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TACITI AGRICOLA.

litora aspicientes, oculos quoque a contactu dominationis inviolatos habebamus. nos terrarum ac libertatis extremos recessus ipse ac sinus famae in hunc diem defendit: nunc

wohnten. — Situs gebraucht Tacitus gaoz wie positus, s. Nipperd. zu Ann. I, 30, und daher nicht bloss, wie sonst geschieht, von Oertlichkeiten, die irgendwo liegen, sondem auch von Völkern und Personen, die sich irgend wo befinden, s. Nipp. zu Ann. XII, 10. nec servientium litara aspicientes: dies ist hauptsächlich im Gegensatz gegen den südlicheren, dem unterworfenen Gallien gegenüberliegenden Theil von Britannien gesagt, s. zu c. 10,7. In Wahrheit lag Caledonien keinem andern Lande gegenüber oder doch, wenn Deutschland als gegenüber liegend angesehen wurde, s. zu c. 10, 6, keinen unterworfenen Lande.

12. terrarum et libertatis extremos „die wir die letzten sind in Bezug auf die (bewohnte) Erde und die Freiheit" d. h. „die wir die letzten (oder äussersten) Bewohner der Erde und die letzten Inhaber der Freiheit sind" sofern es nämlich hinter ihnen keine weiteren Bewohner gab und ausser ihnen keine weiteren Besitzer der Freiheit. Das Adjectivum estremos steht sowohl in bezug auf terrarum als auf libertatis iu seiner eigentlichen Bedeutung, auch entspre- chen diese Genetive ein jeder für sich dem gewöhnlichen Sprachgebrauch des Tacitus; allerdings aber findet insofern ein Unterschied statt, als extremi terrarum die letzten sind unter denen, welche die Erde bewohnen, extremi libertatis die letzten überhaupt, welche Freiheit besitzen (in lateinischer Umschreibung würde sich der Unterschied durch den Indicativ oder Conjunctiv des Relativsatzes ausdrücken lassen; denn ersteres ist extremi eorum qui terras incoluni, das andere extremi qui libertatem habeant). Indessen eben dies gehört zu den Eigenheiten des Tacitus, dass er es liebt, dasselbe Wort oder dieselbe Wortverbindung gleichsam in verschiedenem Licht leuchten zu lassen und daher dasselbe Wort an paralleler Stelle mit verschiedener Beziehung zu wiederholen, wie z. B. c. 8: extra invidiam nec extra gloriam erat (s. zu d. St.), oder auch ein Wort mit andern Worten in verschiedener Beziehung zu verbinden, wie c. 38: nox gaudio praedaque laeta, das.: secunda tempestate ac fama.


18. recessus ipse ac sinus famae „die Entlegenheit und Ver- borgenheit". Der sinus togae diente bekanntlich dazu, etwas darin zu bergen; sinus wurde daher in der Sprache sowohl für das, was Schutz, als für das, was Verborgenheit gewährte, und sodann geradezu für Schutz (wie c. 4, 7) und für Verborgenheit gebraucht; sinus famae ist die Verborgenheit vor dem Ruf. Dass sinus famae nicht bedeuten kann „der Schutz, den uns unsre Berühmtheit gewährt", geht aus dem Zusammenhange und insbesondere aus dem zunächstfolgenden Satze (nunc etc.) hervor.

nunc terminus … pro magnifico est: hiermit werden im Gegensatz gegen die bisherige Sicherheit der Caledonier zum Beweis für ihre gegenwärtige Gefährdung (ihre necessitas) zwei Gründe angegeben, erstens dass jetzt der Zugang zu ihrem Lande geöffnet sei (statt ihrer bisherigen Verborgenheit), und zweitens, dass ihr Land für die räuberischen Römer, als ihnen bisher unbekannt, einen um so grosseren Reiz haben werde. Das Letztere, dass das Land den Römern unbekannt, ist durch das terminus Britanniae patet keineswegs ausgeschlossen, eben so wenig wie ein Haus mir deswegen schon bekannt ist, weil seine Thür offen steht, und es ist daher nicht nöthig, den Satz omne ignotum pro magnifico est umzustellen und unmittelbar auf defendit folgen zu lassen, wodurch vielmehr der Zusam-