor^; „â– f^ täv yovioöv Top.ifj“. Die Hervorhebung des Nikomedes steht offenbar im Zusammenhange mit einem Vermerke, welchen Coppernicus in die editio. princeps des lateinischen Euklid von 1483 eingezeichnet hat. Dort citirt er die Schrift des Nikomedes de conchoidibüs. welche allgemein als verloren gilt, die er selbst aber, wie aus seiner Bemerkung hervorgeht, eingesehen haben muss. Vgl. Curtze Reliq. Copern. S. 6.

Die reichhaltigsten Einzeichnungen enthält das griechisch -lateinische Lexikon des Chrcstonius. Die grammatischen Notizen sind S. 404 bereits abgedruckt, die lexikalischen sollen im 2. Bande zusammengestellt werden. Von letzteren mag hier nur die Zusammenstellung der griechischen Ausdrücke für die einzelnen Theile des Wagens Mittheilung finden : '„dpixa, Si^po;, ds-rjz, yyoT^, xavdoi, xvtjfjit], hu;.“ Ausserdem erwähne ich noch eine merkwürdige, auf die beiden domkapitularischen Städte Allenstein und Mehlsack bezügliche Notiz „AXvoXiftivT^ ctTio MeXoax “o^b ap-cpoitepa Bpoi)“. Hipler, welcher dieselbe in d. Anal. Warm. S. 121 zuerst veröffentlichte, wusste sie nicht zu enträthseln. Curtze“ (Reliq. Copern. S. 4) hat sie als ein mnemotechnisches Hülfsmittel bezeichnet; allerdings zeigen die Striche unter otTio, mj“ und Br>o& deutlich an, dass hier Zahlen gemeint sind. Mit Recht hebt Curtze ausserdem hervor, wie diese Einzeichnung auch dadurch ein weiteres Interesse für uns gewonnen hat, weil das deutsche Wort Bpoft als Vermittler des Gedächtnisses auftritt, dessen sich ein Pole nicht bedient haben würde.

Von Wichtigkeit ist endlich noch das auf dem Vorsetzblatte des Chrestonius-Lexikon befindliche Verzeichniss der griechischen Monatsnamen, mit den 12 Zeichen des Thierkreises versehen. Diese Einzeichnung ist bereits Band Ü, S. 56 abgedruckt; dort ist jedoch das Zeichen über dem MonatsNamen FafXTjXicuv zu streichen. Coppernicus hatte anfangs irrthümlich das Zeichen des Wassermanns geschrieben, dasselbe später durchgestrichen, dann aber wieder vergessen, das bei ihm ganz fehlende Zeichen des Steinbocks in die Lücke einzusetzen.

Die genaue Feststellung der Reihenfolge der griechischen Monate hat Coppernicus vielfach beschäftigt; wir ersehen dies aus den handschriftlichen Verbessorangen, welche derselbe bei den einzelnen Monats-Namen im Chre

DIE REIHENFOLGE DER ATTISCHEN MONATE NACH COPPERNICUS. 413

deten, die sich den Zugang zu den lange verschlossenen Schätzen des griechischen Alterthums eröffnet hatten; einige dieser Einzeichnungen können allerdings auch ein weiteres Interesse beanspruchen.

stonius hinzugefügt hat, wenn die Uebersetzung des Leukographen mit seiner Ansicht nicht übereinstimmte. Band II S. 61 ist hierüber berichtet; Einzelnes bedarf jedoch der Ergänzung und Berichtigung. Die bedeutsame Stellung, welche Coppernicus zur Chronologie einnimmt, erheischt, dieser Frage eine eingehendere Behandlung in einem spätern Abschnitte angedeihen zu lassen.

Nach manchen Schwankungen scheint Coppernicus zuletzt - indem er das attische Jahr mit dem Frühlings-Aequinoctium beginnen liess - die Monate in nachstehender Reihenfolge geordnet zu haben :

Mo'jviyituv, Baf^YT^Xitüv, }^xtp^o'^opi(uv, 'ExaT0tJi|3aia>v, MeTct^etTNitiv, BoTjOpofücdv, M'üfxaxTTjOtttiv, riuave'J/iujv, IloaetOEttiv, TafAr^AKuv, *AvftsaTT)(ü({„v, 'EXa^TjßoXiuiv.



Druck von Breitkopf & Härtel in Leipzig.